The Project Gutenberg EBook of Heidis Lehr- und Wanderjahre, by Johanna Spyri

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Title: Heidis Lehr- und Wanderjahre

Author: Johanna Spyri

Posting Date: September 1, 2014 [EBook #7500]
Release Date: February, 2005
First Posted: May 11, 2003

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK HEIDIS LEHR- UND WANDERJAHRE ***




Produced by Mike Pullen and Juliet Sunderland. HTML version
by Al Haines.









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Heidis Lehr- und Wanderjahre

Johanna Spyri


Inhalt

1 Zum Alm-�hi hinauf
2 Beim Gro�vater
3 Auf der Weide
4 Bei der Gro�mutter
5 Es kommt ein Besuch und dann noch einer, der mehr Folgen hat
6 Ein neues Kapitel und lauter neue Dinge
7 Fr�ulein Rottenmeier hat einen unruhigen Tag
8 Im Hause Sesemann geht's unruhig zu
9 Der Hausherr h�rt allerlei in seinem Hause, das er noch nicht geh�rt hat
10 Eine Gro�mama
11 Heidi nimmt auf einer Seite zu und auf der anderen ab
12 Im Hause Sesemann spukt's
13 Am Sommerabend die Alm hinan
14 Am Sonntag, wenn's l�utet




Zum Alm-�hi hinauf

Vom freundlichen Dorfe Maienfeld f�hrt ein Fu�weg durch gr�ne, baumreiche Fluren bis zum Fu�e der H�hen, die von dieser Seite gro� und ernst auf das Tal herniederschauen. Wo der Fu�weg anf�ngt, beginnt bald Heideland mit dem kurzen Gras und den kr�ftigen Bergkr�utern dem Kommenden entgegenzuduften, denn der Fu�weg geht steil und direkt zu den Alpen hinauf.

Auf diesem schmalen Bergpfade stieg am hellen, sonnigen Junimorgen ein gro�es, kr�ftig aussehendes M�dchen dieses Berglandes hinan, ein Kind an der Hand f�hrend, dessen Wangen so gl�hend waren, dass sie selbst die sonnverbrannte, v�llig braune Haut des Kindes flammend rot durchleuchteten. Es war auch kein Wunder: Das Kind war trotz der hei�en Junisonne so verpackt, als h�tte es sich eines bitteren Frostes zu erwehren. Das kleine M�dchen mochte kaum f�nf Jahre z�hlen; was aber seine nat�rliche Gestalt war, konnte man nicht ersehen, denn es hatte sichtlich zwei, wenn nicht drei Kleider �bereinander angezogen und dr�berhin ein gro�es, rotes Baumwolltuch um und um gebunden, so dass die kleine Person eine v�llig formlose Figur darstellte, die, in zwei schwere, mit N�geln beschlagene Bergschuhe gesteckt, sich hei� und m�hsam den Berg hinaufarbeitete. Eine Stunde vom Tal aufw�rts mochten die beiden gestiegen sein, als sie zu dem Weiler kamen, der auf halber H�he der Alm liegt und 'im D�rfli' hei�t. Hier wurden die Wandernden fast von jedem Hause aus angerufen, einmal vom Fenster, einmal von einer Haust�r und einmal vom Wege her, denn das M�dchen war in seinem Heimatort angelangt. Es machte aber nirgends Halt, sondern erwiderte alle zugerufenen Gr��e und Fragen im Vorbeigehen, ohne still zu stehen, bis es am Ende des Weilers bei dem letzten der zerstreuten H�uschen angelangt war. Hier rief es aus einer T�r: "Wart einen Augenblick, Dete, ich komme mit, wenn du weiter hinaufgehst."

Die Angeredete stand still; sofort machte sich das Kind von ihrer Hand los und setzte sich auf den Boden.

"Bist du m�de, Heidi?", fragte die Begleiterin.

"Nein, es ist mir hei�", entgegnete das Kind.

"Wir sind jetzt gleich oben, du musst dich nur noch ein wenig anstrengen und gro�e Schritte nehmen, dann sind wir in einer Stunde oben", ermunterte die Gef�hrtin.

Jetzt trat eine breite gutm�tig aussehende Frau aus der T�r und gesellte sich zu den beiden. Das Kind war aufgestanden und wanderte nun hinter den zwei alten Bekannten her, die sofort in ein lebhaftes Gespr�ch gerieten �ber allerlei Bewohner des 'D�rfli' und vieler umherliegender Behausungen.

"Aber wohin willst du eigentlich mit dem Kinde, Dete?", fragte jetzt die neu Hinzugekommene. "Es wird wohl deiner Schwester Kind sein, das hinterlassene."

"Das ist es", erwiderte Dete, "ich will mit ihm hinauf zum �hi, es muss dort bleiben."

"Was, beim Alm-�hi soll das Kind bleiben? Du bist, denk ich, nicht recht bei Verstand, Dete! Wie kannst du so etwas tun! Der Alte wird dich aber schon heimschicken mit deinem Vorhaben!"

"Das kann er nicht, er ist der Gro�vater, er muss etwas tun, ich habe das Kind bis jetzt gehabt, und das kann ich dir schon sagen, Barbel, dass ich einen Platz, wie ich ihn jetzt haben kann, nicht dahinten lasse um des Kindes willen; jetzt soll der Gro�vater das Seinige tun."

"Ja, wenn der w�re wie andere Leute, dann schon", best�tigte die kleine Barbel eifrig; "aber du kennst ja den. Was wird der mit einem Kinde anfangen und dann noch einem so kleinen! Das h�lt's nicht aus bei ihm! Aber wo willst du denn hin?"

"Nach Frankfurt", erkl�rte Dete, "da bekomm ich einen extraguten Dienst. Die Herrschaft war schon im vorigen Sommer unten im Bad, ich habe ihre Zimmer auf meinem Gang gehabt und sie besorgt, und schon damals wollten sie mich mitnehmen, aber ich konnte nicht fortkommen, und jetzt sind sie wieder da und wollen mich mitnehmen, und ich will auch gehen, da kannst du sicher sein."

"Ich m�chte nicht das Kind sein!", rief die Barbel mit abwehrender Geb�rde aus. "Es wei� ja kein Mensch, was mit dem Alten da oben ist! Mit keinem Menschen will er etwas zu tun haben, jahraus, jahrein setzt er keinen Fu� in eine Kirche, und wenn er mit seinem dicken Stock im Jahr einmal herunterkommt, so weicht ihm alles aus und muss sich vor ihm f�rchten. Mit seinen dicken grauen Augenbrauen und dem furchtbaren Bart sieht er auch aus wie ein alter Heide und Indianer, dass man froh ist, wenn man ihm nicht allein begegnet."

"Und wenn auch", sagte Dete trotzig, "er ist der Gro�vater und muss f�r das Kind sorgen, er wird ihm wohl nichts tun, sonst hat er's zu verantworten, nicht ich."

"Ich m�chte nur wissen", sagte die Barbel forschend, "was der Alte auf dem Gewissen hat, dass er solche Augen macht und so mutterseelenallein da droben auf der Alm bleibt und sich fast nie blicken l�sst. Man sagt allerhand von ihm; du wei�t doch gewiss auch etwas davon, von deiner Schwester, nicht, Dete?"

"Freilich, aber ich rede nicht; wenn er's h�rte, so k�me ich sch�n an!"

Aber die Barbel h�tte schon lange gern gewusst, wie es sich mit dem Alm-�hi verhalte, dass er so menschenfeindlich aussehe und da oben ganz allein wohne und die Leute immer so mit halben Worten von ihm redeten, als f�rchteten sie sich, gegen ihn zu sein, und wollten doch nicht f�r ihn sein. Auch wusste die Barbel gar nicht, warum der Alte von allen Leuten im D�rfli der Alm-�hi genannt wurde, er konnte doch nicht der wirkliche Oheim von den s�mtlichen Bewohnern sein; da aber alle ihn so nannten, tat sie es auch und nannte den Alten nie anders als �hi, was die Aussprache der Gegend f�r Oheim ist. Die Barbel hatte sich erst vor kurzer Zeit nach dem D�rfli hinauf verheiratet, vorher hatte sie unten im Pr�ttigau gewohnt, und so war sie noch nicht so ganz bekannt mit allen Erlebnissen und besonderen Pers�nlichkeiten aller Zeiten vom D�rfli und der Umgegend. Die Dete, ihre gute Bekannte, war dagegen vom D�rfli geb�rtig und hatte da gelebt mit ihrer Mutter bis vor einem Jahr; da war diese gestorben, und die Dete war nach dem Bade Ragaz hin�bergezogen, wo sie im gro�en Hotel als Zimmerm�dchen einen guten Verdienst fand. Sie war auch an diesem Morgen mit dem Kinde von Ragaz hergekommen; bis Maienfeld hatte sie auf einem Heuwagen fahren k�nnen, auf dem ein Bekannter von ihr heimfuhr und sie und das Kind mitnahm. --Die Barbel wollte also diesmal die gute Gelegenheit, etwas zu vernehmen, nicht unbenutzt vorbeigehen lassen; sie fasste vertraulich die Dete am Arm und sagte: "Von dir kann man doch vernehmen, was wahr ist und was die Leute dar�ber hinaus sagen; du wei�t, denk ich, die ganze Geschichte. Sag mir jetzt ein wenig, was mit dem Alten ist und ob der immer so gef�rchtet und ein solcher Menschenhasser war."

"Ob er immer so war, kann ich, denk ich, nicht pr�zis wissen, ich bin jetzt sechsundzwanzig und er sicher siebzig Jahr alt; so hab ich ihn nicht gesehen, wie er jung war, das wirst du nicht erwarten. Wenn ich aber w�sste, dass es nachher nicht im ganzen Pr�ttigau herumk�me, so k�nnte ich dir schon allerhand erz�hlen von ihm; meine Mutter war aus dem Domleschg und er auch."

"A bah, Dete, was meinst denn?", gab die Barbel ein wenig beleidigt zur�ck; "es geht nicht so streng mit dem Schwatzen im Pr�ttigau, und dann kann ich schon etwas f�r mich behalten, wenn es sein muss. Erz�hl mir's jetzt, es muss dich nicht gereuen."

"Ja nu, so will ich, aber halt Wort!", mahnte die Dete. Erst sah sie sich aber um, ob das Kind nicht zu nah sei und alles anh�re, was sie sagen wollte; aber das Kind war gar nicht zu sehen, es musste schon seit einiger Zeit den beiden Begleiterinnen nicht mehr gefolgt sein, diese hatten es aber im Eifer der Unterhaltung nicht bemerkt. Dete stand still und schaute sich �berall um. Der Fu�weg machte einige Kr�mmungen, doch konnte man ihn fast bis zum D�rfli hinunter �bersehen, es war aber niemand darauf sichtbar.

"Jetzt seh ich's", erkl�rte die Barbel; "siehst du dort?", und sie wies mit dem Zeigefinger weitab vom Bergpfad. "Es klettert die Abh�nge hinauf mit dem Gei�enpeter und seinen Gei�en. Warum der heut so sp�t hinauff�hrt mit seinen Tieren? Es ist aber gerad recht, er kann nun zu dem Kinde sehen, und du kannst mir umso besser erz�hlen."

"Mit dem Nach-ihm-Sehen muss sich der Peter nicht anstrengen", bemerkte die Dete; "es ist nicht dumm f�r seine f�nf Jahre, es tut seine Augen auf und sieht, was vorgeht, das hab ich schon bemerkt an ihm, und es wird ihm einmal zugut kommen, denn der Alte hat gar nichts mehr als seine zwei Gei�en und die Almh�tte."

"Hat er denn einmal mehr gehabt?", fragte die Barbel.

"Der? Ja, das denk ich, dass er einmal mehr gehabt hat", entgegnete eifrig die Dete; "eins der sch�nsten Bauerng�ter im Domleschg hat er gehabt. Er war der �ltere Sohn und hatte nur noch einen Bruder, der war still und ordentlich. Aber der �ltere wollte nichts tun, als den Herrn spielen und im Lande herumfahren und mit b�sem Volk zu tun haben, das niemand kannte. Den ganzen Hof hat er verspielt und verzecht, und wie es herauskam, da sind sein Vater und seine Mutter hintereinander gestorben vor lauter Gram, und der Bruder, der nun auch am Bettelstab war, ist vor Verdruss in die Welt hinaus, es wei� kein Mensch wohin, und der �hi selber, als er nichts mehr hatte als einen b�sen Namen, ist auch verschwunden. Erst wusste niemand wohin, dann vernahm man, er sei unter das Milit�r gegangen nach Neapel, und dann h�rte man nichts mehr von ihm zw�lf oder f�nfzehn Jahre lang. Dann auf einmal erschien er wieder im Domleschg mit einem halb erwachsenen Buben und wollte diesen in der Verwandtschaft unterzubringen suchen. Aber es schlossen sich alle T�ren vor ihm, und keiner wollte mehr etwas von ihm wissen. Das erbitterte ihn sehr; er sagte, ins Domleschg setze er keinen Fu� mehr, und dann kam er hierher ins D�rfli und lebte da mit dem Buben. Die Frau muss eine B�ndnerin gewesen sein, die er dort unten getroffen und dann bald wieder verloren hatte. Er musste noch etwas Geld haben, denn er lie� den Buben, den Tobias, ein Handwerk erlernen, Zimmermann, und der war ein ordentlicher Mensch und wohlgelitten bei allen Leuten im D�rfli. Aber dem Alten traute keiner, man sagte auch, er sei von Neapel desertiert, es w�re ihm sonst schlimm gegangen, denn er habe einen erschlagen, nat�rlich nicht im Krieg, verstehst du, sondern beim Raufhandel. Wir anerkannten aber die Verwandtschaft, da meiner Mutter Gro�mutter mit seiner Gro�mutter Geschwisterkind gewesen war. So nannten wir ihn �hi, und da wir fast mit allen Leuten im D�rfli wieder verwandt sind vom Vater her, so nannten ihn diese alle auch �hi, und seit er dann auf die Alm hinaufgezogen war, hie� er eben nur noch der 'Alm-�hi'."

"Aber wie ist es dann mit dem Tobias gegangen?", fragte gespannt die Barbel.

"Wart nur, das kommt schon, ich kann nicht alles auf einmal sagen", erkl�rte Dete. "Also der Tobias war in der Lehre drau�en in Mels, und sowie er fertig war, kam er heim ins D�rfli und nahm meine Schwester zur Frau, die Adelheid, denn sie hatten sich schon immer gern gehabt, und auch wie sie nun verheiratet waren, konnten sie's sehr gut zusammen. Aber es ging nicht lange. Schon zwei Jahre nachher, wie er an einem Hausbau mithalf, fiel ein Balken auf ihn herunter und schlug ihn tot. Und wie man den Mann so entstellt nach Hause brachte, da fiel die Adelheid vor Schrecken und Leid in ein heftiges Fieber und konnte sich nicht mehr erholen, sie war sonst nicht sehr kr�ftig und hatte manchmal so eigene Zust�nde gehabt, dass man nicht recht wusste, schlief sie oder war sie wach. Nur ein paar Wochen, nachdem der Tobias tot war, begrub man auch die Adelheid. Da sprachen alle Leute weit und breit von dem traurigen Schicksal der beiden, und leise und laut sagten sie, das sei die Strafe, die der �hi verdient habe f�r sein gottloses Leben, und ihm selbst wurde es gesagt und auch der Herr Pfarrer redete ihm ins Gewissen, er sollte doch jetzt Bu�e tun, aber er wurde nur immer grimmiger und verstockter und redete mit niemandem mehr, es ging ihm auch jeder aus dem Wege. Auf einmal hie� es, der �hi sei auf die Alm hinaufgezogen und komme gar nicht mehr herunter, und seither ist er dort und lebt mit Gott und Menschen im Unfrieden. Das kleine Kind der Adelheid nahmen wir zu uns, die Mutter und ich; es war ein Jahr alt. Wie nun im letzten Sommer die Mutter starb und ich im Bad drunten etwas verdienen wollte, nahm ich es mit und gab es der alten Ursel oben im Pf�fferserdorf in die Kost. Ich konnte auch im Winter im Bad bleiben, es gab allerhand Arbeit, weil ich zu n�hen und flicken verstehe, und fr�h im Fr�hling kam die Herrschaft aus Frankfurt wieder, die ich voriges Jahr bedient hatte und die mich mitnehmen will; �bermorgen reisen wir ab, und der Dienst ist gut, das kann ich dir sagen."

"Und dem Alten da droben willst du nun das Kind �bergeben? Es nimmt mich nur wunder, was du denkst, Dete", sagte die Barbel vorwurfsvoll.

"Was meinst du denn?", gab Dete zur�ck. "Ich habe das Meinige an dem Kinde getan, und was sollte ich denn mit ihm machen? Ich denke, ich kann eines, das erst f�nf Jahre alt wird, nicht mit nach Frankfurt nehmen. Aber wohin gehst du eigentlich, Barbel, wir sind ja schon halbwegs auf der Alm?"

"Ich bin auch gleich da, wo ich hinmuss", entgegnete die Barbel; "ich habe mit der Gei�enpeterin zu reden, sie spinnt mir im Winter. So leb wohl, Dete, mit Gl�ck!"

Dete reichte der Begleiterin die Hand und blieb stehen, w�hrend diese der kleinen, dunkelbraunen Almh�tte zuging, die einige Schritte seitw�rts vom Pfad in einer Mulde stand, wo sie vor dem Bergwind ziemlich gesch�tzt war. Die H�tte stand auf der halben H�he der Alm, vom D�rfli aus gerechnet, und dass sie in einer kleinen Vertiefung des Berges stand, war gut, denn sie sah so bauf�llig und verfallen aus, dass es auch so noch ein gef�hrliches Darinwohnen sein musste, wenn der F�hnwind so m�chtig �ber die Berge strich, dass alles an der H�tte klapperte, T�ren und Fenster, und alle die morschen Balken zitterten und krachten. H�tte die H�tte an solchen Tagen oben auf der Alm gestanden, sie w�re unverz�glich ins Tal hinabgeweht worden.

Hier wohnte der Gei�enpeter, der elfj�hrige Bube, der jeden Morgen unten im D�rfli die Gei�en holte, um sie hoch auf die Alm hinaufzutreiben, um sie da die kurzen kr�ftigen Kr�uter fressen zu lassen bis zum Abend; dann sprang der Peter mit den leichtf��igen Tierchen wieder herunter, tat, im D�rfli angekommen, einen schrillen Pfiff durch die Finger, und jeder Besitzer holte seine Gei� auf dem Platz. Meistens kamen kleine Buben und M�dchen, denn die friedlichen Gei�en waren nicht zu f�rchten, und das war denn den ganzen Sommer durch die einzige Zeit am Tage, da der Peter mit seinesgleichen verkehrte; sonst lebte er nur mit den Gei�en. Er hatte zwar daheim seine Mutter und die blinde Gro�mutter; aber da er immer am Morgen sehr fr�h fortmusste und am Abend vom D�rfli sp�t heimkam, weil er sich da noch so lange als m�glich mit den Kindern unterhalten musste, so verbrachte er daheim nur gerade so viel Zeit, um am Morgen seine Milch und Brot und am Abend ebendasselbe hinunterzuschlucken und dann sich aufs Ohr zu legen und zu schlafen. Sein Vater, der auch schon der Gei�enpeter genannt worden war, weil er in fr�heren Jahren in demselben Berufe gestanden hatte, war vor einigen Jahren beim Holzf�llen verungl�ckt. Seine Mutter, die zwar Brigitte hie�, wurde von jedermann um des Zusammenhangs willen die Gei�enpeterin genannt, und die blinde Gro�mutter kannten weit und breit Alt und Jung nur unter dem Namen Gro�mutter.

Die Dete hatte wohl zehn Minuten gewartet und sich nach allen Seiten umgesehen, ob die Kinder mit den Gei�en noch nirgends zu sehen seien; als dies aber nicht der Fall war, so stieg sie noch ein wenig h�her, wo sie besser die ganze Alm bis hinunter �bersehen konnte, und guckte nun von hier aus bald dahin, bald dorthin mit Zeichen gro�er Ungeduld auf dem Gesicht und in den Bewegungen. Unterdessen r�ckten die Kinder auf einem gro�en Umwege heran, denn der Peter wusste viele Stellen, wo allerhand Gutes an Str�uchern und Geb�schen f�r seine Gei�en zu nagen war; darum machte er mit seiner Herde vielerlei Wendungen auf dem Wege. Erst war das Kind m�hsam nachgeklettert, in seiner schweren R�stung vor Hitze und Unbequemlichkeit keuchend und alle Kr�fte anstrengend. Es sagte kein Wort, blickte aber unverwandt bald auf den Peter, der mit seinen nackten F��en und leichten H�schen ohne alle M�he hin und her sprang, bald auf die Gei�en, die mit den d�nnen, schlanken Beinchen noch leichter �ber Busch und Stein und steile Abh�nge hinaufkletterten. Auf einmal setzte das Kind sich auf den Boden nieder, zog mit gro�er Schnelligkeit Schuhe und Str�mpfe aus, stand wieder auf, zog sein rotes, dickes Halstuch weg, machte sein R�ckchen auf, zog es schnell aus und hatte gleich noch eins auszuh�keln, denn die Base Dete hatte ihm das Sonntagskleidchen �ber das Alltagszeug angezogen, um der K�rze willen, damit niemand es tragen m�sse. Blitzschnell war auch das Alltagsr�cklein weg, und nun stand das Kind im leichten Unterr�ckchen, die blo�en Arme aus den kurzen Hemd�rmelchen vergn�glich in die Luft hinausstreckend. Dann legte es sch�n alles auf ein H�ufchen, und nun sprang und kletterte es hinter den Gei�en und neben dem Peter her, so leicht als nur eines aus der ganzen Gesellschaft. Der Peter hatte nicht Acht gegeben, was das Kind mache, als es zur�ckgeblieben war. Wie es nun in der neuen Bekleidung nachgesprungen kam, zog er lustig grinsend das ganze Gesicht auseinander und schaute zur�ck, und wie er unten das H�uflein Kleider liegen sah, ging sein Gesicht noch ein wenig mehr auseinander, und sein Mund kam fast von einem Ohr bis zum anderen; er sagte aber nichts. Wie nun das Kind sich so frei und leicht f�hlte, fing es ein Gespr�ch mit dem Peter an, und er fing auch an zu reden und musste auf vielerlei antworten, denn das Kind wollte wissen, wie viele Gei�en er habe und wohin er mit ihnen gehe und was er dort tue, wo er hinkomme. So langten endlich die Kinder samt den Gei�en oben bei der H�tte an und kamen der Base Dete zu Gesicht. Kaum aber hatte diese die herankletternde Gesellschaft erblickt, als sie laut aufschrie: "Heidi, was machst du? Wie siehst du aus? Wo hast du deinen Rock und den zweiten und das Halstuch? Und ganz neue Schuhe habe ich dir gekauft auf den Berg und dir neue Str�mpfe gemacht, und alles fort! Alles fort! Heidi, was machst du, wo hast du alles?"

Das Kind zeigte ruhig den Berg hinunter und sagte: "Dort!" Die Base folgte seinem Finger. Richtig, dort lag etwas und obenauf war ein roter Punkt, das musste das Halstuch sein.

"Du Ungl�ckstropf!", rief die Base in gro�er Aufregung. "Was kommt dir denn in den Sinn, warum hast du alles ausgezogen? Was soll das sein?"

"Ich brauch es nicht", sagte das Kind und sah gar nicht reuevoll aus �ber seine Tat.

"Ach du ungl�ckseliges, vernunftloses Heidi, hast du denn auch noch gar keine Begriffe?", jammerte und schalt die Base weiter. "Wer sollte nun wieder da hinunter, es ist ja eine halbe Stunde! Komm, Peter, lauf du mir schnell zur�ck und hol das Zeug, komm schnell und steh nicht dort und glotze mich an, als w�rst du am Boden festgenagelt."

"Ich bin schon zu sp�t", sagte Peter langsam und blieb, ohne sich zu r�hren, auf demselben Fleck stehen, von dem aus er, beide H�nde in die Taschen gesteckt, dem Schreckensausbruch der Base zugeh�rt hatte.

"Du stehst ja doch nur und rei�est deine Augen auf und kommst, denk ich, nicht weit auf die Art!", rief ihm die Base Dete zu. "Komm her, du musst etwas Sch�nes haben, siehst du?" Sie hielt ihm ein neues F�nferchen hin, das gl�nzte ihm in die Augen. Pl�tzlich sprang er auf und davon auf dem geradesten Weg die Alm hinunter und kam in ungeheuren S�tzen in kurzer Zeit bei dem H�uflein Kleider an, packte sie auf und erschien damit so schnell, dass ihn die Base r�hmen musste und ihm sogleich sein F�nfrappenst�ck �berreichte. Peter steckte es schnell tief in seine Tasche, und sein Gesicht gl�nzte und lachte in voller Breite, denn ein solcher Schatz wurde ihm nicht oft zuteil.

"Du kannst mir das Zeug noch tragen bis zum �hi hinauf, du gehst ja auch den Weg", sagte die Base Dete jetzt, indem sie sich anschickte, den steilen Abhang zu erklimmen, der gleich hinter der H�tte des Gei�enpeter emporragte. Willig �bernahm dieser den Auftrag und folgte der Voranschreitenden auf dem Fu�e nach, den linken Arm um sein B�ndel geschlungen, in der Rechten die Gei�enrute schwingend. Das Heidi und die Gei�en h�pften und sprangen fr�hlich neben ihm her. So gelangte der Zug nach drei Viertelstunden auf die Almh�he, wo frei auf dem Vorsprung des Berges die H�tte des alten �hi stand, allen Winden ausgesetzt, aber auch jedem Sonnenblick zug�nglich und mit der vollen Aussicht weit ins Tal hinab. Hinter der H�tte standen drei alte Tannen mit dichten, langen, unbeschnittenen �sten. Weiter hinten ging es nochmals bergan bis hoch hinauf in die alten, grauen Felsen, erst noch �ber sch�ne, kr�uterreiche H�hen, dann in steiniges Gestr�pp und endlich zu den kahlen, steilen Felsen hinan.

An die H�tte festgemacht, der Talseite zu, hatte sich der �hi eine Bank gezimmert. Hier sa� er, eine Pfeife im Mund, beide H�nde auf seine Knie gelegt, und schaute ruhig zu, wie die Kinder, die Gei�en und die Base Dete herankletterten, denn die Letztere war nach und nach von den anderen �berholt worden. Heidi war zuerst oben; es ging geradeaus auf den Alten zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: "Guten Abend, Gro�vater!"

"So, so, wie ist das gemeint?", fragte der Alte barsch, gab dem Kinde kurz die Hand und schaute es mit einem langen, durchdringenden Blick an, unter seinen buschigen Augenbrauen hervor. Heidi gab den langen Blick ausdauernd zur�ck, ohne nur einmal mit den Augen zu zwinkern, denn der Gro�vater mit dem langen Bart und den dichten, grauen Augenbrauen, die in der Mitte zusammengewachsen waren und aussahen wie eine Art Gestr�uch, war so verwunderlich anzusehen, dass Heidi ihn recht betrachten musste. Unterdessen war auch die Base herangekommen samt dem Peter, der eine Welle stille stand und zusah, was sich da ereigne.

"Ich w�nsche Euch guten Tag, �hi", sagte die Dete hinzutretend, "und hier bring ich Euch das Kind vom Tobias und der Adelheid. Ihr werdet es wohl nicht mehr kennen, denn seit es j�hrig war, habt Ihr es nie mehr gesehen."

"So, was muss das Kind bei mir?", fragte der Alte kurz; "und du dort", rief er dem Peter zu, "du kannst gehen mit deinen Gei�en, du bist nicht zu fr�h; nimm meine mit!"

Der Peter gehorchte sofort und verschwand, denn der �hi hatte ihn angeschaut, dass er schon genug davon hatte.

"Es muss eben bei Euch bleiben, �hi", gab die Dete auf seine Frage zur�ck. "Ich habe, denk ich, das Meinige an ihm getan die vier Jahre durch, es wird jetzt wohl an Euch sein, das Eurige auch einmal zu tun."

"So", sagte der Alte und warf einen blitzenden Blick auf die Dete. "Und wenn nun das Kind anf�ngt, dir nachzuflennen und zu winseln, wie kleine Unvern�nftige tun, was muss ich dann mit ihm anfangen?"

"Das ist dann Eure Sache", warf die Dete zur�ck, "ich meine fast, es habe mir auch kein Mensch gesagt, wie ich es mit dem Kleinen anzufangen habe, als es mir auf den H�nden lag, ein einziges J�hrchen alt, und ich schon f�r mich und die Mutter genug zu tun hatte. Jetzt muss ich meinem Verdienst nach, und Ihr seid der N�chste am Kind; wenn Ihr's nicht haben k�nnt, so macht mit ihm, was Ihr wollt, dann habt Ihr's zu verantworten, wenn's verdirbt, und Ihr werdet wohl nicht n�tig haben, noch etwas aufzuladen."

Die Dete hatte kein recht gutes Gewissen bei der Sache, darum war sie so hitzig geworden und hatte mehr gesagt, als sie im Sinn gehabt hatte. Bei ihren letzten Worten war der �hi aufgestanden; er schaute sie so an, dass sie einige Schritte zur�ckwich; dann streckte er den Arm aus und sagte befehlend: "Mach, dass du hinunterkommst, wo du heraufgekommen bist, und zeig dich nicht so bald wieder!" Das lie� sich die Dete nicht zweimal sagen. "So lebt wohl, und du auch, Heidi", sagte sie schnell und lief den Berg hinunter in einem Trab bis ins D�rfli hinab, denn die innere Aufregung trieb sie vorw�rts wie eine wirksame Dampfkraft. Im D�rfli wurde sie diesmal noch viel mehr angerufen, denn es wunderte die Leute, wo das Kind sei; sie kannten ja alle die Dete genau und wussten, wem das Kind geh�rte und alles, was mit ihm vorgegangen war. Als es nun aus allen T�ren und Fenstern t�nte: "Wo ist das Kind? Dete, wo hast du das Kind gelassen?", rief sie immer unwilliger zur�ck: "Droben beim Alm-�hi! Nun, beim Alm-�hi, ihr h�rt's ja!"

Sie wurde aber so ma�leidig, weil die Frauen von allen Seiten ihr zuriefen: "Wie kannst du so etwas tun!", und: "Das arme Tr�pfli!", und: "So ein kleines Hilfloses da droben lassen!", und dann wieder und wieder: "Das arme Tr�pfli!" Die Dete lief, so schnell sie konnte, weiter und war froh, als sie nichts mehr h�rte, denn es war ihr nicht wohl bei der Sache; ihre Mutter hatte ihr beim Sterben das Kind noch �bergeben. Aber sie sagte sich zur Beruhigung, sie k�nne dann ja eher wieder etwas f�r das Kind tun, wenn sie nun viel Geld verdiene, und so war sie sehr froh, dass sie bald weit von allen Leuten, die ihr dreinredeten, weg- und zu einem sch�nen Verdienst kommen konnte.




Beim Gro�vater

Nachdem die Dete verschwunden war, hatte der �hi sich wieder auf die Bank hingesetzt und blies nun gro�e Wolken aus seiner Pfeife; dabei starrte er auf den Boden und sagte kein Wort. Derweilen schaute das Heidi vergn�glich um sich, entdeckte den Gei�enstall, der an die H�tte angebaut war, und guckte hinein. Es war nichts drin. Das Kind setzte seine Untersuchungen fort und kam hinter die H�tte zu den alten Tannen. Da blies der Wind durch die �ste so stark, dass es sauste und brauste oben in den Wipfeln. Heidi blieb stehen und h�rte zu. Als es ein wenig stiller wurde, ging das Kind um die kommende Ecke der H�tte herum und kam vorn wieder zum Gro�vater zur�ck. Als es diesen noch in derselben Stellung erblickte, wie es ihn verlassen hatte, stellte es sich vor ihn hin, legte die H�nde auf den R�cken und betrachtete ihn. Der Gro�vater schaute auf. "Was willst du jetzt tun?", fragte er, als das Kind immer noch unbeweglich vor ihm stand.

"Ich will sehen, was du drinnen hast, in der H�tte", sagte Heidi.

"So komm!", und der Gro�vater stand auf und ging voran in die H�tte hinein.

"Nimm dort dein B�ndel Kleider noch mit", befahl er im Hereintreten.

"Das brauch ich nicht mehr", erkl�rte Heidi.

Der Alte kehrte sich um und schaute durchdringend auf das Kind, dessen schwarze Augen gl�hten in Erwartung der Dinge, die da drinnen sein konnten. "Es kann ihm nicht an Verstand fehlen", sagte er halblaut. "Warum brauchst du's nicht mehr?", setzte er laut hinzu.

"Ich will am liebsten gehen wie die Gei�en, die haben ganz leichte Beinchen."

"So, das kannst du, aber hol das Zeug", befahl der Gro�vater, "es kommt in den Kasten." Heidi gehorchte. Jetzt machte der Alte die T�r auf und Heidi trat hinter ihm her in einen ziemlich gro�en Raum ein, es war der Umfang der ganzen H�tte. Da stand ein Tisch und ein Stuhl daran; in einer Ecke war des Gro�vaters Schlaflager, in einer anderen hing der gro�e Kessel �ber dem Herd; auf der anderen Seite war eine gro�e T�r in der Wand, die machte der Gro�vater auf, es war der Schrank. Da hingen seine Kleider drin und auf einem Gestell lagen ein paar Hemden, Str�mpfe und T�cher und auf einem anderen einige Teller und Tassen und Gl�ser und auf dem obersten ein rundes Brot und ger�uchertes Fleisch und K�se, denn in dem Kasten war alles enthalten, was der Alm-�hi besa� und zu seinem Lebensunterhalt gebrauchte. Wie er nun den Schrank aufgemacht hatte, kam das Heidi schnell heran und stie� sein Zeug hinein, so weit hinter des Gro�vaters Kleider als m�glich, damit es nicht so leicht wieder zu finden sei. Nun sah es sich aufmerksam um in dem Raum und sagte dann: "Wo muss ich schlafen, Gro�vater?"

"Wo du willst", gab dieser zur Antwort.

Das war dem Heidi eben recht. Nun fuhr es in alle Winkel hinein und schaute jedes Pl�tzchen aus, wo am sch�nsten zu schlafen w�re. In der Ecke vor�ber des Gro�vaters Lagerst�tte war eine kleine Leiter aufgerichtet; Heidi kletterte hinauf und langte auf dem Heuboden an. Da lag ein frischer, duftender Heuhaufen oben, und durch eine runde Luke sah man weit ins Tal hinab.

"Hier will ich schlafen", rief Heidi hinunter, "hier ist's sch�n! Komm und sieh einmal, wie sch�n es hier ist, Gro�vater!"

"Wei� schon", t�nte es von unten herauf.

"Ich mache jetzt das Bett!", rief das Kind wieder, indem es oben gesch�ftig hin und her fuhr; "aber du musst heraufkommen und mir ein Leintuch mitbringen, denn auf ein Bett kommt auch ein Leintuch, und darauf liegt man."

"So, so", sagte unten der Gro�vater, und nach einer Weile ging er an den Schrank und kramte ein wenig darin herum; dann zog er unter seinen Hemden ein langes, grobes Tuch hervor, das musste so etwas sein wie ein Leintuch. Er kam damit die Leiter herauf. Da war auf dem Heuboden ein ganz artiges Bettlein zugerichtet; oben, wo der Kopf liegen musste, war das Heu hoch aufgeschichtet, und das Gesicht kam so zu liegen, dass es gerade auf das offene, runde Loch traf.

"Das ist recht gemacht", sagte der Gro�vater, "jetzt wird das Tuch kommen, aber wart noch"--damit nahm er einen guten Wisch Heu von dem Haufen und machte das Lager doppelt so dick, damit der harte Boden nicht durchgef�hlt werden konnte--; "so, jetzt komm her damit." Heidi hatte das Leintuch schnell zuhanden genommen, konnte es aber fast nicht tragen, so schwer war's; aber das war sehr gut, denn durch das feste Zeug konnten die spitzen Heuhalme nicht durchstechen. Jetzt breiteten die beiden miteinander das Tuch �ber das Heu, und wo es zu breit und zu lang war, stopfte Heidi die Enden eilfertig unter das Lager. Nun sah es recht gut und reinlich aus, und Heidi stellte sich davor und betrachtete es nachdenklich.

"Wir haben noch etwas vergessen, Gro�vater", sagte es dann.

"Was denn?", fragte er.

"Eine Decke; denn wenn man ins Bett geht, kriecht man zwischen das Leintuch und die Decke hinein."

"So, meinst du? Wenn ich aber keine habe?", sagte der Alte.

"Oh, dann ist's gleich, Gro�vater", beruhigte Heidi, "dann nimmt man wieder Heu zur Decke", und eilfertig wollte es gleich wieder an den Heustock gehen, aber der Gro�vater wehrte es ihm.

"Wart einen Augenblick", sagte er, stieg die Leiter hinab und ging an sein Lager hin. Dann kam er wieder und legte einen gro�en, schweren, leinenen Sack auf den Boden.

"Ist das nicht besser als Heu?", fragte er. Heidi zog aus Leibeskr�ften an dem Sacke hin und her, um ihn auseinander zu legen, aber die kleinen H�nde konnten das schwere Zeug nicht bew�ltigen. Der Gro�vater half, und wie es nun ausgebreitet auf dem Bette lag, da sah alles sehr gut und haltbar aus, und Heidi stand staunend vor seinem neuen Lager und sagte: "Das ist eine pr�chtige Decke und das ganze Bett! Jetzt wollt ich, es w�re schon Nacht, so k�nnte ich hineinliegen."

"Ich meine, wir k�nnten erst einmal etwas essen", sagte der Gro�vater, "oder was meinst du?" Heidi hatte �ber dem Eifer des Bettens alles andere vergessen; nun ihm aber der Gedanke ans Essen kam, stieg ein gro�er Hunger in ihm auf, denn es hatte auch heute noch gar nichts bekommen als fr�h am Morgen sein St�ck Brot und ein paar Schlucke d�nnen Kaffees, und nachher hatte es die lange Reise gemacht. So sagte Heidi ganz zustimmend: "Ja, ich mein es auch."

"So geh hinunter, wenn wir denn einig sind", sagte der Alte und folgte dem Kind auf dem Fu� nach. Dann ging er zum Kessel hin, schob den gro�en weg und drehte den kleinen heran, der an der Kette hing, setzte sich auf den h�lzernen Dreifu� mit dem runden Sitz davor hin und blies ein helles Feuer an. Im Kessel fing es an zu sieden, und unten hielt der Alte an einer langen Eisengabel ein gro�es St�ck K�se �ber das Feuer und drehte es hin und her, bis es auf allen Seiten goldgelb war. Heidi hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugesehen; jetzt musste ihm etwas Neues in den Sinn gekommen sein; auf einmal sprang es weg und an den Schrank und von da hin und her. Jetzt kam der Gro�vater mit einem Topf und dem K�sebraten an der Gabel zum Tisch heran; da lag schon das runde Brot darauf und zwei Teller und zwei Messer, alles sch�n geordnet, denn das Heidi hatte alles im Schrank gut wahrgenommen und wusste, dass man das alles nun gleich zum Essen brauchen werde.

"So, das ist recht, dass du selbst etwas ausdenkst", sagte der Gro�vater und legte den Braten auf das Brot als Unterlage; "aber es fehlt noch etwas auf dem Tisch."

Heidi sah, wie einladend es aus dem Topf hervordampfte, und sprang schnell wieder an den Schrank. Da stand aber nur ein einziges Sch�sselchen. Heidi war nicht lang in Verlegenheit, dort hinten standen zwei Gl�ser; augenblicklich kam das Kind zur�ck und stellte Sch�sselchen und Glas auf den Tisch.

"Recht so; du wei�t dir zu helfen; aber wo willst du sitzen?" Auf dem einzigen Stuhl sa� der Gro�vater selbst. Heidi schoss pfeilschnell zum Herd hin, brachte den kleinen Dreifu� zur�ck und setzte sich drauf.

"Einen Sitz hast du wenigstens, das ist wahr, nur ein wenig weit unten", sagte der Gro�vater; "aber von meinem Stuhl w�rst auch zu kurz, auf den Tisch zu langen; jetzt musst aber einmal etwas haben, so komm!" Damit stand er auf, f�llte das Sch�sselchen mit Milch, stellte es auf den Stuhl und r�ckte den ganz nah an den Dreifu� hin, so dass das Heidi nun einen Tisch vor sich hatte. Der Gro�vater legte ein gro�es St�ck Brot und ein St�ck von dem goldenen K�se darauf und sagte: "Jetzt iss!" Er selbst setzte sich nun auf die Ecke des Tisches und begann sein Mittagsmahl. Heidi ergriff sein Sch�sselchen und trank und trank ohne Aufenthalt, denn der ganze Durst seiner langen Reise war ihm wieder aufgestiegen. Jetzt tat es einen langen Atemzug--denn im Eifer des Trinkens hatte es lange den Atem nicht holen k�nnen--und stellte sein Sch�sselchen hin.

"Gef�llt dir die Milch?", fragte der Gro�vater.

"Ich habe noch gar nie so gute Milch getrunken", antwortete Heidi.

"So musst du mehr haben", und der Gro�vater f�llte das Sch�sselchen noch einmal bis oben hin und stellte es vor das Kind, das vergn�glich in sein Brot biss, nachdem es von dem weichen K�se darauf gestrichen, denn der war, so gebraten, weich wie Butter, und das schmeckte ganz kr�ftig zusammen, und zwischendurch trank es seine Milch und sah sehr vergn�glich aus. Als nun das Essen zu Ende war, ging der Gro�vater in den Gei�enstall hinaus und hatte da allerhand in Ordnung zu bringen, und Heidi sah ihm aufmerksam zu, wie er erst mit dem Besen s�uberte, dann frische Streu legte, dass die Tierchen darauf schlafen konnten; wie er dann nach dem Sch�pfchen ging nebenan und hier runde St�cke zurechtschnitt und an einem Brett herumhackte und L�cher hineinbohrte und dann die runden St�cke hineinsteckte und aufstellte; da war es auf einmal ein Stuhl, wie der vom Gro�vater, nur viel h�her, und Heidi staunte das Werk an, sprachlos vor Verwunderung.

"Was ist das, Heidi?", fragte der Gro�vater.

"Das ist mein Stuhl, weil er so hoch ist; auf einmal war er fertig", sagte das Kind, noch in tiefem Erstaunen und Bewunderung.

"Es wei�, was es sieht, es hat die Augen am rechten Ort", bemerkte der Gro�vater vor sich hin, als er nun um die H�tte herumging und hier einen Nagel einschlug und dort einen und dann an der T�r etwas zu befestigen hatte und so mit Hammer und N�geln und Holzst�cken von einem Ort zum anderen wanderte und immer etwas ausbesserte oder wegschlug, je nach dem Bed�rfnis. Heidi ging Schritt f�r Schritt hinter ihm her und schaute ihm unverwandt mit der gr��ten Aufmerksamkeit zu, und alles, was da vorging, war ihm sehr kurzweilig anzusehen.

So kam der Abend heran. Es fing st�rker an zu rauschen in den alten Tannen, ein m�chtiger Wind fuhr daher und sauste und brauste durch die dichten Wipfel. Das t�nte dem Heidi so sch�n in die Ohren und ins Herz hinein, dass es ganz fr�hlich dar�ber wurde und h�pfte und sprang unter den Tannen umher, als h�tte es eine unerh�rte Freude erlebt. Der Gro�vater stand unter der Schopft�r und schaute dem Kind zu. Jetzt ert�nte ein schriller Pfiff. Heidi hielt an in seinen Spr�ngen, der Gro�vater trat heraus. Von oben herunter kam es gesprungen, Gei� um Gei�, wie eine Jagd, und mittendrin der Peter. Mit einem Freudenruf schoss Heidi mitten in das Rudel hinein und begr��te die alten Freunde von heute Morgen einen um den anderen. Bei der H�tte angekommen, stand alles still, und aus der Herde heraus kamen zwei sch�ne, schlanke Gei�en, eine wei�e und eine braune, auf den Gro�vater zu und leckten seine H�nde, denn er hielt ein wenig Salz darin, wie er jeden Abend zum Empfang seiner zwei Tierlein tat. Der Peter verschwand mit seiner Schar. Heidi streichelte z�rtlich die eine und dann die andere von den Gei�en und sprang um sie herum, um sie von der anderen Seite auch zu streicheln, und war ganz Gl�ck und Freude �ber die Tierchen. "Sind sie unser, Gro�vater? Sind sie beide unser? Kommen sie in den Stall? Bleiben sie immer bei uns?", so fragte Heidi hintereinander in seinem Vergn�gen, und der Gro�vater konnte kaum sein stetiges "Ja, ja!" zwischen die eine und die andere Frage hineinbringen. Als die Gei�en ihr Salz aufgeleckt hatten, sagte der Alte: "Geh und hol dein Sch�sselchen heraus und das Brot."

Heidi gehorchte und kam gleich wieder. Nun melkte der Gro�vater gleich von der Wei�en das Sch�sselchen voll und schnitt ein St�ck Brot ab und sagte: "Nun iss und dann geh hinauf und schlaf! Die Base Dete hat noch ein B�ndelchen abgelegt f�r dich, da seien Hemdlein und so etwas darin, das liegt unten im Kasten, wenn du's brauchst; ich muss nun mit den Gei�en hinein, so schlaf wohl!"

"Gut Nacht, Gro�vater! Gut Nacht--wie hei�en sie, Gro�vater, wie hei�en sie?", rief das Kind und lief dem verschwindenden Alten und den Gei�en nach.

"Die Wei�e hei�t Schw�nli und die Braune B�rli", gab der Gro�vater zur�ck.

"Gut Nacht, Schw�nli, gut Nacht, B�rli!", rief nun Heidi noch mit Macht, denn eben verschwanden beide in den Stall hinein. Nun setzte sich Heidi noch auf die Bank und a� sein Brot und trank seine Milch; aber der starke Wind wehte es fast von seinem Sitz herunter; so machte es schnell fertig, ging dann hinein und stieg zu seinem Bett hinauf, in dem es auch gleich nachher so fest und herrlich schlief, als nur einer im sch�nsten F�rstenbett schlafen konnte. Nicht lange nachher, noch eh es v�llig dunkel war, legte auch der Gro�vater sich auf sein Lager, denn am Morgen war er immer schon mit der Sonne wieder drau�en, und die kam sehr fr�h �ber die Berge hereingestiegen in dieser Sommerszeit. In der Nacht kam der Wind so gewaltig, dass bei seinen St��en die ganze H�tte erzitterte und es in allen Balken krachte; durch den Schornstein heulte und �chzte es wie Jammerstimmen, und in den alten Tannen drau�en tobte es mit solcher Wut, dass hier und da ein Ast niederkrachte. Mitten in der Nacht stand der Gro�vater auf und sagte halblaut vor sich hin: "Es wird sich wohl f�rchten." Er stieg die Leiter hinauf und trat an Heidis Lager heran. Der Mond drau�en stand einmal hell leuchtend am Himmel, dann fuhren wieder die jagenden Wolken dar�ber hin und alles wurde dunkel. Jetzt kam der Mondschein eben leuchtend durch die runde �ffnung herein und fiel gerade auf Heidis Lager. Es hatte sich feuerrote Backen erschlafen unter seiner schweren Decke, und ruhig und friedlich lag es auf seinem runden �rmchen und tr�umte von etwas Erfreulichem, denn sein Gesichtchen sah ganz wohlgemut aus. Der Gro�vater schaute so lange auf das friedlich schlafende Kind, bis der Mond wieder hinter die Wolken trat und es dunkel wurde, dann kehrte er auf sein Lager zur�ck.




Auf der Weide

Heidi erwachte am fr�hen Morgen an einem lauten Pfiff, und als es die Augen aufschlug, kam ein goldener Schein durch das runde Loch hereingeflossen auf sein Lager und auf das Heu daneben, dass alles golden leuchtete ringsherum. Heidi schaute erstaunt um sich und wusste durchaus nicht, wo es war. Aber nun h�rte es drau�en des Gro�vaters tiefe Stimme, und jetzt kam ihm alles in den Sinn: Woher es gekommen war und dass es nun auf der Alm beim Gro�vater sei, nicht mehr bei der alten Ursel, die fast nichts mehr h�rte und meistens fror, so dass sie immer am K�chenfenster oder am Stubenofen gesessen hatte, wo dann auch Heidi hatte verweilen m�ssen oder doch ganz in der N�he, damit die Alte sehen konnte, wo es war, weil sie es nicht h�ren konnte. Da war es dem Heidi manchmal zu eng drinnen, und es w�re lieber hinausgelaufen. So war es sehr froh, als es in der neuen Behausung erwachte und sich erinnerte, wie viel Neues es gestern gesehen hatte und was es heute wieder alles sehen k�nnte, vor allem das Schw�nli und das B�rli. Heidi sprang eilig aus seinem Bett und hatte in wenig Minuten alles wieder angelegt, was es gestern getragen hatte, denn es war sehr wenig. Nun stieg es die Leiter hinunter und sprang vor die H�tte hinaus. Da stand schon der Gei�enpeter mit seiner Schar, und der Gro�vater brachte eben Schw�nli und B�rli aus dem Stall herbei, dass sie sich der Gesellschaft anschlossen. Heidi lief ihm entgegen, um ihm und den Gei�en guten Tag zu sagen.

"Willst mit auf die Weide?", fragte der Gro�vater. Das war dem Heidi eben recht, es h�pfte hoch auf vor Freude.

"Aber erst waschen und sauber sein, sonst lacht einen die Sonne aus, wenn sie so sch�n gl�nzt da droben und sieht, dass du schwarz bist; sieh, dort ist's f�r dich gerichtet." Der Gro�vater zeigte auf einen gro�en Zuber voll Wasser, der vor der T�r in der Sonne stand. Heidi sprang hin und patschte und rieb, bis es ganz gl�nzend war. Unterdessen ging der Gro�vater in die H�tte hinein und rief dem Peter zu: "Komm hierher, Gei�engeneral, und bring deinen Habersack mit." Verwundert folgte Peter dem Ruf und streckte sein S�cklein hin, in dem er sein mageres Mittagessen bei sich trug.

"Mach auf", befahl der Alte und steckte nun ein gro�es St�ck Brot und ein ebenso gro�es St�ck K�se hinein. Der Peter machte vor Erstaunen seine runden Augen so weit auf als nur m�glich, denn die beiden St�cke waren wohl doppelt so gro� wie die zwei, die er als eignes Mittagsmahl drinnen hatte.

"So, nun kommt noch das Sch�sselchen hinein", fuhr der �hi fort, "denn das Kind kann nicht trinken wie du, nur so von der Gei� weg, es kennt das nicht. Du melkst ihm zwei Sch�sselchen voll zu Mittag, denn das Kind geht mit dir und bleibt bei dir, bis du wieder herunterkommst; gib Acht, dass es nicht �ber die Felsen hinunterf�llt, h�rst du?"--

Nun kam Heidi hereingelaufen. "Kann mich die Sonne jetzt nicht auslachen, Gro�vater?", fragte es angelegentlich. Es hatte sich mit dem groben Tuch, das der Gro�vater neben dem Wasserzuber aufgeh�ngt hatte, Gesicht, Hals und Arme in seinem Schrecken vor der Sonne so erstaunlich gerieben, dass es krebsrot vor dem Gro�vater stand. Er lachte ein wenig.

"Nein, nun hat sie nichts zu lachen", best�tigte er. "Aber wei�t was? Am Abend, wenn du heimkommst, da gehst du noch ganz hinein in den Zuber, wie ein Fisch; denn wenn man geht wie die Gei�en, da bekommt man schwarze F��e. Jetzt k�nnt ihr ausziehen."

Nun ging es lustig die Alm hinan. Der Wind hatte in der Nacht das letzte W�lkchen weggeblasen; dunkelblau schaute der Himmel von allen Seiten hernieder, und mittendrauf stand die leuchtende Sonne und schimmerte auf die gr�ne Alp, und alle die blauen und gelben Bl�mchen darauf machten ihre Kelche auf und schauten ihr fr�hlich entgegen. Heidi sprang hierhin und dorthin und jauchzte vor Freude, denn da waren ganze Tr�ppchen feiner, roter Himmelsschl�sselchen beieinander, und dort schimmerte es ganz blau von den sch�nen Enzianen, und �berall lachten und nickten die zartbl�tterigen, goldenen Cystusr�schen in der Sonne. Vor Entz�cken �ber all die flimmernden winkenden Bl�mchen verga� Heidi sogar die Gei�en und auch den Peter. Es sprang ganze Strecken voran und dann auf die Seite, denn dort funkelte es rot und da gelb und lockte Heidi auf alle Seiten. Und �berall brach Heidi ganze Scharen von den Blumen und packte sie in sein Sch�rzchen ein, denn es wollte sie alle mit heimnehmen und ins Heu stecken in seiner Schlafkammer, dass es dort werde wie hier drau�en. --So hatte der Peter heut nach allen Seiten zu gucken, und seine kugelrunden Augen, die nicht besonders schnell hin und her gingen, hatten mehr Arbeit, als der Peter gut bew�ltigen konnte, denn die Gei�en machten es wie das Heidi: Sie liefen auch dahin und dorthin, und er musste �berallhin pfeifen und rufen und seine Rute schwingen, um wieder alle die Verlaufenen zusammenzutreiben.

"Wo bist du schon wieder, Heidi?", rief er jetzt mit ziemlich grimmiger Stimme.

"Da", t�nte es von irgendwoher zur�ck. Sehen konnte Peter niemand, denn Heidi sa� am Boden hinter einem H�gelchen, das dicht mit duftenden Pr�nellen bes�t war; da war die ganze Luft umher so mit Wohlgeruch erf�llt, dass Heidi noch nie so Liebliches eingeatmet hatte. Es setzte sich in die Blumen hinein und zog den Duft in vollen Z�gen ein.

"Komm nach!", rief der Peter wieder. "Du musst nicht �ber die Felsen hinunterfallen, der �hi hat's verboten."

"Wo sind die Felsen?", fragte Heidi zur�ck, bewegte sich aber nicht von der Stelle, denn der s��e Duft str�mte mit jedem Windhauch dem Kinde lieblicher entgegen.

"Dort oben, ganz oben, wir haben noch weit, drum komm jetzt! Und oben am h�chsten sitzt der alte Raubvogel und kr�chzt."

Das half. Augenblicklich sprang Heidi in die H�he und rannte mit seiner Sch�rze voller Blumen dem Peter zu.

"Jetzt hast genug", sagte dieser, als sie wieder zusammen weiterkletterten; "sonst bleibst du immer stecken, und wenn du alle nimmst, hat's morgen keine mehr." Der letzte Grund leuchtete Heidi ein, und dann hatte es die Sch�rze schon so angef�llt, dass da wenig Platz mehr gewesen w�re, und morgen mussten auch noch da sein. So zog es nun mit dem Peter weiter, und die Gei�en gingen nun alle geregelter, denn sie rochen die guten Kr�uter von dem hohen Weideplatz schon von fern und strebten nun ohne Aufenthalt dahin. Der Weideplatz, wo Peter gew�hnlich Halt machte mit seinen Gei�en und sein Quartier f�r den Tag aufschlug, lag am Fu�e der hohen Felsen, die, erst noch von Geb�sch und Tannen bedeckt, zuletzt ganz kahl und schroff zum Himmel hinaufragen. An der einen Seite der Alp ziehen sich Felsenkl�fte weit hinunter und der Gro�vater hatte Recht, davor zu warnen. Als nun dieser Punkt der H�he erreicht war, nahm Peter seinen Sack ab und legte ihn sorgf�ltig in eine kleine Vertiefung des Bodens hinein, denn der Wind kam manchmal in starken St��en dahergefahren, und den kannte Peter und wollte seine kostbare Habe nicht den Berg hinunterrollen sehen; dann streckte er sich lang und breit auf den sonnigen Weideboden hin, denn er musste sich nun von der Anstrengung des Steigens erholen.

Heidi hatte unterdessen sein Sch�rzchen losgemacht und sch�n fest zusammengerollt mit den Blumen darin zum Proviantsack in die Vertiefung hineingelegt, und nun setzte es sich neben den ausgestreckten Peter hin und schaute um sich. Das Tal lag weit unten im vollen Morgenglanz; vor sich sah Heidi ein gro�es, weites Schneefeld sich erheben, hoch in den dunkelblauen Himmel hinauf, und links davon stand eine ungeheure Felsenmasse, und zu jeder Seite derselben ragte ein hoher Felsenturm kahl und zackig in die Bl�ue hinauf und schaute von dort oben ganz ernsthaft auf das Heidi nieder. Das Kind sa� m�uschenstill da und schaute ringsum, und weit umher war eine gro�e, tiefe Stille; nur ganz sanft und leise ging der Wind �ber die zarten, blauen Glockenbl�mchen und die goldnen, strahlenden Cystusr�schen, die �berall herumstanden auf ihren d�nnen St�ngelchen und leise und fr�hlich hin und her nickten. Der Peter war entschlafen nach seiner Anstrengung, und die Gei�en kletterten oben an den B�schen umher. Dem Heidi war es so sch�n zumute, wie in seinem Leben noch nie. Es trank das goldene Sonnenlicht, die frischen L�fte, den zarten Blumenduft in sich ein und begehrte gar nichts mehr, als so dazubleiben immerzu. So verging eine gute Zeit und Heidi hatte so oft und so lange zu den hohen Bergst�cken dr�ben aufgeschaut, dass es nun war, als h�tten sie alle auch Gesichter bekommen und schauten ganz bekannt zu ihm hernieder, so wie gute Freunde.

Jetzt h�rte Heidi �ber sich ein lautes, scharfes Geschrei und Kr�chzen ert�nen, und wie es aufschaute, kreiste �ber ihm ein so gro�er Vogel, wie es nie in seinem Leben gesehen hatte, mit weit ausgebreiteten Schwingen in der Luft umher, und in gro�en Bogen kehrte er immer wieder zur�ck und kr�chzte laut und durchdringend �ber Heidis Kopf.

"Peter! Peter! Erwache!", rief Heidi laut. "Sich, der Raubvogel ist da, sieh! Sieh!"

Peter erhob sich auf den Ruf und schaute mit Heidi dem Vogel nach, der sich nun h�her und h�her hinaufschwang ins Himmelsblau und endlich �ber grauen Felsen verschwand.

"Wo ist er jetzt hin?", fragte Heidi, das mit gespannter Aufmerksamkeit den Vogel verfolgt hatte.

"Heim ins Nest", war Peters Antwort.

"Ist er dort oben daheim? Oh, wie sch�n so hoch oben! Warum schreit er so?", fragte Heidi weiter.

"Weil er muss", erkl�rte Peter.

"Wir wollen doch dort hinaufklettern und sehen, wo er daheim ist", schlug Heidi vor.

"Oh! oh! oh!", brach der Peter aus, jeden Ausruf mit verst�rkter Missbilligung hervorsto�end; "wenn keine Gei� mehr dorthin kann und der �hi gesagt hat, du d�rfest nicht �ber die Felsen hinunterfallen."

Jetzt begann der Peter mit einem Mal ein so gewaltiges Pfeifen und Rufen anzustimmen, dass Heidi gar nicht wusste, was begegnen sollte; aber die Gei�en mussten die T�ne verstehen, denn eine nach der anderen kam heruntergesprungen, und nun war die ganze Schar auf der gr�nen Halde versammelt, die einen fortnagend an den w�rzigen Halmen, die anderen hin und her rennend und die Dritten ein wenig gegeneinander sto�end mit ihren H�rnern zum Zeitvertreib. Heidi war aufgesprungen und rannte mitten unter den Gei�en umher, denn das war ihm ein neuer, unbeschreiblich vergn�glicher Anblick, wie die Tierlein durcheinander sprangen und sich lustig machten, und Heidi sprang von einem zum anderen und machte mit jedem ganz pers�nliche Bekanntschaft, denn jedes war eine ganz besondere Erscheinung f�r sich und hatte seine eigenen Manieren. Unterdessen hatte Peter den Sack herbeigeholt und alle vier St�cke, die drin waren, sch�n auf den Boden hingelegt in ein Viereck, die gro�en St�cke auf Heidis Seite und die kleinen auf die seinige hin, denn er wusste genau, wie er sie erhalten hatte. Dann nahm er das Sch�sselchen und melkte sch�ne, frische Milch hinein vom Schw�nli und stellte das Sch�sselchen mitten ins Viereck. Dann rief er Heidi herbei, musste aber l�nger rufen als nach den Gei�en, denn das Kind war so in Eifer und Freude �ber die mannigfaltigen Spr�nge und Erlustigungen seiner neuen Spielkameraden, dass es nichts sah und nichts h�rte au�er diesen. Aber Peter wusste sich verst�ndlich zu machen, er rief, dass es bis in die Felsen hinaufdr�hnte, und nun erschien Heidi und die gedeckte Tafel sah so einladend aus, dass es um sie herumh�pfte vor Wohlgefallen.

"H�r auf zu hopsen, es ist Zeit zum Essen", sagte Peter, "jetzt sitz und fang an."

Heidi setzte sich hin. "Ist die Milch mein?", fragte es, nochmals das sch�ne Viereck und den Hauptpunkt in der Mitte mit Wohlgefallen betrachtend.

"Ja", erwiderte Peter, "und die zwei gro�en St�cke zum Essen sind auch dein, und wenn du ausgetrunken hast, bekommst du noch ein Sch�sselchen vom Schw�nli und dann komm ich."

"Und von wem bekommst du die Milch?", wollte Heidi wissen.

"Von meiner Gei�, von der Schnecke. Fang einmal zu essen an", mahnte Peter wieder. Heidi fing bei seiner Milch an, und sowie es sein leeres Sch�sselchen hinstellte, stand Peter auf und holte ein zweites herbei. Dazu brach Heidi ein St�ck von seinem Brot ab, und das ganze �brige St�ck, das immer noch gr��er war, als Peters eigenes St�ck gewesen, das nun schon samt Zubeh�r fast zu Ende war, reichte es diesem hin�ber mit dem ganzen gro�en Brocken K�se und sagte: "Das kannst du haben, ich habe nun genug."

Peter schaute das Heidi mit sprachloser Verwunderung an, denn noch nie in seinem Leben h�tte er so sagen und etwas weggeben k�nnen. Er z�gerte noch ein wenig, denn er konnte nicht recht glauben, dass es dem Heidi ernst sei; aber dieses hielt erst fest seine St�cke hin, und da Peter nicht zugriff, legte sie es ihm aufs Knie. Nun sah er, dass es ernst gemeint sei; er erfasste sein Geschenk, nickte in Dank und Zustimmung und hielt nun ein so reichliches Mittagsmahl wie noch nie in seinem Leben als Gei�bub. Heidi schaute derweilen nach den Gei�en aus. "Wie hei�en sie alle, Peter?", fragte es.

Das wusste dieser nun ganz genau und konnte es umso besser in seinem Kopf behalten, da er daneben wenig darin aufzubewahren hatte. Er fing also an und nannte ohne Ansto� eine nach der anderen, immer je mit dem Finger die betreffende bezeichnend. Heidi h�rte mit gespannter Aufmerksamkeit der Unterweisung zu, und es w�hrte gar nicht lange, so konnte es sie alle voneinander unterscheiden und jede bei ihrem Namen nennen, denn es hatte eine jede ihre Besonderheiten, die einem gleich im Sinne bleiben mussten; man musste nur allen genau zusehen, und das tat Heidi. Da war der gro�e T�rk mit den starken H�rnern, der wollte mit diesen immer gegen alle anderen sto�en, und die meisten liefen davon, wenn er kam, und wollten nichts von dem groben Kameraden wissen. Nur der kecke Distelfink, das schlanke, beh�nde Gei�chen, wich ihm nicht aus, sondern rannte von sich aus manchmal drei-, viermal hintereinander so rasch und t�chtig gegen ihn an, dass der gro�e T�rk �fters ganz erstaunt dastand und nicht mehr angriff, denn der Distelfink stand ganz kriegslustig vor ihm und hatte scharfe H�rnchen. Da war das kleine, wei�e Schneeh�ppli, das immer so eindringlich und flehentlich meckerte, dass Heidi schon mehrmals zu ihm hingelaufen war und es tr�stend beim Kopf genommen hatte. Auch jetzt sprang das Kind wieder hin, denn die junge, jammernde Stimme hatte eben wieder flehentlich gerufen. Heidi legte seinen Arm um den Hals des Gei�leins und fragte ganz teilnehmend: "Was hast du, Schneeh�ppli? Warum rufst du so um Hilfe?" Das Gei�lein schmiegte sich nahe und vertrauensvoll an Heidi an und war jetzt ganz still. Peter rief von seinem Sitz aus, mit einigen Unterbrechungen, denn er hatte immer noch zu bei�en und zu schlucken: "Es tut so, weil die Alte nicht mehr mitkommt, sie haben sie verkauft nach Maienfeld vorgestern, nun kommt sie nicht mehr auf die Alm."

"Wer ist die Alte?", fragte Heidi zur�ck.

"Pah, seine Mutter", war die Antwort.

"Wo ist die Gro�mutter?", rief Heidi wieder.

"Hat keine."

"Und der Gro�vater?"

"Hat keinen."

"Du armes Schneeh�ppli du", sagte Heidi und dr�ckte das Tierlein z�rtlich an sich. "Aber jammere jetzt nur nicht mehr so; siehst du, ich komme nun jeden Tag mit dir, dann bist du nicht mehr so verlassen, und wenn dir etwas fehlt, kannst du nur zu mir kommen."

Das Schneeh�ppli rieb ganz vergn�gt seinen Kopf an Heidis Schulter und meckerte nicht mehr kl�glich. Unterdessen hatte Peter sein Mittagsmahl beendet und kam nun auch wieder zu seiner Herde und zu Heidi heran, das schon wieder allerlei Betrachtungen angestellt hatte.

Weitaus die zwei sch�nsten und saubersten Gei�en der ganzen Schar waren Schw�nli und B�rli, die sich auch mit einer gewissen Vornehmheit betrugen, meistens ihre eigenen Wege gingen und besonders dem zudringlichen T�rk abweisend und ver�chtlich begegneten.--

Die Tierchen hatten nun wieder begonnen, nach den B�schen hinaufzuklettern, und jedes hatte seine eigene Weise dabei, die einen leichtfertig �ber alles weg h�pfend, die anderen bed�chtlich die guten Kr�utlein suchend unterwegs, der T�rk hier und da seine Angriffe probierend. Schw�nli und B�rli kletterten h�bsch und leicht hinan und fanden oben sogleich die sch�nsten B�sche, stellten sich geschickt daran auf und nagten sie zierlich ab. Heidi stand mit den H�nden auf dem R�cken und schaute dem allen mit der gr��ten Aufmerksamkeit zu.

"Peter", bemerkte es jetzt zu dem wieder auf dem Boden Liegenden, "die sch�nsten von allen sind das Schw�nli und das B�rli."

"Wei� schon", war die Antwort. "Der Alm-�hi putzt und w�scht sie und gibt ihnen Salz und hat den sch�nsten Stall."

Aber auf einmal sprang Peter auf und setzte in gro�en Spr�ngen den Gei�en nach, und das Heidi lief hintendrein; da musste etwas begegnet sein, es konnte da nicht zur�ckbleiben. Der Peter sprang durch den Gei�enrudel durch der Seite der Alm zu, wo die Felsen schroff und kahl weit hinabstiegen und ein unbesonnenes Gei�lein, wenn es dorthin ging, leicht hinunterst�rzen und alle Beine brechen konnte. Er hatte gesehen, wie der vorwitzige Distelfink nach jener Seite hin geh�pft war, und kam noch gerade recht, denn eben sprang das Gei�lein dem Rande des Abgrundes zu. Peter wollte es eben packen, da st�rzte er auf den Boden und konnte nur noch im Sturze ein Bein des Tierleins erwischen und es daran festhalten. Der Distelfink meckerte voller Zorn und �berraschung, dass er so am Bein festgehalten und am Fortsetzen seines fr�hlichen Streifzuges gehindert war, und strebte eigensinnig vorw�rts. Der Peter schrie nach Heidi, dass es ihm beistehe, denn er konnte nicht aufstehen und riss dem Distelfink fast das Bein aus. Heidi war schon da und erkannte gleich die schlimme Lage der beiden. Es riss schnell einige wohlduftende Kr�uter aus dem Boden und hielt sie dem Distelfink unter die Nase und sagte beg�tigend:

"Komm, komm, Distelfink, du musst auch vern�nftig sein! Sieh, da kannst du hinabfallen und ein Bein brechen, das tut dir furchtbar weh."

Das Gei�lein hatte sich schnell umgewandt und dem Heidi vergn�glich die Kr�uter aus der Hand gefressen. Derweilen war der Peter auf seine F��e gekommen und hatte den Distelfink an der Schnur erfasst, an welcher sein Gl�ckchen um den Hals gebunden war, und Heidi erfasste diese von der anderen Seite, und so f�hrten die beiden den Ausrei�er zu der friedlich weidenden Herde zur�ck. Als ihn aber Peter hier in Sicherheit hatte, erhob er seine Rute und wollte ihn zur Strafe t�chtig durchpr�geln, und der Distelfink wich scheu zur�ck, denn er merkte, was begegnen sollte. Aber Heidi schrie laut auf: "Nein, Peter, nein, du musst ihn nicht schlagen, sieh, wie er sich f�rchtet!"

"Er verdient's", schnurrte Peter und wollte zuschlagen. Aber Heidi fiel ihm in den Arm und rief ganz entr�stet: "Du darfst ihm nichts tun, es tut ihm weh, lass ihn los!"

Peter schaute erstaunt auf das gebietende Heidi, dessen schwarze Augen ihn so anfunkelten, dass er unwillk�rlich seine Rute niederhielt. "So kann er gehen, wenn du mir morgen wieder von deinem K�se gibst", sagte dann der Peter nachgebend, denn eine Entsch�digung wollte er haben f�r den Schrecken.

"Allen kannst du haben, das ganze St�ck morgen und alle Tage, ich brauche ihn gar nicht", sagte Heidi zustimmend, "und Brot gebe ich dir auch ganz viel, wie heute; aber dann darfst du den Distelfink nie, gar nie schlagen und auch das Schneeh�ppli nie und gar keine Gei�."

"Es ist mir gleich", bemerkte Peter, und das war bei ihm soviel als eine Zusage. Jetzt lie� er den Schuldigen los, und der fr�hliche Distelfink sprang in hohen Spr�ngen auf und davon in die Herde hinein.--

So war unvermerkt der Tag vergangen, und schon war die Sonne im Begriff, weit dr�ben hinter den Bergen hinabzugehen. Heidi sa� wieder am Boden und schaute ganz still auf die Blaugl�ckchen und die Cystusr�schen, die im goldenen Abendschein leuchteten, und alles Gras wurde wie golden angehaucht und die Felsen droben fingen an zu schimmern und zu funkeln, und auf einmal sprang Heidi auf und schrie: "Peter! Peter! Es brennt! Es brennt! Alle Berge brennen und der gro�e Schnee dr�ben brennt und der Himmel. O sieh! Sieh! Der hohe Felsenberg ist ganz gl�hend! Oh, der sch�ne, feurige Schnee! Peter, sieh auf, sieh, das Feuer ist auch beim Raubvogel! Sieh doch die Felsen! Sieh die Tannen! Alles, alles ist im Feuer!"

"Es war immer so", sagte jetzt der Peter gem�tlich und sch�lte an seiner Rute fort, "aber es ist kein Feuer."

"Was ist es denn?", rief Heidi und sprang hierhin und dorthin, dass es �berallhin sehe, denn es konnte gar nicht genug bekommen, so sch�n war's auf allen Seiten. "Was ist es, Peter, was ist es?", rief Heidi wieder.

"Es kommt von selbst so", erkl�rte Peter.

"O sieh, sieh", rief Heidi in gro�er Aufregung, "auf einmal werden sie rosenrot! Sieh den mit dem Schnee und den mit den hohen, spitzigen Felsen! Wie hei�en sie, Peter?"

"Berge hei�en nicht", erwiderte dieser.

"O wie sch�n, sieh den rosenroten Schnee! Oh, und an den Felsen oben sind viele, viele Rosen! Oh, nun werden sie grau! Oh! Oh! Nun ist alles ausgel�scht! Nun ist alles aus, Peter!" Und Heidi setzte sich auf den Boden und sah so verst�rt aus, als ginge wirklich alles zu Ende.

"Es ist morgen wieder so", erkl�rte Peter. "Steh auf, nun m�ssen wir heim."

Die Gei�en wurden herbeigepfiffen und--gerufen und die Heimfahrt angetreten.

"Ist's alle Tage wieder so, alle Tage, wenn wir auf der Weide sind?", fragte Heidi, begierig nach einer bejahenden Versicherung horchend, als es nun neben dem Peter die Alm hinunterstieg.

"Meistens", gab dieser zur Antwort.

"Aber gewiss morgen wieder?", wollte es noch wissen.

"Ja, ja, morgen schon!", versicherte Peter.

Nun war Heidi wieder froh und es hatte so viele Eindr�cke in sich aufgenommen und so viele Dinge gingen ihm im Sinn herum, dass es nun ganz stillschwieg, bis es bei der Almh�tte ankam und den Gro�vater unter den Tannen sitzen sah, wo er auch eine Bank angebracht hatte und am Abend seine Gei�en erwartete, die von dieser Seite herunterk�men. Heidi sprang gleich auf ihn zu und Schw�nli und B�rli hinter ihm drein, denn die Gei�en kannten ihren Herrn und ihren Stall. Der Peter rief dem Heidi nach: "Komm dann morgen wieder! Gute Nacht!" Denn es war ihm sehr daran gelegen, dass das Heidi wiederkomme.

Da rannte das Heidi schnell wieder zur�ck und gab dem Peter die Hand und versicherte ihm, dass es wieder mitkomme, und dann sprang es mitten in die davonziehende Herde hinein und fasste noch einmal das Schneeh�ppli um den Hals und sagte vertraulich: "Schlaf wohl, Schneeh�ppli, und denk dran, dass ich morgen wiederkomme und dass du nie mehr so j�mmerlich meckern musst."

Das Schneeh�ppli schaute ganz freundlich und dankbar zu Heidi auf und sprang dann fr�hlich der Herde nach.

Heidi kam unter die Tannen zur�ck.

"O Gro�vater, das war so sch�n!", rief es, noch bevor es bei ihm war. "Das Feuer und die Rosen am Felsen und die blauen und gelben Blumen, und sieh, was ich hier bringe!" Und damit sch�ttete Heidi seinen ganzen Blumenreichtum aus dem gefalteten Sch�rzchen vor den Gro�vater hin. Aber wie sahen die armen Bl�mchen aus! Heidi erkannte sie nicht mehr. Es war alles wie Heu, und kein einziges Kelchlein stand mehr offen.

"O Gro�vater, was haben sie?", rief Heidi ganz erschrocken aus. "So waren sie nicht, warum sehen sie so aus?"

"Die wollen drau�en stehen in der Sonne und nicht ins Sch�rzchen hinein", sagte der Gro�vater.

"Dann will ich gar keine mehr mitnehmen. Aber, Gro�vater, warum hat der Raubvogel so gekr�chzt?", fragte Heidi nun angelegentlich.

"Jetzt gehst du ins Wasser und ich in den Stall und hole Milch, und nachher kommen wir hinein zusammen in die H�tte und essen zu Nacht, dann sag ich dir's."

So wurde getan, und wie nun sp�ter Heidi auf seinem hohen Stuhl sa� vor seinem Milchsch�sselchen und der Gro�vater neben ihm, da kam das Kind gleich wieder mit seiner Frage: "Warum kr�chzt der Raubvogel so und schreit immer so herunter, Gro�vater?"

"Der h�hnt die Leute aus dort unten, dass sie so viele zusammensitzen in den D�rfern und einander b�s machen. Da h�hnt er hinunter: 'W�rdet ihr auseinander gehen und jedes seinen Weg und auf eine H�he steigen wie ich, so w�r's euch wohler!'" Der Gro�vater sagte diese Worte fast wild, so dass dem Heidi das Gekr�chz des Raubvogels dadurch noch eindr�cklicher wurde in der Erinnerung.

"Warum haben die Berge keinen Namen, Gro�vater?", fragte Heidi wieder.

"Die haben Namen", erwiderte dieser, "und wenn du mir einen so beschreiben kannst, dass ich ihn kenne, so sage ich dir, wie er hei�t."

Nun beschrieb Heidi den Felsenberg mit den zwei hohen T�rmen genau so, wie es ihn gesehen hatte, und der Gro�vater sagte wohlgef�llig: "Recht so, den kenn ich, der hei�t Falknis. Hast du noch einen gesehen?"

Nun beschrieb Heidi den Berg mit dem gro�en Schneefeld, auf dem der ganze Schnee im Feuer gestanden hatte und dann rosenrot geworden war und dann auf einmal ganz bleich und erloschen dastand.

"Den erkenn ich auch", sagte der Gro�vater, "das ist die Schesaplana; so hat es dir gefallen auf der Weide?"

Nun erz�hlte Heidi alles vom ganzen Tage, wie sch�n es gewesen, und besonders von dem Feuer am Abend, und nun sollte der Gro�vater auch sagen, woher es gekommen war, denn der Peter h�tte nichts davon gewusst.

"Siehst du", erkl�rte der Gro�vater, "das macht die Sonne, wenn sie den Bergen gute Nacht sagt, dann wirft sie ihnen noch ihre sch�nsten Strahlen zu, dass sie sie nicht vergessen, bis sie am Morgen wiederkommt."

Das gefiel dem Heidi und es konnte fast nicht erwarten, dass wieder ein Tag komme, da es hinaufkonnte auf die Weide und wieder sehen, wie die Sonne den Bergen gute Nacht sagte. Aber erst musste es nun schlafen gehen, und es schlief auch die ganze Nacht herrlich auf seinem Heulager, und tr�umte von lauter schimmernden Bergen und roten Rosen darauf und mittendrin das Schneeh�ppli in fr�hlichen Spr�ngen.




Bei der Gro�mutter

Am andern Morgen kam wieder die helle Sonne, und dann kam der Peter und die Gei�en, und wieder zogen sie alle miteinander nach der Weide hinauf, und so ging es Tag f�r Tag, und Heidi wurde bei diesem Weideleben ganz gebr�unt und so kr�ftig und gesund, dass ihm gar nie etwas fehlte, und so froh und gl�cklich lebte Heidi von einem Tag zum anderen, wie nur die lustigen V�gelein leben auf allen B�umen im gr�nen Wald. Wie es nun Herbst wurde und der Wind lauter zu sausen anfing �ber die Berge hin, dann sagte etwa der Gro�vater: "Heut bleibst du da, Heidi; ein Kleines, wie du bist, kann der Wind mit einem Ruck �ber alle Felsen ins Tal hinabwehen."

Wenn aber das am Morgen der Peter vernahm, sah er sehr ungl�cklich aus, denn er sah lauter Missgeschick vor sich: Einmal wusste er vor Langeweile nun gar nicht mehr, was anfangen, wenn Heidi nicht bei ihm war; dann kam er um sein reichliches Mittagsmahl, und dann waren die Gei�en so st�rrig an diesen Tagen, dass er die doppelte M�he mit ihnen hatte; denn die waren nun auch so an Heidis Gesellschaft gew�hnt, dass sie nicht vorw�rts wollten, wenn es nicht dabei war, und auf alle Seiten rannten. Heidi wurde niemals ungl�cklich, denn es sah immer irgendetwas Erfreuliches vor sich. Am liebsten ging es schon mit Hirt und Gei�en auf die Weide zu den Blumen und zum Raubvogel hinauf, wo so mannigfaltige Dinge zu erleben waren mit all den verschieden gearteten Gei�en; aber auch das H�mmern und S�gen und Zimmern des Gro�vaters war sehr unterhaltend f�r Heidi; und traf es sich, dass er gerade die sch�nen runden Gei�k�schen zubereitete, wenn es daheim bleiben musste, so war das ein ganz besonderes Vergn�gen, dieser merkw�rdigen T�tigkeit zuzuschauen, wobei der Gro�vater beide Arme blo� machte und damit in dem gro�en Kessel herumr�hrte. Aber vor allem anziehend war f�r das Heidi an solchen Windtagen das Wogen und Rauschen in den drei alten Tannen hinter der H�tte. Da musste es immer von Zeit zu Zeit hinlaufen von allem anderen weg, was es auch sein mochte, denn so sch�n und wunderbar war gar nichts wie dieses tiefe, geheimnisvolle Tosen in den Wipfeln da droben; da stand Heidi unten und lauschte hinauf und konnte niemals genug bekommen, zu sehen und zu h�ren, wie das wehte und wogte und rauschte in den B�umen mit gro�er Macht. Jetzt gab die Sonne nicht mehr hei� wie im Sommer, und Heidi suchte seine Str�mpfe und Schuhe hervor und auch den Rock, denn nun wurde es immer frischer, und wenn das Heidi unter den Tannen stand, wurde es durchblasen wie ein d�nnes Bl�ttlein, aber es lief doch immer wieder hin und konnte nicht in der H�tte bleiben, wenn es das Windeswehen vernahm.

Dann wurde es kalt, und der Peter hauchte in die H�nde, wenn er fr�h am Morgen heraufkam, aber nicht lange; denn auf einmal fiel �ber Nacht ein tiefer Schnee, und am Morgen war die ganze Alm schneewei� und kein einziges gr�nes Bl�ttlein mehr zu sehen ringsum und um. Da kam der Gei�enpeter nicht mehr mit seiner Herde, und Heidi schaute ganz verwundert durch das kleine Fenster, denn nun fing es wieder zu schneien an, und die dicken Flocken fielen fort und fort, bis der Schnee so hoch wurde, dass er bis ans Fenster hinaufreichte, und dann noch h�her, dass man das Fenster gar nicht mehr aufmachen konnte und man ganz verpackt war in dem H�uschen. Das kam dem Heidi so lustig vor, dass es immer von einem Fenster zum anderen rannte, um zu sehen, wie es denn noch werden wollte und ob der Schnee noch die ganze H�tte zudecken wollte, dass man m�sste ein Licht anz�nden am hellen Tag. Es kam aber nicht so weit, und am anderen Tag ging der Gro�vater hinaus--denn nun schneite es nicht mehr--und schaufelte ums ganze Haus herum und warf gro�e, gro�e Schneehaufen aufeinander, dass es war wie hier ein Berg und dort ein Berg und dort ein Berg um die H�tte herum; aber nun waren die Fenster wieder frei und auch die T�r, und das war gut, denn als am Nachmittag Heidi und der Gro�vater am Feuer sa�en, jedes auf seinem Dreifu�--denn der Gro�vater hatte l�ngst auch einen f�r das Kind gezimmert--, da polterte auf einmal etwas heran und schlug immerzu gegen die Holzschwelle und machte endlich die T�r auf. Es war der Gei�enpeter; er hatte aber nicht aus Unart so gegen die T�r gepoltert, sondern um seinen Schnee von den Schuhen abzuschlagen, die hoch hinauf davon bedeckt waren; eigentlich der ganze Peter war von Schnee bedeckt, denn er hatte sich durch die hohen Schichten so durchk�mpfen m�ssen, dass ganze Massen an ihm h�ngen geblieben und auf ihm festgefroren waren, denn es war sehr kalt. Aber er hatte nicht nachgegeben, denn er wollte zu Heidi hinauf, er hatte es jetzt acht Tage lang nicht gesehen.

"Guten Abend", sagte er im Eintreten, stellte sich gleich so nah als m�glich ans Feuer heran und sagte weiter nichts mehr; aber sein ganzes Gesicht lachte vor Vergn�gen, dass er da war. Heidi schaute ihn sehr verwundert an, denn nun er so nah am Feuer war, fing es �berall an ihm zu tauen an, so dass der ganze Peter anzusehen war wie ein gelinder Wasserfall.

"Nun, General, wie steht's?", sagte jetzt der Gro�vater. "Nun bist du ohne Armee und musst am Griffel nagen."

"Warum muss er am Griffel nagen, Gro�vater?", fragte Heidi sogleich mit Wissbegierde.

"Im Winter muss er in die Schule gehen", erkl�rte der Gro�vater; "da lernt man lesen und schreiben, und das geht manchmal schwer, da hilft's ein wenig nach, wenn man am Griffel nagt; ist's nicht wahr, General?"

"Ja, 's ist wahr", best�tigte Peter.

Jetzt war Heidis Teilnahme an der Sache wach geworden und es hatte sehr viele Fragen �ber die Schule und alles, was da begegnete und zu h�ren und zu sehen war, an den Peter zu richten, und da immer viel Zeit verfloss �ber einer Unterhaltung, an der Peter teilnehmen musste, so konnte er derweilen sch�n trocknen von oben bis unten. Es war immer eine gro�e Anstrengung f�r ihn, seine Vorstellungen in die Worte zu bringen, die bedeuteten, was er meinte; aber diesmal hatte er's besonders streng, denn kaum hatte er eine Antwort zustande gebracht, so hatte ihm Heidi schon wieder zwei oder drei unerwartete Fragen zugeworfen und meistens solche, die einen ganzen Satz als Antwort erforderten.

Der Gro�vater hatte sich ganz still verhalten w�hrend dieser Unterhaltung, aber es hatte ihm �fter ganz lustig um die Mundwinkel gezuckt, was ein Zeichen war, dass er zuh�rte.

"So, General, nun warst du im Feuer und brauchst St�rkung, komm, halt mit!" Damit stand der Gro�vater auf und holte das Abendessen aus dem Schrank hervor, und Heidi r�ckte die St�hle zum Tisch. Unterdessen war auch eine Bank an die Wand gezimmert worden vom Gro�vater; nun er nicht mehr allein war, hatte er da und dort allerlei Sitze zu zweien eingerichtet, denn Heidi hatte die Art, dass es sich �berall nah zum Gro�vater hielt, wo er ging und stand und sa�. So hatten sie alle drei gut Platz zum Sitzen und der Peter tat seine runden Augen ganz weit auf, als er sah, welch ein m�chtiges St�ck von dem sch�nen getrockneten Fleisch der Alm-�hi ihm auf seine dicke Brotschnitte legte. So gut hatte es der Peter lange nicht gehabt. Als nun das vergn�gte Mahl zu Ende war, fing es an zu dunkeln, und Peter schickte sich zur Heimkehr an. Als er nun "Gute Nacht" und "Dank Euch Gott" gesagt hatte und schon unter der T�r war, kehrte er sich noch einmal um und sagte: "Am Sonntag komm ich wieder, heut �ber acht Tag, und du solltest auch einmal zur Gro�mutter kommen, hat sie gesagt."

Das war ein ganz neuer Gedanke f�r Heidi, dass es zu jemandem gehen sollte, aber er fasste auf der Stelle Boden bei ihm, und gleich am folgenden Morgen war sein Erstes, dass es erkl�rte: "Gro�vater, jetzt muss ich gewiss zu der Gro�mutter hinunter, sie erwartet mich. "

"Es hat zu viel Schnee", erwiderte der Gro�vater abwehrend.

Aber das Vorhaben sa� fest in Heidis Sinn, denn die Gro�mutter hatte es ja sagen lassen; so musste es sein. So verging kein Tag mehr, an dem das Kind nicht f�nf- und sechsmal sagte: "Gro�vater, jetzt muss ich gewiss gehen, die Gro�mutter wartet ja immer auf mich."

Am vierten Tag, als es drau�en knisterte und knarrte vor K�lte bei jedem Schritt und die ganze gro�e Schneedecke ringsum hart gefroren war, aber eine sch�ne Sonne ins Fenster guckte, gerade auf Heidis hohen Stuhl hin, wo es am Mittagsmahl sa�, da begann es wieder sein Spr�chlein: "Heut muss ich aber gewiss zur Gro�mutter gehen, es w�hrt ihr sonst zu lange." Da stand der Gro�vater auf vom Mittagstisch, stieg auf den Heuboden hinauf, brachte den dicken Sack herunter, der Heidis Bettdecke war, und sagte: "So komm!" In gro�er Freude h�pfte das Kind ihm nach in die glitzernde Schneewelt hinaus. In den alten Tannen war es nun ganz still und auf allen �sten lag der wei�e Schnee und in dem Sonnenschein schimmerte und funkelte es �berall von den B�umen in solcher Pracht, dass Heidi hoch aufsprang vor Entz�cken und ein Mal �bers andere ausrief: "Komm heraus, Gro�vater, komm heraus! Es ist lauter Silber und Gold an den Tannen!" Denn der Gro�vater war in den Schopf hineingegangen und kam nun heraus mit einem breiten Sto�schlitten: Da war vorn eine Stange angebracht, und von dem flachen Sitz konnte man die F��e nach vorn hinunterhalten und gegen den Schneeboden stemmen und der Fahrt die Weisung geben. Hier setzte sich der Gro�vater hin, nachdem er erst die Tannen ringsum mit Heidi hatte beschauen m�ssen, nahm das Kind auf seinen Scho�, wickelte es um und um in den Sack ein, damit es h�bsch warm bleibe, und dr�ckte es fest mit dem linken Arm an sich, denn das war n�tig bei der kommenden Fahrt. Dann umfasste er mit der rechten Hand die Stange und gab einen Ruck mit beiden F��en. Da schoss der Schlitten davon die Alm hinab mit einer solchen Schnelligkeit, dass das Heidi meinte, es fliege in der Luft wie ein Vogel, und laut aufjauchzte. Auf einmal stand der Schlitten still, gerade bei der H�tte vom Gei�enpeter. Der Gro�vater stellte das Kind auf den Boden, wickelte es aus seiner Decke heraus und sagte:

"So, nun geh hinein, und wenn es anf�ngt dunkel zu werden, dann komm wieder heraus und mach dich auf den Weg." Dann kehrte er um mit seinem Schlitten und zog ihn den Berg hinauf.

Heidi machte die T�r auf und kam in einen kleinen Raum hinein, da sah es schwarz aus, und ein Herd war da und einige Sch�sselchen auf einem Gestell, das war die kleine K�che; dann kam gleich wieder eine T�r, die machte Heidi wieder auf und kam in eine enge Stube hinein, denn das Ganze war nicht eine Sennh�tte, wie beim Gro�vater, wo ein einziger, gro�er Raum war und oben ein Heuboden, sondern es war ein kleines, uraltes H�uschen, wo alles eng war und schmal und d�rftig. Als Heidi in das St�bchen trat, stand es gleich vor dem Tisch, daran sa� eine Frau und flickte an Peters Wams, denn dieses erkannte Heidi sogleich. In der Ecke sa� ein altes, gekr�mmtes M�tterchen und spann. Heidi wusste gleich, woran es war; es ging geradaus auf das Spinnrad zu und sagte: "Guten Tag, Gro�mutter, jetzt komme ich zu dir; hast du gedacht, es w�hre lang, bis ich komme?"

Die Gro�mutter erhob den Kopf und suchte die Hand, die gegen sie ausgestreckt war, und als sie diese erfasst hatte, bef�hlte sie dieselbe erst eine Weile nachdenklich in der ihrigen, dann sagte sie: "Bist du das Kind droben beim Alm-�hi, bist du das Heidi?"

"Ja, ja", best�tigte das Kind, "jetzt gerade bin ich mit dem Gro�vater im Schlitten heruntergefahren."

"Wie ist das m�glich! Du hast ja eine so warme Hand! Sag, Brigitte, ist der Alm-�hi selber mit dem Kind heruntergekommen?"

Peters Mutter, die Brigitte, die am Tisch geflickt hatte, war aufgestanden und betrachtete nun mit Neugierde das Kind von oben bis unten; dann sagte sie: "Ich wei� nicht, Mutter, ob der �hi selber heruntergekommen ist mit ihm; es ist nicht glaublich, das Kind wird's nicht recht wissen."

Aber das Heidi sah die Frau sehr bestimmt an und gar nicht, als sei es im Ungewissen, und sagte: "Ich wei� ganz gut, wer mich in die Bettdecke gewickelt hat und mit mir heruntergeschlittelt ist; das ist der Gro�vater."

"Es muss doch etwas daran sein, was der Peter so gesagt hat den Sommer durch vom Alm-�hi, wenn wir dachten, er wisse es nicht recht", sagte die Gro�mutter; "wer h�tte freilich auch glauben k�nnen, dass so etwas m�glich sei; ich dachte, das Kind lebte keine drei Wochen da oben. Wie sieht es auch aus, Brigitte!" Diese hatte das Kind unterdessen so von allen Seiten angesehen, dass sie nun wohl berichten konnte, wie es aussah.

"Es ist so fein gegliedert, wie die Adelheid war", gab sie zur Antwort; "aber es hat die schwarzen Augen und das krause Haar, wie es der Tobias hatte und auch der Alte droben; ich glaube, es sieht den zweien gleich."

Unterdessen war Heidi m��ig geblieben; es hatte ringsum geguckt und alles genau betrachtet, was da zu sehen war. Jetzt sagte es: "Sieh, Gro�mutter, dort schl�gt es einen Laden immer hin und her, und der Gro�vater w�rde auf der Stelle einen Nagel einschlagen, dass er wieder fest h�lt, sonst schl�gt er auch einmal eine Scheibe ein; sieh, sieh, wie er tut!"

"Ach, du gutes Kind", sagte die Gro�mutter, "sehen kann ich es nicht, aber h�ren kann ich es wohl und noch viel mehr, nicht nur den Laden; da kracht und klappert es �berall, wenn der Wind kommt, und er kann �berall hereinblasen; es h�lt nichts mehr zusammen, und in der Nacht, wenn sie beide schlafen, ist es mir manchmal so angst und bang, es falle alles �ber uns zusammen und schlage uns alle drei tot; ach, und da ist kein Mensch, der etwas ausbessern k�nnte an der H�tte, der Peter versteht's nicht."

"Aber warum kannst du denn nicht sehen, wie der Laden tut, Gro�mutter? Sieh jetzt wieder, dort, gerade dort." Und Heidi zeigte die Stelle deutlich mit dem Finger.

"Ach Kind, ich kann ja gar nichts sehen, gar nichts, nicht nur den Laden nicht", klagte die Gro�mutter.

"Aber wenn ich hinausgehe und den Laden ganz aufmache, dass es recht hell wird, kannst du dann sehen, Gro�mutter?"

"Nein, nein, auch dann nicht, es kann mir niemand mehr hell machen."

"Aber wenn du hinausgehst in den ganz wei�en Schnee, dann wird es dir gewiss hell; komm nur mit mir, Gro�mutter, ich will dir's zeigen." Heidi nahm die Gro�mutter bei der Hand und wollte sie fortziehen, denn es fing an, ihm ganz �ngstlich zumute zu werden, dass es ihr nirgends hell wurde.

"Lass mich nur sitzen, du gutes Kind; es bleibt doch dunkel bei mir, auch im Schnee und in der Helle, sie dringt nicht mehr in meine Augen."

"Aber dann doch im Sommer, Gro�mutter", sagte Heidi, immer �ngstlicher nach einem guten Ausweg suchend; "wei�t, wenn dann wieder die Sonne ganz hei� herunterbrennt und dann 'gute Nacht' sagt und die Berge alle feuerrot schimmern und alle gelben Bl�mlein glitzern, dann wird es dir wieder sch�n hell?"

"Ach, Kind, ich kann sie nie mehr sehen, die feurigen Berge und die goldenen Bl�mlein droben, es wird mir nie mehr hell auf Erden, nie mehr."

Jetzt brach Heidi in lautes Weinen aus. Voller Jammer schluchzte es fortw�hrend: "Wer kann dir denn wieder hell machen? Kann es niemand? Kann es gar niemand?"

Die Gro�mutter suchte nun das Kind zu tr�sten, aber es gelang ihr nicht so bald. Heidi weinte fast nie; wenn es aber einmal anfing, dann konnte es auch fast nicht mehr aus der Betr�bnis herauskommen. Die Gro�mutter hatte schon allerhand probiert, um das Kind zu beschwichtigen, denn es ging ihr zu Herzen, dass es so j�mmerlich schluchzen musste. Jetzt sagte sie: "Komm, du gutes Heidi, komm hier heran, ich will dir etwas sagen. Siehst du, wenn man nichts sehen kann, dann h�rt man so gern ein freundliches Wort, und ich h�re es gern, wenn du redest; komm, setz dich da nahe zu mir und erz�hl mir etwas, was du machst da droben und was der Gro�vater macht, ich habe ihn fr�her gut gekannt; aber jetzt hab ich seit manchem Jahr nichts mehr geh�rt von ihm als durch den Peter, aber der sagt nicht viel."

Jetzt kam dem Heidi ein neuer Gedanke; es wischte rasch seine Tr�nen weg und sagte tr�stlich: "Wart nur, Gro�mutter, ich will alles dem Gro�vater sagen, er macht dir schon wieder hell und macht, dass die H�tte nicht zusammenf�llt, er kann alles wieder in Ordnung machen."

Die Gro�mutter schwieg stille, und nun fing Heidi an, ihr mit gro�er Lebendigkeit zu erz�hlen von seinem Leben mit dem Gro�vater und von den Tagen auf der Weide und von dem jetzigen Winterleben mit dem Gro�vater, was er alles aus Holz machen k�nne, B�nke und St�hle und sch�ne Krippen, wo man f�r das Schw�nli und B�rli das Heu hineinlegen k�nnte, und einen neuen gro�en Wassertrog zum Baden im Sommer, und ein neues Milchsch�sselchen und L�ffel, und Heidi wurde immer eifriger im Beschreiben all der sch�nen Sachen, die so auf einmal aus einem St�ck Holz herauskommen, und wie es dann neben dem Gro�vater stehe und ihm zuschaue und wie es das alles auch einmal machen wolle. Die Gro�mutter h�rte mit gro�er Aufmerksamkeit zu, und von Zeit zu Zeit sagte sie dazwischen: "H�rst du's auch, Brigitte? H�rst du, was es vom �hi sagt?"

Mit einem Mal wurde die Erz�hlung unterbrochen durch ein gro�es Gepolter an der T�r, und herein stampfte der Peter, blieb aber sogleich stille stehen und sperrte seine runden Augen ganz erstaunlich weit auf, als er das Heidi erblickte, und schnitt die allerfreundlichste Grimasse, als es ihm sogleich zurief: "Guten Abend, Peter!"

"Ist denn das m�glich, dass der schon aus der Schule kommt", rief die Gro�mutter ganz verwundert aus. "So geschwind ist mir seit manchem Jahr kein Nachmittag vergangen! Guten Abend, Peterli, wie geht es mit dem Lesen?"

"Gleich", gab der Peter zur Antwort.

"So, so", sagte die Gro�mutter ein wenig seufzend, "ich habe gedacht, es g�be vielleicht eine �nderung auf die Zeit, wenn du dann zw�lf Jahre alt wirst gegen den Hornung hin."

"Warum muss es eine �nderung geben, Gro�mutter?", fragte Heidi gleich mit Interesse.

"Ich meine nur, dass er es etwa noch h�tte lernen k�nnen", sagte die Gro�mutter, "das Lesen mein ich. Ich habe dort oben auf dem Gestell ein altes Gebetbuch, da sind sch�ne Lieder drin, die habe ich so lange nicht mehr geh�rt, und im Ged�chtnis habe ich sie auch nicht mehr; da habe ich gehofft, wenn der Peterli nun lesen lerne, so k�nne er mir etwa ein gutes Lied lesen; aber er kann es nicht lernen, es ist ihm zu schwer."

"Ich denke, ich muss Licht machen, es wird ja schon ganz dunkel", sagte jetzt Peters Mutter, die immer emsig am Wams fortgeflickt hatte; "der Nachmittag ist mir auch vergangen, ohne dass ich's merkte."

Nun sprang Heidi von seinem St�hlchen auf, streckte eilig seine Hand aus und sagte: "Gut Nacht, Gro�mutter, ich muss auf der Stelle heim, wenn es dunkel wird", und hintereinander bot es dem Peter und seiner Mutter die Hand und ging der T�r zu. Aber die Gro�mutter rief besorgt: "Wart, wart, Heidi; so allein musst du nicht fort, der Peter muss mit dir, h�rst du? Und gib Acht auf das Kind, Peterli, dass es nicht umf�llt, und steh nicht still mit ihm, dass es nicht friert, h�rst du? Hat es auch ein dickes Halstuch an?"

"Ich habe gar kein Halstuch an", rief Heidi zur�ck, "aber ich will schon nicht frieren"; damit war es zur T�r hinaus und huschte so behend weiter, dass der Peter kaum nachkam. Aber die Gro�mutter rief jammernd: "Lauf ihm nach, Brigitte, lauf, das Kind muss ja erfrieren, so bei der Nacht, nimm mein Halstuch mit, lauf schnell!" Die Brigitte gehorchte. Die Kinder hatten aber kaum ein paar Schritte den Berg hinan getan, so sahen sie von oben herunter den Gro�vater kommen, und mit wenigen r�stigen Schritten stand er vor ihnen.

"Recht so, Heidi, Wort gehalten!", sagte er, packte das Kind wieder fest in seine Decke ein, nahm es auf seinen Arm und stieg den Berg hinauf. Eben hatte die Brigitte noch gesehen, wie der Alte das Kind wohl verpackt auf seinen Arm genommen und den R�ckweg angetreten hatte. Sie trat mit dem Peter wieder in die H�tte ein und erz�hlte der Gro�mutter mit Verwunderung, was sie gesehen hatte. Auch diese musste sich sehr verwundern und ein Mal �ber das andere sagen: "Gott Lob und Dank, dass er so ist mit dem Kind, Gott Lob und Dank! Wenn er es nur auch wieder zu mir l�sst, das Kind hat mir so wohl gemacht! Was hat es f�r ein gutes Herz und wie kann es so kurzweilig erz�hlen!" Und immer wieder freute sich die Gro�mutter, und bis sie ins Bett ging, sagte sie immer wieder: "Wenn es nur auch wiederkommt! Jetzt habe ich doch noch etwas auf der Welt, auf das ich mich freuen kann!" Und die Brigitte stimmte jedes Mal ein, wenn die Gro�mutter wieder dasselbe sagte, und auch der Peter nickte jedes Mal zustimmend mit dem Kopf und zog seinen Mund weit auseinander vor Vergn�glichkeit und sagte: "Hab's schon gewusst."

Unterdessen redete das Heidi in seinem Sack drinnen immerzu an den Gro�vater heran; da die Stimme aber nicht durch den achtfachen Umschlag dringen konnte und er daher kein Wort verstand, sagte er: "Wart ein wenig, bis wir daheim sind, dann sag's."

Sobald er nun, oben angekommen, in seine H�tte eingetreten war und Heidi aus seiner H�lle herausgesch�lt hatte, sagte es: "Gro�vater, morgen m�ssen wir den Hammer und die gro�en N�gel mitnehmen und den Laden festschlagen bei der Gro�mutter und sonst noch viele N�gel einschlagen, denn es kracht und klappert alles bei ihr."

"M�ssen wir? So, das m�ssen wir? Wer hat dir das gesagt?", fragte der Gro�vater.

"Das hat mir kein Mensch gesagt, ich wei� es sonst", entgegnete Heidi, "denn es h�lt alles nicht mehr fest und es ist der Gro�mutter angst und bang, wenn sie nicht schlafen kann und es so tut, und sie denkt: 'Jetzt f�llt alles ein und gerade auf unsere K�pfe'; und der Gro�mutter kann man gar nicht mehr hell machen, sie wei� gar nicht, wie man es k�nnte, aber du kannst es schon, Gro�vater; denk nur, wie traurig es ist, wenn sie immer im Dunkeln ist und es ihr dann noch angst und bang ist und es kann ihr kein Mensch helfen als du! Morgen wollen wir gehen und ihr helfen; gelt, Gro�vater, wir wollen?"

Heidi hatte sich an den Gro�vater angeklammert und schaute mit zweifellosem Vertrauen zu ihm auf. Der Alte schaute eine kleine Welle auf das Kind nieder, dann sagte er: "Ja, Heidi, wir wollen machen, dass es nicht mehr so klappert bei der Gro�mutter, das k�nnen wir; morgen tun wir's."

Nun h�pfte das Kind vor Freude im ganzen H�ttenraum herum und rief ein Mal ums andere: "Morgen tun wir's! Morgen tun wir's!"

Der Gro�vater hielt Wort. Am folgenden Nachmittag wurde dieselbe Schlittenfahrt ausgef�hrt. Wie am vorhergehenden Tag stellte der Alte das Kind vor der T�r der Gei�enpeter-H�tte nieder und sagte: "Nun geh hinein, und wenn's Nacht wird, komm wieder." Dann legte er den Sack auf den Schlitten und ging um das H�uschen herum.

Kaum hatte Heidi die T�r aufgemacht und war in die Stube hineingesprungen, so rief schon die Gro�mutter aus der Ecke: "Da kommt das Kind! Das ist das Kind!", und lie� vor Freude den Faden los und das R�dchen stehen und streckte beide H�nde nach dem Kinde aus. Heidi lief zu ihr, r�ckte gleich das niedere St�hlchen ganz nahe an sie heran, setzte sich darauf und hatte der Gro�mutter schon wieder eine gro�e Menge von Dingen zu erz�hlen und von ihr zu erfragen. Aber auf einmal ert�nten so gewaltige Schl�ge an das Haus, dass die Gro�mutter vor Schrecken so zusammenfuhr, dass sie fast das Spinnrad umwarf, und zitternd ausrief: "Ach du mein Gott, jetzt kommt's, es f�llt alles zusammen!" Aber Heidi hielt sie fest um den Arm und sagte tr�stend: "Nein, nein, Gro�mutter, erschrick du nur nicht, das ist der Gro�vater mit dem Hammer, jetzt macht er alles fest, dass es dir nicht mehr angst und bang wird."

"Ach, ist auch das m�glich! Ist auch so etwas m�glich! So hat uns doch der liebe Gott nicht ganz vergessen!", rief die Gro�mutter aus. "Hast du's geh�rt, Brigitte, was es ist, h�rst du's? Wahrhaftig, es ist ein Hammer! Geh hinaus, Brigitte, und wenn es der Alm-�hi ist, so sag ihm, er soll doch dann auch einen Augenblick hereinkommen, dass ich ihm auch danken kann."

Die Brigitte ging hinaus. Eben schlug der Alm-�hi mit gro�er Gewalt neue Kloben in die Mauer; Brigitte trat an ihn heran und sagte: "Ich w�nsche Euch guten Abend, �hi, und die Mutter auch, und wir haben Euch zu danken, dass Ihr uns einen solchen Dienst tut, und die Mutter m�chte Euch noch gern eigens danken drinnen; sicher, es h�tte uns das nicht gerad einer getan, wir wollen Euch auch dran denken, denn sicher--"

"Macht's kurz", unterbrach sie der Alte hier; "was Ihr vom Alm-�hi haltet, wei� ich schon. Geht nur wieder hinein; wo's fehlt, find ich selber."

Brigitte gehorchte sogleich, denn der �hi hatte eine Art, der man sich nicht leicht widersetzte. Er klopfte und h�mmerte um das ganze H�uschen herum, stieg dann das schmale Treppchen hinauf bis unter das Dach, h�mmerte weiter und weiter, bis er auch den letzten Nagel eingeschlagen, den er mitgebracht hatte. Unterdessen war auch schon die Dunkelheit hereingebrochen, und kaum war er heruntergestiegen und hatte seinen Schlitten hinter dem Gei�enstall hervorgezogen, als auch schon Heidi aus der T�r trat und vom Gro�vater wie gestern verpackt auf den Arm genommen und der Schlitten nachgezogen wurde, denn allein da drauf sitzend, w�re die ganze Umh�llung vom Heidi abgefallen, und es w�re fast oder ganz erfroren. Das wusste der Gro�vater wohl und hielt das Kind ganz warm in seinem Arm.

So ging der Winter dahin. In das freudlose Leben der blinden Gro�mutter war nach langen Jahren eine Freude gefallen und ihre Tage waren nicht mehr lang und dunkel, einer wie der andere, denn nun hatte sie immer etwas in Aussicht, nach dem sie verlangen konnte. Vom fr�hen Morgen an lauschte sie auch schon auf den trippelnden Schritt, und ging dann die T�r auf und das Kind kam wirklich dahergesprungen, dann rief sie jedes Mal in lauter Freude: "Gottlob! Da kommt's wieder!" Und Heidi setzte sich zu ihr und plauderte und erz�hlte so lustig von allem, was es wusste, dass es der Gro�mutter ganz wohl machte und ihr die Stunden dahingingen, sie merkte es nicht, und kein einziges Mal fragte sie mehr so wie fr�her: "Brigitte, ist der Tag noch nicht um?", sondern jedes Mal, wenn Heidi die T�r hinter sich schloss, sagte sie: "Wie war doch der Nachmittag so kurz; ist es nicht wahr, Brigitte?" Und diese sagte: "Doch sicher, es ist mir, wir haben erst die Teller vom Essen weggestellt." Und die Gro�mutter sagte wieder: "Wenn mir nur der Herrgott das Kind erh�lt und dem Alm-�hi den guten Willen! Sieht es auch gesund aus, Brigitte?" Und jedes Mal erwiderte diese: "Es sieht aus wie ein Erdbeerapfel."

Heidi hatte auch eine gro�e Anh�nglichkeit an die alte Gro�mutter, und wenn es ihm wieder in den Sinn kam, dass ihr gar niemand, auch der Gro�vater nicht mehr hell machen konnte, �berkam es immer wieder eine gro�e Betr�bnis; aber die Gro�mutter sagte ihm immer wieder, dass sie am wenigsten davon leide, wenn es bei ihr sei, und Heidi kam auch an jedem sch�nen Wintertag heruntergefahren auf seinem Schlitten. Der Gro�vater hatte, ohne weitere Worte, so fortgefahren, hatte jedes Mal den Hammer und allerlei andere Sachen mit aufgeladen und manchen Nachmittag durch an dem Gei�enpeter- H�uschen herumgeklopft. Das hatte aber auch seine gute Wirkung; es krachte und klapperte nicht mehr die ganzen N�chte durch, und die Gro�mutter sagte, so habe sie manchen Winter lang nicht mehr schlafen k�nnen, das wolle sie auch dem �hi nie vergessen.




Es kommt ein Besuch und dann noch einer,
der mehr Folgen hat

Schnell war der Winter und noch schneller der fr�hliche Sommer darauf vergangen, und ein neuer Winter neigte sich schon wieder dem Ende zu. Heidi war gl�cklich und froh wie die V�glein des Himmels und freute sich jeden Tag mehr auf die herannahenden Fr�hlingstage, da der warme F�hn durch die Tannen brausen und den Schnee wegfegen w�rde und dann die helle Sonne die blauen und gelben Bl�mlein hervorlocken und die Tage der Weide kommen w�rden, die f�r Heidi das Sch�nste mit sich brachten, was es auf Erden geben konnte. Heidi stand nun in seinem achten Jahre; es hatte vom Gro�vater allerlei Kunstgriffe erlernt: Mit den Gei�en wusste es so gut umzugehen als nur einer, und Schw�nli und B�rli liefen ihm nach wie treue H�ndlein und meckerten gleich laut vor Freude, wenn sie nur seine Stimme h�rten. In diesem Winter hatte Peter schon zweimal vom Schullehrer im D�rfli den Bericht gebracht, der Alm-�hi solle das Kind, das bei ihm sei, nun in die Schule schicken, es habe schon mehr als das Alter und h�tte schon im letzten Winter kommen sollen. Der �hi hatte beide Male dem Schullehrer sagen lassen, wenn er etwas mit ihm wolle, so sei er daheim, das Kind schicke er nicht in die Schule. Diesen Bericht hatte der Peter richtig �berbracht.

Als die M�rzsonne den Schnee an den Abh�ngen geschmolzen hatte und �berall die wei�en Schneegl�ckchen hervorguckten im Tal und auf der Alm die Tannen ihre Schneelast abgesch�ttelt hatten und die �ste wieder lustig wehten, da rannte Heidi vor Wonne immer hin und her von der Haust�r zum Gei�enstall und von da unter die Tannen und dann wieder hinein zum Gro�vater, um ihm zu berichten, wie viel gr��er das St�ck gr�ner Boden unter den B�umen wieder geworden sei, und gleich nachher kam es wieder nachzusehen, denn es konnte nicht erwarten, dass alles wieder gr�n wurde und der ganze sch�ne Sommer mit Gr�n und Blumen wieder auf die Alm gezogen kam.

Als Heidi so am sonnigen M�rzmorgen hin und her rannte und jetzt wohl zum zehnten Mal �ber die T�rschwelle sprang, w�re es vor Schrecken fast r�ckw�rts wieder hineingefallen, denn auf einmal stand es vor einem schwarzen alten Herrn, der es ganz ernsthaft anblickte. Als er aber seinen Schrecken sah, sagte er freundlich: "Du musst nicht erschrecken vor mir, die Kinder sind mir lieb. Gib mir die Hand! Du wirst das Heidi sein; wo ist der Gro�vater?"

"Er sitzt am Tisch und schnitzt runde L�ffel von Holz", erkl�rte Heidi und machte nun die T�r wieder auf.

Es war der alte Herr Pfarrer aus dem D�rfli, der den �hi vor Jahren gut gekannt hatte, als er noch unten wohnte und sein Nachbar war. Er trat in die H�tte ein, ging auf den Alten zu, der sich �ber sein Schnitzwerk hinbeugte, und sagte: "Guten Morgen, Nachbar."

Verwundert schaute dieser in die H�he, stand dann auf und entgegnete: "Guten Morgen dem Herrn Pfarrer." Dann stellte er seinen Stuhl vor den Herrn hin und fuhr fort: "Wenn der Herr Pfarrer einen Holzsitz nicht scheut, hier ist einer."

Der Herr Pfarrer setzte sich. "Ich habe Euch lange nicht gesehen, Nachbar", sagte er dann.

"Ich den Herrn Pfarrer auch nicht", war die Antwort.

"Ich komme heut, um etwas mit Euch zu besprechen", fing der Herr Pfarrer wieder an; "ich denke, Ihr k�nnt schon wissen, was meine Angelegenheit ist, wor�ber ich mich mit Euch verst�ndigen und h�ren will, was Ihr im Sinne habt."

Der Herr Pfarrer schwieg und schaute auf Heidi, das an der T�r stand und die neue Erscheinung aufmerksam betrachtete.

"Heidi, geh zu den Gei�en", sagte der Gro�vater. "Kannst ein wenig Salz mitnehmen und bei ihnen bleiben, bis ich auch komme."

Heidi verschwand sofort.

"Das Kind h�tte schon vor dem Jahr und noch sicherer diesen Winter die Schule besuchen sollen", sagte nun der Herr Pfarrer; "der Lehrer hat Euch mahnen lassen, Ihr habt keine Antwort darauf gegeben; was habt Ihr mit dem Kind im Sinn, Nachbar?"

"Ich habe im Sinn, es nicht in die Schule zu schicken", war die Antwort.

Verwundert schaute der Herr Pfarrer auf den Alten, der mit gekreuzten Armen auf seiner Bank sa� und gar nicht nachgiebig aussah.

"Was wollt Ihr aus dem Kinde machen?", fragte jetzt der Herr Pfarrer.

"Nichts, es w�chst und gedeiht mit den Gei�en und den V�geln; bei denen ist es ihm wohl und es lernt nichts B�ses von ihnen."

"Aber das Kind ist keine Gei� und kein Vogel, es ist ein Menschenkind. Wenn es nichts B�ses lernt von diesen seinen Kameraden, so lernt es auch sonst nichts von ihnen; es soll aber etwas lernen, und die Zeit dazu ist da. Ich bin gekommen, es Euch zeitig zu sagen, Nachbar, damit Ihr Euch besinnen und einrichten k�nnt den Sommer durch. Dies war der letzte Winter, den das Kind so ohne allen Unterricht zugebracht hat; n�chsten Winter kommt es zur Schule, und zwar jeden Tag."

"Ich tu's nicht, Herr Pfarrer", sagte der Alte unentwegt.

"Meint Ihr denn wirklich, es gebe kein Mittel, Euch zur Vernunft zu bringen, wenn Ihr so eigensinnig bei Eurem unvern�nftigen Tun beharren wollt?", sagte der Herr Pfarrer jetzt ein wenig eifrig. "Ihr seid weit in der Welt herumgekommen und habt viel gesehen und vieles lernen k�nnen, ich h�tte Euch mehr Einsicht zugetraut, Nachbar."

"So", sagte jetzt der Alte und seine Stimme verriet, dass es auch in seinem Innern nicht mehr so ganz ruhig war; "und meint denn der Herr Pfarrer, ich werde wirklich im n�chsten Winter am eisigen Morgen durch Sturm und Schnee ein zartgliedriges Kind den Berg hinunterschicken, zwei Stunden weit, und zur Nacht wieder heraufkommen lassen, wenn's manchmal tobt und tut, dass unsereiner fast in Wind und Schnee ersticken m�sste, und dann ein Kind wie dieses? Und vielleicht kann sich der Herr Pfarrer auch noch der Mutter erinnern, der Adelheid; sie war monds�chtig und hatte Zuf�lle, soll das Kind auch so etwas holen mit der Anstrengung? Es soll mir einer kommen und mich zwingen wollen! Ich gehe vor alle Gerichte mit ihm, und dann wollen wir sehen, wer mich zwingt!"

"Ihr habt ganz Recht, Nachbar", sagte der Herr Pfarrer mit Freundlichkeit; "es w�re nicht m�glich, das Kind von hier aus zur Schule zu schicken. Aber ich kann sehen, das Kind ist Euch lieb; tut um seinetwillen etwas, das Ihr schon lange h�ttet tun sollen, kommt wieder ins D�rfli herunter und lebt wieder mit den Menschen. Was ist das f�r ein Leben hier oben, allein und verbittert gegen Gott und Menschen! Wenn Euch einmal etwas zusto�en w�rde hier oben, wer w�rde Euch beistehen? Ich kann auch gar nicht begreifen, dass Ihr den Winter durch nicht halb erfriert in Eurer H�tte, und wie das zarte Kind es nur aushalten kann!"

"Das Kind hat junges Blut und eine gute Decke, das m�chte ich dem Herrn Pfarrer sagen, und dann noch eins: Ich wei�, wo es Holz gibt, und auch, wann die gute Zeit ist, es zu holen; der Herr Pfarrer darf in meinen Schopf hineingehen, es ist etwas drin, in meiner H�tte geht das Feuer nie aus den Winter durch. Was der Herr Pfarrer mit dem Herunterkommen meint, ist nicht f�r mich; die Menschen da unten verachten mich und ich sie auch, wir bleiben voneinander, so ist's beiden wohl."

"Nein, nein, es ist Euch nicht wohl; ich wei�, was Euch fehlt", sagte der Herr Pfarrer mit herzlichem Ton. "Mit der Verachtung der Menschen dort unten ist es so schlimm nicht. Glaubt mir, Nachbar: Sucht Frieden mit Eurem Gott zu machen, bittet um seine Verzeihung, wo Ihr sie n�tig habt, und dann kommt und seht, wie anders Euch die Menschen ansehen und wie wohl es Euch noch werden kann."

Der Herr Pfarrer war aufgestanden, er hielt dem Alten die Hand hin und sagte nochmals mit Herzlichkeit: "Ich z�hle darauf, Nachbar, im n�chsten Winter seid Ihr wieder unten bei uns und wir sind die alten, guten Nachbarn. Es w�rde mir gro�en Kummer machen, wenn ein Zwang gegen Euch m�sste angewandt werden; gebt mir jetzt die Hand darauf, dass ihr herunterkommt und wieder unter uns leben wollt, ausges�hnt mit Gott und den Menschen."

Der Alm-�hi gab dem Herrn Pfarrer die Hand und sagte fest und bestimmt: "Der Herr Pfarrer meint es recht mit mir; aber was er erwartet, das tu ich nicht, ich sag es sicher und ohne Wandel: Das Kind schick ich nicht, und herunter komm ich nicht."

"So helf Euch Gott!", sagte der Herr Pfarrer und ging traurig zur T�r hinaus und den Berg hinunter.

Der Alm-�hi war verstimmt. Als Heidi am Nachmittag sagte: "Jetzt wollen wir zur Gro�mutter", erwiderte er kurz: "Heut nicht." Den ganzen Tag sprach er nicht mehr, und am folgenden Morgen, als Heidi fragte: "Gehen wir heut zur Gro�mutter?", war er noch gleich kurz von Worten wie im Ton und sagte nur: "Wollen sehen." Aber noch bevor die Sch�sselchen vom Mittagessen weggestellt waren, trat schon wieder ein Besuch zur T�r herein, es war die Base Dete. Sie hatte einen sch�nen Hut auf dem Kopf mit einer Feder darauf und ein Kleid, das alles mitfegte, was am Boden lag, und in der Sennh�tte lag da allerlei, das nicht an ein Kleid geh�rte. Der �hi schaute sie an von oben bis unten und sagte kein Wort. Aber die Base Dete hatte im Sinn, ein sehr freundliches Gespr�ch zu f�hren, denn sie fing an zu r�hmen und sagte, das Heidi sehe so gut aus, sie habe es fast nicht mehr gekannt und man k�nne schon sehen, dass es ihm nicht schlecht gegangen sei beim Gro�vater. Sie habe aber gewiss auch immer darauf gedacht, es ihm wieder abzunehmen, denn sie habe ja schon begreifen k�nnen, dass ihm das Kleine im Weg sein m�sse, aber in jenem Augenblick habe sie es ja nirgends sonst hintun k�nnen; seitdem aber habe sie Tag und Nacht nachgesonnen, wo sie das Kind etwa unterbringen k�nnte, und deswegen komme sie auch heute, denn auf einmal habe sie etwas vernommen, da k�nne das Heidi zu einem solchen Gl�ck kommen, dass sie es gar nicht habe glauben wollen. Dann sei sie aber auf der Stelle der Sache nachgegangen, und nun k�nne sie sagen, es sei alles so gut wie in Richtigkeit, das Heidi komme zu einem Gl�ck wie unter Hunderttausenden nicht eines. Furchtbar reiche Verwandte von ihrer Herrschaft, die fast im sch�nsten Haus in ganz Frankfurt wohnen, die haben ein einziges T�chterlein, das m�sse immer im Rollstuhl sitzen, denn es sei auf einer Seite lahm und sonst nicht gesund, und so sei es fast immer allein und m�sse auch allen Unterricht allein nehmen bei einem Lehrer, und das sei ihm so langweilig, und auch sonst h�tte es gern eine Gespielin im Haus, und da haben sie so davon geredet bei ihrer Herrschaft, und wenn man nur so ein Kind finden k�nnte, wie die Dame beschrieb, die in dem Haus die Wirtschaft f�hrte, denn ihre Herrschaft habe viel Mitgef�hl und m�chte dem kranken T�chterlein eine gute Gespielin g�nnen. Die Wirtschaftsdame hatte nun gesagt, sie wolle so ein recht unverdorbenes, so ein eigenartiges, das nicht sei wie alle, die man so alle Tage sehe. Da habe sie selbst denn auf der Stelle an das Heidi gedacht und sei gleich hingelaufen und habe der Dame alles so beschrieben vom Heidi und so von seinem Charakter, und die Dame habe sogleich zugesagt. Nun k�nne gar kein Mensch wissen, was dem Heidi alles an Gl�ck und Wohlfahrt bevorstehe, denn wenn es dann einmal dort sei und die Leute es gern m�gen und es etwa mit dem eigenen T�chterchen etwas geben sollte-- man k�nne ja nie wissen, es sei doch so schw�chlich--, und wenn eben die Leute doch nicht ohne ein Kind bleiben wollten, so k�nnte ja das unerh�rteste Gl�ck--

"Bist du bald fertig?", unterbrach hier der �hi, der bis dahin kein Wort dazwischengeredet hatte.

"Pah", gab die Dete zur�ck und warf den Kopf auf, "Ihr tut gerade, wie wenn ich Euch das ordin�rste Zeug gesagt h�tte, und ist doch durchs ganze Pr�ttigau auf und ab nicht einer, der nicht Gott im Himmel dankte, wenn ich ihm die Nachricht br�chte, die ich Euch gebracht habe."

"Bring sie, wem du willst, ich will nichts davon", sagte der �hi trocken.

Aber jetzt fuhr die Dete auf wie eine Rakete und rief: "Ja, wenn Ihr es so meint, dann will ich Euch denn schon auch sagen, wie ich es meine: Das Kind ist jetzt acht Jahre alt und kann nichts und wei� nichts, und Ihr wollt es nichts lernen lassen; Ihr wollt es in keine Schule und in keine Kirche schicken, das haben sie mir gesagt unten im D�rfli, und es ist meiner einzigen Schwester Kind; ich hab es zu verantworten, wie's mit ihm geht, und wenn ein Kind ein Gl�ck erlangen kann wie jetzt das Heidi, so kann ihm nur einer davor sein, dem es um alle Leute gleich ist und der keinem etwas Gutes w�nscht. Aber ich gebe nicht nach, das sag ich Euch, und die Leute habe ich alle f�r mich, es ist kein Einziger unten im D�rfli, der nicht mir hilft und gegen Euch ist, und wenn Ihr's etwa wollt vor Gericht kommen lassen, so besinnt Euch wohl, �hi; es gibt noch Sachen, die Euch dann k�nnten aufgew�rmt werden, die Ihr nicht gern h�rtet, denn wenn man's einmal mit dem Gericht zu tun hat, so wird noch manches aufgesp�rt, an das keiner mehr denkt."

"Schweig!", donnerte der �hi heraus, und seine Augen flammten wie Feuer. "Nimm's und verdirb's! Komm mir nie mehr vor Augen mit ihm, ich will's nie sehen mit dem Federhut auf dem Kopf und Worten im Mund wie dich heut!"

Der �hi ging mit gro�en Schritten zur T�r hinaus.

"Du hast den Gro�vater b�s gemacht", sagte Heidi und blitzte mit seinen schwarzen Augen die Base wenig freundlich an.

"Er wird schon wieder gut, komm jetzt", dr�ngte die Base; "wo sind deine Kleider?"

"Ich komme nicht", sagte Heidi.

"Was sagst du?", fuhr die Base auf; dann �nderte sie den Ton ein wenig und fuhr halb freundlich, halb �rgerlich weiter: "Komm, komm, du verstehst's nicht besser, du wirst es so gut haben, wie du gar nicht wei�t." Dann ging sie an den Schrank, nahm Heidis Sachen hervor und packte sie zusammen: "So, komm jetzt, nimm dort dein H�tchen, es sieht nicht sch�n aus, aber es ist gleich f�r einmal, setz es auf und mach, dass wir fortkommen."

"Ich komme nicht", wiederholte Heidi.

"Sei doch nicht so dumm und st�rrig wie eine Gei�; denen hast du's abgesehen. Begreif doch nur, jetzt ist der Gro�vater b�s, du hast's ja geh�rt, dass er gesagt hat, wir sollen ihm nicht mehr vor Augen kommen, er will es nun haben, dass du mit mir gehst, und jetzt musst du ihn nicht noch b�ser machen. Du wei�t gar nicht, wie sch�n es ist in Frankfurt und was du alles sehen wirst, und gef�llt es dir dann nicht, so kannst du wieder heimgehen; bis dahin ist der Gro�vater dann wieder gut."

"Kann ich gerad wieder umkehren und heimkommen heut Abend?", fragte Heidi.

"Ach was, komm jetzt! Ich sag dir's ja, du kannst wieder heim, wann du willst. Heut gehen wir bis nach Maienfeld hinunter und morgen fr�h sitzen wir in der Eisenbahn, mit der bist du nachher im Augenblick wieder daheim, das geht wie geflogen."

Die Base Dete hatte das B�ndelchen Kleider auf den Arm und Heidi an die Hand genommen; so gingen sie den Berg hinunter.

Da es noch nicht Weidezeit war, ging der Peter noch zur Schule ins D�rfli hinunter, oder sollte doch dahin gehen; aber er machte hier und da einen Tag Ferien, denn er dachte, es n�tze nichts, dahin zu gehen, das Lesen brauche man auch nicht, und ein wenig herumfahren und gro�e Ruten suchen n�tze etwas, denn diese k�nne man brauchen. So kam er eben in der N�he seiner H�tte von der Seite her mit sichtlichem Erfolg seiner heutigen Bestrebungen, denn er trug ein ungeheures B�ndel langer, dicker Haselruten auf der Achsel. Er stand still und starrte die zwei Entgegenkommenden an, bis sie bei ihm ankamen; dann sagte er: "Wo willst du hin?"

"Ich muss nur geschwind nach Frankfurt mit der Base", antwortete Heidi, "aber ich will zuerst noch zur Gro�mutter hinein, sie wartet auf mich."

"Nein, nein, keine Rede, es ist schon viel zu sp�t", sagte die Base eilig und hielt das fortstrebende Heidi fest bei der Hand; "du kannst dann gehen, wenn du wieder heimkommst, komm jetzt!" Damit zog die Base das Heidi fest weiter und lie� es nicht mehr los, denn sie f�rchtete, es k�nne drinnen dem Kinde wieder in den Sinn kommen, es wolle nicht fort, und die Gro�mutter k�nne ihm helfen wollen. Der Peter sprang in die H�tte hinein und schlug mit seinem ganzen B�ndel Ruten so furchtbar auf den Tisch los, dass alles erzitterte und die Gro�mutter vor Schrecken vom Spinnrad aufsprang und laut aufjammerte. Der Peter hatte sich Luft machen m�ssen.

"Was ist's denn? Was ist's denn?", rief angstvoll die Gro�mutter, und die Mutter, die am Tisch gesessen hatte und fast aufgeflogen war bei dem Knall, sagte in angeborener Langmut: "Was hast, Peterli; warum tust so w�st?"

"Weil sie das Heidi mitgenommen hat", erkl�rte Peter.

"Wer? Wer? Wohin, Peterli, wohin?", fragte die Gro�mutter jetzt mit neuer Angst; sie musste aber schnell erraten haben, was vorging, die Tochter hatte ihr ja vor kurzem berichtet, sie habe die Dete gesehen zum Alm-�hi hinaufgehen. Ganz zitternd vor Eile machte die Gro�mutter das Fenster auf und rief flehentlich hinaus: "Dete, Dete, nimm uns das Kind nicht weg! Nimm uns das Heidi nicht!"

Die beiden Laufenden h�rten die Stimme, und die Dete mochte wohl ahnen, was sie rief, denn sie fasste das Kind noch fester und lief, was sie konnte. Heidi widerstrebte und sagte: "Die Gro�mutter hat gerufen, ich will zu ihr."

Aber das wollte die Base gerade nicht und beschwichtigte das Kind, es solle nur schnell kommen jetzt, dass sie nicht noch zu sp�t k�men, sondern dass sie morgen weiterreisen k�nnten, es k�nnte ja dann sehen, wie es ihm gefallen werde in Frankfurt, dass es gar nie mehr fortwolle dort; und wenn es doch heim wolle, so k�nne es ja gleich gehen und dann erst noch der Gro�mutter etwas mit heimbringen, was sie freue. Das war eine Aussicht f�r Heidi, die ihm gefiel. Es fing an zu laufen ohne Widerstreben.

"Was kann ich der Gro�mutter heimbringen?", fragte es nach einer Welle.

"Etwas Gutes", sagte die Base, "so sch�ne, weiche Wei�br�tchen, da wird sie Freud haben daran, sie kann ja doch das harte, schwarze Brot fast nicht mehr essen."

"Ja, sie gibt es immer wieder dem Peter und sagt: 'Es ist mir zu hart'; das habe ich selbst gesehen", best�tigte das Heidi. "So wollen wir geschwind gehen, Base Dete; dann kommen wir vielleicht heut noch nach Frankfurt, dass ich bald wieder da bin mit den Br�tchen."

Heidi fing nun so zu rennen an, dass die Base mit ihrem B�ndel auf dem Arm fast nicht mehr nachkam. Aber sie war sehr froh, dass es so rasch ging, denn nun kamen sie gleich zu den ersten H�usern vom D�rfli, und da konnte es wieder allerhand Reden und Fragen geben, die das Heidi wieder auf andere Gedanken bringen konnten. So lief sie stracks durch, und das Kind zog dabei noch so stark an ihrer Hand, dass alle Leute es sehen konnten, wie sie um des Kindes willen so pressieren musste. So rief sie auf alle die Fragen und Anrufungen, die ihr aus allen Fenstern und T�ren entgegent�nten, nur immer zur�ck: "Ihr seht's ja, ich kann jetzt nicht still stehen, das Kind pressiert und wir haben noch weit."

"Nimmst's mit?"--"L�uft's dem Alm-�hi fort?"--"Es ist nur ein Wunder, dass es noch am Leben ist!"--"Und dazu noch so rotbackig!" So t�nte es von allen Seiten, und die Dete war froh, dass sie ohne Verzug durchkam und keinen Bescheid geben musste und auch Heidi kein Wort sagte, sondern nur immer vorw�rts strebte in gro�em Eifer. --

Von dem Tage an machte der Alm-�hi, wenn er herunterkam und durchs D�rfli ging, ein b�seres Gesicht als je zuvor. Er gr��te keinen Menschen und sah mit seinem K�sereff auf dem R�cken, mit dem ungeheuren Stock in der Hand und den zusammengezogenen dicken Brauen so drohend aus, dass die Frauen zu den kleinen Kindern sagten: "Gib Acht! Geh dem Alm-�hi aus dem Weg, er k�nnte dir noch etwas tun!"

Der Alte verkehrte mit keinem Menschen im D�rfli, er ging nur durch und weit ins Tal hinab, wo er seinen K�se verhandelte und seine Vorr�te an Brot und Fleisch einnahm. Wenn er so vorbeigegangen war im D�rfli, dann standen hinter ihm die Leute alle in Tr�ppchen zusammen, und jeder wusste etwas Besonderes, was er am Alm-�hi gesehen hatte, wie er immer wilder aussehe und dass er jetzt keinem Menschen mehr auch nur einen Gru� abnehme, und alle kamen darin �berein, dass es ein gro�es Gl�ck sei, dass das Kind habe entweichen k�nnen, und man habe auch wohl gesehen, wie es fortgedr�ngt habe, so, als f�rchte es, der Alte sei schon hinter ihm drein, um es zur�ckzuholen. Nur die blinde Gro�mutter hielt unverr�ckt zum Alm-�hi, und wer zu ihr heraufkam, um bei ihr spinnen zu lassen oder das Gesponnene zu holen, dem erz�hlte sie es immer wieder, wie gut und sorgf�ltig der Alm-�hi mit dem Kind gewesen sei und was er an ihr und der Tochter getan habe, wie manchen Nachmittag er an ihrem H�uschen herumgeflickt, das ohne seine Hilfe gewiss schon zusammengefallen w�re. So kamen denn auch diese Berichte ins D�rfli herunter; aber die meisten, die sie vernahmen, sagten dann, die Gro�mutter sei vielleicht zu alt zum Begreifen, sie werde es wohl nicht recht verstanden haben, sie werde wohl auch nicht mehr gut h�ren, weil sie nichts mehr sehe.

Der Alm-�hi zeigte sich jetzt nicht mehr bei den Gei�enpeters; es war gut, dass er die H�tte so fest zusammengenagelt hatte, denn sie blieb f�r lange Zeit ganz unber�hrt. Jetzt begann die blinde Gro�mutter ihre Tage wieder mit Seufzen, und nicht einer verstrich, an dem sie nicht klagend sagte: "Ach, mit dem Kind ist alles Gute und alle Freude von uns genommen, und die Tage sind so leer! Wenn ich nur noch einmal das Heidi h�ren k�nnte, eh ich sterben muss!"




Ein neues Kapitel und lauter neue Dinge

Im Hause des Herrn Sesemann in Frankfurt lag das kranke T�chterlein, Klara, in dem bequemen Rollstuhl, in welchem es den ganzen Tag sich aufhielt und von einem Zimmer ins andere gesto�en wurde. Jetzt sa� es im so genannten Studierzimmer, das neben der gro�en Essstube lag und wo vielerlei Ger�tschaften herumstanden und--lagen, die das Zimmer wohnlich machten und zeigten, dass man hier gew�hnlich sich aufhielt. An dem gro�en, sch�nen B�cherschrank mit den Glast�ren konnte man sehen, woher das Zimmer seinen Namen hatte und dass es wohl der Raum war, wo dem lahmen T�chterchen der t�gliche Unterricht erteilt wurde.

Klara hatte ein blasses, schmales Gesichtchen, aus dem zwei milde, blaue Augen herausschauten, die in diesem Augenblick auf die gro�e Wanduhr gerichtet waren, die heute besonders langsam zu gehen schien, denn Klara, die sonst kaum ungeduldig wurde, sagte jetzt mit ziemlicher Ungeduld in der Stimme: "Ist es denn immer noch nicht Zeit, Fr�ulein Rottenmeier?"

Die Letztere sa� sehr aufrecht an einem kleinen Arbeitstisch und stickte. Sie hatte eine geheimnisvolle H�lle um sich, einen gro�en Kragen oder Halbmantel, welcher der Pers�nlichkeit einen feierlichen Anstrich verlieh, der noch erh�ht wurde durch eine Art von hoch gebauter Kuppel, die sie auf dem Kopf trug. Fr�ulein Rottenmeier war schon seit mehreren Jahren, seitdem die Dame des Hauses gestorben war, im Hause Sesemann, f�hrte die Wirtschaft und hatte die Oberaufsicht �ber das ganze Dienstpersonal.

Herr Sesemann war meistens auf Reisen, �berlie� daher dem Fr�ulein Rottenmeier das ganze Haus, nur mit der Bedingung, dass sein T�chterlein in allem eine Stimme haben solle und nichts gegen dessen Wunsch geschehen d�rfe.

W�hrend oben Klara zum zweiten Mal mit Zeichen der Ungeduld Fr�ulein Rottenmeier befragte, ob die Zeit noch nicht da sei, da die Erwarteten erscheinen konnten, stand unten vor der Haust�r die Dete mit Heidi an der Hand und fragte den Kutscher Johann, der eben vom Wagen gestiegen war, ob sie wohl Fr�ulein Rottenmeier so sp�t noch st�ren d�rfe.

"Das ist nicht meine Sache", brummte der Kutscher; "klingeln Sie den Sebastian herunter, drinnen im Korridor."

Dete tat, wie ihr gehei�en war, und der Bediente des Hauses kam die Treppe herunter mit gro�en, runden Kn�pfen auf seinem Aufw�rterrock und fast ebenso gro�en runden Augen im Kopfe.

"Ich wollte fragen, ob ich um diese Zeit Fr�ulein Rottenmeier noch st�ren d�rfe", brachte die Dete wieder an.

"Das ist nicht meine Sache", gab der Bediente zur�ck; "klingeln Sie die Jungfer Tinette herunter an der anderen Klingel", und ohne weitere Auskunft verschwand der Sebastian.

Dete klingelte wieder. Jetzt erschien auf der Treppe die Jungfer Tinette mit einem blendend wei�en Deckelchen auf der Mitte des Kopfes und einer sp�ttischen Miene auf dem Gesicht.

"Was ist?", fragte sie auf der Treppe, ohne herunterzukommen. Dete wiederholte ihr Gesuch. Jungfer Tinette verschwand, kam aber bald wieder und rief von der Treppe herunter: "Sie sind erwartet!"

Jetzt stieg Dete mit Heidi die Treppe hinauf und trat, der Jungfer Tinette folgend, in das Studierzimmer ein. Hier blieb Dete h�flich an der T�r stehen, Heidi immer fest an der Hand haltend, denn sie war gar nicht sicher, was dem Kinde etwa begegnen konnte auf diesem so fremden Boden.

Fr�ulein Rottenmeier erhob sich langsam von ihrem Sitz und kam n�her, um die angekommene Gespielin der Tochter des Hauses zu betrachten. Der Anblick schien sie nicht zu befriedigen. Heidi hatte sein einfaches Baumwollr�ckchen an und sein altes, zerdr�cktes Strohh�tchen auf dem Kopf. Das Kind guckte sehr harmlos darunter hervor und betrachtete mit unverhehlter Verwunderung den Turmbau auf dem Kopf der Dame.

"Wie hei�est du?", fragte Fr�ulein Rottenmeier, nachdem auch sie einige Minuten lang forschend das Kind angesehen hatte, das kein Auge von ihr verwandte.

"Heidi", antwortete es deutlich und mit klangvoller Stimme.

"Wie? Wie? Das soll doch wohl kein christlicher Name sein? So bist du doch nicht getauft worden. Welchen Namen hast du in der Taufe erhalten?", fragte Fr�ulein Rottenmeier weiter.

"Das wei� ich jetzt nicht mehr", entgegnete Heidi.

"Ist das eine Antwort!", bemerkte die Dame mit Kopfsch�tteln. "Jungfer Dete, ist das Kind einf�ltig oder schnippisch?"

"Mit Erlaubnis und wenn es die Dame gestattet, so will ich gern reden f�r das Kind, denn es ist sehr unerfahren", sagte die Dete, nachdem sie dem Heidi heimlich einen kleinen Sto� gegeben hatte f�r die unpassende Antwort. "Es ist aber nicht einf�ltig und auch nicht schnippisch, davon wei� es gar nichts; es meint alles so, wie es redet. Aber es ist heut zum ersten Mal in einem Herrenhaus und kennt die gute Manier nicht; aber es ist willig und nicht ungelehrig, wenn die Dame wollte g�tige Nachsicht haben. Es ist Adelheid getauft worden, wie seine Mutter, meine Schwester selig."

"Nun wohl, dies ist doch ein Name, den man sagen kann", bemerkte Fr�ulein Rottenmeier. "Aber, Jungfer Dete, ich muss Ihnen doch sagen, dass mir das Kind f�r sein Alter sonderbar vorkommt. Ich habe Ihnen mitgeteilt, die Gespielin f�r Fr�ulein Klara m�sste in ihrem Alter sein, um denselben Unterricht mit ihr zu verfolgen und �berhaupt ihre Besch�ftigungen zu teilen. Fr�ulein Klara hat das zw�lfte Jahr zur�ckgelegt; wie alt ist das Kind?"

"Mit Erlaubnis der Dame", fing die Dete wieder beredt an, "es war mir eben selber nicht mehr so ganz gegenw�rtig, wie alt es sei; es ist wirklich ein wenig j�nger, viel trifft es nicht an, ich kann's so ganz genau nicht sagen, es wird so um das zehnte Jahr, oder so noch etwas dazu sein, nehm ich an."

"Jetzt bin ich acht, der Gro�vater hat's gesagt", erkl�rte Heidi. Die Base stie� es wieder an, aber Heidi hatte keine Ahnung, warum, und wurde keineswegs verlegen.

"Was, erst acht Jahre alt?", rief Fr�ulein Rottenmeier mit einiger Entr�stung aus. "Vier Jahre zu wenig! Was soll das geben! Und was hast du denn gelernt? Was hast du f�r B�cher gehabt bei deinem Unterricht?"

"Keine", sagte Heidi.

"Wie? Was? Wie hast du denn lesen gelernt?", fragte die Dame weiter.

"Das hab ich nicht gelernt und der Peter auch nicht", berichtete Heidi.

"Barmherzigkeit! Du kannst nicht lesen? Du kannst wirklich nicht lesen!", rief Fr�ulein Rottenmeier im h�chsten Schrecken aus. "Ist es die M�glichkeit, nicht lesen! Was hast du denn aber gelernt?"

"Nichts", sagte Heidi der Wahrheit gem��.

"Jungfer Dete", sagte Fr�ulein Rottenmeier nach einigen Minuten, in denen sie nach Fassung rang, "es ist alles nicht nach Abrede, wie konnten Sie mir dieses Wesen zuf�hren?" Aber die Dete lie� sich nicht so bald einsch�chtern; sie antwortete herzhaft: "Mit Erlaubnis der Dame, das Kind ist gerade, was ich dachte, dass sie haben wolle; die Dame hat mir beschrieben, wie es sein m�sse, so ganz apart und nicht wie die anderen, und so musste ich das Kleine nehmen, denn die Gr��eren sind bei uns dann nicht mehr so apart, und ich dachte, dieses passe wie gemacht auf die Beschreibung. Jetzt muss ich aber gehen, denn meine Herrschaft erwartet mich; ich will, wenn's meine Herrschaft erlaubt, bald wieder kommen und nachsehen, wie es geht mit ihm." Mit einem Knicks war die Dete zur T�r hinaus und die Treppe hinunter mit schnellen Schritten. Fr�ulein Rottenmeier stand einen Augenblick noch da, dann lief sie der Dete nach; es war ihr wohl in den Sinn gekommen, dass sie noch eine Menge von Dingen mit der Base besprechen wollte, wenn das Kind wirklich dableiben sollte, und da war es doch nun einmal und, wie sie bemerkte, hatte die Base fest im Sinn, es dazulassen.

Heidi stand noch auf demselben Platz an der T�r, wo es von Anfang an gestanden hatte. Bis dahin hatte Klara von ihrem Sessel aus schweigend allem zugesehen. Jetzt winkte sie Heidi: "Komm hierher!"

Heidi trat an den Rollstuhl heran.

"Willst du lieber Heidi hei�en oder Adelheid?", fragte Klara.

"Ich hei�e nur Heidi und sonst nichts", war Heidis Antwort.

"So will ich dich immer so nennen", sagte Klara; "der Name gef�llt mir f�r dich, ich habe ihn aber nie geh�rt, ich habe aber auch nie ein Kind gesehen, das so aussieht wie du. Hast du immer nur so kurzes, krauses Haar gehabt?"

"Ja, ich denk's", gab Heidi zur Antwort.

"Bist du gern nach Frankfurt gekommen?", fragte Klara weiter.

"Nein, aber morgen geh ich dann wieder heim und bringe der Gro�mutter wei�e Br�tchen!", erkl�rte Heidi.

"Du bist aber ein kurioses Kind!", fuhr jetzt Klara auf. "Man hat dich ja express nach Frankfurt kommen lassen, dass du bei mir bleibest und die Stunden mit mir nehmest, und siehst du, es wird nun ganz lustig, weil du gar nicht lesen kannst, nun kommt etwas ganz Neues in den Stunden vor. Sonst ist es manchmal so schrecklich langweilig und der Morgen will gar nicht zu Ende kommen. Denn siehst du, alle Morgen um zehn Uhr kommt der Herr Kandidat, und dann fangen die Stunden an und dauern bis um zwei Uhr, das ist so lange. Der Herr Kandidat nimmt auch manchmal das Buch ganz nahe ans Gesicht heran, so, als w�re er auf einmal ganz kurzsichtig geworden, aber er g�hnt nur furchtbar hinter dem Buch, und Fr�ulein Rottenmeier nimmt auch von Zeit zu Zeit ihr gro�es Taschentuch hervor und h�lt es vor das ganze Gesicht hin, so, als sei sie ganz ergriffen von etwas, das wir lesen; aber ich wei� recht gut, dass sie nur ganz schrecklich g�hnt dahinter, und dann sollte ich auch so stark g�hnen und muss es immer hinunterschlucken, denn wenn ich nur ein einziges Mal herausg�hne, so holt Fr�ulein Rottenmeier gleich den Fischtran und sagt, ich sei wieder schwach, und Fischtran nehmen ist das Allerschrecklichste, da will ich doch lieber G�hnen schlucken. Aber nun wird's viel kurzweiliger, da kann ich dann zuh�ren, wie du lesen lernst."

Heidi sch�ttelte ganz bedenklich mit dem Kopf, als es vom Lesenlernen h�rte.

"Doch, doch, Heidi, nat�rlich musst du lesen lernen, alle Menschen m�ssen, und der Herr Kandidat ist sehr gut, er wird niemals b�se, und er erkl�rt dir dann schon alles. Aber siehst du, wenn er etwas erkl�rt, dann verstehst du nichts davon; dann musst du nur warten und gar nichts sagen, sonst erkl�rt er dir noch viel mehr und du verstehst es noch weniger. Aber dann nachher, wenn du etwas gelernt hast und es wei�t, dann verstehst du schon, was er gemeint hat."

Jetzt kam Fr�ulein Rottenmeier wieder ins Zimmer zur�ck; sie hatte Dete nicht mehr zur�ckrufen k�nnen und war sichtlich aufgeregt davon, denn sie hatte dieser eigentlich gar nicht einl�sslich sagen k�nnen, was alles nicht nach Abrede sei bei dem Kinde, und da sie nicht wusste, was nun zu tun sei, um ihren Schritt r�ckg�ngig zu machen, war sie umso aufgeregter, denn sie selbst hatte die ganze Sache angestiftet. Sie lief nun vom Studierzimmer ins Esszimmer hin�ber, und von da wieder zur�ck, und kehrte dann unmittelbar wieder um und fuhr hier den Sebastian an, der seine runden Augen eben nachdenklich �ber den gedeckten Tisch gleiten lie�, um zu sehen, ob sein Werk keinen Mangel habe.

"Denk Er morgen Seine gro�en Gedanken fertig und mach Er, dass man heut noch zu Tische komme."

Mit diesen Worten fuhr Fr�ulein Rottenmeier an Sebastian vorbei und rief nach der Tinette mit so wenig einladendem Ton, dass die Jungfer Tinette mit noch viel kleineren Schritten herantrippelte als sonst gew�hnlich--und sich mit so sp�ttischem Gesicht hinstellte, dass selbst Fr�ulein Rottenmeier nicht wagte, sie anzufahren; umso mehr schlug ihr die Aufregung nach innen.

"Das Zimmer der Angekommenen ist in Ordnung zu bringen, Tinette", sagte die Dame mit schwer errungener Ruhe; "es liegt alles bereit, nehmen Sie noch den Staub von den M�beln weg."

"Es ist der M�he wert", sp�ttelte Tinette und ging.

Unterdessen hatte Sebastian die Doppelt�ren zum Studierzimmer mit ziemlichem Knall aufgeschlagen, denn er war sehr ergrimmt, aber sich in Antworten Luft zu machen durfte er nicht wagen Fr�ulein Rottenmeier gegen�ber; dann trat er ganz gelassen ins Studierzimmer, um den Rollstuhl hin�berzusto�en. W�hrend er den Griff hinten am Stuhl, der sich verschoben hatte, zurechtdrehte, stellte sich Heidi vor ihn hin und schaute ihn unverwandt an, was er bemerkte. Auf einmal fuhr er auf. "Na, was ist denn da Besonderes dran?", schnurrte er Heidi an in einer Weise, wie er es wohl nicht getan, h�tte er Fr�ulein Rottenmeier gesehen, die eben wieder auf der Schwelle stand und gerade hereintrat, als Heidi entgegnete: "Du siehst dem Gei�enpeter gleich."

Entsetzt schlug die Dame ihre H�nde zusammen. "Ist es die M�glichkeit!", st�hnte sie halblaut. "Nun duzt sie mir den Bedienten! Dem Wesen fehlen alle Urbegriffe!"

Der Stuhl kam herangerollt und Klara wurde von Sebastian hinausgeschoben und auf ihren Sessel an den Tisch gesetzt.

Fr�ulein Rottenmeier setzte sich neben sie und winkte Heidi, es sollte den Platz ihr gegen�ber einnehmen. Sonst kam niemand zu Tische, und es war viel Platz da; die drei sa�en auch weit auseinander, so dass Sebastian mit seiner Sch�ssel zum Anbieten guten Raum fand. Neben Heidis Teller lag ein sch�nes, wei�es Br�tchen; das Kind schaute mit erfreuten Blicken darauf. Die �hnlichkeit, die Heidi entdeckt hatte, musste sein ganzes Vertrauen f�r den Sebastian erweckt haben, denn es sa� m�uschenstill und r�hrte sich nicht, bis er mit der gro�en Sch�ssel zu ihm herantrat und ihm die gebratenen Fischchen hinhielt, dann zeigte es auf das Br�tchen und fragte: "Kann ich das haben?" Sebastian nickte und warf dabei einen Seitenblick auf Fr�ulein Rottenmeier, denn es wunderte ihn, was die Frage f�r einen Eindruck auf sie mache. Augenblicklich ergriff Heidi sein Br�tchen und steckte es in die Tasche. Sebastian machte eine Grimasse, denn das Lachen kam ihn an; er wusste aber wohl, dass ihm das nicht erlaubt war. Stumm und unbeweglich blieb er immer noch vor Heidi stehen, denn reden durfte er nicht, und weggehen durfte er wieder nicht, bis man sich bedient hatte. Heidi schaute ihm eine Zeit lang verwundert zu, dann fragte es: "Soll ich auch von dem essen?" Sebastian nickte wieder. "So gib mir", sagte es und schaute ruhig auf seinen Teller. Sebastians Grimasse wurde sehr bedenklich, und die Sch�ssel in seinen H�nden fing an gef�hrlich zu zittern.

"Er kann die Sch�ssel auf den Tisch setzen und nachher wiederkommen", sagte jetzt Fr�ulein Rottenmeier mit strengem Gesicht. Sebastian verschwand sogleich. "Dir, Adelheid, muss ich �berall die ersten Begriffe beibringen, das sehe ich", fuhr Fr�ulein Rottenmeier mit tiefem Seufzer fort. "Vor allem will ich dir zeigen, wie man sich am Tische bedient", und nun machte die Dame deutlich und eingehend alles vor, was Heidi zu tun hatte. "Dann", fuhr sie weiter, "muss ich dir haupts�chlich bemerken, dass du am Tisch nicht mit Sebastian zu sprechen hast, auch sonst nur dann, wenn du einen Auftrag oder eine notwendige Frage an ihn zu richten hast; dann aber nennst du ihn nie mehr anders als (Sie) oder (Er), h�rst du? Dass ich dich niemals mehr ihn anders nennen h�re. Auch Tinette nennst du (Sie), Jungfer Tinette. Mich nennst du so, wie du mich von allen nennen h�rst; wie du Klara nennen sollst, wird sie selbst bestimmen."

"Nat�rlich Klara", sagte diese. Nun folgte aber noch eine Menge von Verhaltungsma�regeln, �ber Aufstehen und Zubettegehen, �ber Hereintreten und Hinausgehen, �ber Ordnunghalten, T�renschlie�en, und �ber alledem fielen dem Heidi die Augen zu, denn es war heute vor f�nf Uhr aufgestanden und hatte eine lange Reise gemacht. Es lehnte sich an den Sesselr�cken und schlief ein. Als dann nach l�ngerer Zeit Fr�ulein Rottenmeier zu Ende gekommen war mit ihrer Unterweisung, sagte sie: "Nun denke daran, Adelheid! Hast du alles recht begriffen?"

"Heidi schl�ft schon lange", sagte Klara mit ganz belustigtem Gesicht, denn das Abendessen war f�r sie seit langer Zeit nie so kurzweilig verflossen.

"Es ist doch v�llig unerh�rt, was man mit diesem Kind erlebt!", rief Fr�ulein Rottenmeier in gro�em �rger und klingelte so heftig, dass Tinette und Sebastian miteinander herbeigest�rzt kamen; aber trotz allen L�rms erwachte Heidi nicht, und man hatte die gr��te M�he, es so weit zu erwecken, dass es nach seinem Schlafgemach gebracht werden konnte; erst durch das Studierzimmer, dann durch Klaras Schlafstube, dann durch die Stube von Fr�ulein Rottenmeier zu dem Eckzimmer, das nun f�r Heidi eingerichtet war.




Fr�ulein Rottenmeier hat einen unruhigen Tag

Als Heidi am ersten Morgen in Frankfurt seine Augen aufschlug, konnte es durchaus nicht begreifen, was es erblickte. Es rieb ganz gewaltig seine Augen, guckte dann wieder auf und sah dasselbe. Es sa� auf einem hohen, wei�en Bett und vor sich sah es einen gro�en, weiten Raum, und wo die Helle herkam, hingen lange, lange wei�e Vorh�nge, und dabei standen zwei Sessel mit gro�en Blumen darauf, und dann kam ein Sofa an der Wand mit denselben Blumen und ein runder Tisch davor, und in der Ecke stand ein Waschtisch mit Sachen darauf, wie Heidi sie noch gar nie gesehen hatte. Aber nun kam ihm auf einmal in den Sinn, dass es in Frankfurt sei, und der ganze gestrige Tag kam ihm in Erinnerung und zuletzt noch ganz klar die Unterweisungen der Dame, soweit es sie geh�rt hatte. Heidi sprang nun von seinem Bett herunter und machte sich fertig. Dann ging es an ein Fenster und dann an das andere; es musste den Himmel sehen und die Erde drau�en, es f�hlte sich wie im K�fig hinter den gro�en Vorh�ngen. Es konnte diese nicht wegschieben; so kroch es dahinter, um an ein Fenster zu kommen. Aber dieses war so hoch, dass Heidi nur gerade mit dem Kopf so weit hinaufreichte, dass es durchsehen konnte. Aber Heidi fand nicht, was es suchte. Es lief von einem Fenster zum anderen und dann wieder zum ersten zur�ck; aber immer war dasselbe vor seinen Augen, Mauern und Fenster und wieder Mauern und dann wieder Fenster. Es wurde Heidi ganz bange. Noch war es fr�h am Morgen, denn Heidi war gew�hnt, fr�h aufzustehen auf der Alm und dann sogleich hinauszulaufen vor die T�r und zu sehen, wie's drau�en sei, ob der Himmel blau und die Sonne schon droben sei, ob die Tannen rauschen und die kleinen Blumen schon die Augen offen haben. Wie das V�gelein, das zum ersten Mal in seinem sch�n gl�nzenden Gef�ngnis sitzt, hin und her schie�t und bei allen St�ben probiert, ob es nicht dazwischen durchschl�pfen und in die Freiheit hinausfliegen k�nne, so lief Heidi immer von dem einen Fenster zum anderen, um zu probieren, ob es nicht aufgemacht werden k�nne, denn dann musste man doch etwas anderes sehen als Mauern und Fenster, da musste doch unten der Erdboden, das gr�ne Gras und der letzte schmelzende Schnee an den Abh�ngen zum Vorschein kommen, und Heidi sehnte sich, das zu sehen. Aber die Fenster blieben fest verschlossen, wie sehr auch das Kind drehte und zog und von unten suchte, die kleinen Finger unter die Rahmen einzutreiben, damit es Kraft h�tte, sie aufzudr�cken; es blieb alles eisenfest aufeinander sitzen. Nach langer Zeit, als Heidi einsah, dass alle Anstrengungen nichts halfen, gab es seinen Plan auf und �berdachte nun, wie es w�re, wenn es vor das Haus hinausginge und hintenherum, bis es auf den Grasboden k�me, denn es erinnerte sich, dass es gestern Abend vorn am Haus nur �ber Steine gekommen war. Jetzt klopfte es an seiner T�r und unmittelbar darauf steckte Tinette den Kopf herein und sagte kurz: "Fr�hst�ck bereit!"

Heidi verstand keineswegs eine Einladung unter diesen Worten; auf dem sp�ttischen Gesicht der Tinette stand viel mehr eine Warnung, ihr nicht zu nah zu kommen, als eine freundliche Einladung geschrieben, und das las Heidi deutlich von dem Gesicht und richtete sich danach. Es nahm den kleinen Schemel unter dem Tisch empor, stellte ihn in eine Ecke, setzte sich darauf und wartete so ganz still ab, was nun kommen w�rde. Nach einiger Zeit kam etwas mit ziemlichem Ger�usch, es war Fr�ulein Rottenmeier, die schon wieder in Aufregung geraten war und in Heidis Stube hineinrief: "Was ist mit dir, Adelheid? Begreifst du nicht, was ein Fr�hst�ck ist? Komm her�ber!"

Das verstand nun Heidi und folgte sogleich nach. Im Esszimmer sa� Klara schon lang an ihrem Platz und begr��te Heidi freundlich, machte auch ein viel vergn�gteres Gesicht als sonst gew�hnlich, denn sie sah voraus, dass heute wieder allerlei Neues geschehen w�rde. Das Fr�hst�ck ging nun ohne St�rung vor sich; Heidi a� ganz anst�ndig sein Butterbrot, und wie alles zu Ende war, wurde Klara wieder ins Studierzimmer hin�bergerollt und Heidi wurde von Fr�ulein Rottenmeier angewiesen, nachzufolgen und bei Klara zu bleiben, bis der Herr Kandidat kommen w�rde, um die Unterrichtsstunden zu beginnen. Als die beiden Kinder allein waren, sagte Heidi sogleich: "Wie kann man hinaussehen hier und ganz hinunter auf den Boden?"

"Man macht ein Fenster auf und guckt hinaus", antwortete Klara belustigt.

"Man kann diese Fenster nicht aufmachen", versetzte Heidi traurig.

"Doch, doch", versicherte Klara, "nur du noch nicht, und ich kann dir auch nicht helfen; aber wenn du einmal den Sebastian siehst, so macht er dir schon eines auf."

Das war eine gro�e Erleichterung f�r Heidi zu wissen, dass man doch die Fenster �ffnen und hinausschauen k�nne, denn noch war es ganz unter dem Druck des Gefangenseins von seinem Zimmer her. Klara fing nun an, Heidi zu fragen, wie es bei ihm zu Hause sei, und Heidi erz�hlte mit Freuden von der Alm und den Gei�en und der Weide und allem, was ihm lieb war.

Unterdessen war der Herr Kandidat angekommen; aber Fr�ulein Rottenmeier f�hrte ihn nicht, wie gew�hnlich, ins Studierzimmer, denn sie musste sich erst aussprechen und geleitete ihn zu diesem Zweck ins Esszimmer, wo sie sich vor ihn hinsetzte und ihm in gro�er Aufregung ihre bedr�ngte Lage schilderte und wie sie in diese hineingekommen war.

Sie hatte n�mlich vor einiger Zeit Herrn Sesemann nach Paris geschrieben, wo er eben verweilte, seine Tochter habe l�ngst gew�nscht, es m�chte eine Gespielin f�r sie ins Haus aufgenommen werden, und auch sie selbst glaube, dass eine solche in den Unterrichtsstunden ein Sporn, in der �brigen Zeit eine anregende Gesellschaft f�r Klara sein w�rde. Eigentlich war die Sache f�r Fr�ulein Rottenmeier selbst sehr w�nschbar, denn sie wollte gern, dass jemand da sei, der ihr die Unterhaltung der kranken Klara abnehme, wenn es ihr zu viel war, was �fters geschah. Herr Sesemann hatte geantwortet, er erf�lle gern den Wunsch seiner Tochter, doch mit der Bedingung, dass eine solche Gespielin in allem ganz gehalten werde wie jene, er wolle keine Kinderqu�lerei in seinem Hause--"was freilich eine sehr unn�tze Bemerkung von dem Herrn war", setzte Fr�ulein Rottenmeier hinzu, "denn wer wollte Kinder qu�len!" Nun aber erz�hlte sie weiter, wie ganz erschrecklich sie hineingefallen sei mit dem Kinde, und f�hrte alle Beispiele von seinem v�llig begriffslosen Dasein an, die es bis jetzt geliefert hatte, dass nicht nur der Unterricht des Herrn Kandidaten buchst�blich beim Abc anfangen m�sse, sondern dass auch sie auf jedem Punkte der menschlichen Erziehung mit dem Uranfang zu beginnen h�tte. Aus dieser unheilvollen Lage sehe sie nur ein Rettungsmittel: Wenn der Herr Kandidat erkl�ren werde, zwei so verschiedene Wesen k�nnten nicht miteinander unterrichtet werden ohne gro�en Schaden des vorger�ckteren Teiles; das w�re f�r Herrn Sesemann ein triftiger Grund, die Sache r�ckg�ngig zu machen, und so w�rde er zugeben, dass das Kind gleich wieder dahin zur�ckgeschickt w�rde, woher es gekommen war; ohne seine Zustimmung aber d�rfte sie das nicht unternehmen, nun der Hausherr wisse, dass das Kind angekommen sei. Aber der Herr Kandidat war behutsam und niemals einseitig im Urteilen. Er tr�stete Fr�ulein Rottenmeier mit vielen Worten und der Ansicht, wenn die junge Tochter auf der einen Seite so zur�ck sei, so m�chte sie auf der anderen umso gef�rderter sein, was bei einem geregelten Unterricht bald ins Gleichgewicht kommen werde. Als Fr�ulein Rottenmeier sah, dass der Herr Kandidat sie nicht unterst�tzen, sondern seinen Abc-Unterricht �bernehmen wollte, machte sie ihm die T�r zum Studierzimmer auf, und nachdem er hereingetreten war, schloss sie schnell hinter ihm zu und blieb auf der anderen Seite, denn vor dem Abc hatte sie einen Schrecken. Sie ging jetzt mit gro�en Schritten im Zimmer auf und nieder, denn sie hatte zu �berlegen, wie die Dienstboten Adelheid zu benennen h�tten. Herr Sesemann hatte ja geschrieben, sie m�sste wie seine Tochter gehalten werden, und dieses Wort musste sich haupts�chlich auf das Verh�ltnis zu den Dienstboten beziehen, dachte Fr�ulein Rottenmeier. Sie konnte aber nicht lange ungest�rt �berlegen, denn auf einmal ert�nte drinnen im Studierzimmer ein erschreckliches Gekrache fallender Gegenst�nde und dann ein Hilferuf nach Sebastian. Sie st�rzte hinein. Da lag auf dem Boden alles �bereinander, die s�mtlichen Studien- Hilfsmittel, B�cher, Hefte, Tintenfass und obendrauf der Tischteppich, unter dem ein schwarzes Tintenb�chlein hervorfloss, die ganze Stube entlang. Heidi war verschwunden.

"Da haben wir's", rief Fr�ulein Rottenmeier h�nderingend aus. "Teppich, B�cher, Arbeitskorb, alles in der Tinte! Das ist noch nie geschehen! Das ist das Ungl�ckswesen, da ist kein Zweifel!"

Der Herr Kandidat stand sehr erschrocken da und schaute auf die Verw�stung, die allerdings nur (eine) Seite hatte und eine recht best�rzende. Klara dagegen verfolgte mit vergn�gtem Gesicht die ungew�hnlichen Ereignisse und deren Wirkungen und sagte nun erkl�rend: "Ja, Heidi hat's gemacht, aber nicht mit Absicht, es muss gewiss nicht gestraft werden, es war nur so schrecklich eilig, fortzukommen, und riss den Teppich mit, und so fiel alles hintereinander auf den Boden. Es fuhren viele Wagen hintereinander vorbei, darum ist es so fortgeschossen; es hat vielleicht noch nie eine Kutsche gesehen."

"Da, ist's nicht, wie ich sagte, Herr Kandidat? Nicht (einen) Urbegriff hat das Wesen! Keine Ahnung davon, was eine Unterrichtsstunde ist, dass man dabei zuzuh�ren und still zu sitzen hat. Aber wo ist das Unheil bringende Ding hin? Wenn es fortgelaufen w�re! Was w�rde mir Herr Sesemann--"

Fr�ulein Rottenmeier lief hinaus und die Treppe hinunter. Hier, unter der ge�ffneten Haust�r, stand Heidi und guckte ganz verbl�fft die Stra�e auf und ab.

"Was ist denn? Was f�llt dir denn ein? Wie kannst du so davonlaufen!", fuhr Fr�ulein Rottenmeier das Kind an.

"Ich habe die Tannen rauschen geh�rt, aber ich wei� nicht, wo sie stehen, und h�re sie nicht mehr", antwortete Heidi und schaute entt�uscht nach der Seite hin, wo das Rollen der Wagen verhallt war, das in Heidis Ohren dem Tosen des F�hns in den Tannen �hnlich geklungen hatte, so dass es in h�chster Freude dem Ton nachgerannt war.

"Tannen! Sind wir im Wald? Was sind das f�r Einf�lle! Komm herauf und sieh, was du angerichtet hast!" Damit stieg Fr�ulein Rottenmeier wieder die Treppe hinan; Heidi folgte ihr und stand nun sehr verwundert vor der gro�en Verheerung, denn es hatte nicht gemerkt, was es alles mitriss vor Freude und Eile, die Tannen zu h�ren.

"Das hast du einmal getan, ein zweites Mal tust du's nicht wieder", sagte Fr�ulein Rottenmeier, auf den Boden zeigend; "zum Lernen sitzt man still auf seinem Sessel und gibt Acht. Kannst du das nicht selbst fertig bringen, so muss ich dich an deinen Stuhl festbinden. Kannst du das verstehen?"

"Ja", entgegnete Heidi, "aber ich will schon festsitzen." Denn jetzt hatte es begriffen, dass es eine Regel ist, in einer Unterrichtsstunde still zu sitzen.

Jetzt mussten Sebastian und Tinette hereinkommen, um die Ordnung wiederherzustellen. Der Herr Kandidat entfernte sich, denn der weitere Unterricht musste nun aufgegeben werden. Zum G�hnen war heute gar keine Zeit gewesen.

Am Nachmittag musste Klara immer eine Zeit lang ruhen und Heidi hatte alsdann seine Besch�ftigung selbst zu w�hlen; so hatte Fr�ulein Rottenmeier ihm am Morgen erkl�rt. Als nun nach Tisch Klara sich in ihrem Sessel zur Ruhe gelegt hatte, ging Fr�ulein Rottenmeier nach ihrem Zimmer, und Heidi sah, dass nun die Zeit da war, da es seine Besch�ftigung selbst w�hlen konnte. Das war dem Heidi sehr erw�nscht, denn es hatte schon immer im Sinn, etwas zu unternehmen; es musste aber Hilfe dazu haben und stellte sich darum vor das Esszimmer mitten auf den Korridor, damit die Pers�nlichkeit, die es zu beraten gedachte, ihm nicht entgehen k�nne. Richtig, nach kurzer Zeit kam Sebastian die Treppe herauf mit dem gro�en Teebrett auf den Armen, denn er brachte das Silberzeug aus der K�che herauf, um es im Schrank des Esszimmers zu verwahren. Als er auf der letzten Stufe der Treppe angekommen war, trat Heidi vor ihn hin und sagte mit gro�er Deutlichkeit: "Sie oder Er!"

Sebastian riss die Augen so weit auf, als es nur m�glich war, und sagte ziemlich barsch: "Was soll das hei�en, Mamsell?"

"Ich m�chte nur gern etwas fragen, aber es ist gewiss nichts B�ses wie heute Morgen", f�gte Heidi beschwichtigend hinzu, denn es merkte, dass Sebastian ein wenig erbittert war, und dachte, es komme noch von der Tinte am Boden her.

"So, und warum muss es denn hei�en Sie oder Er, das m�cht ich zuerst wissen", gab Sebastian im gleichen barschen Ton zur�ck.

"Ja, so muss ich jetzt immer sagen", versicherte Heidi; "Fr�ulein Rottenmeier hat es befohlen."

Jetzt lachte Sebastian so laut auf, dass Heidi ihn ganz verwundert ansehen musste, denn es hatte nichts Lustiges bemerkt; aber Sebastian hatte auf einmal begriffen, was Fr�ulein Rottenmeier befohlen hatte, und sagte nun sehr erlustigt: "Schon recht, so fahre die Mamsell nur zu."

"Ich hei�e gar nicht Mamsell", sagte nun Heidi seinerseits ein wenig ge�rgert; "ich hei�e Heidi."

"Ist schon recht; die gleiche Dame hat aber befohlen, dass ich Mamsell sage", erkl�rte Sebastian.

"Hat sie? Ja, dann muss ich schon so hei�en", sagte Heidi mit Ergebung, denn es hatte wohl gemerkt, dass alles so geschehen musste, wie Fr�ulein Rottenmeier befahl.

"Jetzt habe ich schon drei Namen", setzte es mit einem Seufzer hinzu.

"Was wollte die kleine Mamsell denn fragen?", fragte Sebastian jetzt, indem er, ins Esszimmer eingetreten, sein Silberzeug im Schrank zurechtlegte.

"Wie kann man ein Fenster aufmachen, Sebastian?"

"So, gerade so", und er machte den gro�en Fensterfl�gel auf.

Heidi trat heran, aber es war zu klein, um etwas sehen zu k�nnen; es langte nur bis zum Gesims hinauf.

"Da, so kann das Mamsellchen einmal hinausgucken und sehen, was unten ist", sagte Sebastian, indem er einen hohen h�lzernen Schemel herbeigeholt hatte und hinstellte. Hoch erfreut stieg Heidi hinauf und konnte endlich den ersehnten Blick durch das Fenster tun. Aber mit dem Ausdruck der gr��ten Entt�uschung zog es sogleich den Kopf wieder zur�ck.

"Man sieht nur die steinerne Stra�e hier, sonst gar nichts", sagte das Kind bedauerlich; "aber wenn man um das ganze Haus herumgeht, was sieht man dann auf der anderen Seite, Sebastian?"

"Gerade dasselbe", gab dieser zur Antwort.

"Aber wohin kann man denn gehen, dass man weit, weit hinuntersehen kann �ber das ganze Tal hinab?"

"Da muss man auf einen hohen Turm hinaufsteigen, einen Kirchturm, so einen, wie der dort ist mit der goldenen Kugel oben drauf. Da guckt man von oben herunter und sieht weit �ber alles weg."

Jetzt stieg Heidi eilig von seinem Schemel herunter, rannte zur T�r hinaus, die Treppe hinunter und trat auf die Stra�e hinaus. Aber die Sache ging nicht, wie Heidi sich vorgestellt hatte. Als es aus dem Fenster den Turm gesehen hatte, kam es ihm vor, es k�nne nur �ber die Stra�e gehen, so m�sste er gleich vor ihm stehen. Nun ging Heidi die ganze Stra�e hinunter, aber es kam nicht an den Turm, konnte ihn auch nirgends mehr entdecken und kam nun in eine andere Stra�e hinein und weiter und weiter, aber immer noch sah es den Turm nicht. Es gingen viele Leute an ihm vorbei, aber die waren alle so eilig, dass Heidi dachte, sie h�tten nicht Zeit, ihm Bescheid zu geben. Jetzt sah es an der n�chsten Stra�enecke einen Jungen stehen, der eine kleine Drehorgel auf dem R�cken und ein ganz kurioses Tier auf dem Arme trug. Heidi lief zu ihm hin und fragte: "Wo ist der Turm mit der goldenen Kugel zuoberst?"

"Wei� nicht", war die Antwort.

"Wen kann ich denn fragen, wo er sei?", fragte Heidi weiter.

"Wei� nicht."

"Wei�t du keine andere Kirche mit einem hohen Turm?"

"Freilich wei� ich eine."

"So komm und zeige mir sie."

"Zeig du zuerst, was du mir daf�r gibst." Der Junge hielt seine Hand hin. Heidi suchte in seiner Tasche herum. Jetzt zog es ein Bildchen hervor, darauf ein sch�nes Kr�nzchen von roten Rosen gemalt war; erst sah es noch eine kleine Weile darauf hin, denn es reute Heidi ein wenig. Erst heute Morgen hatte Klara es ihm geschenkt; aber hinuntersehen ins Tal, �ber die gr�nen Abh�nge! "Da", sagte Heidi und hielt das Bildchen hin, "willst du das?"

Der Junge zog die Hand zur�ck und sch�ttelte den Kopf.

"Was willst du denn?", fragte Heidi und steckte vergn�gt sein Bildchen wieder ein.

"Geld."

"Ich habe keins, aber Klara hat, sie gibt mir dann schon; wie viel willst du?"

"Zwanzig Pfennige."

"So komm jetzt."

Nun wanderten die beiden eine lange Stra�e hin, und auf dem Wege fragte Heidi den Begleiter, was er auf dem R�cken trage, und er erkl�rte ihm, es sei eine sch�ne Orgel unter dem Tuch, die mache eine prachtvolle Musik, wenn er daran drehe.

Auf einmal standen sie vor einer alten Kirche mit hohem Turm; der Junge stand still und sagte: "Da."

"Aber wie komm ich da hinein?", fragte Heidi, als es die fest verschlossenen T�ren sah.

"Wei� nicht", war wieder die Antwort.

"Glaubst du, man k�nne hier klingeln, so wie man dem Sebastian tut?"

"Wei� nicht."

Heidi hatte eine Klingel entdeckt an der Mauer und zog jetzt aus allen Kr�ften daran.

"Wenn ich dann hinaufgehe, so musst du warten hier unten, ich wei� jetzt den Weg nicht mehr zur�ck, du musst mir ihn dann zeigen."

"Was gibst du mir dann?"

"Was muss ich dir dann wieder geben?"

"Wieder zwanzig Pfennige."

Jetzt wurde das alte Schloss inwendig umgedreht und die knarrende T�r ge�ffnet; ein alter Mann trat heraus und schaute erst verwundert, dann ziemlich erz�rnt auf die Kinder und fuhr sie an: "Was untersteht ihr euch, mich da herunterzuklingeln? K�nnt ihr nicht lesen, was �ber der Klingel steht: 'F�r solche, die den Turm besteigen wollen'?"

Der Junge wies mit dem Zeigefinger auf Heidi und sagte kein Wort. Heidi antwortete: "Eben auf den Turm wollt ich."

"Was hast du droben zu tun?", fragte der T�rmer; "hat dich jemand geschickt?"

"Nein", entgegnete Heidi, "ich m�chte nur hinaufgehen, dass ich hinuntersehen kann."

"Macht, dass ihr heimkommt, und probiert den Spa� nicht wieder, oder ihr kommt nicht gut weg zum zweiten Mal!" Damit kehrte sich der T�rmer um und wollte die T�r zumachen.

Aber Heidi hielt ihn ein wenig am Rockscho� und sagte bittend: "Nur ein einziges Mal!"

Er sah sich um, und Heidis Augen schauten so flehentlich zu ihm auf, dass es ihn ganz umstimmte; er nahm das Kind bei der Hand und sagte freundlich: "Wenn dir so viel daran gelegen ist, so komm mit mir!"

Der Junge setzte sich auf die steinernen Stufen vor der T�r nieder und zeigte, dass er nicht mitwollte.

Heidi stieg an der Hand des T�rmers viele, viele Treppen hinauf; dann wurden diese immer schm�ler, und endlich ging es noch ein ganz enges Treppchen hinauf, und nun waren sie oben. Der T�rmer hob Heidi vom Boden auf und hielt es an das offene Fenster.

"Da, jetzt guck hinunter", sagte er.

Heidi sah auf ein Meer von D�chern, T�rmen und Schornsteinen nieder; es zog bald seinen Kopf zur�ck und sagte niedergeschlagen: "Es ist gar nicht, wie ich gemeint habe."

"Siehst du wohl? Was versteht so ein Kleines von Aussicht! So, komm nun wieder herunter und l�ute nie mehr an einem Turm!"

Der T�rmer stellte Heidi wieder auf den Boden und stieg ihm voran die schmalen Stufen hinab. Wo diese breiter wurden, kam links die T�r, die in des T�rmers St�bchen f�hrte, und nebenan ging der Boden bis unter das schr�ge Dach hin. Dort hinten stand ein gro�er Korb und davor sa� eine dicke graue Katze und knurrte, denn in dem Korb wohnte ihre Familie und sie wollte jeden Vor�bergehenden davor warnen, sich in ihre Familienangelegenheiten zu mischen. Heidi stand still und schaute verwundert hin�ber, eine so m�chtige Katze hatte es noch nie gesehen; in dem alten Turm wohnten aber ganze Herden von M�usen, so holte sich die Katze ohne M�he jeden Tag ein halbes Dutzend M�usebraten. Der T�rmer sah Heidis Bewunderung und sagte: "Komm, sie tut dir nichts, wenn ich dabei bin; du kannst die Jungen ansehen."

Heidi trat an den Korb heran und brach in ein gro�es Entz�cken aus.

"Oh, die netten Tierlein! Die sch�nen K�tzchen!", rief es ein Mal ums andere und sprang hin und her um den Korb herum, um auch recht alle komischen Geb�rden und Spr�nge zu sehen, welche die sieben oder acht jungen K�tzchen vollf�hrten, die in dem Korb rastlos �bereinanderhin krabbelten, sprangen, fielen.

"Willst du eins haben?", fragte der T�rmer, der Heidis Freudenspr�ngen vergn�gt zuschaute.

"Selbst f�r mich? F�r immer?", fragte Heidi gespannt und konnte das gro�e Gl�ck fast nicht glauben.

"Ja, gewiss, du kannst auch noch mehr haben, du kannst sie alle zusammen haben, wenn du Platz hast", sagte der Mann, dem es gerade recht war, seine kleinen Katzen loszuwerden, ohne dass er ihnen ein Leid antun musste.

Heidi war im h�chsten Gl�ck. In dem gro�en Hause hatten ja die K�tzchen so viel Platz, und wie musste Klara erstaunt und erfreut sein, wenn die niedlichen Tierchen ankamen!

"Aber wie kann ich sie mitnehmen?", fragte nun Heidi und wollte schnell einige fangen mit seinen H�nden, aber die dicke Katze sprang ihm auf den Arm und fauchte es so grimmig an, dass es sehr erschrocken zur�ckfuhr.

"Ich will sie dir bringen, sag nur, wohin", sagte der T�rmer, der die alte Katze nun streichelte, um sie wieder gut zu machen, denn sie war seine Freundin und hatte schon viele Jahre mit ihm auf dem Turm gelebt.

"Zum Herrn Sesemann in dem gro�en Haus, wo an der Haust�r ein goldener Hundskopf ist mit einem dicken Ring im Maul", erkl�rte Heidi.

Es h�tte nicht einmal so viel gebraucht f�r den T�rmer, der schon seit langen Jahren auf dem Turm sa� und jedes Haus weithin kannte, und dazu war der Sebastian noch ein alter Bekannter von ihm.

"Ich wei� schon", bemerkte er; "aber wem muss ich die Dinger bringen, bei wem muss ich nachfragen, du geh�rst doch nicht Herrn Sesemann?"

"Nein, aber die Klara, sie hat eine so gro�e Freude, wenn die K�tzchen kommen!"

Der T�rmer wollte nun weitergehen, aber Heidi konnte sich von dem unterhaltenden Schauspiel fast nicht trennen.

"Wenn ich nur schon eins oder zwei mitnehmen k�nnte! Eins f�r mich und eins f�r Klara, kann ich nicht?"

"So wart ein wenig", sagte der T�rmer, trug dann die alte Katze behutsam in sein St�bchen hinein und stellte sie an das Esssch�sselchen hin, schloss die T�r vor ihr zu und kam zur�ck: "So, nun nimm zwei!"

Heidis Augen leuchteten vor Wonne. Es las ein wei�es und dann ein gelb und wei� gestreiftes aus und steckte eins in die rechte und eins in die linke Tasche. Nun ging's die Treppe hinunter.

Der Junge sa� noch auf den Stufen drau�en, und als nun der T�rmer hinter Heidi die T�r zugeschlossen hatte, sagte das Kind: "Welchen Weg m�ssen wir nun zu Herrn Sesemanns Haus?"

"Wei� nicht", war die Antwort.

Heidi fing nun an zu beschreiben, was es wusste, die Haust�r und die Fenster und die Treppen, aber der Junge sch�ttelte zu allem den Kopf, es war ihm alles unbekannt.

"Siehst du", fuhr dann Heidi im Beschreiben fort, "aus einem Fenster sieht man ein gro�es, gro�es, graues Haus und das Dach geht so"--Heidi zeichnete hier mit dem Zeigefinger gro�e Zacken in die Luft hinaus.

Jetzt sprang der Junge auf, er mochte �hnliche Merkmale haben, seine Wege zu finden. Er lief nun in einem Zug drauflos und Heidi hinter ihm drein, und in kurzer Zeit standen sie richtig vor der Haust�r mit dem gro�en Messing-Tierkopf. Heidi zog die Glocke. Bald erschien Sebastian, und wie er Heidi erblickte, rief er dr�ngend: "Schnell! Schnell!"

Heidi sprang eilig herein, und Sebastian schlug die T�r zu; den Jungen, der verbl�fft drau�en stand, hatte er gar nicht bemerkt.

"Schnell, Mamsellchen", dr�ngte Sebastian weiter, "gleich ins Esszimmer hinein, sie sitzen schon am Tisch. Fr�ulein Rottenmeier sieht aus wie eine geladene Kanone; was stellt aber auch die kleine Mamsell an, so fortzulaufen?"

Heidi war ins Zimmer getreten. Fr�ulein Rottenmeier blickte nicht auf; Klara sagte auch nichts, es war eine etwas unheimliche Stille. Sebastian r�ckte Heidi den Sessel zurecht. Jetzt, wie es auf seinem Stuhl sa�, begann Fr�ulein Rottenmeier mit strengem Gesicht und einem ganz feierlich-ernsten Ton: "Adelheid, ich werde nachher mit dir sprechen, jetzt nur so viel: Du hast dich sehr ungezogen, wirklich strafbar benommen, dass du das Haus verl�sst, ohne zu fragen, ohne dass jemand ein Wort davon wusste, und herumstreichst bis zum sp�ten Abend; es ist eine v�llig beispiellose Auff�hrung."

"Miau", t�nte es wie als Antwort zur�ck.

Aber jetzt stieg der Zorn der Dame. "Wie, Adelheid", rief sie in immer h�heren T�nen, "du unterstehst dich noch, nach aller Ungezogenheit einen schlechten Spa� zu machen? H�te dich wohl, sag ich dir!"

"Ich mache", fing Heidi an--"Miau! Miau!"

Sebastian warf fast seine Sch�ssel auf den Tisch und st�rzte hinaus.

"Es ist genug", wollte Fr�ulein Rottenmeier rufen; aber vor Aufregung t�nte ihre Stimme gar nicht mehr. "Steh auf und verlass das Zimmer."

Heidi stand erschrocken von seinem Sessel auf und wollte noch einmal erkl�ren: "Ich mache gewiss"--"Miau! Miau! Miau!"

"Aber Heidi", sagte jetzt Klara, "wenn du doch siehst, dass du Fr�ulein Rottenmeier so b�se machst, warum machst du immer wieder 'miau'?"

"Ich mache nicht, die K�tzlein machen", konnte Heidi endlich ungest�rt hervorbringen.

"Wie? Was? Katzen? junge Katzen?", schrie Fr�ulein Rottenmeier auf. "Sebastian! Tinette! Sucht die greulichen Tiere! Schafft sie fort!" Damit st�rzte die Dame ins Studierzimmer hinein und riegelte die T�ren zu, um sicherer zu sein, denn junge Katzen waren f�r Fr�ulein Rottenmeier das Schrecklichste in der Sch�pfung. Sebastian stand drau�en vor der T�r und musste erst fertig lachen, eh er wieder eintreten konnte. Er hatte, als er Heidi bediente, einen kleinen Katzenkopf aus dessen Tasche herausgucken gesehen und sah dem Spektakel entgegen, und wie er nun ausbrach, konnte er sich nicht mehr halten, kaum noch seine Sch�ssel auf den Tisch setzen. Endlich trat er denn wieder gefasst ins Zimmer herein, nachdem die Hilferufe der ge�ngsteten Dame schon l�ngere Zeit verklungen waren. Jetzt sah es ganz still und friedlich aus drinnen; Klara hielt die K�tzchen auf ihrem Scho�, Heidi kniete neben ihr und beide spielten mit gro�er Wonne mit den zwei winzigen, grazi�sen Tierchen.

"Sebastian", sagte Klara zu dem Eintretenden, "Sie m�ssen uns helfen; Sie m�ssen ein Nest finden f�r die K�tzchen, wo Fr�ulein Rottenmeier sie nicht sieht, denn sie f�rchtet sich vor ihnen und will sie forthaben; aber wir wollen die niedlichen Tierchen behalten und sie immer hervorholen, sobald wir allein sind. Wo kann man sie hintun?"

"Das will ich schon besorgen, Fr�ulein Klara", entgegnete Sebastian bereitwillig; "ich mache ein sch�nes Bettchen in einem Korb und stelle den an einen Ort, wo mir die furchtsame Dame nicht dahinter kommt, verlassen Sie sich auf mich." Sebastian ging gleich an die Arbeit und kicherte best�ndig vor sich hin, denn er dachte: "Das wird noch was absetzen!", und der Sebastian sah es nicht ungern, wenn Fr�ulein Rottenmeier ein wenig in Aufregung geriet.

Nach l�ngerer Zeit erst, als der Augenblick des Schlafengehens nahte, machte Fr�ulein Rottenmeier ein ganz klein wenig die T�r auf und rief durch das Sp�ltchen heraus: "Sind die abscheulichen Tiere fortgeschafft?"

"Jawohl! Jawohl!", gab Sebastian zur�ck, der sich im Zimmer zu schaffen gemacht hatte in Erwartung dieser Frage. Schnell und leise fasste er die beiden K�tzchen auf Klaras Scho� und verschwand damit.

Die besondere Strafrede, die Fr�ulein Rottenmeier Heidi noch zu halten gedachte, verschob sie auf den folgenden Tag, denn heute f�hlte sie sich zu ersch�pft nach all den vorhergegangenen Gem�tsbewegungen von �rger, Zorn und Schrecken, die ihr Heidi ganz unwissentlich nacheinander verursacht hatte. Sie zog sich schweigend zur�ck, und Klara und Heidi folgten vergn�gt nach, denn sie wussten ihre K�tzchen in einem guten Bett.




Im Hause Sesemann geht's unruhig zu

Als Sebastian am folgenden Morgen dem Herrn Kandidaten die Haust�r ge�ffnet und ihn zum Studierzimmer gef�hrt hatte, zog schon wieder jemand die Hausglocke an, aber mit solcher Gewalt, dass Sebastian die Treppe v�llig hinunterschoss, denn er dachte: "So schellt nur der Herr Sesemann selbst, er muss unerwartet nach Hause gekommen sein." Er riss die T�r auf--ein zerlumpter Junge mit einer Drehorgel auf dem R�cken stand vor ihm.

"Was soll das hei�en?", fuhr ihn Sebastian an. "Ich will dich lehren, Glocken herunterzurei�en! Was hast du hier zu tun?"

"Ich muss zur Klara", war die Antwort.

"Du ungewaschener Stra�enk�fer du; kannst du nicht sagen ' Fr�ulein Klara', wie unsereins tut? Was hast du bei Fr�ulein Klara zu tun?", fragte Sebastian barsch.

"Sie ist mir vierzig Pfennige schuldig", erkl�rte der Junge.

"Du bist, denk ich, nicht recht im Kopf! Wie wei�t du �berhaupt, dass ein Fr�ulein Klara hier ist?"

"Gestern habe ich ihr den Weg gezeigt, macht zwanzig, und dann wieder zur�ck den Weg gezeigt, macht vierzig."

"Da siehst du, was f�r Zeug du zusammenflunkerst; Fr�ulein Klara geht niemals aus, kann gar nicht gehen, mach, dass du dahin kommst, wo du hingeh�rst, bevor ich dir dazu verhelfe!"

Aber der Junge lie� sich nicht einsch�chtern; er blieb unbeweglich stehen und sagte trocken: "Ich habe sie doch gesehen auf der Stra�e, ich kann sie beschreiben: Sie hat kurzes, krauses Haar, das ist schwarz, und die Augen sind schwarz und der Rock ist braun, und sie kann nicht reden wie wir."

"Oho", dachte jetzt Sebastian und kicherte in sich hinein, "das ist die kleine Mamsell, die hat wieder etwas angestellt." Dann sagte er, den Jungen hereinziehend: "'s ist schon recht, komm mir nur nach und warte vor der T�r, bis ich wieder herauskomme. Wenn ich dich dann einlasse, kannst du gleich etwas spielen; das Fr�ulein h�rt es gern."

Oben klopfte er am Studierzimmer und wurde hereingerufen.

"Es ist ein Junge da, der durchaus an Fr�ulein Klara selbst etwas zu bestellen hat", berichtete Sebastian.

Klara war sehr erfreut �ber das au�ergew�hnliche Ereignis.

"Er soll nur gleich hereinkommen", sagte sie, "nicht wahr, Herr Kandidat, wenn er doch mit mir selbst sprechen muss."

Der Junge war schon eingetreten, und nach Anweisung fing er sofort seine Orgel zu drehen an. Fr�ulein Rottenmeier hatte, um dem Abc auszuweichen, sich im Esszimmer allerlei zu schaffen gemacht. Auf einmal horchte sie auf.--Kamen die T�ne von der Stra�e her? Aber so nahe? Wie konnte vom Studierzimmer her eine Drehorgel ert�nen? Und dennoch--wahrhaftig--sie st�rzte durch das lange Esszimmer und riss die T�r auf. Da--unglaublich--da stand mitten im Studierzimmer ein zerlumpter Orgelspieler und drehte sein Instrument mit gr��ter Emsigkeit. Der Herr Kandidat schien immerfort etwas sagen zu wollen, aber es wurde nichts vernommen. Klara und Heidi h�rten mit ganz erfreuten Gesichtern der Musik zu.

"Aufh�ren! Sofort aufh�ren!", rief Fr�ulein Rottenmeier ins Zimmer hinein. Ihre Stimme wurde �bert�nt von der Musik. Jetzt lief sie auf den Jungen zu--aber auf einmal hatte sie etwas zwischen den F��en, sie sah auf den Boden: ein grausiges, schwarzes Tier kroch ihr zwischen den F��en durch--eine Schildkr�te. Jetzt tat Fr�ulein Rottenmeier einen Sprung in die H�he, wie sie seit vielen Jahren keinen getan hatte, dann schrie sie aus Leibeskr�ften: "Sebastian! Sebastian!"

Pl�tzlich hielt der Orgelspieler inne, denn diesmal hatte die Stimme die Musik �bert�nt. Sebastian stand drau�en vor der halb offenen T�r und kr�mmte sich vor Lachen, denn er hatte zugesehen, wie der Sprung vor sich ging. Endlich kam er herein. Fr�ulein Rottenmeier war auf einen Stuhl niedergesunken.

"Fort mit allem, Mensch und Tier! Schaffen Sie sie weg, Sebastian, sofort!", rief sie ihm entgegen. Sebastian gehorchte bereitwillig, zog den Jungen hinaus, der schnell seine Schildkr�te erfasst hatte, dr�ckte ihm drau�en etwas in die Hand und sagte: "Vierzig f�r Fr�ulein Klara, und vierzig f�rs Spielen, das hast du gut gemacht"; damit schloss er hinter ihm die Haust�r. Im Studierzimmer war es wieder ruhig geworden; die Studien wurden wieder fortgesetzt, und Fr�ulein Rottenmeier hatte sich nun auch festgesetzt in dem Zimmer, um durch ihre Gegenwart �hnliche Gr�uel zu verh�ten. Den Vorfall wollte sie nach den Unterrichtsstunden untersuchen und den Schuldigen so bestrafen, dass er daran denken w�rde.

Schon wieder klopfte es an die T�r, und herein trat abermals Sebastian mit der Nachricht, es sei ein gro�er Korb gebracht worden, der sogleich an Fr�ulein Klara selbst abzugeben sei.

"An mich?", fragte Klara erstaunt und �u�erst neugierig, was das sein m�chte; "zeigen Sie doch gleich einmal her, wie er aussieht."

Sebastian brachte einen bedeckten Korb herein und entfernte sich dann eilig wieder.

"Ich denke, erst wird der Unterricht beendet, dann der Korb ausgepackt", bemerkte Fr�ulein Rottenmeier.

Klara konnte sich nicht vorstellen, was man ihr gebracht hatte; sie schaute sehr verlangend nach dem Korb.

"Herr Kandidat", sagte sie, sich selbst in ihrem Deklinieren unterbrechend, "k�nnte ich nicht nur einmal schnell hineinsehen, um zu wissen, was drin ist, und dann gleich wieder fortfahren?"

"In einer Hinsicht k�nnte man daf�r, in einer anderen dawider sein", entgegnete der Herr Kandidat; "(daf�r) spr�che der Grund, dass, wenn nun Ihre ganze Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand gerichtet ist--"; die Rede konnte nicht beendigt werden. Der Deckel des Korbes sa� nur lose darauf, und nun sprangen mit einem Mal ein, zwei drei und wieder zwei und immer noch mehr junge K�tzchen darunter hervor und ins Zimmer hinaus, und mit einer so unbegreiflichen Schnelligkeit fuhren sie �berall herum, dass es war, als w�re das ganze Zimmer voll solcher Tierchen. Sie sprangen �ber die Stiefel des Herrn Kandidaten, bissen an seinen Beinkleidern, kletterten am Kleid von Fr�ulein Rottenmeier empor, krabbelten um ihre F��e herum, sprangen an Klaras Sessel hinauf, kratzten, krabbelten, miauten; es war ein arges Gewirre. Klara rief immerfort voller Entz�cken: "Oh, die niedlichen Tierchen! Die lustigen Spr�nge! Sieh! Sieh! Heidi, hier, dort, sieh dieses!" Heidi schoss ihnen vor Freude in alle Winkel nach. Der Herr Kandidat stand sehr verlegen am Tisch und zog bald den einen, bald den andern Fu� in die H�he, um ihn dem unheimlichen Gekrabbel zu entziehen. Fr�ulein Rottenmeier sa� erst sprachlos vor Entsetzen in ihrem Sessel, dann fing sie an aus Leibeskr�ften zu schreien: "Tinette! Tinette! Sebastian! Sebastian!", denn vom Sessel aufzustehen konnte sie unm�glich wagen, da konnten ja mit einem Mal alle die kleinen Scheusale an ihr emporspringen.

Endlich kamen Sebastian und Tinette auf die wiederholten Hilferufe herbei, und jener packte gleich eins nach dem andern der kleinen Gesch�pfe in den Korb hinein und trug sie auf den Estrich zu dem Katzenlager, das er f�r die zwei von gestern bereitet hatte.

Auch am heutigen Tage hatte kein G�hnen w�hrend der Unterrichtsstunden stattgefunden. Am sp�ten Abend, als Fr�ulein Rottenmeier sich von den Aufregungen des Morgens wieder hinl�nglich erholt hatte, berief sie Sebastian und Tinette ins Studierzimmer herauf, um hier eine gr�ndliche Untersuchung �ber die strafw�rdigen Vorg�nge anzustellen. Nun kam es denn heraus, dass Heidi auf seinem gestrigen Ausflug die s�mtlichen Ereignisse vorbereitet und herbeigef�hrt hatte. Fr�ulein Rottenmeier sa� wei� vor Entr�stung da und konnte erst keine Worte f�r ihre Empfindungen finden. Sie winkte mit der Hand, dass Sebastian und Tinette sich entfernen sollten. Jetzt wandte sie sich an Heidi, das neben Klaras Sessel stand und nicht recht begriff, was es verbrochen hatte.

"Adelheid", begann sie mit strengem Ton, "ich wei� nur (eine) Strafe, die dir empfindlich sein k�nnte, denn du bist eine Barbarin; aber wir wollen sehen, ob du unten im dunklen Keller bei Molchen und Ratten nicht zahm wirst, dass du dir keine solchen Dinge mehr einfallen l�sst."

Heidi h�rte still und verwundert sein Urteil an, denn in einem schreckhaften Keller war es noch nie gewesen, der ansto�ende Raum in der Almh�tte, den der Gro�vater Keller nannte, wo immer die fertigen K�se lagen und die frische Milch stand, war eher ein anmutiger und einladender Ort, und Ratten und Molche hatte es noch keine gesehen.

Aber Klara erhob einen lauten Jammer: "Nein, nein, Fr�ulein Rottenmeier, man muss warten, bis der Papa da ist; er hat ja geschrieben, er komme nun bald, und dann will ich ihm alles erz�hlen, und er sagt dann schon, was mit Heidi geschehen soll."

Gegen diesen Oberrichter durfte Fr�ulein Rottenmeier nichts einwenden, umso weniger, da er wirklich in B�lde zu erwarten war. Sie stand auf und sagte etwas grimmig: "Gut, Klara, aber auch ich werde ein Wort mit Herrn Sesemann sprechen." Damit verlie� sie das Zimmer.

Es verflossen nun ein paar ungest�rte Tage, aber Fr�ulein Rottenmeier kam nicht mehr aus der Aufregung heraus, st�ndlich trat ihr die T�uschung vor Augen, die sie in Heidis Pers�nlichkeit erlebt hatte, und es war ihr, als sei seit seiner Erscheinung im Hause Sesemann alles aus den Fugen gekommen und komme nicht wieder hinein. Klara war sehr vergn�gt; sie langweilte sich nie mehr, denn in den Unterrichtsstunden machte Heidi die kurzweiligsten Sachen; die Buchstaben machte es immer alle durcheinander und konnte sie nie kennen lernen, und wenn der Herr Kandidat mitten im Erkl�ren und Beschreiben ihrer Formen war, um sie ihm anschaulicher zu machen und als Vergleichung etwa von einem H�rnchen oder einem Schnabel sprach dabei, rief es auf einmal in aller Freude aus: "Es ist eine Gei�!", oder: "Es ist ein Raubvogel!" Denn die Beschreibungen weckten in seinem Gehirn allerlei Vorstellungen, nur keine Buchstaben. In den sp�teren Nachmittagsstunden sa� Heidi wieder bei Klara und erz�hlte ihr immer wieder von der Alm und dem Leben dort, so viel und so lange, bis das Verlangen darnach in ihm so brennend wurde, dass es immer zum Schluss versicherte: "Nun muss ich gewiss wieder heim! Morgen muss ich gewiss gehen!" Aber Klara beschwichtigte immer wieder diese Anf�lle und bewies Heidi, dass es doch sicher dableiben m�sse, bis der Papa komme; dann werde man schon sehen, wie es weitergehe. Wenn Heidi alsdann immer wieder nachgab und gleich wieder zufrieden war, so half ihm eine fr�hliche Aussicht dazu, die es im Stillen hatte, dass mit jedem Tage, den es noch dablieb, sein H�uflein Br�tchen f�r die Gro�mutter wieder um zwei gr��er w�rde, denn mittags und abends lag immer ein sch�nes Wei�br�tchen bei seinem Teller; das steckte es gleich ein, denn es h�tte das Br�tchen nie essen k�nnen beim Gedanken, dass die Gro�mutter nie eines habe und das harte, schwarze Brot fast nicht mehr essen konnte. Nach Tisch sa� Heidi jeden Tag ein paar Stunden lang ganz allein in seinem Zimmer und regte sich nicht, denn dass es in Frankfurt verboten war, nur so hinauszulaufen, wie es auf der Alm getan, das hatte es nun begriffen und tat es nie mehr. Mit Sebastian dr�ben im Esszimmer ein Gespr�ch f�hren durfte es auch nicht, das hatte Fr�ulein Rottenmeier auch verboten, und mit Tinette eine Unterhaltung zu probieren, daran kam ihm kein Sinn; es ging ihr immer scheu aus dem Wege, denn sie redete nur in h�hnischem Ton mit ihm und sp�ttelte es fortw�hrend an, und Heidi verstand ihre Art ganz gut, und dass sie es nur immer ausspottete. So sa� Heidi t�glich da und hatte alle Zeit, sich auszudenken, wie nun die Alm wieder gr�n war und wie die gelben Bl�mchen im Sonnenschein glitzerten und wie alles leuchtete rings um die Sonne, der Schnee und die Berge und das ganze weite Tal, und Heidi konnte es manchmal fast nicht mehr aushalten vor Verlangen, wieder dort zu sein. Die Base hatte ja auch gesagt, es k�nne wieder heimgehen, wann es wolle. So kam es, dass Heidi eines Tages es nicht mehr aushielt; es packte in aller Eile seine Br�tchen in das gro�e rote Halstuch zusammen, setzte sein Strohh�tchen auf und zog aus. Aber schon unter der Haust�r traf es auf ein gro�es Reisehindernis, auf Fr�ulein Rottenmeier selbst, die eben von einem Ausgang zur�ckkehrte. Sie stand still und schaute in starrem Erstaunen Heidi von oben bis unten an, und ihr Blick blieb vorz�glich auf dem gef�llten roten Halstuch haften. Jetzt brach sie los.

"Was ist das f�r ein Aufzug? Was hei�t das �berhaupt? Habe ich dir nicht streng verboten, je wieder herumzustreichen? Nun probierst du's doch wieder und dazu noch v�llig aussehend wie eine Landstreicherin."

"Ich wollte nicht herumstreichen, ich wollte nur heimgehen", entgegnete Heidi erschrocken.

"Wie? Was? Heimgehen? Heimgehen wolltest du?" Fr�ulein Rottenmeier schlug die H�nde zusammen vor Aufregung. "Fortlaufen! Wenn das Herr Sesemann w�sste! Fortlaufen aus seinem Hause! Mach nicht, dass er das je erf�hrt! Und was ist dir denn nicht recht in seinem Hause? Wirst du nicht viel besser behandelt, als du verdienst? Fehlt es dir an irgendetwas? Hast du je in deinem ganzen Leben eine Wohnung oder einen Tisch oder eine Bedienung gehabt, wie du hier hast? Sag!"

"Nein", entgegnete Heidi.

"Das wei� ich wohl!", fuhr die Dame eifrig fort. "Nichts fehlt dir, gar nichts, du bist ein ganz unglaublich undankbares Kind, und vor lauter Wohlsein wei�t du nicht, was du noch alles anstellen willst!"

Aber jetzt kam dem Heidi alles obenauf, was in ihm war, und brach hervor: "Ich will ja nur heim, und wenn ich so lang nicht komme, so muss das Schneeh�ppli immer klagen, und die Gro�mutter erwartet mich, und der Distelfink bekommt die Rute, wenn der Gei�enpeter keinen K�se bekommt, und hier kann man gar nie sehen, wie die Sonne gute Nacht sagt zu den Bergen; und wenn der Raubvogel in Frankfurt oben�ber fliegen w�rde, so w�rde er noch viel lauter kr�chzen, dass so viele Menschen beieinander sitzen und einander b�s machen und nicht auf den Felsen gehen, wo es einem wohl ist."

"Barmherzigkeit, das Kind ist �bergeschnappt!", rief Fr�ulein Rottenmeier aus und st�rzte mit Schrecken die Treppe hinauf, wo sie sehr unsanft gegen den Sebastian rannte, der eben hinunter wollte. "Holen Sie auf der Stelle das ungl�ckliche Wesen herauf!", rief sie ihm zu, indem sie sich den Kopf rieb, denn sie war hart angesto�en.

"Ja, ja, schon recht, danke sch�n", gab Sebastian zur�ck und rieb sich den seinen, denn er war noch h�rter angefahren.

Heidi stand mit flammenden Augen noch auf derselben Stelle fest und zitterte vor innerer Erregung am ganzen K�rper.

"Na, schon wieder was angestellt?", fragte Sebastian lustig; als er aber Heidi, das sich nicht r�hrte, recht ansah, klopfte er ihm freundlich auf die Schulter und sagte tr�stend: "Pah! Pah! Das muss sich das Mamsellchen nicht so zu Herzen nehmen, nur lustig, das ist die Hauptsache! Sie hat mir eben jetzt auch fast ein Loch in den Kopf gerannt; aber nur nicht einsch�chtern lassen! Na? Immer noch auf demselben Fleck? Wir m�ssen hinauf, sie hat's befohlen."

Heidi ging nun die Treppe hinauf, aber langsam und leise und gar nicht, wie sonst seine Art war. Das tat dem Sebastian Leid zu sehen; er ging hinter dem Heidi her und sprach ermutigende Worte zu ihm: "Nur nicht abgeben! Nur nicht traurig werden! Nur immer tapfer darauf zu! Wir haben ja ein ganz vern�nftiges Mamsellchen, hat noch gar nie geweint, seit es bei uns ist; sonst weinen sie ja zw�lfmal im Tag in dem Alter, das kennt man. Die K�tzchen sind auch lustig droben, die springen auf dem ganzen Estrich herum und tun wie n�rrisch. Nachher gehen wir mal zusammen hinauf und schauen ihnen zu, wenn die Dame drinnen weg ist, ja?"

Heidi nickte ein wenig mit dem Kopf, aber so freudlos, dass es dem Sebastian recht zu Herzen ging und er ganz teilnehmend dem Heidi nachschaute, wie es nach seinem Zimmer hin schlich.

Am Abendessen heute sagte Fr�ulein Rottenmeier kein Wort, aber fortw�hrend warf sie sonderbar wachsame Blicke zu Heidi hin�ber, so als erwartete sie, es k�nnte pl�tzlich etwas Unerh�rtes unternehmen; aber Heidi sa� m�uschenstill am Tisch und r�hrte sich nicht, es a� nicht und trank nicht; nur sein Br�tchen hatte es schnell in die Tasche gesteckt.

Am folgenden Morgen, als der Herr Kandidat die Treppe heraufkam, winkte ihn Fr�ulein Rottenmeier geheimnisvoll ins Esszimmer herein, und hier teilte sie ihm in gro�er Aufregung ihre Besorgnis mit, die Luftver�nderung, die neue Lebensart und die ungewohnten Eindr�cke h�tten das Kind um den Verstand gebracht, und sie erz�hlte ihm von Heidis Fluchtversuch und wiederholte ihm von seinen sonderbaren Reden, was sie noch wusste. Aber der Herr Kandidat bes�nftigte und beruhigte Fr�ulein Rottenmeier, indem er sie versicherte, dass er die Wahrnehmung gemacht habe, die Adelheid sei zwar einerseits allerdings eher exzentrisch, aber anderseits doch wieder bei richtigem Verstand, so dass sich nach und nach bei einer allseitig erwogenen Behandlung das n�tige Gleichgewicht einstellen k�nne, was er im Auge habe; er finde den Umstand wichtiger, dass er durchaus nicht �ber das Abc hinauskomme mit ihr, indem sie die Buchstaben nicht zu fassen imstande sei.

Fr�ulein Rottenmeier f�hlte sich beruhigter und entlie� den Herrn Kandidaten zu seiner Arbeit. Am sp�teren Nachmittag stieg ihr die Erinnerung an Heidis Aufzug bei seiner vorgehabten Abreise auf, und sie beschloss, die Gewandung des Kindes durch verschiedene Kleidungsst�cke der Klara in den n�tigen Stand zu setzen, bevor Herr Sesemann erscheinen w�rde. Sie teilte ihre Gedanken dar�ber an Klara mit, und da diese mit allem einverstanden war und dem Heidi eine Menge Kleider und T�cher und H�te schenken wollte, verf�gte sich die Dame in Heidis Zimmer, um seinen Kleiderschrank zu besehen und zu untersuchen, was da von dem Vorhandenen bleiben und was entfernt werden solle. Aber in wenig Minuten kam sie wieder zur�ck mit Geb�rden des Abscheus. "Was muss ich entdecken, Adelheid!", rief sie aus. "Es ist nie dagewesen! In deinem Kleiderschrank, einem Schrank f�r Kleider, Adelheid, im Fu� dieses Schrankes, was finde ich? Einen Haufen kleiner Brote! Brot, sage ich, Klara, im Kleiderschrank! Und einen solchen Haufen aufspeichern!"--"Tinette", rief sie jetzt ins Esszimmer hinaus, "schaffen Sie mir das alte Brot fort aus dem Schrank der Adelheid und den zerdr�ckten Strohhut auf dem Tisch!"

"Nein! Nein!", schrie Heidi auf; "ich muss den Hut haben, und die Br�tchen sind f�r die Gro�mutter", und Heidi wollte der Tinette nachst�rzen, aber es wurde von Fr�ulein Rottenmeier festgehalten.

"Du bleibst hier und der Kram wird hingebracht, wo er hingeh�rt", sagte sie bestimmt und hielt das Kind zur�ck. Aber nun warf sich Heidi an Klaras Sessel nieder und fing ganz verzweiflungsvoll zu weinen an, immer lauter und schmerzlicher, und schluchzte ein Mal ums andere in seinem Jammer auf: "Nun hat die Gro�mutter keine Br�tchen mehr. Sie waren f�r die Gro�mutter, nun sind sie alle fort und die Gro�mutter bekommt keine!", und Heidi weinte auf, als wollte ihm das Herz zerspringen. Fr�ulein Rottenmeier lief hinaus. Klara wurde es angst und bange bei dem Jammer. "Heidi, Heidi, weine nur nicht so", sagte sie bittend, "h�r mich nur! Jammere nur nicht so, sieh, ich verspreche dir, ich gebe dir gerade so viel Br�tchen f�r die Gro�mutter, oder noch mehr, wenn du einmal heimgehst, und dann sind diese frisch und weich, und die deinen w�ren ja ganz hart geworden und waren es schon. Komm, Heidi, weine nur nicht mehr so!"

Heidi konnte noch lange nicht aus seinem Schluchzen herauskommen; aber es verstand Klaras Trost und hielt sich daran, sonst h�tte es gar nicht mehr zu weinen aufh�ren k�nnen. Es musste auch noch mehrere Male seiner Hoffnung gewiss werden und Klara, durch die letzten Anf�lle von Schluchzen unterbrochen, fragen: "Gibst du mir so viele, viele, wie ich hatte, f�r die Gro�mutter?"

Und Klara versicherte immer wieder: "Gewiss, ganz gewiss, noch mehr, sei nur wieder froh!"

Noch zum Abendtisch kam Heidi mit den rot verweinten Augen, und als es sein Br�tchen erblickte, musste es gleich noch einmal aufschluchzen. Aber es bezwang sich jetzt mit Gewalt, denn es verstand, dass es sich am Tisch ruhig verhalten musste. Sebastian machte heute jedes Mal die merkw�rdigsten Geb�rden, wenn er in Heidis N�he kam; er deutete bald auf seinen, bald auf Heidis Kopf, dann nickte er wieder und kniff die Augen zu, so als wollte er sagen: "Nur getrost! Ich hab's schon gemerkt und besorgt."

Als Heidi sp�ter in sein Zimmer kam und in sein Bett steigen wollte, lag sein zerdr�cktes Strohh�tchen unter der Decke versteckt. Mit Entz�cken zog es den alten Hut hervor, zerdr�ckte ihn vor lauter Freude noch ein wenig mehr und versteckte ihn dann, in ein Taschent�chlein eingewickelt, in die allerhinterste Ecke seines Schrankes. Das H�tchen hatte der Sebastian unter die Decke gesteckt; er war zu gleicher Zeit mit Tinette im Esszimmer gewesen, als diese gerufen wurde, und hatte Heidis Jammerruf vernommen. Dann war er Tinette nachgegangen, und als sie aus Heidis Zimmer heraustrat mit ihrer Brotlast und dem H�tchen oben darauf, hatte er schnell dieses weggenommen und ihr zugerufen: "Das will ich schon forttun." Darauf hatte er es in aller Freude f�r Heidi gerettet, was er ihm beim Abendessen zur Erheiterung andeuten wollte.




Der Hausherr h�rt allerlei in seinem Hause,
das er noch nicht geh�rt hat

Einige Tage nach diesen Ereignissen war im Hause Sesemann gro�e Lebendigkeit und ein eifriges Treppauf- und Treppabrennen, denn eben war der Hausherr von seiner Reise zur�ckgekehrt, und aus dem bepackten Wagen wurde von Sebastian und Tinette eine Last nach der anderen hinaufgetragen, denn Herr Sesemann brachte immer eine Menge sch�ner Sachen mit nach Hause.

Er selbst war vor allem in das Zimmer seiner Tochter eingetreten, um sie zu begr��en. Heidi sa� bei ihr, denn es war die Zeit des sp�ten Nachmittags, da die beiden immer zusammen waren. Klara begr��te ihren Vater mit gro�er Z�rtlichkeit, denn sie liebte ihn sehr, und der gute Papa gr��te sein Kl�rchen nicht weniger liebevoll. Dann streckte er seine Hand dem Heidi entgegen, das sich leise in eine Ecke zur�ckgezogen hatte, und sagte freundlich: "Und das ist unsre kleine Schweizerin; komm her, gib mir mal eine Hand! So ist's recht! Nun sag mir mal, seid ihr auch gute Freunde zusammen, Klara und du? Nicht zanken und b�se werden, und dann weinen und dann vers�hnen, und dann wieder von vorn anfangen, nun?"

"Nein, Klara ist immer gut mit mir", entgegnete Heidi.

"Und Heidi hat auch noch gar nie versucht zu zanken, Papa", warf Klara schnell ein.

"So ist's gut, das h�r ich gern", sagte der Papa, indem er aufstand. "Nun musst du aber erlauben, Kl�rchen, dass ich etwas genie�e; heute habe ich noch nichts bekommen. Nachher komm ich wieder zu dir und du sollst sehen, was ich mitgebracht habe!"

Herr Sesemann trat ins Esszimmer ein, wo Fr�ulein Rottenmeier den Tisch �berschaute, der f�r sein Mittagsmahl ger�stet war. Nachdem Herr Sesemann sich niedergelassen und die Dame ihm gegen�ber Platz genommen hatte und aussah wie ein lebendiges Missgeschick, wandte sich der Hausherr zu ihr: "Aber Fr�ulein Rottenmeier, was muss ich denken? Sie haben zu meinem Empfang ein wahrhaft erschreckendes Gesicht aufgesetzt. Wo fehlt es denn? Kl�rchen ist ganz munter."

"Herr Sesemann", begann die Dame mit gewichtigem Ernst, "Klara ist mit betroffen, wir sind f�rchterlich get�uscht worden."

"Wieso?", fragte Herr Sesemann und trank in aller Ruhe einen Schluck Wein.

"Wir hatten ja beschlossen, wie Sie wissen, Herr Sesemann, eine Gespielin f�r Klara ins Haus zu nehmen, und da ich ja wei�, wie sehr Sie darauf halten, dass nur Gutes und Edles Ihre Tochter umgebe, hatte ich meinen Sinn auf ein junges Schweizerm�dchen gerichtet, indem ich hoffte, eines jener Wesen bei uns eintreten zu sehen, von denen ich schon so oft gelesen, welche, der reinen Bergluft entsprossen, sozusagen, ohne die Erde zu ber�hren, durch das Leben gehen."

"Ich glaube zwar", bemerkte hier Herr Sesemann, "dass auch die Schweizerkinder den Erdboden ber�hren, wenn sie vorw�rts kommen wollen; sonst w�ren ihnen wohl Fl�gel gewachsen statt der F��e."

"Ach, Herr Sesemann, Sie verstehen mich wohl", fuhr das Fr�ulein fort; "Ich meinte eine jener so bekannten, in den hohen, reinen Bergregionen lebenden Gestalten, die nur wie ein idealer Hauch an uns vor�berziehen."

"Was sollte aber meine Klara mit einem idealen Hauch anfangen, Fr�ulein Rottenmeier?"

"Nein, Herr Sesemann, ich scherze nicht, die Sache ist mir ernster, als Sie denken; ich bin schrecklich, wirklich ganz schrecklich get�uscht worden."

"Aber worin liegt denn das Schreckliche? So gar erschrecklich sieht mir das Kind nicht aus", bemerkte ruhig Herr Sesemann.

"Sie sollten nur (eines) wissen, Herr Sesemann, nur das (eine), mit was f�r Menschen und Tieren dieses Wesen Ihr Haus in Ihrer Abwesenheit bev�lkert hat; davon k�nnte der Herr Kandidat erz�hlen."

"Mit Tieren? Wie muss ich das verstehen, Fr�ulein Rottenmeier?"

"Es ist eben nicht zu verstehen; die ganze Auff�hrung dieses Wesens w�re nicht zu verstehen, wenn nicht aus dem (einen) Punkte, dass es Anf�lle von v�lliger Verstandesgest�rtheit hat."

Bis hierher hatte Herr Sesemann die Sache nicht f�r wichtig gehalten; aber Gest�rtheit des Verstandes? Eine solche konnte ja f�r seine Tochter die bedenklichsten Folgen haben. Herr Sesemann schaute Fr�ulein Rottenmeier sehr genau an, so, als wollte er sich erst versichern, ob nicht etwa bei ihr eine derartige St�rung zu bemerken sei. In diesem Augenblick wurde die T�r aufgetan und der Herr Kandidat angemeldet.

"Ah, da kommt unser Herr Kandidat, der wird uns Aufschluss geben!", rief ihm Herr Sesemann entgegen. "Kommen Sie, kommen Sie, setzen Sie sich zu mir!" Herr Sesemann streckte dem Eintretenden die Hand entgegen. "Der Herr Kandidat trinkt eine Tasse schwarzen Kaffee mit mir, Fr�ulein Rottenmeier! Setzen Sie sich, setzen Sie sich-- keine Komplimente! Und nun sagen Sie mir, Herr Kandidat, was ist mit dem Kinde, das als Gespielin meiner Tochter ins Haus gekommen ist und das Sie unterrichten. Was hat es f�r eine Bewandtnis mit den Tieren, die es ins Haus gebracht, und wie steht es mit seinem Verstand?"

Der Herr Kandidat musste erst seine Freude �ber Herrn Sesemanns gl�ckliche R�ckkehr aussprechen und ihn willkommen hei�en, weswegen er ja gekommen war; aber Herr Sesemann dr�ngte ihn, dass er ihm Aufschluss gebe �ber die fraglichen Punkte. So begann denn der Herr Kandidat: "Wenn ich mich �ber das Wesen dieses jungen M�dchens aussprechen soll, Herr Sesemann, so m�chte ich vor allem darauf aufmerksam machen, dass, wenn auch auf der einen Seite sich ein Mangel der Entwicklung, welcher durch eine mehr oder weniger vernachl�ssigte Erziehung, oder besser gesagt, etwas versp�teten Unterricht verursacht und durch die mehr oder weniger, jedoch durchaus nicht in jeder Beziehung zu verurteilende, im Gegenteil ihre guten Seiten unstreitig dartuende Abgeschiedenheit eines l�ngeren Alpenaufenthalts, welcher, wenn er nicht eine gewisse Dauer �berschreitet, ja ohne Zweifel seine gute Seite--"

"Mein lieber Herr Kandidat", unterbrach hier Herr Sesemann, "Sie geben sich wirklich zu viel M�he; sagen Sie mir, hat auch Ihnen das Kind einen Schrecken beigebracht durch eingeschleppte Tiere, und was halten Sie �berhaupt von diesem Umgang f�r mein T�chterchen?"

"Ich m�chte dem jungen M�dchen in keiner Art zu nahe treten", begann der Herr Kandidat wieder, "denn wenn es auch auf der einen Seite in einer Art von gesellschaftlicher Unerfahrenheit, welche mit dem mehr oder weniger unkultivierten Leben, in welchem das junge M�dchen bis zu dem Augenblick seiner Versetzung nach Frankfurt sich bewegte, welche Versetzung allerdings in die Entwicklung dieses, ich m�chte sagen noch v�llig, wenigstens teilweise unentwickelten, aber anderseits mit nicht zu verachtenden Anlagen begabten und wenn allseitig umsichtig geleitet--"

"Entschuldigen Sie, Herr Kandidat, bitte, lassen Sie sich nicht st�ren, ich werde--ich muss schnell einmal nach meiner Tochter sehen." Damit lief Herr Sesemann zur T�r hinaus und kam nicht wieder. Dr�ben im Studierzimmer setzte er sich zu seinem T�chterchen hin; Heidi war aufgestanden. Herr Sesemann wandte sich nach dem Kinde um: "H�r mal, Kleine, hol mir doch schnell--wart einmal--hol mir mal"--(Herr Sesemann wusste nicht recht, was er bedurfte, Heidi sollte aber ein wenig ausgeschickt werden)--"hol mir doch mal ein Glas Wasser."

"Frisches?", fragte Heidi.

"Jawohl! Jawohl! Recht frisches!", gab Herr Sesemann zur�ck. Heidi verschwand.

"Nun, mein liebes Kl�rchen", sagte der Papa, indem er ganz nah an sein T�chterchen heranr�ckte und dessen Hand in die seinige legte, "sag du mir klar und fasslich: Was f�r Tiere hat diese deine Gespielin ins Haus gebracht und warum muss Fr�ulein Rottenmeier denken, sie sei zeitweise nicht ganz recht im Kopf; kannst du mir das sagen?"

Das konnte Klara, denn die erschrockene Dame hatte auch ihr von Heidis sich verwirrenden Reden gesprochen, die aber f�r Klara alle einen Sinn hatten. Sie erz�hlte erst dem Vater die Geschichten von der Schildkr�te und den jungen Katzen und erkl�rte ihm dann Heidis Reden, welche die Dame so erschreckt hatten. Jetzt lachte Herr Sesemann herzlich. "So willst du nicht, dass ich das Kind nach Haus schicke, Kl�rchen, du bist seiner nicht m�de?", fragte der Vater.

"Nein, nein, Papa, tu nur das nicht!", rief Klara abwehrend aus. "Seit Heidi da ist, begegnet immer etwas, jeden Tag, und es ist so kurzweilig, ganz anders als vorher, da begegnete nie etwas, und Heidi erz�hlt mir auch so viel."

"Schon gut, schon gut, Kl�rchen, da kommt ja auch deine Freundin schon wieder. Na, sch�nes, frisches Wasser geholt?", fragte Herr Sesemann, da ihm Heidi nun ein Glas Wasser hinstreckte.

"Ja, frisch vom Brunnen", antwortete Heidi.

"Du bist doch nicht selbst zum Brunnen gelaufen, Heidi?", sagte Klara.

"Doch gewiss, es ist ganz frisch, aber ich musste weit gehen, denn am ersten Brunnen waren so viele Leute. Da ging ich die Stra�e ganz hinab, aber beim zweiten waren wieder so viele Leute; da ging ich in die andere Stra�e hinein und dort nahm ich Wasser, und der Herr mit den wei�en Haaren l�sst Herrn Sesemann freundlich gr��en."

"Na, die Expedition ist gut", lachte Herr Sesemann, "und wer ist denn der Herr?"

"Er kam beim Brunnen vorbei und dann stand er still und sagte: 'Weil du doch ein Glas hast, so gib mir auch einmal zu trinken; wem bringst du dein Glas Wasser?' Und ich sagte: 'Herrn Sesemann.' Da lachte er sehr stark, und dann sagte er den Gru� und auch noch, Herr Sesemann solle sich's schmecken lassen."

"So, und wer l�sst mir denn wohl den guten Wunsch sagen? Wie sah der Herr denn weiter aus?", fragte Herr Sesemann.

"Er lacht freundlich und hat eine dicke goldene Kette und ein goldenes Ding h�ngt daran mit einem gro�en roten Stein und auf seinem Stock ist ein Rosskopf."

"Das ist der Herr Doktor"--"Das ist mein alter Doktor", sagten Klara und ihr Vater wie aus einem Munde, und Herr Sesemann lachte noch ein wenig in sich hinein im Gedanken an seinen Freund und dessen Betrachtungen �ber diese neue Weise, seinen Wasserbedarf sich zuf�hren zu lassen.

Noch an demselben Abend erkl�rte Herr Sesemann, als er allein mit Fr�ulein Rottenmeier im Esszimmer sa�, um allerlei h�usliche Angelegenheiten mit ihr zu besprechen, die Gespielin seiner Tochter werde im Hause bleiben; er finde, das Kind sei in einem normalen Zustand, und seine Gesellschaft sei seiner Tochter sehr lieb und angenehmer als jede andere. "Ich w�nsche daher", setzte Herr Sesemann sehr bestimmt hinzu, "dass dieses Kind jederzeit durchaus freundlich behandelt und seine Eigent�mlichkeiten nicht als Vergehen betrachtet werden. Sollten Sie �brigens mit dem Kinde nicht allein fertig werden, Fr�ulein Rottenmeier, so ist ja eine gute Hilfe f�r Sie in Aussicht, da in n�chster Zeit meine Mutter zu ihrem l�ngeren Aufenthalt in mein Haus kommt, und meine Mutter wird mit jedem Menschen fertig, wie er sich auch anstelle, das wissen Sie ja wohl, Fr�ulein Rottenmeier?"

"Jawohl, das wei� ich, Herr Sesemann", entgegnete die Dame, aber nicht mit dem Ausdruck der Erleichterung im Hinblick auf die angezeigte Hilfe.--

Herr Sesemann hatte diesmal nur eine kurze Zeit Ruhe zu Hause, schon nach vierzehn Tagen riefen ihn seine Gesch�fte wieder nach Paris, und er tr�stete sein T�chterchen, das mit der nahen Abreise nicht einverstanden war, mit der Aussicht auf die baldige Ankunft der Gro�mama, die schon nach einigen Tagen erwartet werden konnte.

Kaum war auch Herr Sesemann abgereist, als schon der Brief anlangte, der die Abreise der Frau Sesemann aus Holstein, wo sie auf einem alten Gute wohnte, anzeigte und die bestimmte Zeit ihrer Ankunft auf den folgenden Tag meldete, damit der Wagen nach dem Bahnhof geschickt w�rde, um sie abzuholen.

Klara war voller Freude �ber die Nachricht und erz�hlte noch an demselben Abend dem Heidi so viel und so lange von der Gro�mama, dass Heidi auch anfing, von der 'Gro�mama' zu reden, worauf Fr�ulein Rottenmeier Heidi mit Missbilligung anblickte, was aber das Kind auf nichts Besonderes bezog, denn es f�hlte sich unter fortdauernder Missbilligung der Dame. Als es sich dann sp�ter entfernte, um in sein Schlafzimmer zu gehen, berief Fr�ulein Rottenmeier es erst in das ihrige herein und erkl�rte ihm hier, es habe niemals den Namen 'Gro�mama' anzuwenden, sondern wenn Frau Sesemann nun da sei, habe es sie stets 'gn�dige Frau' anzureden. "Verstehst du das?", fragte die Dame, als Heidi sie etwas zweifelhaft ansah; sie gab ihm aber einen so abschlie�enden Blick zur�ck, dass Heidi sich keine Erkl�rung mehr erbat, obschon es den Titel nicht verstanden hatte.




Eine Gro�mama

Am folgenden Abend waren gro�e Erwartungen und lebhafte Vorbereitungen im Hause Sesemann sichtbar, man konnte deutlich bemerken, dass die erwartete Dame ein bedeutendes Wort im Hause mitzusprechen hatte und dass jedermann gro�en Respekt vor ihr empfand. Tinette hatte ein ganz neues, wei�es Deckelchen auf den Kopf gesetzt, und Sebastian raffte eine Menge von Schemeln zusammen und stellte sie an alle passenden Stellen hin, damit die Dame gleich einen Schemel unter den F��en finde, wohin sie sich auch setzen m�ge. Fr�ulein Rottenmeier ging zur Musterung der Dinge sehr aufrecht durch die Zimmer, so wie um anzudeuten, dass, wenn auch eine zweite Herrschermacht herannahe, die ihrige dennoch nicht am Erl�schen sei.

Jetzt rollte der Wagen vor das Haus, und Sebastian und Tinette st�rzten die Treppe hinunter; langsam und w�rdevoll folgte Fr�ulein Rottenmeier nach, denn sie wusste, dass auch sie zum Empfang der Frau Sesemann zu erscheinen hatte. Heidi war beordert worden, sich in sein Zimmer zur�ckzuziehen und da zu warten, bis es gerufen w�rde, denn die Gro�mutter w�rde zuerst bei Klara eintreten und diese wohl allein sehen wollen. Heidi setzte sich in einen Winkel und repetierte seine Anrede. Es w�hrte gar nicht lange, so steckte die Tinette den Kopf ein klein wenig unter Heidis Zimmert�r und sagte kurz angebunden wie immer: "Hin�bergehen ins Studierzimmer!"

Heidi hatte Fr�ulein Rottenmeier nicht fragen d�rfen, wie es mit der Anrede sei, aber es dachte, die Dame habe sich nur versprochen, denn es hatte bis jetzt immer erst den Titel nennen geh�rt und nachher den Namen; so hatte es sich nun die Sache zurechtgelegt. Wie es die T�r zum Studierzimmer aufmachte, rief ihm die Gro�mutter mit freundlicher Stimme entgegen: "Ah, da kommt ja das Kind! Komm mal her zu mir und lass dich recht ansehen."

Heidi trat heran, und mit seiner klaren Stimme sagte es sehr deutlich: "Guten Tag, Frau Gn�dige."

"Warum nicht gar!", lachte die Gro�mama. "Sagt man so bei euch? Hast du das daheim auf der Alp geh�rt?"

"Nein, bei uns hei�t niemand so", erkl�rte Heidi ernsthaft.

"So, bei uns auch nicht", lachte die Gro�mama wieder und klopfte Heidi freundlich auf die Wange. "Das ist nichts! In der Kinderstube bin ich die Gro�mama; so sollst du mich nennen, das kannst du wohl behalten, wie?"

"Ja, das kann ich gut", versicherte Heidi, "vorher hab ich schon immer so gesagt."

"So, so, verstehe schon!", sagte die Gro�mama und nickte ganz lustig mit dem Kopfe. Dann schaute sie Heidi genau an und nickte von Zeit zu Zeit wieder mit dem Kopf, und Heidi guckte ihr auch ganz ernsthaft in die Augen, denn da kam etwas so Herzliches heraus, dass es dem Heidi ganz wohl machte, und die ganze Gro�mama gefiel dem Heidi so, dass es sie unverwandt anschauen musste. Sie hatte so sch�ne wei�e Haare, und um den Kopf ging eine sch�ne Spitzenkrause, und zwei breite B�nder flatterten von der Haube weg und bewegten sich immer irgendwie, so als ob stets ein leichter Wind um die Gro�mama wehe, was das Heidi ganz besonders anmutete.

"Und wie hei�t du, Kind?", fragte jetzt die Gro�mama.

"Ich hei�e nur Heidi; aber weil ich soll Adelheid hei�en, so will ich schon Acht geben--"; Heidi stockte, denn es f�hlte sich ein wenig schuldig, da es noch immer keine Antwort gab, wenn Fr�ulein Rottenmeier unversehens rief: "Adelheid!", indem es ihm noch immer nicht recht gegenw�rtig war, dass dies sein Name sei, und Fr�ulein Rottenmeier war eben ins Zimmer getreten.

"Frau Sesemann wird unstreitig billigen", fiel hier die eben Eingetretene ein, "dass ich einen Namen w�hlen musste, den man doch aussprechen kann, ohne sich selbst genieren zu m�ssen, schon um der Dienstboten willen."

"Werteste Rottenmeier", entgegnete Frau Sesemann, "wenn ein Mensch einmal 'Heidi' hei�t und an den Namen gew�hnt ist, so nenn ich ihn so, und dabei bleibt's!"

Es war Fr�ulein Rottenmeier sehr genierlich, dass die alte Dame sie best�ndig nur bei ihrem Namen nannte, ohne weitere Titulatur; aber da war nichts zu machen; die Gro�mama hatte einmal ihre eigenen Wege, und diese ging sie, da half kein Mittel dagegen. Auch ihre f�nf Sinne hatte die Gro�mama noch ganz scharf und gesund, und sie bemerkte, was im Hause vorging, sobald sie es betreten hatte.

Als am Tage nach ihrer Ankunft Klara sich zur gewohnten Zeit nach Tisch niederlegte, setzte die Gro�mama sich neben sie auf einen Lehnstuhl und schloss ihre Augen f�r einige Minuten; dann stand sie schon wieder auf--denn sie war gleich wieder munter--und trat ins Esszimmer hinaus; da war niemand. "Die schl�ft", sagte sie vor sich hin, ging dann nach dem Zimmer der Dame Rottenmeier und klopfte kr�ftig an die T�r. Nach einiger Zeit erschien diese und fuhr erschrocken ein wenig zur�ck bei dem unerwarteten Besuch.

"Wo h�lt sich das Kind auf um diese Zeit, und was tut es? Das wollte ich wissen", sagte Frau Sesemann.

"In seinem Zimmer sitzt es, wo es sich n�tzlich besch�ftigen k�nnte, wenn es den leisesten T�tigkeitstrieb h�tte; aber Frau Sesemann sollte nur wissen, was f�r verkehrtes Zeug sich dieses Wesen oft ausdenkt und wirklich ausf�hrt, Dinge, die ich in gebildeter Gesellschaft kaum erz�hlen k�nnte."

"Das w�rde ich gerade auch tun, wenn ich so da drinnen s��e wie dieses Kind, das kann ich Ihnen sagen, und Sie k�nnten zusehen, wie Sie mein Zeug in gebildeter Gesellschaft erz�hlen wollten! Jetzt holen Sie mir das Kind heraus und bringen Sie mir's in meine Stube, ich will ihm einige h�bsche B�cher geben, die ich mitgebracht habe."

"Das ist ja gerade das Ungl�ck, das ist es ja eben!", rief Fr�ulein Rottenmeier aus und schlug die H�nde zusammen. "Was sollte das Kind mit B�chern tun? In all dieser Zeit hat es noch nicht einmal das Abc erlernt; es ist v�llig unm�glich, diesem Wesen auch nur (einen) Begriff beizubringen, davon kann der Herr Kandidat reden! Wenn dieser treffliche Mensch nicht die Geduld eines himmlischen Engels bes��e, er h�tte diesen Unterricht l�ngst aufgegeben."

"So, das ist merkw�rdig, das Kind sieht nicht aus wie eines, das das Abc nicht erlernen kann", sagte Frau Sesemann. "Jetzt holen Sie mir's her�ber, es kann vorl�ufig die Bilder in den B�chern ansehen."

Fr�ulein Rottenmeier wollte noch einiges bemerken, aber Frau Sesemann hatte sich schon umgewandt und ging rasch ihrem Zimmer zu. Sie musste sich sehr verwundern �ber die Nachricht von Heidis Beschr�nktheit und gedachte, die Sache zu untersuchen, jedoch nicht mit dem Herrn Kandidaten, den sie zwar um seines guten Charakters willen sehr sch�tzte; sie gr��te ihn auch immer, wenn sie mit ihm zusammentraf, �beraus freundlich, lief dann aber sehr schnell auf eine andere Seite, um nicht in ein Gespr�ch mit ihm verwickelt zu werden, denn seine Ausdrucksweise war ihr ein wenig beschwerlich.

Heidi erschien im Zimmer der Gro�mama und machte die Augen weit auf, als es die pr�chtigen bunten Bilder in den gro�en B�chern sah, welche die Gro�mama mitgebracht hatte. Auf einmal schrie Heidi laut auf, als die Gro�mama wieder ein Blatt umgewandt hatte; mit gl�hendem Blick schaute es auf die Figuren, dann st�rzten ihm pl�tzlich die hellen Tr�nen aus den Augen, und es fing gewaltig zu schluchzen an. Die Gro�mama schaute das Bild an. Es war eine sch�ne, gr�ne Weide, wo allerlei Tierlein herumweideten und an den gr�nen Geb�schen nagten. In der Mitte stand der Hirt, auf einen langen Stab gest�tzt, der schaute den fr�hlichen Tierchen zu. Alles war wie in Goldschimmer gemalt, denn hinten am Horizont war eben die Sonne im Untergehen.

Die Gro�mama nahm Heidi bei der Hand. "Komm, komm, Kind", sagte sie in freundlichster Weise, "nicht weinen, nicht weinen. Das hat dich wohl an etwas erinnert; aber sieh, da ist auch eine sch�ne Geschichte dazu, die erz�hl ich heut Abend. Und da sind noch so viele sch�ne Geschichten in dem Buch, die kann man alle lesen und wieder erz�hlen. Komm, nun m�ssen wir etwas besprechen zusammen, trockne sch�n deine Tr�nen, so, und nun stell dich hier vor mich hin, dass ich dich recht ansehen kann; so ist's recht, nun sind wir wieder fr�hlich."

Aber noch verging einige Zeit, bevor Heidi zu schluchzen aufh�ren konnte. Die Gro�mama lie� ihm auch eine gute Weile zur Erholung, nur sagte sie von Zeit zu Zeit ermunternd: "So, nun ist's gut, nun sind wir wieder froh zusammen."

Als sie endlich das Kind beruhigt sah, sagte sie: "Nun musst du mir was erz�hlen, Kind! Wie geht es denn beim Herrn Kandidaten in den Unterrichtsstunden, lernst du auch gut und kannst du was?"

"O nein", antwortete Heidi seufzend; "aber ich wusste schon, dass man es nicht lernen kann."

"Was kann man denn nicht lernen, Heidi, was meinst du?"

"Lesen kann man nicht lernen, es ist zu schwer."

"Das w�re! Und woher wei�t du denn diese Neuigkeit?"

"Der Peter hat es mir gesagt und er wei� es schon, der muss immer wieder probieren, aber er kann es nie lernen, es ist zu schwer."

"So, das ist mir ein eigener Peter, der! Aber sieh, Heidi, man muss nicht alles nur so hinnehmen, was einem ein Peter sagt, man muss selbst probieren. Gewiss hast du nicht recht mit all deinen Gedanken dem Herrn Kandidaten zugeh�rt und seine Buchstaben angesehen."

"Es n�tzt nichts", versicherte Heidi mit dem Ton der vollen Ergebung in das Unab�nderliche.

"Heidi", sagte nun die Gro�mama, "jetzt will ich dir etwas sagen: Du hast noch nie lesen gelernt, weil du deinem Peter geglaubt hast; nun aber sollst du mir glauben, und ich sage dir fest und sicher, dass du in kurzer Zeit lesen lernen kannst, wie eine gro�e Menge von Kindern, die geartet sind wie du und nicht wie der Peter. Und nun musst du wissen, was nachher kommt, wenn du dann lesen kannst-- du hast den Hirten gesehen auf der sch�nen, gr�nen Weide--; sobald du nun lesen kannst, bekommst du das Buch, da kannst du seine ganze Geschichte vernehmen, ganz so, als ob sie dir jemand erz�hlte, alles, was er macht mit seinen Schafen und Ziegen und was ihm f�r merkw�rdige Dinge begegnen. Das m�chtest du schon wissen, Heidi, nicht?"

Heidi hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugeh�rt, und mit leuchtenden Augen sagte es jetzt, tief Atem holend: "Oh, wenn ich nur schon lesen k�nnte!"

"Jetzt wird's kommen, und gar nicht lange wird's w�hren, das kann ich schon sehen, Heidi, und nun m�ssen wir mal nach der Klara sehen; komm, die sch�nen B�cher nehmen wir mit." Damit nahm die Gro�mama Heidi bei der Hand und ging mit ihm nach dem Studierzimmer.

Seit dem Tage, da Heidi hatte heimgehen wollen und Fr�ulein Rottenmeier es auf der Treppe ausgescholten und ihm gesagt hatte, wie schlecht und undankbar es sich erweise durch sein Fortlaufenwollen und wie gut es sei, dass Herr Sesemann nichts davon wisse, war mit dem Kinde eine Ver�nderung vorgegangen. Es hatte begriffen, dass es nicht heimgehen k�nne, wenn es wolle, wie ihm die Base gesagt hatte, sondern dass es in Frankfurt zu bleiben habe, lange, lange, vielleicht f�r immer. Es hatte auch verstanden, dass Herr Sesemann es sehr undankbar von ihm finden w�rde, wenn es heimgehen wollte, und es dachte sich aus, dass die Gro�mama und Klara auch so denken w�rden. So durfte es keinem Menschen sagen, dass es heimgehen m�chte, denn dass die Gro�mama, die so freundlich mit ihm war, auch b�se w�rde, wie Fr�ulein Rottenmeier geworden war, das wollte Heidi nicht verursachen. Aber in seinem Herzen wurde die Last, die darinnen lag, immer schwerer; es konnte nicht mehr essen, und jeden Tag wurde es ein wenig bleicher. Am Abend konnte es oft lange, lange nicht einschlafen, denn sobald es allein war und alles still ringsumher, kam ihm alles so lebendig vor die Augen, die Alm und der Sonnenschein darauf und die Blumen; und schlief es endlich doch ein, so sah es im Traum die roten Felsenspitzen am Falknis und das feurige Schneefeld an der Schesaplana, und erwachte dann Heidi am Morgen und wollte voller Freude hinausspringen aus der H�tte--da war es auf einmal in seinem gro�en Bett in Frankfurt, so weit, weit weg, und konnte nicht mehr heim. Dann dr�ckte Heidi oft seinen Kopf in das Kissen und weinte lang, ganz leise, dass niemand es h�re.

Heidis freudloser Zustand entging der Gro�mama nicht. Sie lie� einige Tage vor�bergehen und sah zu, ob die Sache sich �ndere und das Kind sein niedergeschlagenes Wesen verlieren w�rde. Als es aber gleich blieb und die Gro�mama manchmal am fr�hen Morgen schon sehen konnte, dass Heidi geweint hatte, da nahm sie eines Tages das Kind wieder in ihre Stube, stellte es vor sich hin und sagte mit gro�er Freundlichkeit: "Jetzt sag mir, was dir fehlt, Heidi; hast du einen Kummer?"

Aber gerade dieser freundlichen Gro�mama wollte Heidi nicht sich so undankbar zeigen, dass sie vielleicht nachher gar nicht mehr so freundlich w�re; so sagte Heidi traurig: "Man kann es nicht sagen."

"Nicht? Kann man es etwa der Klara sagen?", fragte die Gro�mama.

"O nein, keinem Menschen", versicherte Heidi und sah dabei so ungl�cklich aus, dass es die Gro�mama erbarmte.

"Komm, Kind", sagte sie, "ich will dir was sagen: Wenn man einen Kummer hat, den man keinem Menschen sagen kann, so klagt man ihn dem lieben Gott im Himmel und bittet ihn, dass er helfe, denn er kann allem Leid abhelfen, das uns dr�ckt. Das verstehst du, nicht wahr? Du betest doch jeden Abend zum lieben Gott im Himmel und dankst ihm f�r alles Gute und bittest ihn, dass er dich vor allem B�sen beh�te?"

"O nein, das tu ich nie", antwortete das Kind.

"Hast du denn gar nie gebetet, Heidi, wei�t du nicht, was das ist?"

"Nur mit der ersten Gro�mutter habe ich gebetet, aber es ist schon lang, und jetzt habe ich es vergessen."

"Siehst du, Heidi, darum musst du so traurig sein, weil du jetzt gar niemanden kennst, der dir helfen kann. Denk einmal nach, wie wohl das tun muss, wenn einen im Herzen etwas immerfort dr�ckt und qu�lt und man kann so jeden Augenblick zum lieben Gott hingehen und ihm alles sagen und ihn bitten, dass er helfe, wo uns sonst gar niemand helfen kann! Und er kann �berall helfen und uns geben, was uns wieder froh macht."

Durch Heidis Augen fuhr ein Freudenstrahl: "Darf man ihm alles, alles sagen?"

"Alles, Heidi, alles."

Das Kind zog seine Hand aus den H�nden der Gro�mama und sagte eilig: "Kann ich gehen?"

"Gewiss! Gewiss!", gab diese zur Antwort, und Heidi lief davon und hin�ber in sein Zimmer, und hier setzte es sich auf seinen Schemel nieder und faltete seine H�nde und sagte dem lieben Gott alles, was in seinem Herzen war und es so traurig machte, und bat ihn dringend und herzlich, dass er ihm helfe und es wieder heimkommen lasse zum Gro�vater.--

Es mochte etwas mehr als eine Woche verflossen sein seit diesem Tage, als der Herr Kandidat begehrte, der Frau Sesemann seine Aufwartung zu machen, indem er eine Besprechung �ber einen merkw�rdigen Gegenstand mit der Dame abzuhalten gedachte. Er wurde auf ihre Stube berufen, und hier, wie er eintrat, streckte ihm Frau Sesemann sogleich freundlich die Hand entgegen: "Mein lieber Herr Kandidat, seien Sie mir willkommen! Setzen Sie sich her zu mir, hier"--sie r�ckte ihm den Stuhl zurecht. "So, nun sagen Sie mir, was bringt Sie zu mir; doch nichts Schlimmes, keine Klagen?"

"Im Gegenteil, gn�dige Frau", begann der Herr Kandidat; "es ist etwas vorgefallen, das ich nicht mehr erwarten konnte und keiner, der einen Blick in alles Vorhergegangene h�tte werfen k�nnen, denn nach allen Voraussetzungen musste angenommen werden, dass es eine v�llige Unm�glichkeit sein m�sse, was dennoch jetzt wirklich geschehen ist und in der wunderbarsten Weise stattgefunden hat, gleichsam im Gegensatz zu allem folgerichtig zu Erwartenden--"

"Sollte das Kind Heidi etwa lesen gelernt haben, Herr Kandidat?", setzte hier Frau Sesemann ein.

In sprachlosem Erstaunen schaute der �berraschte Herr die Dame an.

"Es ist ja wirklich v�llig wunderbar", sagte er endlich, "nicht nur, dass das junge M�dchen nach all meinen gr�ndlichen Erkl�rungen, und ungew�hnlichen Bem�hungen das Abc nicht erlernt hat, sondern auch und besonders, dass es jetzt in k�rzester Zeit, nachdem ich mich entschlossen hatte, das Unerreichbare aus den Augen zu lassen und ohne alle weiter greifenden Erl�uterungen nur noch sozusagen die nackten Buchstaben vor die Augen des jungen M�dchens zu bringen, sozusagen �ber Nacht das Lesen erfasst hat, und dann sogleich mit einer Korrektheit die Worte liest, wie mir bei Anf�ngern noch selten vorgekommen ist. Fast ebenso wunderbar ist mir die Wahrnehmung, dass die gn�dige Frau gerade diese fern liegende Tatsache als M�glichkeit vermutete."

"Es geschehen viele wunderbare Dinge im Menschenleben", best�tigte Frau Sesemann und l�chelte vergn�glich; "es k�nnen auch einmal zwei Dinge gl�cklich zusammentreffen, wie ein neuer Lerneifer und eine neue Lehrmethode, und beide k�nnen nichts schaden, Herr Kandidat. Jetzt wollen wir uns freuen, dass das Kind so weit ist, und auf guten Fortgang hoffen."

Damit begleitete sie den Herrn Kandidaten zur T�r hinaus und ging rasch nach dem Studierzimmer, um sich selbst der erfreulichen Nachricht zu versichern. Richtig sa� hier Heidi neben Klara und las dieser eine Geschichte vor, sichtlich selbst mit dem gr��ten Erstaunen und mit einem wachsenden Eifer in die neue Welt eindringend, die ihm aufgegangen war, nun ihm mit einem Mal aus den schwarzen Buchstaben Menschen und Dinge entgegentraten und Leben gewannen und zu herzbewegenden Geschichten wurden. Noch am selben Abend, als man sich zu Tische setzte, fand Heidi auf seinem Teller das gro�e Buch liegen mit den sch�nen Bildern, und als es fragend nach der Gro�mama blickte, sagte diese freundlich nickend: "Ja, ja, nun geh�rt es dir."

"F�r immer? Auch wenn ich heimgehe?", fragte Heidi ganz rot vor Freude.

"Gewiss, f�r immer!", versicherte die Gro�mama; "morgen fangen wir an zu lesen."

"Aber du gehst nicht heim, noch viele Jahre nicht, Heidi", warf Klara hier ein; "wenn nun die Gro�mama wieder fortgeht, dann musst du erst recht bei mir bleiben."

Noch vor dem Schlafengehen musste Heidi in seinem Zimmer sein sch�nes Buch ansehen, und von dem Tage an war es sein Liebstes, �ber seinem Buch zu sitzen und immer wieder die Geschichten zu lesen, zu denen die sch�nen bunten Bilder geh�rten. Sagte am Abend die Gro�mama: "Nun liest uns Heidi vor", so war das Kind sehr begl�ckt, denn das Lesen ging ihm nun ganz leicht, und wenn es die Geschichten laut vorlas, so kamen sie ihm noch viel sch�ner und verst�ndlicher vor, und die Gro�mama erkl�rte dann noch so vieles und erz�hlte immer noch mehr dazu. Am liebsten beschaute Heidi immer wieder seine gr�ne Weide und den Hirten mitten unter der Herde, wie er so vergn�glich, auf seinen langen Stab gelehnt, dastand, denn da war er noch bei der sch�nen Herde des Vaters und ging nur den lustigen Sch�fchen und Ziegen nach, weil es ihn freute. Aber dann kam das Bild, wo er, vom Vaterhaus weggelaufen, nun in der Fremde war und die Schweinchen h�ten musste und ganz mager geworden war bei den Trebern, die er allein noch zu essen bekam. Und auf dem Bilde schien auch die Sonne nicht mehr so golden, da war das Land grau und nebelig. Aber dann kam noch ein Bild zu der Geschichte: Da kam der alte Vater mit ausgebreiteten Armen aus dem Hause heraus und lief dem heimkehrenden reuigen Sohn entgegen, um ihn zu empfangen, der ganz furchtsam und abgemagert in einem zerrissenen Wams daherkam. Das war Heidis Lieblingsgeschichte, die es immer wieder las, laut und leise, und es konnte nie genug der Erkl�rungen bekommen, welche die Gro�mama den Kindern dazu machte. Da waren aber noch so viele sch�ne Geschichten in dem Buch, und bei dem Lesen derselben und dem Bilderbesehen gingen die Tage sehr schnell dahin, und schon nahte die Zeit heran, welche die Gro�mama zu ihrer Abreise bestimmt hatte.




Heidi nimmt auf einer Seite zu und auf der anderen ab

Die Gro�mama hatte w�hrend der ganzen Zeit ihres Aufenthalts jeden Nachmittag, wenn Klara sich hinlegte und Fr�ulein Rottenmeier, wahrscheinlich der Ruhe bed�rftig, geheimnisvoll verschwand, sich einen Augenblick neben Klara hingesetzt; aber schon nach f�nf Minuten war sie wieder auf den F��en und hatte dann immer Heidi auf ihre Stube berufen, sich mit ihm besprochen und es auf allerlei Weise besch�ftigt und unterhalten. Die Gro�mama hatte h�bsche kleine Puppen und zeigte dem Heidi, wie man ihnen Kleider und Sch�rzchen macht, und ganz unvermerkt hatte Heidi das N�hen erlernt und machte den kleinen Frauenzimmern die sch�nsten R�cke und M�ntelchen, denn die Gro�mama hatte immer Zeugst�cke von den pr�chtigsten Farben. Nun Heidi lesen konnte, durfte es auch immer wieder der Gro�mama seine Geschichten vorlesen; das machte ihm die gr��te Freude, denn je mehr es seine Geschichten las, desto lieber wurden sie ihm, denn Heidi lebte alles ganz mit durch, was die Leute alle zu erleben hatten, und so hatte es zu ihnen allen ein sehr nahes Verh�ltnis und freute sich immer wieder, bei ihnen zu sein. Aber so recht froh sah Heidi nie aus, und seine lustigen Augen waren nie mehr zu sehen.

Es war die letzte Woche, welche die Gro�mama in Frankfurt zubringen wollte. Sie hatte eben nach Heidi gerufen, dass es auf ihre Stube komme; es war die Zeit, da Klara schlief. Als Heidi eintrat mit seinem gro�en Buch unter dem Arm, winkte ihm die Gro�mama, dass es ganz nahe zu ihr herankomme, legte das Buch weg und sagte: "Nun komm, Kind, und sag mir, warum bist du nicht fr�hlich? Hast du immer noch denselben Kummer im Herzen?"

"Ja", nickte Heidi.

"Hast du ihn dem lieben Gott geklagt?"

"Ja."

"Und betest du nun alle Tage, dass alles gut werde und er dich froh mache?"

"O nein, ich bete jetzt gar nie mehr."

"Was sagst du mir, Heidi? Was muss ich h�ren? Warum betest du denn nicht mehr?"

"Es n�tzt nichts, der liebe Gott hat nicht zugeh�rt, und ich glaube es auch wohl", fuhr Heidi in einiger Aufregung weiter, "wenn nun am Abend so viele, viele Leute in Frankfurt alle miteinander beten, so kann der liebe Gott ja nicht auf alle Acht geben, und mich hat er gewiss gar nicht geh�rt."

"So, wie wei�t du denn das so sicher, Heidi?"

"Ich habe alle Tage das Gleiche gebetet, manche Woche lang, und der liebe Gott hat es nie getan."

"Ja, so geht's nicht zu, Heidi! Das musst du nicht meinen! Siehst du, der liebe Gott ist f�r uns alle ein guter Vater, der immer wei�, was gut f�r uns ist, wenn wir es gar nicht wissen. Wenn wir aber nun etwas von ihm haben wollen, das nicht gut f�r uns ist, so gibt er uns das nicht, sondern etwas viel Besseres, wenn wir fortfahren, so recht herzlich zu ihm zu beten, aber nicht gleich weglaufen und alles Vertrauen zu ihm verlieren. Siehst du, was du nun von ihm erbitten wolltest, das war in diesem Augenblick nicht gut f�r dich; der liebe Gott hat dich schon geh�rt, er kann alle Menschen auf einmal anh�ren und �bersehen, siehst du, daf�r ist er der liebe Gott und nicht ein Mensch wie du und ich. Und weil er nun wohl wusste, was f�r dich gut ist, dachte er bei sich: 'Ja, das Heidi soll schon einmal haben, wof�r es bittet, aber erst dann, wenn es ihm gut ist, und so wie es dar�ber recht froh werden kann. Denn wenn ich jetzt tue, was es will, und es merkt nachher, dass es doch besser gewesen w�re, ich h�tte ihm seinen Willen nicht getan, dann weint es nachher und sagt: H�tte mir doch der liebe Gott nur nicht gegeben, wof�r ich bat, es ist gar nicht so gut, wie ich gemeint habe.' Und w�hrend nun der liebe Gott auf dich niedersah, ob du ihm auch recht vertrautest und t�glich zu ihm kommest und betest und immer zu ihm aufsehest, wenn dir etwas fehlt, da bist du weggelaufen ohne alles Vertrauen, hast nie mehr gebetet und hast den lieben Gott ganz vergessen. Aber siehst du, wenn einer es so macht und der liebe Gott h�rt seine Stimme gar nie mehr unter den Betenden, so vergisst er ihn auch und l�sst ihn gehen, wohin er will. Wenn es ihm dabei aber schlecht geht und er jammert: 'Mir hilft aber auch gar niemand!', dann hat keiner Mitleiden mit ihm, sondern jeder sagt zu ihm: 'Du bist ja selbst vom lieben Gott weggelaufen, der dir helfen konnte!' Willst du's so haben, Heidi, oder willst du gleich wieder zum lieben Gott gehen und ihn um Verzeihung bitten, dass du so von ihm weggelaufen bist, und dann alle Tage zu ihm beten und ihm vertrauen, dass er alles gut f�r dich machen werde, so dass du auch wieder ein frohes Herz bekommen kannst?"

Heidi hatte sehr aufmerksam zugeh�rt; jedes Wort der Gro�mama fiel in sein Herz, denn zu ihr hatte das Kind ein unbedingtes Vertrauen.

"Ich will jetzt gleich auf der Stelle gehen und den lieben Gott um Verzeihung bitten, und ich will ihn nie mehr vergessen", sagte Heidi reum�tig.

"So ist's recht, Kind, er wird dir auch helfen zur rechten Zeit, sei nur getrost!", ermunterte die Gro�mama, und Heidi lief sofort in sein Zimmer hin�ber und betete ernstlich und reuig zum lieben Gott und bat ihn, dass er es doch nicht vergessen und auch wieder zu ihm niederschauen m�ge.--

Der Tag der Abreise war gekommen, es war f�r Klara und Heidi ein trauriger Tag; aber die Gro�mama wusste es so einzurichten, dass sie gar nicht zum Bewusstsein kamen, dass es eigentlich ein trauriger Tag sei, sondern es war eher wie ein Festtag, bis die gute Gro�mama im Wagen davonfuhr. Da trat eine Leere und Stille im Hause ein, als w�re alles vor�ber, und solange noch der Tag w�hrte, sa�en Klara und Heidi wie verloren da und wussten gar nicht, wie es nun weiter kommen sollte.

Am folgenden Tag, als die Unterrichtsstunden vorbei und die Zeit da war, da die Kinder gew�hnlich zusammensa�en, trat Heidi mit seinem Buch unter dem Arm herein und sagte: "Ich will dir nun immer, immer vorlesen; willst du, Klara?"

Der Klara war der Vorschlag recht f�r einmal, und Heidi machte sich mit Eifer an seine T�tigkeit. Aber es ging nicht lange, so h�rte schon wieder alles auf, denn kaum hatte Heidi eine Geschichte zu lesen begonnen, die von einer sterbenden Gro�mutter handelte, als es auf einmal laut aufschrie: "Oh, nun ist die Gro�mutter tot!", und in ein jammervolles Weinen ausbrach, denn alles, was es las, war dem Heidi volle Gegenwart, und es glaubte nicht anders, als nun sei die Gro�mutter auf der Alm gestorben, und es klagte in immer lauterem Weinen: "Nun ist die Gro�mutter tot, und ich kann nie mehr zu ihr gehen, und sie hat nicht ein einziges Br�tchen mehr bekommen! "

Klara suchte immerfort dem Heidi zu erkl�ren, dass es ja nicht die Gro�mutter auf der Alm sei, sondern eine ganz andere, von der diese Geschichte handle; aber auch, als sie endlich dazu gekommen war, dem aufgeregten Heidi diese Verwechslung klar zu machen, konnte es sich doch nicht beruhigen und weinte immer noch untr�stlich weiter, denn der Gedanke war ihm nun im Herzen erwacht, die Gro�mutter k�nne ja sterben, w�hrend es so weit weg sei, und der Gro�vater auch noch, und wenn es dann nach einiger Zeit wieder heimkomme, so sei alles still und tot auf der Alm und es stehe ganz allein da und k�nne niemals mehr die sehen, die ihm lieb waren.

W�hrenddessen war Fr�ulein Rottenmeier ins Zimmer getreten und hatte noch Klaras Bem�hungen, Heidi �ber seinen Irrtum aufzukl�ren, mit angeh�rt. Als das Kind aber immer noch nicht aufh�ren konnte zu schluchzen, trat sie mit sichtlichen Zeichen der Ungeduld zu den Kindern heran und sagte mit bestimmtem Ton: "Adelheid, nun ist des grundlosen Geschreis genug! Ich will dir eines sagen: Wenn du noch ein einziges Mal beim Lesen deiner Geschichten solchen Ausbr�chen den Lauf l�sst, so nehme ich das Buch aus deinen H�nden und f�r immer!"

Das machte Eindruck. Heidi wurde ganz wei� vor Schrecken, das Buch war sein h�chster Schatz. Es trocknete in gr��ter Eile seine Tr�nen und schluckte und w�rgte sein Schluchzen mit Gewalt hinunter, so dass kein T�nchen mehr laut wurde. Das Mittel hatte geholfen, Heidi weinte nie mehr, was es auch lesen mochte; aber manchmal hatte es solche Anstrengungen zu machen, um sich zu �berwinden und nicht aufzuschreien, dass Klara �fter ganz erstaunt sagte: "Heidi, du machst so schreckliche Grimassen, wie ich noch nie gesehen habe. " Aber die Grimassen machten keinen L�rm und fielen der Dame Rottenmeier nicht auf, und wenn Heidi seinen Anfall von verzweiflungsvoller Traurigkeit niedergerungen hatte, kam alles wieder ins Geleise f�r einige Zeit und war tonlos vor�bergegangen. Aber seinen Appetit verlor Heidi so sehr und sah so mager und bleich aus, dass der Sebastian fast nicht ertragen konnte, das so mit anzusehen und Zeuge sein zu m�ssen, wie Heidi bei Tisch die sch�nsten Gerichte an sich vor�bergehen lie� und nichts essen wollte. Er fl�sterte ihm auch �fter ermunternd zu, wenn er ihm eine Sch�ssel hinhielt: "Nehmen von dem, Mamsellchen, 's ist vortrefflich. Nicht so! Einen rechten L�ffel voll, noch einen!", und dergleichen v�terlicher R�te mehr; aber es half nichts: Heidi a� fast gar nicht mehr, und wenn es sich am Abend auf sein Kissen legte, so hatte es augenblicklich alles vor Augen, was daheim war, und nur ganz leise weinte es dann vor Sehnsucht in sein Kissen hinein, so dass es gar niemand h�ren konnte.

So ging eine lange Zeit dahin. Heidi wusste gar nie, ob es Sommer oder Winter sei, denn die Mauern und Fenster, die es aus allen Fenstern des Hauses Sesemann erblickte, sahen immer gleich aus, und hinaus kam es nur, wenn es Klara besonders gut ging und eine Ausfahrt im Wagen mit ihr gemacht werden konnte, die aber immer sehr kurz war, denn Klara konnte nicht vertragen, lang zu fahren. So kam man kaum aus den Mauern und Steinstra�en heraus, sondern kehrte gew�hnlich vorher wieder um und fuhr immerfort durch gro�e, sch�ne Stra�en, wo H�user und Menschen in F�lle zu sehen waren, aber nicht Gras und Blumen, keine Tannen und keine Berge, und Heidis Verlangen nach dem Anblick der sch�nen gewohnten Dinge steigerte sich mit jedem Tage mehr, so dass es jetzt nur den Namen eines dieser Erinnerung weckenden Worte zu lesen brauchte, so war schon ein Ausbruch des Schmerzes nahe, und Heidi hatte mit aller Gewalt dagegen zu ringen. So waren Herbst und Winter vergangen, und schon blendete die Sonne wieder so stark auf die wei�en Mauern am Hause gegen�ber, dass Heidi ahnte, nun sei die Zeit nahe, da der Peter wieder zur Alm f�hre mit den Gei�en, da die goldenen Cystusr�schen glitzerten droben im Sonnenschein und allabendlich ringsum alle Berge im Feuer st�nden. Heidi setzte sich in seinem einsamen Zimmer in einen Winkel und hielt sich mit beiden H�nden die Augen zu, dass es den Sonnenschein dr�ben an der Mauer nicht sehe; und so sa� es regungslos, sein brennendes Heimweh lautlos niederk�mpfend, bis Klara wieder nach ihm rief.




Im Hause Sesemann spukt's

Seit einigen Tagen wanderte Fr�ulein Rottenmeier meistens schweigend und in sich gekehrt im Haus herum. Wenn sie um die Zeit der D�mmerung von einem Zimmer ins andere oder �ber den langen Korridor ging, schaute sie �fters um sich, gegen die Ecken hin und auch schnell einmal hinter sich, so, als denke sie, es k�nnte jemand leise hinter ihr herkommen und sie unversehens am Rock zupfen. So allein ging sie aber nur noch in den bewohnten R�umen herum. Hatte sie auf dem oberen Boden, wo die feierlich aufger�steten Gastzimmer lagen, oder gar in den unteren R�umen etwas zu besorgen, wo der gro�e geheimnisvolle Saal war, in dem jeder Tritt einen weithin schallenden Widerhall gab und die alten Ratsherren mit den gro�en, wei�en Kragen so ernsthaft und unverwandt auf einen niederschauten, da rief sie nun regelm��ig die Tinette herbei und sagte ihr, sie habe mitzukommen, im Fall etwas von dort herauf- oder von oben herunterzutragen w�re. Tinette ihrerseits machte es p�nktlich ebenso; hatte sie oben oder unten irgendein Gesch�ft abzutun, so rief sie den Sebastian herbei und sagte ihm, er habe sie zu begleiten, es m�chte etwas herbeizubringen sein, das sie nicht allein tragen k�nnte. Wunderbarerweise tat auch Sebastian akkurat dasselbe; wurde er in die abgelegenen R�ume geschickt, so holte er den Johann herauf und wies ihn an, ihn zu begleiten, im Fall er nicht herbeischaffen k�nnte, was erforderlich sei. Und jedes folgte immer ganz willig dem Ruf, obschon eigentlich nie etwas herbeizutragen war, so dass jedes gut h�tte allein gehen k�nnen; aber es war so, als denke der Herbeigerufene immer bei sich, er k�nne den anderen auch bald f�r denselben Dienst n�tig haben. W�hrend sich solches oben zutrug, stand unten die langj�hrige K�chin tiefsinnig bei ihren T�pfen und sch�ttelte den Kopf und seufzte: "Dass ich das noch erleben musste!"

Es ging im Hause Sesemann seit einiger Zeit etwas ganz Seltsames und Unheimliches vor. Jeden Morgen, wenn die Dienerschaft herunterkam, stand die Haust�r weit offen; aber weit und breit war niemand zu sehen, der mit dieser Erscheinung im Zusammenhang stehen konnte. In den ersten Tagen, da dies geschehen war, wurden gleich mit Schrecken alle Zimmer und R�ume des Hauses durchsucht, um zu sehen, was alles gestohlen sei, denn man dachte, ein Dieb habe sich im Hause verstecken k�nnen und sei in der Nacht mit dem Gestohlenen entflohen; aber da war gar nichts fortgekommen, es fehlte im ganzen Hause nicht ein einziges Ding. Abends wurde nicht nur die T�r doppelt zugeriegelt, sondern es wurde noch der h�lzerne Balken vorgeschoben--es half nichts: Am Morgen stand die T�r weit offen; und so fr�h nun auch die ganze Dienerschaft in ihrer Aufregung am Morgen herunterkommen mochte--die T�r stand offen, wenn auch ringsum alles noch im tiefen Schlaf lag und Fenster und T�ren an allen anderen H�usern noch fest verrammelt waren. Endlich fassten sich der Johann und der Sebastian ein Herz und machten sich auf die dringenden Zureden der Dame Rottenmeier bereit, die Nacht unten in dem Zimmer, das an den gro�en Saal stie�, zuzubringen und zu erwarten, was geschehe. Fr�ulein Rottenmeier suchte mehrere Waffen des Herrn Sesemann hervor und �bergab dem Sebastian eine gro�e Liqueurflasche, damit St�rkung vorausgehen und gute Wehr nachfolgen k�nne, wo sie n�tig sei.

Die beiden setzten sich an dem festgesetzten Abend hin und fingen gleich an, sich St�rkung zuzutrinken, was sie erst sehr gespr�chig und dann ziemlich schl�frig machte, worauf sie beide sich an die Sesselr�cken lehnten und verstummten. Als die alte Turmuhr dr�ben zw�lf schlug, ermannte sich Sebastian und rief seinen Kameraden an; der war aber nicht leicht zu erwecken; sooft ihn Sebastian anrief, legte er seinen Kopf von einer Seite der Sessellehne auf die andere und schlief weiter. Sebastian lauschte nunmehr gespannt, er war nun wieder ganz munter geworden. Es war alles m�uschenstill, auch von der Stra�e war kein Laut mehr zu h�ren. Sebastian entschlief nicht wieder, denn jetzt wurde es ihm sehr unheimlich in der gro�en Stille, und er rief den Johann nur noch mit ged�mpfter Stimme an und r�ttelte ihn von Zeit zu Zeit ein wenig. Endlich, als es droben schon ein Uhr geschlagen hatte, war der Johann wach geworden und wieder zum klaren Bewusstsein gekommen, warum er auf dem Stuhl sitze und nicht in seinem Bett liege. Jetzt fuhr er auf einmal sehr tapfer empor und rief: "Nun, Sebastian, wir m�ssen doch einmal hinaus und sehen, wie's steht; du wirst dich ja nicht f�rchten. Nur mir nach."

Johann machte die leicht angelehnte Zimmert�r weit auf und trat hinaus. Im gleichen Augenblick blies aus der offenen Haust�r ein scharfer Luftzug her und l�schte das Licht aus, das der Johann in der Hand hielt. Dieser st�rzte zur�ck, warf den hinter ihm stehenden Sebastian beinah r�cklings ins Zimmer hinein, riss ihn dann mit, schlug die T�r zu und drehte in fieberhafter Eile den Schl�ssel um, solang er nur umging. Dann riss er seine Streichh�lzer hervor und z�ndete sein Licht wieder an. Sebastian wusste gar nicht recht, was vorgefallen war, denn hinter dem breiten Johann stehend, hatte er den Luftzug nicht so deutlich empfunden. Wie er aber jenen nun bei Licht besah, tat er einen Schreckensruf, denn der Johann war kreidewei� und zitterte wie Espenlaub. "Was ist's denn? Was war denn drau�en?", fragte der Sebastian teilnehmend.

"Sperrangelweit offen die T�r", keuchte Johann, "und auf der Treppe eine wei�e Gestalt, siehst du, Sebastian, nur so die Treppe hinauf-- husch und verschwunden."

Dem Sebastian gruselte es den ganzen R�cken hinauf. Jetzt setzten sich die beiden ganz nah zusammen und regten sich nicht mehr, bis dass der neue Morgen da war und es auf der Stra�e anfing, lebendig zu werden. Dann traten sie zusammen hinaus, machten die weit offen stehende Haust�r zu und stiegen dann hinauf, um Fr�ulein Rottenmeier Bericht zu erstatten �ber das Erlebte. Die Dame war auch schon zu sprechen, denn die Erwartung der zu vernehmenden Dinge hatte sie nicht mehr schlafen lassen. Sobald sie nun vernommen hatte, was vorgefallen war, setzte sie sich hin und schrieb einen Brief an Herrn Sesemann, wie er noch keinen erhalten hatte; er m�ge sich nur sogleich, ohne Verzug, aufmachen und nach Hause zur�ckkehren, denn da gesch�hen unerh�rte Dinge. Dann wurde ihm das Vorgefallene mitgeteilt sowie auch die Nachricht, dass fortgesetzt die T�r jeden Morgen offen stehe; dass also keiner im Hause seines Lebens mehr sicher sei bei dergestalt alln�chtlich offen stehender Hauspforte und dass man �berhaupt nicht absehen k�nne, was f�r dunkle Folgen dieser unheimliche Vorgang noch nach sich ziehen k�nne. Herr Sesemann antwortete umgehend, es sei ihm unm�glich, so pl�tzlich alles liegen zu lassen und nach Hause zu kommen. Die Gespenstergeschichte sei ihm sehr befremdend, er hoffe auch, sie sei vor�bergehend; sollte es indessen keine Ruhe geben, so m�ge Fr�ulein Rottenmeier an Frau Sesemann schreiben und sie fragen, ob sie nicht nach Frankfurt zu Hilfe kommen wollte; gewiss w�rde seine Mutter in k�rzester Zeit mit den Gespenstern fertig, und diese trauten sich nachher sicher so bald nicht wieder, sein Haus zu beunruhigen. Fr�ulein Rottenmeier war nicht zufrieden mit dem Ton dieses Briefes; die Sache war ihr zu wenig ernst aufgefasst. Sie schrieb unverz�glich an Frau Sesemann, aber von dieser Seite her t�nte es nicht eben befriedigender, und die Antwort enthielt einige ganz anz�gliche Bemerkungen. Frau Sesemann schrieb, sie gedenke nicht, extra von Holstein nach Frankfurt hinunterzureisen, weil die Rottenmeier Gespenster sehe. �brigens sei niemals ein Gespenst gesehen worden im Hause Sesemann, und wenn jetzt eines darin herumfahre, so k�nne es nur ein lebendiges sein, mit dem die Rottenmeier sich sollte verst�ndigen k�nnen; wo nicht, so solle sie die Nachtw�chter zu Hilfe rufen.

Aber Fr�ulein Rottenmeier war entschlossen, ihre Tage nicht mehr in Schrecken zuzubringen, und sie wusste sich zu helfen. Bis dahin hatte sie den beiden Kindern nichts von der Geistererscheinung gesagt, denn sie bef�rchtete, die Kinder w�rden vor Furcht Tag und Nacht keinen Augenblick mehr allein bleiben wollen, und das konnte sehr unbequeme Folgen f�r sie haben. Jetzt ging sie stracks ins Studierzimmer hin�ber, wo die beiden zusammensa�en, und erz�hlte mit ged�mpfter Stimme von den n�chtlichen Erscheinungen eines Unbekannten. Sofort schrie Klara auf, sie bleibe keinen Augenblick mehr allein, der Papa m�sse nach Hause kommen und Fr�ulein Rottenmeier m�sse zum Schlafen in ihr Zimmer hin�berziehen, und Heidi d�rfe auch nicht mehr allein sein, sonst k�nne das Gespenst einmal zu ihm kommen und ihm etwas tun; sie wollten alle in (einem) Zimmer schlafen und die ganze Nacht das Licht brennen lassen, und Tinette m�sste nebenan schlafen und der Sebastian und der Johann m�ssten auch herunterkommen und auf dem Korridor schlafen, dass sie gleich schreien und das Gespenst erschrecken k�nnten, wenn es etwa die Treppe heraufkommen wollte. Klara war sehr aufgeregt und Fr�ulein Rottenmeier hatte nun die gr��te M�he, sie etwas zu beschwichtigen. Sie versprach ihr, sogleich an den Papa zu schreiben und auch ihr Bett in Klaras Zimmer stellen und sie nie mehr allein lassen zu wollen. Alle konnten sie nicht in demselben Raume schlafen, aber wenn Adelheid sich auch f�rchten sollte, so m�sste Tinette ihr Nachtlager bei ihr aufschlagen. Aber Heidi f�rchtete sich mehr vor der Tinette als vor Gespenstern, von denen das Kind noch gar nie etwas geh�rt hatte, und es erkl�rte gleich, es f�rchte das Gespenst nicht und wolle schon allein in seinem Zimmer bleiben. Hierauf eilte Fr�ulein Rottenmeier an ihren Schreibtisch und schrieb an Herrn Sesemann, die unheimlichen Vorg�nge im Hause, die alln�chtlich sich wiederholten, h�tten die zarte Konstitution seiner Tochter dergestalt ersch�ttert, dass die schlimmsten Folgen zu bef�rchten seien; man habe Beispiele von pl�tzlich eintretenden epileptischen Zuf�llen oder Veitstanz in solchen Verh�ltnissen, und seine Tochter sei allem ausgesetzt, wenn dieser Zustand des Schreckens im Hause nicht gehoben werde.

Das half. Zwei Tage darauf stand Herr Sesemann vor seiner T�r und schellte dergestalt an seiner Hausglocke, dass alles zusammenlief und einer den anderen anstarrte, denn man glaubte nicht anders, als nun lasse der Geist frecherweise noch vor Nacht seine boshaften St�cke aus. Sebastian guckte ganz behutsam durch einen halb ge�ffneten Laden von oben herunter; in dem Augenblick schellte es noch einmal so nachdr�cklich, dass jeder unwillk�rlich eine Menschenhand hinter dem t�chtigen Ruck vermutete. Sebastian hatte die Hand erkannt, st�rzte durchs Zimmer, kopf�ber die Treppe hinunter, kam aber unten wieder auf die F��e und riss die Haust�r auf. Herr Sesemann gr��te kurz und stieg ohne weiteres nach dem Zimmer seiner Tochter hinauf. Klara empfing den Papa mit einem lauten Freudenruf, und als er sie so munter und v�llig unver�ndert sah, gl�ttete sich seine Stirn, die er vorher sehr zusammengezogen hatte, und immer mehr, als er nun von ihr selbst h�rte, sie sei so wohl wie immer und sie sei so froh, dass er gekommen sei, dass es ihr jetzt ganz recht sei, dass ein Geist im Haus herumfahre, weil er doch daran schuld sei, dass der Papa heimkommen musste.

"Und wie f�hrt sich das Gespenst weiter auf, Fr�ulein Rottenmeier?", fragte nun Herr Sesemann mit einem lustigen Ausdruck in den Mundwinkeln.

"Nein, Herr Sesemann", entgegnete die Dame ernst, "es ist kein Scherz. Ich zweifle nicht daran, dass morgen Herr Sesemann nicht mehr lachen wird; denn was in dem Hause vorgeht, deutet auf F�rchterliches, das hier in vergangener Zeit muss vorgegangen und verheimlicht worden sein."

"So, davon wei� ich nichts", bemerkte Herr Sesemann, "muss aber bitten, meine v�llig ehrenwerten Ahnen nicht verd�chtigen zu wollen. Und nun rufen Sie mir den Sebastian ins Esszimmer, ich will allein mit ihm reden."

Herr Sesemann ging hin�ber und Sebastian erschien. Es war Herrn Sesemann nicht entgangen, dass Sebastian und Fr�ulein Rottenmeier sich nicht eben mit Zuneigung betrachteten; so hatte er seine Gedanken.

"Komm Er her, Bursche", winkte er dem Eintretenden entgegen, "und sag Er mir nun ganz ehrlich: Hat Er nicht etwa selbst ein wenig Gespenst gespielt, so um Fr�ulein Rottenmeier etwas Kurzweil zu machen, he?"

"Nein, meiner Treu, das muss der gn�dige Herr nicht glauben; es ist mir selbst nicht ganz gem�tlich bei der Sache", entgegnete Sebastian mit unverkennbarer Ehrlichkeit.

"Nun, wenn es so steht, so will ich morgen Ihm und dem tapferen Johann zeigen, wie Gespenster beim Licht aussehen. Sch�me Er sich, Sebastian, ein junger, kr�ftiger Bursch, wie Er ist, vor Gespenstern davonzulaufen! Nun geh Er unverz�glich zu meinem alten Freund, Doktor Classen: meine Empfehlung und er m�chte unfehlbar heut Abend neun Uhr bei mir erscheinen; ich sei extra von Paris hergereist, um ihn zu konsultieren. Er m�sse die Nacht bei mir wachen, so schlimm sei's; er solle sich richten! Verstanden, Sebastian?"

"Jawohl, jawohl! Der gn�dige Herr kann sicher sein, dass ich's gut mache." Damit entfernte sich Sebastian, und Herr Sesemann kehrte zu seinem T�chterchen zur�ck, um ihr alle Furcht vor einer Erscheinung zu benehmen, die er noch heute ins n�tige Licht stellen wollte.

Punkt neun Uhr, als die Kinder zur Ruhe gegangen und auch Fr�ulein Rottenmeier sich zur�ckgezogen hatte, erschien der Doktor, der unter seinen grauen Haaren noch ein recht frisches Gesicht und zwei lebhaft und freundlich blickende Augen zeigte. Er sah etwas �ngstlich aus, brach aber gleich nach seiner Begr��ung in ein helles Lachen aus und sagte, seinem Freunde auf die Schulter klopfend: "Nun, nun, f�r einen, bei dem man wachen soll, siehst du noch leidlich aus, Alter."

"Nur Geduld, Alter", gab Herr Sesemann zur�ck; "derjenige, f�r den du wachen musst, wird schon schlimmer aussehen, wenn wir ihn erst abgefangen haben."

"Also doch ein Kranker im Haus und dazu einer, der eingefangen werden muss?"

"Weit schlimmer, Doktor, weit schlimmer. Ein Gespenst im Hause, bei mir spukt's!"

Der Doktor lachte laut auf.

"Sch�ne Teilnahme das, Doktor!", fuhr Herr Sesemann fort; "schade, dass meine Freundin Rottenmeier sie nicht genie�en kann. Sie ist fest �berzeugt, dass ein alter Sesemann hier herumrumort und Schauertaten abb��t."

"Wie hat sie ihn aber nur kennen gelernt?", fragte der Doktor noch immer sehr erheitert.

Herr Sesemann erz�hlte nun seinem Freunde den ganzen Vorgang und wie noch jetzt alln�chtlich die Haust�r ge�ffnet werde, nach der Angabe der s�mtlichen Hausbewohner, und f�gte hinzu, um f�r alle F�lle vorbereitet zu sein, habe er zwei gut geladene Revolver in das Wachtlokal legen lassen; denn entweder sei die Sache ein sehr unerw�nschter Scherz, den sich vielleicht irgendein Bekannter der Dienerschaft mache, um die Leute des Hauses in Abwesenheit des Hausherrn zu erschrecken--dann k�nnte ein kleiner Schrecken, wie ein guter Schuss ins Leere, ihm nicht unheilsam sein--; oder auch es handle sich um Diebe, die auf diese Weise erst den Gedanken an Gespenster aufkommen lassen wollten, um nachher umso sicherer zu sein, dass niemand sich herauswage--in diesem Falle k�nnte eine gute Waffe auch nicht schaden.

W�hrend dieser Erkl�rungen waren die Herren die Treppe hinuntergestiegen und traten in dasselbe Zimmer ein, wo Johann und Sebastian auch gewacht hatten. Auf dem Tische standen einige Flaschen sch�nen Weines, denn eine kleine St�rkung von Zeit zu Zeit konnte nicht unerw�nscht sein, wenn die Nacht da zugebracht werden musste. Daneben lagen die beiden Revolver, und zwei, ein helles Licht verbreitende Armleuchter standen mitten auf dem Tisch, denn so im Halbdunkel wollte Herr Sesemann das Gespenst denn doch nicht erwarten.

Nun wurde die T�r ans Schloss gelehnt, denn zu viel Licht durfte nicht in den Korridor hinausflie�en, es konnte das Gespenst verscheuchen. Jetzt setzten sich die Herren gem�tlich in ihre Lehnst�hle und fingen an, sich allerlei zu erz�hlen, nahmen auch hier und da dazwischen einen guten Schluck, und so schlug es zw�lf Uhr, eh sie sich's versahen.

"Das Gespenst hat uns gewittert und kommt wohl heut gar nicht", sagte der Doktor jetzt.

"Nur Geduld, es soll erst um ein Uhr kommen", entgegnete der Freund.

Das Gespr�ch wurde wieder aufgenommen. Es schlug ein Uhr. Ringsum war es v�llig still, auch auf den Stra�en war aller L�rm verklungen. Auf einmal hob der Doktor den Finger empor.

"Pst, Sesemann, h�rst du nichts?"

Sie lauschten beide. Leise, aber ganz deutlich h�rten sie, wie der Balken zur�ckgeschoben, dann der Schl�ssel zweimal im Schloss umgedreht, jetzt die T�r ge�ffnet wurde. Herr Sesemann fuhr mit der Hand nach seinem Revolver.

"Du f�rchtest dich doch nicht?", sagte der Doktor und stand auf.

"Behutsam ist besser", fl�sterte Herr Sesemann, erfasste mit der Linken den Armleuchter mit drei Kerzen, mit der Rechten den Revolver und folgte dem Doktor, der, gleicherma�en mit Leuchter und Schie�gewehr bewaffnet, voranging. Sie traten auf den Korridor hinaus.

Durch die weit ge�ffnete T�r floss ein bleicher Mondschein herein und beleuchtete eine wei�e Gestalt, die regungslos auf der Schwelle stand.

"Wer da?", donnerte jetzt der Doktor heraus, dass es durch den ganzen Korridor hallte, und beide Herren traten nun mit Lichtern und Waffen an die Gestalt heran. Sie kehrte sich um und tat einen leisen Schrei. Mit blo�en F��en im wei�en Nachtkleidchen stand Heidi da, schaute mit verwirrten Blicken in die hellen Flammen und auf die Waffen und zitterte und bebte wie ein Bl�ttlein im Winde von oben bis unten. Die Herren schauten einander in gro�em Erstaunen an.

"Ich glaube wahrhaftig, Sesemann, es ist deine kleine Wassertr�gerin", sagte der Doktor.

"Kind, was soll das hei�en?", fragte nun Herr Sesemann. "Was wolltest du tun? Warum bist du hier heruntergekommen?"

Schneewei� vor Schrecken stand Heidi vor ihm und sagte fast tonlos: "Ich wei� nicht."

Jetzt trat der Doktor vor: "Sesemann, der Fall geh�rt in mein Gebiet; geh, setz dich einstweilen in deinen Lehnstuhl drinnen, ich will vor allem das Kind hinbringen, wo es hingeh�rt."

Damit legte er seinen Revolver auf den Boden, nahm das zitternde Kind ganz v�terlich bei der Hand und ging mit ihm der Treppe zu.

"Nicht f�rchten, nicht f�rchten", sagte er freundlich im Hinaufsteigen, "nur ganz ruhig sein, da ist gar nichts Schlimmes dabei, nur getrost sein."

In Heidis Zimmer eingetreten, stellte der Doktor seinen Leuchter auf den Tisch, nahm Heidi auf den Arm, legte es in sein Bett hinein und deckte es sorgf�ltig zu. Dann setzte er sich auf den Sessel am Bett und wartete, bis Heidi ein wenig beruhigt war und nicht mehr an allen Gliedern bebte. Dann nahm er das Kind bei der Hand und sagte beg�tigend: "So, nun ist alles in Ordnung, nun sag mir auch noch, wo wolltest du denn hin?"

"Ich wollte gewiss nirgends hin", versicherte Heidi; "ich bin auch gar nicht selbst hinuntergegangen, ich war nur auf einmal da."

"So, so, und hast du etwa getr�umt in der Nacht, wei�t du, so, dass du deutlich etwas sahst und h�rtest?"

"Ja, jede Nacht tr�umt es mir und immer gleich. Dann mein ich, ich sei beim Gro�vater, und drau�en h�r ich's in den Tannen sausen und denke: Jetzt glitzern so sch�n die Sterne am Himmel, und ich laufe geschwind und mache die T�r auf an der H�tte und da ist's so sch�n! Aber wenn ich erwache, bin ich immer noch in Frankfurt." Heidi fing schon an zu k�mpfen und zu schlucken an dem Gewicht, das den Hals hinaufstieg.

"Hm, und tut dir denn auch nichts weh, nirgends? Nicht im Kopf oder im R�cken?"

"O nein, nur hier dr�ckt es so wie ein gro�er Stein immerfort."

"Hm, etwa so, wie wenn man etwas gegessen hat und wollte es nachher lieber wieder zur�ckgeben?"

"Nein, so nicht, aber so schwer, wie wenn man stark weinen sollte."

"So, so, und weinst du denn so recht heraus?"

"O nein, das darf man nicht, Fr�ulein Rottenmeier hat es verboten."

"Dann schluckst du's herunter zum andern, nicht wahr, so? Richtig! Nun, du bist doch recht gern in Frankfurt, nicht?"

"O ja", war die leise Antwort; sie klang aber so, als bedeute sie eher das Gegenteil.

"Hm, und wo hast du mit deinem Gro�vater gelebt?"

"Immer auf der Alm."

"So, da ist's doch nicht so besonders kurzweilig, eher ein wenig langweilig, nicht?"

"O nein, da ist's so sch�n, so sch�n!" Heidi konnte nicht weiter; die Erinnerung, die eben durchgemachte Aufregung, das lang verhaltene Weinen �berw�ltigten die Kr�fte des Kindes; gewaltsam st�rzten ihm die Tr�nen aus den Augen und es brach in ein lautes, heftiges Schluchzen aus.

Der Doktor stand auf; er legte freundlich Heidis Kopf auf das Kissen nieder und sagte: "So, noch ein klein wenig weinen, das kann nichts schaden, und dann schlafen, ganz fr�hlich einschlafen; morgen wird alles gut." Dann verlie� er das Zimmer.

Wieder unten in die Wachtstube eingetreten, lie� er sich dem harrenden Freunde gegen�ber in den Lehnstuhl nieder und erkl�rte dem mit gespannter Erwartung Lauschenden: "Sesemann, dein kleiner Sch�tzling ist erstens monds�chtig; v�llig unbewusst hat er dir alln�chtlich als Gespenst die Haust�r aufgemacht und deiner ganzen Mannschaft die Fieber des Schreckens ins Gebein gejagt. Zweitens wird das Kind vom Heimweh verzehrt, so dass es schon jetzt fast zum Geripplein abgemagert ist und es noch v�llig werden w�rde; also schnelle Hilfe! F�r das erste �bel und die in hohem Grade stattfindende Nervenaufregung gibt es nur ein Heilmittel, n�mlich, dass du sofort das Kind in die heimatliche Bergluft zur�ckversetzest; f�r das zweite gibt's ebenfalls nur (eine) Medizin, n�mlich ganz dieselbe. Demnach reist das Kind morgen ab, das ist mein Rezept."

Herr Sesemann war aufgestanden. In gr��ter Aufregung lief er das Zimmer auf und ab; jetzt brach er aus: "Monds�chtig! Krank! Heimweh! Abgemagert in meinem Hause! Das alles in meinem Hause! Und niemand sieht zu und wei� etwas davon! Und du, Doktor, du meinst, das Kind, das frisch und gesund in mein Haus gekommen ist, schicke ich elend und abgemagert seinem Gro�vater zur�ck? Nein, Doktor, das kannst du nicht verlangen, das tu ich nicht, das werde ich nie tun. Jetzt nimm das Kind in die Hand, mach Kuren mit ihm, mach, was du willst, aber mach es mir heil und gesund, dann will ich es heimschicken, wenn es will; aber erst hilf du!"

"Sesemann", entgegnete der Doktor ernsthaft, "bedenke, was du tust! Dieser Zustand ist keine Krankheit, die man mit Pulvern und Pillen heilt. Das Kind hat keine z�he Natur, indessen, wenn du es jetzt gleich wieder in die kr�ftige Bergluft hinaufschickst, an die es gew�hnt ist, so kann es wieder v�llig gesunden; wenn nicht--du willst nicht, dass das Kind dem Gro�vater unheilbar oder gar nicht mehr zur�ckkomme?"

Herr Sesemann war erschrocken stehen geblieben: "Ja, wenn du so redest, Doktor, dann ist nur (ein) Weg, dann muss sofort gehandelt werden." Mit diesen Worten nahm Herr Sesemann den Arm seines Freundes und wanderte mit ihm hin und her, um die Sache noch weiter zu besprechen. Dann brach der Doktor auf, um nach Hause zu gehen, denn es war unterdessen viel Zeit vergangen, und durch die Haust�r, die diesmal vom Herrn des Hauses aufgeschlossen wurde, drang schon der helle Morgenschimmer herein.




Am Sommerabend die Alm hinan

Herr Sesemann stieg in gro�er Erregtheit die Treppe hinauf und wanderte mit festem Schritt zum Schlafgemach der Dame Rottenmeier. Hier klopfte er so ungew�hnlich kr�ftig an die T�r, dass die Bewohnerin mit einem Schreckensruf aus dem Schlaf auffuhr. Sie h�rte die Stimme des Hausherrn drau�en: "Bitte sich zu beeilen und im Esszimmer zu erscheinen, es muss sofort eine Abreise vorbereitet werden."

Fr�ulein Rottenmeier schaute auf ihre Uhr, es war halb f�nf des Morgens; zu solcher Stunde war sie in ihrem Leben noch nie aufgestanden. Was konnte nur vorgefallen sein? Vor Neugierde und angstvoller Erwartung nahm sie alles verkehrt in die Hand und kam durchaus nicht vorw�rts, denn was sie einmal auf den Leib gebracht hatte, suchte sie nachher rastlos im Zimmer herum.

Unterdessen ging Herr Sesemann den Korridor entlang und zog mit aller Kraft an jedem Glockenzug, der je f�r die verschiedenen Glieder der Dienerschaft angebracht war, so dass in jedem der betreffenden Zimmer eine Schreckensgestalt aus dem Bett sprang und verkehrt in die Kleider fuhr, denn einer wie der andere dachte sogleich, das Gespenst habe irgendwie den Hausherrn gepackt und dies sei sein Hilferuf. So kamen sie nach und nach, einer schauerlicher aussehend als der andere, herunter und stellten sich mit Erstaunen vor den Hausherrn hin, denn dieser ging frisch und munter im Esszimmer auf und ab und sah keineswegs aus, als habe ihn ein Gespenst erschreckt. Johann wurde sofort hingeschickt, Pferde und Wagen in Ordnung zu bringen und sie nachher vorzuf�hren. Tinette erhielt den Auftrag, sogleich Heidi aufzuwecken und es in den Stand zu stellen, eine Reise anzutreten. Sebastian erhielt den Auftrag, nach dem Hause zu eilen, wo Heidis Base im Dienst stand, und diese herbeizuholen. Fr�ulein Rottenmeier war unterdessen zurechtgekommen mit ihrem Anzug, und alles sa�, wie es musste, nur die Haube sa� verkehrt auf dem Kopf, so dass es von weitem aussah, als sitze ihr das Gesicht auf dem R�cken. Herr Sesemann schrieb den r�tselhaften Anblick dem fr�hen Schlafbrechen zu und ging unverweilt an die Gesch�ftsverhandlungen. Er erkl�rte der Dame, sie habe ohne Z�gern einen Koffer zur Stelle zu schaffen, die s�mtliche Habe des Schweizerkindes hineinzupacken--so nannte Herr Sesemann gew�hnlich das Heidi, dessen Name ihm etwas ungewohnt war-- , dazu noch einen guten Teil von Klaras Zeug, damit das Kind was Rechtes mitbringe; es m�sse aber alles schnell und ohne langes Besinnen vor sich gehen.

Fr�ulein Rottenmeier blieb vor �berraschung wie in den Boden eingewurzelt stehen und starrte Herrn Sesemann an. Sie hatte erwartet, er wolle ihr im Vertrauen die Mitteilung einer schauerlichen Geistergeschichte machen, die er in der Nacht erlebt und die sie eben jetzt bei dem hellen Morgenlicht nicht ungern geh�rt h�tte; stattdessen diese v�llig prosaischen und dazu noch sehr unbequemen Auftr�ge. So schnell konnte sie das Unerwartete nicht bew�ltigen. Sprachlos stand sie immer noch da und erwartete ein Weiteres.

Aber Herr Sesemann hatte keine Erkl�rungen im Sinn; er lie� die Dame stehen, wo sie stand, und ging nach dem Zimmer seiner Tochter. Wie er vermutet hatte, war diese durch die ungew�hnliche Bewegung im Hause wach geworden und lauschte nach allen Seiten hin, was wohl vorgehe. Der Vater setzte sich nun an ihr Bett und erz�hlte ihr den ganzen Verlauf der Geistererscheinung und dass Heidi nach des Doktors Ausspruch sehr angegriffen sei und wohl nach und nach seine n�chtlichen Wanderungen ausdehnen, vielleicht gar das Dach besteigen w�rde, was dann mit den h�chsten Gefahren verbunden w�re. Er habe also beschlossen, das Kind sofort heimzuschicken, denn solche Verantwortung k�nne er nicht auf sich nehmen, und Klara m�sse sich dareinfinden, sie sehe ja ein, dass es nicht anders sein k�nne.

Klara war sehr schmerzlich �berrascht von der Mitteilung und wollte erst allerlei Auswege finden, aber es half nichts, der Vater blieb fest bei seinem Entschluss, versprach aber, im n�chsten Jahre mit Klara nach der Schweiz zu reisen, wenn sie nun recht vern�nftig sei und keinen Jammer erhebe. So ergab sich Klara in das Unvermeidliche, begehrte aber zum Ersatz, dass der Koffer f�r Heidi in ihr Zimmer gebracht und da gepackt werde, damit sie hineinstecken k�nne, was ihr Freude mache, was der Papa sehr gern bewilligte, ja er ermunterte Klara noch, dem Kinde eine sch�ne Aussteuer zurechtzumachen. Unterdessen war die Base Dete angelangt und stand in gro�er Erwartung im Vorzimmer, denn dass sie um diese ungew�hnliche Zeit einberufen worden war, musste etwas Au�erordentliches bedeuten. Herr Sesemann trat zu ihr heraus und erkl�rte ihr, wie es mit Heidi stehe und dass er w�nsche, sie m�chte das Kind sofort, gleich heute noch, nach Hause bringen. Die Base sah sehr entt�uscht aus; diese Nachricht hatte sie nicht erwartet. Sie erinnerte sich auch noch recht wohl der Worte, die ihr der �hi mit auf den Weg gegeben hatte, dass sie ihm nie mehr vor die Augen kommen solle, und so das Kind dem Alten einmal bringen und dann nehmen und dann wiederbringen, das schien ihr nicht ganz geraten zu sein. Sie besann sich also nicht lange, sondern sagte mit gro�er Beredsamkeit, heute w�re es ihr leider v�llig unm�glich, die Reise anzutreten, und morgen k�nnte sie noch weniger daran denken, und die Tage darauf w�re es am allerunm�glichsten, um der darauf folgenden Gesch�fte willen, und nachher k�nnte sie dann gar nicht mehr. Herr Sesemann verstand die Sprache und entlie� die Base ohne weiteres. Nun lie� er den Sebastian vortreten und erkl�rte ihm, er habe sich unverz�glich zur Reise zu r�sten; heute habe er mit dem Kinde bis nach Basel zu fahren, morgen bringe er es heim. Dann k�nne er sogleich wieder umkehren, zu berichten habe er nichts, ein Brief an den Gro�vater werde diesem alles erkl�ren.

"Nun aber noch eine Hauptsache, Sebastian", schloss Herr Sesemann, "und dass Er mir das p�nktlich besorgt! Den Gasthof in Basel, den ich Ihm hier auf meine Karte geschrieben, kenne ich. Er weist meine Karte vor, dann wird Ihm ein gutes Zimmer angewiesen werden f�r das Kind; f�r sich selbst wird Er schon sorgen. Dann geht Er erst in des Kindes Zimmer hinein und verrammelt alle Fenster so vollst�ndig, dass nur gro�e Gewalt sie aufzubringen verm�chte. Ist das Kind zu Bett, so geht Er und schlie�t von au�en die T�r ab, denn das Kind wandert herum in der Nacht und k�nnte Gefahr laufen in dem fremden Haus, wenn es etwa hinausginge und die Haust�r aufmachen wollte; versteht Er das?"

"Ah! Ah! Ah! Das war's? So war's?", stie� Sebastian jetzt in gr��ter Verwunderung aus, denn es war ihm eben ein gro�es Licht aufgegangen �ber die Geistererscheinung.

"Ja, so war's! Das war's! Und Er ist ein Hasenfu�, und dem Johann kann Er sagen, er sei desgleichen und alle miteinander eine l�cherliche Mannschaft." Damit ging Herr Sesemann nach seiner Stube, setzte sich hin und schrieb einen Brief an den Alm-�hi.

Sebastian war verdutzt mitten im Zimmer stehen geblieben und wiederholte jetzt zu �fteren Malen in seinem Innern: "H�tt ich mich doch von dem Feigling von einem Johann nicht in die Wachtstube hineinrei�en lassen, sondern w�re dem wei�en Fig�rchen nachgegangen, was ich doch jetzt unzweifelhaft tun w�rde!", denn jetzt beleuchtete die helle Sonne jeden Winkel der hellgrauen Stube mit voller Klarheit.

Unterdessen stand Heidi v�llig ahnungslos in seinem Sonntagsr�ckchen und wartete ab, was geschehen sollte, denn die Tinette hatte es nur aus dem Schlafe aufger�ttelt, die Kleider aus dem Schrank genommen und das Anziehen gef�rdert, ohne ein Wort zu sagen. Sie sprach niemals mit dem ungebildeten Heidi, denn das war ihr zu gering.

Herr Sesemann trat mit seinem Brief ins Esszimmer ein, wo das Fr�hst�ck bereitstand, und rief: "Wo ist das Kind?"

Heidi wurde gerufen. Als es zu Herrn Sesemann herantrat, um ihm 'guten Morgen' zu sagen, schaute er ihm fragend ins Gesicht: "Nun, was sagst du denn dazu, Kleine?"

Heidi blickte verwundert zu ihm auf.

"Du wei�t am Ende noch gar nichts", lachte Herr Sesemann. "Nun, heut gehst du heim, jetzt gleich."

"Heim?", wiederholte Heidi tonlos und wurde schneewei�, und eine kleine Weile konnte es gar keinen Atem mehr holen, so stark wurde sein Herz von dem Eindruck gepackt.

"Nun, willst du etwa nichts wissen davon?", fragte Herr Sesemann l�chelnd.

"O ja, ich will schon", kam jetzt heraus, und nun war Heidi dunkelrot geworden.

"Gut, gut", sagte Herr Sesemann ermunternd, indem er sich setzte und Heidi winkte, dasselbe zu tun. "Und nun t�chtig fr�hst�cken und hernach in den Wagen und fort."

Aber Heidi konnte keinen Bissen herunterbringen, wie es sich auch zwingen wollte aus Gehorsam; es war in einem Zustand von Aufregung, dass es gar nicht wusste, ob es wache oder tr�ume und ob es vielleicht wieder auf einmal erwachen und im Nachthemdchen an der Haust�r stehen werde.

"Sebastian soll reichlich Proviant mitnehmen", rief Herr Sesemann Fr�ulein Rottenmeier zu, die eben eintrat; "das Kind kann nicht essen, begreiflicherweise.--Geh hin�ber zu Klara, bis der Wagen vorf�hrt", setzte er freundlich, zu Heidi gewandt, hinzu.

Das war Heidis Wunsch: Es sprang hin�ber. Mitten in Klaras Zimmer war ein ungeheurer Koffer zu sehen, noch stand dessen Deckel weit offen.

"Komm, Heidi, komm", rief ihm Klara entgegen. "Sieh, was ich dir habe einpacken lassen, komm, freut's dich?"

Und sie nannte ihm eine ganze Menge von Dingen, Kleider und Sch�rzen, T�cher und N�hger�t, "und sieh hier, Heidi", und Klara hob triumphierend einen Korb in die H�he. Heidi guckte hinein und sprang hoch auf vor Freude, denn drinnen lagen wohl zw�lf sch�ne, wei�e, runde Br�tchen, alle f�r die Gro�mutter. Die Kinder verga�en in ihrem Jubel ganz, dass nun der Augenblick komme, da sie sich trennen mussten, und als mit einem Mal der Ruf erschallte: "Der Wagen ist bereit!"--da war keine Zeit mehr zum Traurigwerden. Heidi lief in sein Zimmer, da musste noch ein sch�nes Buch von der Gro�mama liegen, niemand konnte es eingepackt haben, denn es lag unter dem Kopfkissen, weil Heidi Tag und Nacht sich nicht davon trennen konnte. Das wurde in den Korb auf die Br�tchen gelegt. Dann machte es seinen Schrank auf; noch suchte es nach einem Gute, das man vielleicht auch nicht eingepackt hatte. Richtig--auch das alte rote Tuch lag noch da, Fr�ulein Rottenmeier hatte es zu gering erachtet, um mit eingepackt zu werden. Heidi wickelte es um einen anderen Gegenstand und legte es zuoberst auf den Korb, so dass das rote Paket sehr sichtbar zur Erscheinung kam. Dann setzte es sein sch�nes H�tchen auf und verlie� sein Zimmer.

Die beiden Kinder mussten sich schnell Lebewohl sagen, denn Herr Sesemann stand schon da, um Heidi nach dem Wagen zu bringen. Fr�ulein Rottenmeier stand oben an der Treppe, um hier Heidi zu verabschieden. Als sie das seltsame rote B�ndelchen erblickte, nahm sie es schnell aus dem Korb heraus und warf es auf den Boden.

"Nein, Adelheid", sagte sie tadelnd, "so kannst du nicht reisen von diesem Hause aus; solches Zeug brauchst du �berhaupt nicht mitzuschleppen. Nun lebe wohl."

Auf dieses Verbot hin durfte Heidi sein B�ndelchen nicht wieder aufnehmen, aber es schaute mit einem flehentlichen Blick zu dem Hausherrn auf, so, als wollte man ihm seinen gr��ten Schatz nehmen.

"Nein, nein", sagte Herr Sesemann in sehr bestimmtem Tone, "das Kind soll mit heimtragen, was ihm Freude macht, und sollte es auch junge Katzen oder Schildkr�ten mit fortschleppen, so wollen wir uns dar�ber nicht aufregen, Fr�ulein Rottenmeier."

Heidi hob eilig sein B�ndelchen wieder vom Boden auf, und Dank und Freude leuchteten ihm aus den Augen. Unten am Wagen reichte Herr Sesemann dem Kinde die Hand und sagte ihm mit freundlichen Worten, sie w�rden seiner gedenken, er und seine Tochter Klara; er w�nschte ihm alles Gute auf den Weg, und Heidi dankte recht sch�n f�r alle Guttaten, die ihm zuteil geworden waren, und zum Schluss sagte es: "Und den Herrn Doktor lasse ich tausendmal gr��en und ihm auch vielmals danken." Denn es hatte sich wohl gemerkt, wie er gestern Abend gesagt hatte: "Und morgen wird alles gut." Nun war es so gekommen, und Heidi dachte, er habe dazu geholfen.

Jetzt wurde das Kind in den Wagen gehoben und der Korb und die Provianttasche und der Sebastian kamen nach. Herr Sesemann rief noch einmal freundlich: "Gl�ckliche Reise!", und der Wagen rollte davon.

Bald nachher sa� Heidi in der Eisenbahn und hielt unbeweglich seinen Korb auf dem Scho�e fest, denn es wollte ihn nicht einen Augenblick aus den H�nden lassen, seine kostbaren Br�tchen f�r die Gro�mutter waren ja darin, die musste es sorgf�ltig h�ten und von Zeit zu Zeit einmal wieder ansehen und sich freuen dar�ber. Heidi sa� m�uschenstille w�hrend mehrerer Stunden, denn erst jetzt kam es recht zum Bewusstsein, dass es auf dem Wege sei heim zum Gro�vater, auf die Alm, zur Gro�mutter, zum Gei�enpeter, und nun kam ihm alles vor Augen, eins nach dem anderen, was es wieder sehen werde und wie alles aussehen werde daheim, und dabei stiegen ihm wieder neue Gedanken auf, und auf einmal sagte es �ngstlich: "Sebastian, ist auch sicher die Gro�mutter auf der Alm nicht gestorben?"

"Nein, nein", beruhigte dieser, "wollen's nicht hoffen, wird schon noch am Leben sein."

Dann fiel Heidi wieder in sein Sinnen zur�ck; nur hier und da guckte es einmal in seinen Korb hinein, denn alle die Br�tchen der Gro�mutter auf den Tisch legen war sein Hauptgedanke. Nach l�ngerer Zeit sagte es wieder: "Sebastian, wenn man nur auch ganz sicher wissen k�nnte, dass die Gro�mutter noch am Leben ist."

"Jawohl! Jawohl!", entgegnete der Begleiter halb schlafend; "Wird schon noch leben, w�sste auch gar nicht, warum nicht."

Nach einiger Zeit dr�ckte der Schlaf auch Heidis Augen zu, und nach der vergangenen unruhigen Nacht und dem fr�hen Aufstehen war es so schlafbed�rftig, dass es erst wieder erwachte, als Sebastian es t�chtig am Arm sch�ttelte und ihm zurief: "Erwachen! Erwachen! Gleich aussteigen, in Basel angekommen!"

Am folgenden Morgen ging's weiter, viele Stunden lang. Heidi sa� wieder mit seinem Korb auf dem Scho�, den es um keinen Preis dem Sebastian �bergeben wollte; aber heute sagte es gar nichts mehr, denn nun wurde mit jeder Stunde die Erwartung gespannter. Dann auf einmal, als Heidi gar nicht daran dachte, ert�nte laut der Ruf: "Maienfeld!" Es sprang von seinem Sitz auf, und dasselbe tat Sebastian, der auch �berrascht worden war. Jetzt standen sie drau�en, der Koffer mit ihnen, und der Bahnzug pfiff weiter ins Tal hinein. Sebastian sah ihm wehm�tig nach, denn er w�re viel lieber so sicher und ohne M�he weitergereist, als dass er nun eine Fu�partie unternehmen sollte, die dazu noch mit einer Bergbesteigung enden musste, die sehr beschwerlich und dazu gefahrvoll sein konnte in diesem Lande, wo doch alles noch halb wild war, wie Sebastian annahm. Er schaute daher sehr vorsichtig um sich, wen er etwa beraten k�nnte �ber den sichersten Weg nach dem 'D�rfli'. Unweit des kleinen Stationsgeb�udes stand ein kleiner Leiterwagen mit einem mageren R�sslein davor; auf diesen wurden von einem breitschultrigen Manne ein paar gro�e S�cke aufgeladen, die mit der Bahn hergebracht worden waren. Sebastian trat zu ihm heran und brachte seine Frage nach dem sichersten Weg zum D�rfli vor.

"Hier sind alle Wege sicher", war die kurze Antwort.

Jetzt fragte Sebastian nach dem besten Wege, auf dem man gehen k�nne, ohne in die Abgr�nde zu st�rzen, und auch wie man einen Koffer nach dem betreffenden D�rfli bef�rdern k�nnte. Der Mann schaute nach dem Koffer hin und ma� ihn ein wenig mit den Augen; dann erkl�rte er, wenn das Ding nicht zu schwer sei, so wolle er es auf seinen Wagen nehmen, da er selbst nach dem D�rfli fahre, und so gab noch ein Wort das andere, und endlich kamen die beiden �berein, der Mann solle Kind und Koffer mit auf seinen Wagen nehmen, und nachher vom D�rfli aus k�nne das Kind am Abend mit irgendjemand auf die Alm geschickt werden.

"Ich kann allein gehen, ich wei� schon den Weg vom D�rfli auf die Alm", sagte hier Heidi, das mit Aufmerksamkeit der Verhandlung zugeh�rt hatte. Dem Sebastian fiel eine schwere Last vom Herzen, als er sich so auf einmal seiner Aussicht auf das Bergklettern entledigt sah. Er winkte nun Heidi geheimnisvoll auf die Seite und �berreichte ihm hier eine schwere Rolle und einen Brief an den Gro�vater und erkl�rte ihm, die Rolle sei ein Geschenk von Herrn Sesemann, die m�sse aber zuunterst in den Korb gesteckt werden, noch unter die Br�tchen, und darauf m�sse genau Acht gegeben werden, dass sie nicht verloren gehe, denn dar�ber w�rde Herr Sesemann ganz f�rchterlich b�se und sein Leben lang nie mehr gut werden; das sollte das Mamsellchen nur ja bedenken.

"Ich verliere sie schon nicht", sagte Heidi zuversichtlich und steckte die Rolle samt dem Brief zuallerunterst in den Korb hinein. Nun wurde der Koffer aufgeladen, und nachher hob Sebastian Heidi samt seinem Korb auf den hohen Sitz empor, reichte ihm seine Hand hinauf zum Abschied und ermahnte es noch einmal mit allerlei Zeichen, auf den Inhalt des Korbes ein Auge zu haben; denn der F�hrer war noch in der N�he, und Sebastian war vorsichtig, besonders jetzt, da er wusste, er h�tte eigentlich selbst das Kind an Ort und Stelle bringen sollen. Der F�hrer schwang sich jetzt neben Heidi auf den Sitz hinauf, und der Wagen rollte den Bergen zu, w�hrend Sebastian, froh �ber seine Befreiung von der gef�rchteten Bergreise, sich am Stationsh�uschen niedersetzte, um den zur�ckgehenden Bahnzug abzuwarten.

Der Mann auf dem Wagen war der B�cker vom D�rfli, welcher seine Mehls�cke nach Hause fuhr. Er hatte Heidi nie gesehen, aber wie jedermann im D�rfli wusste er von dem Kinde, das man dem Alm-�hi gebracht hatte; auch hatte er Heidis Eltern gekannt und sich gleich vorgestellt, er werde es mit dem viel besprochenen Kinde hier zu tun haben. Es wunderte ihn nun ein wenig, warum das Kind schon wieder heimkommen und w�hrend der Fahrt fing er nun mit Heidi ein Gespr�ch an: "Du wirst das Kind sein, das oben beim Alm-�hi war, beim Gro�vater?"

"Ja."

"So ist es dir schlecht gegangen, dass du schon wieder von so weit her heimkommst?"

"Nein, das ist es mir nicht; kein Mensch kann es so gut haben, wie man es in Frankfurt hat."

"Warum l�ufst du denn heim?"

"Nur weil es mir der Herr Sesemann erlaubt hat, sonst w�r ich nicht heimgelaufen."

"Pah, warum bist du denn aber nicht lieber dort geblieben, wenn man dir's erlaubt hat, heimzugehen?"

"Weil ich tausendmal lieber heimwill zum Gro�vater auf die Alm als sonst alles auf der Welt."

"Denkst vielleicht anders, wenn du hinaufkommst", brummte der B�cker; "nimmt mich aber doch wunder", sagte er dann zu sich selbst, "es kann wissen, wie's ist."

Nun fing er an zu pfeifen und sagte nichts mehr, und Heidi schaute um sich und fing an innerlich zu zittern vor Erregung, denn es erkannte die B�ume am Wege, und dr�ben standen die hohen Zacken des Falknis-Berges und schauten zu ihm her�ber, so als gr��ten sie es wie gute alte Freunde; und Heidi gr��te wieder, und mit jedem Schritt vorw�rts wurde Heidis Erwartung gespannter, und es meinte, es m�sse vom Wagen herunterspringen und aus allen Kr�ften laufen, bis es ganz oben w�re. Aber es blieb doch still sitzen und r�hrte sich nicht, aber alles zitterte an ihm. Jetzt fuhren sie im D�rfli ein, eben schlug die Glocke f�nf Uhr. Augenblicklich sammelte sich eine Gesellschaft von Kindern und Frauen um den Wagen herum, und ein paar Nachbarn traten auch noch herzu, denn der Koffer und das Kind auf des B�ckers Wagen hatten die Aufmerksamkeit aller Umwohnenden auf sich gezogen, und jeder wollte wissen, woher und wohin und wem beide zugeh�rten. Als der B�cker Heidi heruntergehoben hatte, sagte es eilig: "Danke, der Gro�vater holt dann schon den Koffer", und wollte davonrennen. Aber von allen Seiten wurde es festgehalten, und eine Menge von Stimmen fragten alle auf einmal, jede etwas Eigenes. Heidi dr�ngte sich mit einer solchen Angst auf dem Gesichte durch die Leute, dass man ihm unwillk�rlich Platz machte und es laufen lie�, und einer sagte zum anderen: "Du siehst ja, wie es sich f�rchtet, es hat auch alle Ursache." Und dann fingen sie noch an, sich zu erz�hlen, wie der Alm-�hi seit einem Jahr noch viel �rger geworden sei als vorher und mit keinem Menschen mehr ein Wort rede und ein Gesicht mache, als wolle er am liebsten jeden umbringen, der ihm in den Weg komme, und wenn das Kind auf der ganzen Welt noch w�sste wohin, so liefe es nicht in das alte Drachennest hinauf. Aber hier fiel der B�cker in das Gespr�ch ein und sagte, er werde wohl mehr wissen als sie alle, und erz�hlte dann sehr geheimnisvoll, wie ein Herr das Kind bis nach Maienfeld gebracht und es ganz freundlich entlassen habe und auch gleich ohne Markten ihm den geforderten Fahrpreis und dazu noch ein Trinkgeld gegeben habe, und �berhaupt k�nne er sicher sagen, dass es dem Kind wohl genug gewesen sei, wo es war, und es selbst begehrt habe, zum Gro�vater zur�ckzugehen. Diese Nachricht brachte eine gro�e Verwunderung hervor und wurde nun gleich im ganzen D�rfli so verbreitet, dass noch am gleichen Abend kein Haus daselbst war, in dem man nicht davon redete, dass das Heidi aus allem Wohlleben zum Gro�vater zur�ckbegehrt habe.

Heidi lief vom D�rfli bergan, so schnell es nur konnte; von Zeit zu Zeit musste es aber pl�tzlich stille stehen, denn es hatte ganz den Atem verloren; sein Korb am Arm war doch ziemlich schwer, und dazu ging es nun immer steiler, je h�her hinauf es ging. Heidi hatte nur noch einen Gedanken: "Wird auch die Gro�mutter noch auf ihrem Pl�tzchen sitzen am Spinnrad in der Ecke, ist sie auch nicht gestorben unterdessen?" Jetzt erblickte Heidi die H�tte oben in der Vertiefung an der Alm, sein Herz fing an zu klopfen, Heidi rannte noch mehr, immer mehr und immer lauter schlug ihm das Herz. Jetzt war es oben--vor Zittern konnte es fast die T�r nicht aufmachen-- doch jetzt--es sprang hinein bis mitten in die kleine Stube und stand da, v�llig au�er Atem, und brachte keinen Ton hervor.

"Ach du mein Gott", t�nte es aus der Ecke hervor, "so sprang unser Heidi herein, ach, wenn ich es noch ein Mal im Leben bei mir haben k�nnte! Wer ist hereingekommen?"

"Da bin ich ja, Gro�mutter, da bin ich ja", rief Heidi jetzt und st�rzte nach der Ecke und gleich auf seine Knie zu der Gro�mutter heran, fasste ihren Arm und ihre H�nde und legte sich an sie und konnte vor Freude gar nichts mehr sagen. Erst war die Gro�mutter so �berrascht, dass auch sie kein Wort hervorbringen konnte; dann fuhr sie mit der Hand streichelnd �ber Heidis Kraushaare hin, und nun sagte sie ein Mal �ber das andere: "Ja, ja, das sind seine Haare und es ist ja seine Stimme, ach du lieber Gott, dass du mich das noch erleben l�sst!" Und aus den blinden Augen fielen ein paar gro�e Freudentr�nen auf Heidis Hand nieder. "Bist du's auch, Heidi, bist du auch sicher wieder da?"

"Ja, ja, sicher, Gro�mutter", rief Heidi nun mit aller Zuversicht, "weine nur nicht, ich bin ganz gewiss wieder da und komme alle Tage zu dir und gehe nie wieder fort, und du musst auch manchen Tag kein hartes Brot mehr essen, siehst du, Gro�mutter, siehst du?"

Und Heidi packte nun aus seinem Korb ein Br�tchen nach dem andern aus, bis es alle zw�lf auf dem Scho� der Gro�mutter aufgeh�uft hatte.

"Ach Kind! Ach Kind! Was bringst du denn f�r einen Segen mit!", rief die Gro�mutter aus, als es nicht enden wollte mit den Br�tchen und immer noch eines folgte. "Aber der gr��te Segen bist du mir doch selber, Kind!" Dann griff sie wieder in Heidis krause Haare und strich �ber seine hei�en Wangen und sagte wieder: "Sag noch ein Wort, Kind, sag noch etwas, dass ich dich h�ren kann."

Heidi erz�hlte nun der Gro�mutter, welche gro�e Angst es habe ausstehen m�ssen, sie sei vielleicht gestorben unterdessen und habe nun gar nie die wei�en Br�tchen bekommen, und es k�nne nie, nie mehr zu ihr gehen.

Jetzt trat Peters Mutter herein und blieb einen Augenblick unbeweglich stehen vor Erstaunen. Dann rief sie: "Sicher, es ist das Heidi, wie kann auch das sein!"

Heidi stand auf und gab ihr die Hand, und die Brigitte konnte sich gar nicht genug verwundern dar�ber, wie Heidi aussehe, und ging um das Kind herum und sagte: "Gro�mutter, wenn du doch nur sehen k�nntest, was f�r ein sch�nes R�cklein das Heidi hat und wie es aussieht; man kennt es fast nicht mehr. Und das Federnh�tlein auf dem Tisch geh�rt dir auch noch? Setz es doch einmal auf, so kann ich sehen, wie du drin aussiehst."

"Nein, ich will nicht", erkl�rte Heidi, "du kannst es haben, ich brauche es nicht mehr, ich habe schon noch mein eigenes." Damit machte Heidi sein rotes B�ndelchen auf und nahm sein altes H�tchen daraus hervor, das auf der Reise zu den Knicken, die es schon vorher gehabt, noch einige bekommen hatte. Aber das k�mmerte das Heidi wenig; es hatte ja nicht vergessen, wie der Gro�vater beim Abschied nachgerufen hatte, in einem Federnhut wolle er es niemals sehen; darum hatte Heidi sein H�tchen so sorgf�ltig aufgehoben, denn es dachte ja immer ans Heimgehen zum Gro�vater. Aber die Brigitte sagte, so einf�ltig m�sse es nicht sein, es sei ja ein pr�chtiges H�tchen, das nehme sie nicht; man k�nnte es ja etwa dem T�chterlein vom Lehrer im D�rfli verkaufen und noch viel Geld bekommen, wenn es das H�tlein nicht tragen wolle. Aber Heidi blieb bei seinem Vorhaben und legte das H�tchen leise hinter die Gro�mutter in den Winkel, wo es ganz verborgen war. Dann zog Heidi auf einmal sein sch�nes R�cklein aus, und �ber das Unterr�ckchen, in dem es nun mit blo�en Armen dastand, band es das rote Halstuch, und nun fasste es die Hand der Gro�mutter und sagte: "Jetzt muss ich heim zum Gro�vater, aber morgen komm ich wieder zu dir; gute Nacht, Gro�mutter."

"Ja, komm auch wieder, Heidi, komm auch morgen wieder", bat die Gro�mutter und dr�ckte seine Hand zwischen den ihrigen und konnte das Kind fast nicht loslassen.

"Warum hast du denn dein sch�nes R�cklein ausgezogen?", fragte die Brigitte.

"Weil ich lieber so zum Gro�vater will, sonst kennt er mich vielleicht nicht mehr, du hast mich ja auch fast nicht gekannt darin."

Die Brigitte ging noch mit Heidi vor die T�r hinaus, und hier sagte sie ein wenig geheimnisvoll zu ihm: "Den Rock h�ttest du schon anbehalten k�nnen, er h�tte dich doch gekannt; aber sonst musst du dich in Acht nehmen; der Peterli sagt, der Alm-�hi sei jetzt immer b�s und rede kein Wort mehr."

Heidi sagte 'gute Nacht' und stieg die Alm hinan mit seinem Korb am Arm. Die Abendsonne leuchtete ringsum auf die gr�ne Alm, und jetzt war auch dr�ben das gro�e Schneefeld an der Schesaplana sichtbar geworden und strahlte her�ber. Heidi musste alle paar Schritte wieder stille stehen und sich umkehren, denn die hohen Berge hatte es im R�cken beim Hinaufsteigen. Jetzt fiel ein roter Schimmer vor seinen F��en auf das Gras, es kehrte sich um, da --so hatte es die Herrlichkeit nicht mehr im Sinn gehabt und auch nie so im Traum gesehen--die Felsh�rner am Falknis flammten zum Himmel auf, das weite Schneefeld gl�hte und rosenrote Wolken zogen dar�ber hin; das Gras rings auf der Alm war golden, von allen Felsen flimmerte und leuchtete es nieder und unten schwamm weithin das ganze Tal in Duft und Gold. Heidi stand mitten in der Herrlichkeit, und vor Freude und Wonne liefen ihm die hellen Tr�nen die Wangen herunter, und es musste die H�nde falten und in den Himmel hinaufschauen und ganz laut dem lieben Gott danken, dass er es wieder heimgebracht hatte und dass alles, alles noch so sch�n sei und noch viel sch�ner, als es gewusst hatte, und dass alles wieder ihm geh�re; und Heidi war so gl�cklich und so reich in all der gro�en Herrlichkeit, dass es gar nicht Worte fand, dem lieben Gott genug zu danken. Erst als das Licht ringsum vergl�hte, konnte Heidi wieder von der Stelle weg; nun rannte es aber so den Berg hinan, dass es gar nicht lange dauerte, so erblickte es oben die Tannenwipfel �ber dem Dache und jetzt das Dach und die ganze H�tte, und auf der Bank an der H�tte sa� der Gro�vater und rauchte sein Pfeifchen, und �ber die H�tte her wogten die alten Tannenwipfel und raschelten im Abendwind. Jetzt rannte das Heidi noch mehr, und bevor der Alm-�hi nur recht sehen konnte, was da herankam, st�rzte das Kind schon auf ihn hin, warf seinen Korb auf den Boden und umklammerte den Alten, und vor Aufregung des Wiedersehens konnte es nichts sagen, als nur immer ausrufen: "Gro�vater! Gro�vater! Gro�vater!"

Der Gro�vater sagte auch nichts. Seit vielen Jahren waren ihm zum erstenmal wieder die Augen nass geworden, und er musste mit der Hand dar�ber fahren. Dann l�ste er Heidis Arme von seinem Hals, setzte das Kind auf seine Knie und betrachtete es einen Augenblick. "So, bist du wieder heimgekommen, Heidi", sagte er dann; "wie ist das? Besonders hoff�rtig siehst du nicht aus, haben sie dich fortgeschickt?"

"O nein, Gro�vater", fing Heidi nun mit Eifer an, "das musst du nicht glauben, sie waren alle so gut, die Klara und die Gro�mama und der Herr Sesemann; aber siehst du, Gro�vater, ich konnte es fast gar nicht mehr aushalten, bis ich wieder bei dir daheim sein k�nnte, und ich habe manchmal gemeint, ich m�sse ganz ersticken, so hat es mich gew�rgt; aber ich habe gewiss nichts gesagt, weil es undankbar war. Aber dann auf einmal an einem Morgen rief mich der Herr Sesemann ganz fr�h--aber ich glaube, der Herr Doktor war schuld daran--aber es steht vielleicht alles in dem Brief"--damit sprang Heidi auf den Boden und holte seinen Brief und seine Rolle aus dem Korb herbei und legte beide in die Hand des Gro�vaters.

"Das geh�rt dir", sagte dieser und legte die Rolle neben sich auf die Bank. Dann nahm er den Brief und las ihn durch: Ohne ein Wort zu sagen, steckte er dann das Blatt in die Tasche.

"Meinst, du k�nntest auch noch Milch trinken mit mir, Heidi?", fragte er nun, indem er das Kind bei der Hand nahm, um in die H�tte einzutreten. "Aber nimm dort dein Geld mit dir, da kannst du ein ganzes Bett daraus kaufen und Kleider f�r ein paar Jahre."

"Ich brauch es gewiss nicht, Gro�vater", versicherte Heidi; "ein Bett hab ich schon, und Kleider hat mir Klara so viele eingepackt, dass ich gewiss nie mehr andere brauche."

"Nimm's, nimm's, und leg's in den Schrank, du wirst's schon einmal brauchen k�nnen."

Heidi gehorchte und h�pfte nun dem Gro�vater nach in die H�tte hinein, wo es vor Freude �ber das Wiedersehen in alle Winkel sprang und die Leiter hinauf--aber da stand es pl�tzlich still und rief in Betroffenheit von oben herunter: "Oh, Gro�vater, ich habe kein Bett mehr!"

"Kommt schon wieder", t�nte es von unten herauf, "wusste ja nicht, dass du wieder heimkommst; jetzt komm zur Milch!"

Heidi kam herunter und setzte sich auf seinen hohen Stuhl am alten Platze, und nun erfasste es sein Sch�sselchen und trank mit einer Begierde, als w�re etwas so K�stliches noch nie in seinen Bereich gekommen, und als es mit einem tiefen Atemzug das Sch�sselchen hinstellte, sagte es: "So gut wie unsere Milch ist doch gar nichts auf der Welt, Gro�vater."

Jetzt ert�nte drau�en ein schriller Pfiff; wie der Blitz schoss Heidi zur T�r hinaus. Da kam die ganze Schar der Gei�en h�pfend, springend, S�tze machend von der H�he herunter, mittendrin der Peter. Als er Heidi ansichtig wurde, blieb er auf der Stelle v�llig wie angewurzelt stehen und starrte es sprachlos an. Heidi rief: "Guten Abend, Peter!", und st�rzte mitten in die Gei�en hinein: "Schw�nli! B�rli! Kennt ihr mich noch?", und die Gei�lein mussten seine Stimme gleich erkannt haben, denn sie rieben ihre K�pfe an Heidi und fingen an leidenschaftlich zu meckern vor Freude, und Heidi rief alle nacheinander beim Namen, und alle rannten wie wild durcheinander und dr�ngten sich zu ihm heran; der ungeduldige Distelfink sprang hoch auf und �ber zwei Gei�en weg, um gleich in die N�he zu kommen, und sogar das sch�chterne Schneeh�ppli dr�ngte mit einem ziemlich eigensinnigen Bohren den gro�en T�rk auf die Seite, der nun ganz verwundert �ber die Frechheit dastand und seinen Bart in die Luft hob, um zu zeigen, dass er es sei.

Heidi war au�er sich vor Freude, alle die alten Gef�hrten wieder zu haben; es umarmte das kleine, z�rtliche Schneeh�ppli wieder und wieder und streichelte den st�rmischen Distelfink und wurde vor gro�er Liebe und Zutraulichkeit der Gei�en hin und her gedr�ngt und geschoben, bis es nun ganz in Peters N�he kam, der noch immer auf demselben Platze stand.

"Komm herunter, Peter, und sag mir einmal guten Abend!", rief ihm Heidi jetzt zu.

"Bist denn wieder da?", brachte er nun endlich in seinem Erstaunen heraus, und nun kam er herzu und nahm Heidis Hand, die dieses ihm schon lange hingehalten hatte, und nun fragte er, so wie er immer getan hatte bei der Heimkehr am Abend: "Kommst morgen wieder mit?"

"Nein, morgen nicht, aber �bermorgen vielleicht, denn morgen muss ich zur Gro�mutter."

"Es ist recht, dass du wieder da bist", sagte der Peter und verzog sein Gesicht auf alle Seiten vor ungeheurem Vergn�gen, dann schickte er sich zur Heimfahrt an; aber heute wurde es ihm so schwer wie noch nie mit seinen Gei�en, denn als er sie endlich mit Locken und Drohen so weit gebracht hatte, dass sie sich um ihn sammelten, und Heidi, den einen Arm um Schw�nlis und den andern um B�rlis Kopf gelegt, davonspazierte, da kehrten mit einem Male alle wieder um und liefen den dreien nach. Heidi musste mit seinen zwei Gei�en in den Stall eintreten und die T�r zumachen, sonst w�re der Peter niemals mit seiner Herde fortgekommen. Als das Kind dann in die H�tte zur�ckkam, da sah es sein Bett schon wieder aufgerichtet, pr�chtig hoch und duftend, denn das Heu war noch nicht lange hereingeholt, und dar�ber hatte der Gro�vater ganz sorgf�ltig die sauberen Leint�cher gebreitet. Heidi legte sich mit gro�er Lust hinein und schlief so herrlich, wie es ein ganzes Jahr lang nicht geschlafen hatte. W�hrend der Nacht verlie� der Gro�vater wohl zehnmal sein Lager und stieg die Leiter hinauf und lauschte sorgsam, ob Heidi auch schlafe und nicht unruhig werde, und suchte am Loch nach, wo sonst der Mond hereinkam auf Heidis Lager, ob auch das Heu noch fest drinnen sitze, das er hineingestopft hatte, denn von nun an durfte der Mondschein nicht mehr hereinkommen. Aber Heidi schlief in einem Zuge fort und wanderte keinen Schritt herum, denn sein gro�es, brennendes Verlangen war gestillt worden: Es hatte alle Berge und Felsen wieder im Abendgl�hen gesehen, es hatte die Tannen rauschen geh�rt, es war wieder daheim auf der Alm.




Am Sonntag, wenn's l�utet

Heidi stand unter den wogenden Tannen und wartete auf den Gro�vater, der mitgehen und den Koffer vom D�rfli heraufholen wollte, w�hrend es bei der Gro�mutter w�re. Das Kind konnte es fast nicht erwarten, die Gro�mutter wieder zu sehen und zu h�ren, wie ihr die Br�tchen geschmeckt hatten, und doch wurde ihm wieder die Zeit nicht lang, denn es konnte ja nicht genug die heimatlichen T�ne von dem Tannenrauschen �ber ihm und das Duften und Leuchten der gr�nen Weiden und der goldenen Blumen darauf eintrinken.

Jetzt trat der Gro�vater aus der H�tte, schaute noch einmal rings um sich und sagte dann mit zufriedenem Ton: "So, nun k�nnen wir gehen."

Denn es war Sonnabend heut, und an dem Tage machte der Alm-�hi alles sauber und in Ordnung in der H�tte, im Stall und ringsherum, das war seine Gewohnheit, und heut hatte er den Morgen dazu genommen, um gleich nachmittags mit Heidi ausziehen zu k�nnen, und so sah nun alles ringsherum gut und zu seiner Zufriedenheit aus. Bei der Gei�enpeter-H�tte trennten sie sich, und Heidi sprang hinein. Schon hatte die Gro�mutter seinen Schritt geh�rt und rief ihm liebevoll entgegen: "Kommst du, Kind? Kommst du wieder?"

Dann erfasste sie Heidis Hand und hielt sie ganz fest, denn immer noch f�rchtete sie, das Kind k�nnte ihr wieder entrissen werden. Und nun musste die Gro�mutter erz�hlen, wie die Br�tchen geschmeckt h�tten, und sie sagte, sie habe sich so daran erlabt, dass sie meine, sie sei heute viel kr�ftiger als lang nicht mehr, und Peters Mutter f�gte hinzu, die Gro�mutter habe vor lauter Sorge, sie werde zu bald fertig damit, nur ein einziges Br�tchen essen wollen, gestern und heut zusammen, und sie k�me gewiss noch ziemlich zu Kr�ften, wenn sie so acht Tage lang hintereinander jeden Tage eines essen wollte. Heidi h�rte der Brigitte mit Aufmerksamkeit zu und blieb jetzt noch eine Zeit lang nachdenklich. Nun hatte es seinen Weg gefunden. "Ich wei� schon, was ich mache, Gro�mutter", sagte es in freudigem Eifer; "ich schreibe der Klara einen Brief und dann schickt sie mir gewiss noch einmal so viel Br�tchen, wie da sind, oder zweimal, denn ich hatte schon einen gro�en Haufen ganz gleiche im Kasten, und als man mir sie weggenommen hatte, sagte Klara, sie gebe mir gerade so viele wieder, und das tut sie schon."

"Ach Gott", sagte die Brigitte, "das ist eine gute Meinung; aber denk, sie werden auch hart. Wenn man nur hier und da einen �brigen Batzen h�tte, der B�cker unten im D�rfli macht auch solche, aber ich vermag kaum das schwarze Brot zu bezahlen."

Jetzt schoss ein heller Freudenstrahl �ber Heidis Gesicht: "Oh, ich habe furchtbar viel Geld, Gro�mutter", rief es jubelnd aus und h�pfte vor Freuden in die H�he, "jetzt wei� ich, was ich damit mache! Alle, alle Tage musst du ein neues Br�tchen haben und am Sonntage zwei, und der Peter kann sie heraufbringen vom D�rfli."

"Nein, nein, Kind!", wehrte die Gro�mutter; "das kann nicht sein, das Geld hast du nicht dazu bekommen, du musst es dem Gro�vater geben, er sagt dir dann schon, was du damit machen musst."

Aber Heidi lie� sich nicht st�ren in seiner Freude, es jauchzte und h�pfte in der Stube herum und rief ein Mal �bers andere: "Jetzt kann die Gro�mutter jeden Tag ein Br�tchen essen und wird wieder ganz kr�ftig, und--oh, Gro�mutter", rief es mit neuem Jubel, "wenn du dann so gesund wirst, so wird es dir gewiss auch wieder hell, es ist vielleicht nur, weil du so schwach bist."

Die Gro�mutter schwieg still, sie wollte des Kindes Freude nicht tr�ben. Bei seinem Herumh�pfen fiel dem Heidi auf einmal das alte Liederbuch der Gro�mutter in die Augen, und es kam ihm ein neuer freudiger Gedanke: "Gro�mutter, jetzt kann ich auch ganz gut lesen; soll ich dir einmal ein Lied lesen aus deinem alten Buch?"

"O ja", bat die Gro�mutter freudig �berrascht; "kannst du das auch wirklich, Kind, kannst du das?"

Heidi war auf einen Stuhl geklettert und hatte das Buch mit einer dicken Staubwolke heruntergezogen, denn es hatte lange unber�hrt gelegen da oben; nun wischte es Heidi sauber ab, setzte sich damit auf seinen Schemel zur Gro�mutter hin und fragte, was es nun lesen solle.

"Was du willst, Kind, was du willst", und mit gespannter Erwartung sa� die Gro�mutter da und hatte ihr Spinnrad ein wenig von sich geschoben.

Heidi bl�tterte und las leise hier und da eine Linie: "jetzt kommt etwas von der Sonne, das will ich dir lesen, Gro�mutter." Und Heidi begann und wurde selbst immer eifriger und immer w�rmer, w�hrend es las:

"Die g�ldne Sonne Voll
Freud und Wonne
Bringt unsern Grenzen
Mit ihrem Gl�nzen
Ein herzerquickendes, liebliches Licht.

Mein Haupt und Glieder
Die lagen darnieder;
Aber nun steh ich,
Bin munter und fr�hlich,
Schaue den Himmel mit meinem Gesicht.

Mein Auge schauet,
Was Gott gebauet
Zu seinen Ehren,
Und uns zu lehren,
Wie sein Verm�gen sei m�chtig und gro�.

Und wo die Frommen
Dann sollen hinkommen,
Wenn sie mit Frieden
Von hinnen geschieden
Aus dieser Erde verg�nglichem Scho�.

Alles vergehet,
Gott aber stehet
Ohn alles Wanken,
Seine Gedanken,
Sein Wort und Wille hat ewigen Grund.

Sein Heil und Gnaden
Die nehmen nicht Schaden,
Heilen im Herzen,
Die t�dlichen Schmerzen,
Halten uns zeitlich und ewig gesund.

Kreuz und Elende--
Das nimmt ein Ende,
Nach Meeresbrausen
Und Windessausen
Leuchtet der Sonne erw�nschtes Gesicht.

Freude die F�lle
Und selige Stille
Darf ich erwarten
Im himmlischen Garten,
Dahin sind meine Gedanken gericht'."


Die Gro�mutter sa� still da mit gefalteten H�nden, und ein Ausdruck unbeschreiblicher Freude, so wie ihn Heidi nie an ihr gesehen hatte, lag auf ihrem Gesicht, obschon ihr die Tr�nen die Wangen herabliefen. Als Heidi schwieg, bat sie mit Verlangen: "Oh, noch einmal, Heidi, lass es mich noch einmal h�ren:

'Kreuz und Elende
Das nimmt ein Ende'--"

Und das Kind fing noch einmal an und las in eigener Freude und Verlangen:

"Kreuz und Elende--
Das nimmt ein Ende,
Nach Meeresbrausen
Und Windessausen
Leuchtet der Sonne erw�nschtes Gesicht.

Freude die F�lle
Und selige Stille
Darf ich erwarten
Im himmlischen Garten,
Dahin sind meine Gedanken gericht'."


"O Heidi, das macht hell! Das macht so hell im Herzen! Oh, wie hast du mir wohl gemacht, Heidi!"

Ein Mal ums andere sagte die Gro�mutter die Worte der Freude, und Heidi strahlte vor Gl�ck und musste sie nur immer ansehen, denn so hatte es die Gro�mutter nie gesehen. Sie hatte gar nicht mehr das alte tr�bselige Gesicht, sondern schaute so freudig und dankend auf, als s�he sie schon mit neuen, hellen Augen in den sch�nen himmlischen Garten hinein.

Jetzt klopfte es am Fenster, und Heidi sah den Gro�vater drau�en, der ihm winkte, mit heimzukommen. Es folgte schnell, aber nicht ohne die Gro�mutter zu versichern, morgen komme es wieder, und auch wenn es mit Peter auf die Weide gehe, so komme es doch im halben Tag zur�ck; denn dass es der Gro�mutter wieder hell machen konnte und sie wieder fr�hlich wurde, das war nun f�r Heidi das allergr��te Gl�ck, das es kannte, noch viel gr��er, als auf der sonnigen Weide und bei den Blumen und Gei�en zu sein. Die Brigitte lief dem Heidi unter die T�r nach mit Rock und Hut, dass es seine Habe mitnehme. Den Rock nahm es auf den Arm, denn der Gro�vater kenne es jetzt schon, dachte es bei sich; aber den Hut wies es hartn�ckig zur�ck, die Brigitte sollte ihn nur behalten, es setze ihn nie, nie mehr auf den Kopf. Heidi war so erf�llt von seinen Erlebnissen, dass es gleich dem Gro�vater alles erz�hlen musste, was ihm das Herz erfreute, dass man die wei�en Br�tchen auch unten im D�rfli f�r die Gro�mutter holen k�nne, wenn man nur Geld habe, und dass es der Gro�mutter auf einmal so hell und wohl geworden war, und wie Heidi das alles zu Ende geschildert hatte, kehrte es wieder zum Ersten zur�ck und sagte ganz zuversichtlich: "Gelt, Gro�vater, wenn die Gro�muttter schon nicht will, so gibst du mir doch alles Geld in der Rolle, dass ich dem Peter jeden Tag ein St�ck geben kann zu einem Br�tchen und am Sonntag zwei?"

"Aber das Bett, Heidi?", sagte der Gro�vater; "ein rechtes Bett f�r dich w�re gut, und nachher bleibt schon noch f�r manches Br�tchen."

Aber Heidi lie� dem Gro�vater keine Ruhe und bewies ihm, dass es auf seinem Heubett viel besser schlafe, als es jemals in seinem Kissenbett in Frankfurt geschlafen habe, und bat so eindringlich und unabl�ssig, dass der Gro�vater zuletzt sagte: "Das Geld ist dein, mach, was dich freut; du kannst der Gro�mutter manches Jahr lang Brot holen daf�r."

Heidi jauchzte auf: "O juhe! Nun muss die Gro�mutter gar nie mehr hartes, schwarzes Brot essen, und, o Gro�vater! Nun ist doch alles so sch�n wie noch gar nie, seit wir leben!", und Heidi h�pfte hoch auf an der Hand des Gro�vaters und jauchzte in die Luft hinauf wie die fr�hlichen V�gel des Himmels. Aber auf einmal wurde es ganz ernsthaft und sagte: "Oh, wenn nun der liebe Gott gleich auf der Stelle getan h�tte, was ich so stark erbetete, dann w�re doch alles nicht so geworden, ich w�re nur gleich wieder heimgekommen und h�tte der Gro�mutter nur wenige Br�tchen gebracht und h�tte ihr nicht lesen k�nnen, was ihr wohl macht; aber der liebe Gott hatte schon alles ausgedacht, so viel sch�ner, als ich es wusste; die Gro�mama hat es mir gesagt, und nun ist alles so gekommen. Oh, wie bin ich froh, dass der liebe Gott nicht nachgab, wie ich so bat und jammerte! Aber jetzt will ich immer so beten, wie die Gro�mama sagte, und dem lieben Gott immer danken, und wenn er etwas nicht tut, das ich erbeten will, dann will ich gleich denken: Es geht gewiss wieder wie in Frankfurt, der liebe Gott denkt gewiss etwas viel Besseres aus. Aber wir wollen auch alle Tage beten, gelt Gro�vater, und wir wollen es nie mehr vergessen, damit der liebe Gott uns auch nicht vergisst."

"Und wenn's einer doch t�te?", murmelte der Gro�vater.

"Oh, dem geht's nicht gut, denn der liebe Gott vergisst ihn dann auch und l�sst ihn ganz laufen, und wenn es ihm einmal schlecht geht und er jammert, so hat kein Mensch Mitleid mit ihm, sondern alle sagen nur: Er ist ja zuerst vom lieben Gott weggelaufen, nun l�sst ihn der liebe Gott auch gehen, der ihm helfen k�nnte."

"Das ist wahr, Heidi, woher wei�t du das?"

"Von der Gro�mama, sie hat mir alles erkl�rt."

Der Gro�vater ging eine Weile schweigend weiter. Dann sagte er, seine Gedanken verfolgend, vor sich hin: "Und wenn's einmal so ist, dann ist es so; zur�ck kann keiner, und wen der Herrgott vergessen hat, den hat er vergessen."

"O nein, Gro�vater, zur�ck kann einer, das wei� ich auch von der Gro�mama, und dann geht es so wie in der sch�nen Geschichte in meinem Buch, aber die wei�t du nicht; jetzt sind wir aber gleich daheim, und dann wirst du schon erfahren, wie sch�n die Geschichte ist."

Heidi strebte in seinem Eifer rascher und rascher die letzte Steigung hinan, und kaum waren sie oben angelangt, als es des Gro�vaters Hand loslie� und in die H�tte hineinrannte. Der Gro�vater nahm den Korb von seinem R�cken, in den er die H�lfte der Sachen aus dem Koffer hineingesto�en hatte, denn den ganzen Koffer heraufzubringen w�re ihm zu schwer gewesen. Dann setzte er sich nachdenklich auf die Bank nieder. Heidi kam wieder herbeigerannt, sein gro�es Buch unter dem Arm: "Oh, das ist recht, Gro�vater, dass du schon dasitzt", und mit einem Satz war Heidi an seiner Seite und hatte schon seine Geschichte aufgeschlagen, denn die hatte es schon so oft und immer wieder gelesen, dass das Buch von selbst aufging an dieser Stelle. Jetzt las Heidi mit gro�er Teilnahme von dem Sohne, der es gut hatte daheim, wo drau�en auf des Vaters Feldern die sch�nen K�he und Sch�flein weideten und er in einem sch�nen M�ntelchen, auf seinen Hirtenstab gest�tzt, bei ihnen auf der Weide stehen und dem Sonnenuntergang zusehen konnte, wie es alles auf dem Bilde zu sehen war. "Aber auf einmal wollte er sein Hab und Gut f�r sich haben und sein eigener Meister sein und forderte es dem Vater ab und lief fort damit und verprasste alles. Und als er gar nichts mehr hatte, musste er hingehen und Knecht sein bei einem Bauer, der hatte aber nicht so sch�ne Tiere, wie auf seines Vaters Feldern waren, sondern nur Schweinlein; diese musste er h�ten, und er hatte nur noch Fetzen auf sich und bekam nur von den Trebern, welche die Schweinchen a�en, ein klein wenig. Da dachte er daran, wie er es daheim beim Vater gehabt und wie gut der Vater mit ihm gewesen war und wie undankbar er gegen den Vater gehandelt hatte, und er musste weinen vor Reue und Heimweh. Und er dachte: ' Ich will zu meinem Vater gehen und ihn um Verzeihung bitten und ihm sagen, ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu hei�en, aber lass mich nur dein Tagel�hner bei dir sein.' Und wie er von ferne gegen das Haus seines Vaters kam, da sah ihn der Vater und kam herausgelaufen--was meinst du jetzt, Gro�vater?", unterbrach sich Heidi in seinem Vorlesen; "jetzt meinst du, der Vater sei noch b�se und sage zu ihm: 'Ich habe dir's ja gesagt!'? Jetzt h�r nur, was kommt: Und sein Vater sah ihn und es jammerte ihn und lief und fiel ihm um den Hals und k�sste ihn, und der Sohn sprach zu ihm: 'Vater, ich habe ges�ndigt gegen den Himmel und vor dir und bin nicht mehr wert, dein Sohn zu hei�en.' Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: 'Bringt das beste Kleid her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an die F��e, und bringt das gem�stete Kalb her und schlachtet es und lasst uns essen und fr�hlich sein, denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, und er war verloren und ist wieder gefunden worden.' Und sie fingen an, fr�hlich zu sein."

"Ist denn das nicht eine sch�ne Geschichte, Gro�vater?", fragte Heidi, als dieser immer noch schweigend dasa� und es doch erwartet hatte, er werde sich freuen und verwundern.

"Doch, Heidi, die Geschichte ist sch�n", sagte der Gro�vater; aber sein Gesicht war so ernsthaft, dass Heidi ganz stille wurde und seine Bilder ansah. Leise schob es noch einmal sein Buch vor den Gro�vater hin und sagte: "Sieh, wie es ihm wohl ist", und zeigte mit seinem Finger auf das Bild des Heimgekehrten, wie er im frischen Kleid neben dem Vater steht und wieder zu ihm geh�rt als sein Sohn.

Ein paar Stunden sp�ter, als Heidi l�ngst im tiefen Schlafe lag, stieg der Gro�vater die kleine Leiter hinauf; er stellte sein L�mpchen neben Heidis Lager hin, so dass das Licht auf das schlafende Kind fiel. Es lag da mit gefalteten H�nden, denn zu beten hatte Heidi nicht vergessen. Auf seinem rosigen Gesichtchen lag ein Ausdruck des Friedens und seligen Vertrauens, der zu dem Gro�vater reden musste, denn lange, lange stand er da und r�hrte sich nicht und wandte kein Auge von dem schlafenden Kinde ab. Jetzt faltete auch er die H�nde, und halblaut sagte er mit gesenktem Haupte: "Vater, ich habe ges�ndigt gegen den Himmel und vor dir und bin nicht mehr wert, dein Sohn zu hei�en!" Und ein paar gro�e Tr�nen rollten dem Alten die Wangen herab.--

Wenige Stunden nachher in der ersten Fr�he des Tages stand der Alm- �hi vor seiner H�tte und schaute mit hellen Augen um sich. Der Sonntagmorgen flimmerte und leuchtete �ber Berg und Tal. Einzelne Fr�hglocken t�nten aus den T�lern herauf, und oben in den Tannen sangen die V�gel ihre Morgenlieder.

Jetzt trat der Gro�vater in die H�tte zur�ck. "Komm, Heidi!", rief er auf den Boden hinauf. "Die Sonne ist da! Zieh ein gutes R�cklein an, wir wollen in die Kirche miteinander!"

Heidi machte nicht lange; das war ein ganz neuer Ruf vom Gro�vater, dem musste es schnell folgen. In kurzer Zeit kam es heruntergesprungen in seinem schmucken Frankfurter R�ckchen. Aber voller Erstaunen blieb Heidi vor seinem Gro�vater stehen und schaute ihn an. "O Gro�vater, so hab ich dich nie gesehen", brach es endlich aus, "und den Rock mit den silbernen Kn�pfen hast du noch gar nicht getragen, oh, du bist so sch�n in deinem sch�nen Sonntagsrock."

Der Alte blickte vergn�glich l�chelnd auf das Kind und sagte: "Und du in dem deinen; jetzt komm!" Er nahm Heidis Hand in die seine, und so wanderten sie miteinander den Berg hinunter. Von allen Seiten t�nten jetzt die hellen Glocken ihnen entgegen, immer voller und reicher, je weiter sie kamen, und Heidi lauschte mit Entz�cken und sagte: "H�rst du's, Gro�vater? Es ist wie ein gro�es, gro�es Fest."

Unten im D�rfli waren schon alle Leute in der Kirche und fingen eben zu singen an, als der Gro�vater mit Heidi eintrat und ganz hinten auf der letzten Bank sich niedersetzte. Aber mitten im Singen stie� der zun�chst Sitzende seinen Nachbar mit dem Ellenbogen an und sagte: "Hast du das gesehen? Der Alm-�hi ist in der Kirche!"

Und der Angesto�ene stie� den Zweiten an und so fort, und in k�rzester Zeit fl�sterte es an allen Ecken: "Der Alm-�hi! Der Alm- �hi!", und die Frauen mussten fast alle einen Augenblick den Kopf umdrehen, und die meisten fielen ein wenig aus der Melodie, so dass der Vors�nger die gr��te M�he hatte, den Gesang sch�n aufrechtzuerhalten. Aber als dann der Herr Pfarrer anfing zu predigen, ging die Zerstreutheit ganz vor�ber, denn es war ein so warmes Loben und Danken in seinen Worten, dass alle Zuh�rer davon ergriffen wurden, und es war, als sei ihnen allen eine gro�e Freude widerfahren. Als der Gottesdienst zu Ende war, trat der Alm-�hi mit dem Kinde an der Hand heraus und schritt dem Pfarrhaus zu, und alle, die mit ihm heraustraten und die schon drau�en standen, schauten ihm nach, und die meisten gingen hinter ihm her, um zu sehen, ob er wirklich ins Pfarrhaus eintrete, was er tat. Dann sammelten sie sich in Gruppen zusammen und besprachen in gro�er Aufregung das Unerh�rte, dass der Alm-�hi in der Kirche erschienen war, und alle schauten mit Spannung nach der Pfarrhaust�r, wie der �hi wohl wieder herauskommen werde, ob in Zorn und Hader oder im Frieden mit dem Herrn Pfarrer, denn man wusste ja gar nicht, was den Alten heruntergebracht hatte und wie es eigentlich gemeint sei. Aber doch war schon bei vielen eine neue Stimmung eingetreten, und einer sagte zum andern: "Es wird wohl mit dem Alm-�hi nicht so b�s sein, wie man tut; man kann ja nur sehen, wie sorglich er das Kleine an der Hand h�lt." Und der andere sagte: "Das hab ich ja immer gesagt, und zum Pfarrer hinein ginge er auch nicht, wenn er so bodenschlecht w�re, sonst m�sste er sich ja f�rchten; man �bertreibt auch viel." Und der B�cker sagte: "Hab ich das nicht zuallererst gesagt? Seit wann l�uft denn ein kleines Kind, das zu essen und zu trinken hat, was es will, und sonst alles Gute, aus alledem weg und heim zu einem Gro�vater, wenn der b�s und wild ist und es sich zu f�rchten hat vor ihm?" Und es kam eine ganz liebevolle Stimmung gegen den Alm-�hi auf und nahm �berhand, denn jetzt nahten sich auch die Frauen herzu, und diese hatten so manches von der Gei�enpeterin und der Gro�mutter geh�rt, das den Alm-�hi ganz anders darstellte, als die allgemeine Meinung war, und das ihnen jetzt auf einmal glaublich schien, dass es mehr und mehr so wurde, als warteten sie alle da, um einen alten Freund zu bewillkommnen, der ihnen lange gemangelt hatte.

Der Alm-�hi war unterdessen an die T�r der Studierstube getreten und hatte angeklopft. Der Herr Pfarrer machte auf und trat dem Eintretenden entgegen, nicht �berrascht, wie er wohl h�tte sein k�nnen, sondern so, als habe er ihn erwartet; die ungewohnte Erscheinung in der Kirche musste ihm nicht entgangen sein. Er ergriff die Hand des Alten und sch�ttelte sie wiederholt mit der gr��ten Herzlichkeit, und der Alm-�hi stand schweigend da und konnte erst kein Wort herausbringen, denn auf solchen herzlichen Empfang war er nicht vorbereitet. Jetzt fasste er sich und sagte: "Ich komme, um den Herrn Pfarrer zu bitten, dass er mir die Worte vergessen m�chte, die ich zu ihm auf der Alm geredet habe, und dass er mir nicht nachtragen wolle, wenn ich widerspenstig war gegen seinen wohlmeinenden Rat. Der Herr Pfarrer hat ja in allem Recht gehabt und ich war im Unrecht, aber ich will jetzt seinem Rate folgen und auf den Winter wieder ein Quartier im D�rfli beziehen, denn die harte Jahreszeit ist nichts f�r das Kind dort oben, es ist zu zart, und wenn auch dann die Leute hier unten mich von der Seite ansehen, so wie einen, dem nicht zu trauen ist, so habe ich es nicht besser verdient, und der Herr Pfarrer wird es ja nicht tun."

Die freundlichen Augen des Pfarrers gl�nzten vor Freude. Er nahm noch einmal des Alten Hand und dr�ckte sie in der seinen und sagte mit R�hrung: "Nachbar, Ihr seid in der rechten Kirche gewesen, noch eh Ihr in die meinige herunterkamt; des freu ich mich, und dass Ihr wieder zu uns kommen und mit uns leben wollt, soll Euch nicht gereuen, bei mir sollt Ihr als ein lieber Freund und Nachbar alle Zeit willkommen sein, und ich gedenke manches Winterabendst�ndchen fr�hlich mit Euch zu verbringen, denn Eure Gesellschaft ist mir lieb und wert, und f�r das Kleine wollen wir auch gute Freunde finden." Und der Herr Pfarrer legte sehr freundlich seine Hand auf Heidis Krauskopf und nahm es bei der Hand und f�hrte es hinaus, indem er den Gro�vater fortbegleitete, und erst drau�en vor der Haust�r nahm er Abschied, und nun konnten alle die herumstehenden Leute sehen, wie der Herr Pfarrer dem Alm-�hi die Hand immer noch einmal sch�ttelte, gerade als w�re das sein bester Freund, von dem er sich fast nicht trennen k�nnte. Kaum hatte dann auch die T�r sich hinter dem Herrn Pfarrer geschlossen, so dr�ngte die ganze Versammlung dem Alm-�hi entgegen, und jeder wollte der Erste sein, und so viele H�nde wurden miteinander dem Herankommenden entgegengestreckt, dass er gar nicht wusste, welche zuerst ergreifen, und einer rief ihm zu: "Das freut mich! Das freut mich, �hi, dass Ihr auch wieder einmal zu uns kommt!", und ein anderer: "Ich h�tte auch schon lang gern wieder einmal ein Wort mit Euch geredet, �hi!" Und so t�nte und dr�ngte es von allen Seiten, und wie nun der �hi auf alle die freundlichen Begr��ungen erwiderte, er gedenke, sein altes Quartier im D�rfli wieder zu beziehen und den Winter mit den alten Bekannten zu verleben, da gab es erst einen rechten L�rm, und es war gerade so, wie wenn der Alm-�hi die beliebteste Pers�nlichkeit im ganzen D�rfli w�re, die jeder mit Nachteil entbehrt hatte. Noch weit an die Alm hinauf wurden Gro�vater und Kind von den meisten begleitet, und beim Abschied wollte jeder die Versicherung haben, dass der Alm-�hi bald einmal bei ihm vorspreche, wenn er wieder herunterkomme; und wie nun die Leute den Berg hinab zur�ckkehrten, blieb der Alte stehen und schaute ihnen lange nach, und auf seinem Gesichte lag ein so warmes Licht, als schiene bei ihm die Sonne von innen heraus. Heidi schaute unverwandt zu ihm auf und sagte ganz erfreut: "Gro�vater, heut wirst du immer sch�ner, so warst du noch gar nie."

"Meinst du?", l�chelte der Gro�vater. "Ja, und siehst du, Heidi, mir geht's auch heut �ber Verstehen und Verdienen gut, und mit Gott und Menschen im Frieden stehen, das macht einem so wohl! Der liebe Gott hat's gut mit mir gemeint, dass er dich auf die Alm schickte."

Bei der Gei�enpeter-H�tte angekommen, machte der Gro�vater gleich die T�r auf und trat ein. "Gr�� Gott, Gro�mutter", rief er hinein; "ich denke, wir m�ssen einmal wieder ans Flicken gehen, bevor der Herbstwind kommt."

"Du mein Gott, das ist der �hi!", rief die Gro�mutter voll freudiger �berraschung aus. "Dass ich das noch erlebe! Dass ich Euch noch einmal danken kann f�r alles, das Ihr f�r uns getan habt, �hi! Vergelt's Gott! Vergelt's Gott!"

Und mit zitternder Freude streckte die alte Gro�mutter ihre Hand aus, und als der Angeredete sie herzlich sch�ttelte, fuhr sie fort, indem sie die seinige fest hielt: "Und eine Bitte hab ich auch noch auf dem Herzen, �hi: Wenn ich Euch je etwas zuleid getan habe, so straft mich nicht damit, dass Ihr noch einmal das Heidi fortlasst, bevor ich unten bei der Kirche liege. Oh, Ihr wisst nicht, was mir das Kind ist!", und sie hielt es fest an sich, denn Heidi hatte sich schon an sie geschmiegt.

"Keine Sorge, Gro�mutter", beruhigte der �hi; "damit will ich weder Euch noch mich strafen. Jetzt bleiben wir alle beieinander und, will's Gott, noch lange so."

Jetzt zog die Brigitte den �hi ein wenig geheimnisvoll in eine Ecke hinein und zeigte ihm das sch�ne Federnh�tchen und erz�hlte ihm, wie es sich damit verhalte, und dass sie ja nat�rlich so etwas einem Kinde nicht abnehme.

Aber der Gro�vater sah ganz wohlgef�llig auf sein Heidi hin und sagte: "Der Hut ist sein, und wenn es ihn nicht mehr auf den Kopf tun will, so hat es Recht, und hat es ihn dir gegeben, so nimm ihn nur."

Die Brigitte war h�chlich erfreut �ber das unerwartete Urteil. "Er ist gewiss mehr als zehn Franken wert, seht nur!", und in ihrer Freude streckte sie das H�tchen hoch auf. "Was aber auch dieses Heidi f�r einen Segen von Frankfurt mit heimgebracht hat! Ich habe schon manchmal denken m�ssen, ob ich nicht den Peterli auch ein wenig nach Frankfurt schicken solle; was meint Ihr, �hi?"

Dem �hi schoss es ganz lustig aus den Augen. Er meinte, es k�nnte dem Peterli nichts schaden; aber er w�rde doch eine gute Gelegenheit dazu abwarten.

Jetzt fuhr der Besprochene eben zur T�r herein, nachdem er zuerst mit dem Kopf so fest dagegen gerannt war, dass alles erklirrte davon; er musste pressiert sein. Atemlos und keuchend stand er nun mitten in der Stube still und streckte einen Brief aus. Das war auch ein Ereignis, das noch nie vorgekommen war, ein Brief mit einer Aufschrift an das Heidi, den man ihm auf der Post im D�rfli �bergeben hatte. Jetzt setzten sich alle voller Erwartung um den Tisch herum, und Heidi machte seinen Brief auf und las ihn laut und ohne Ansto� vor. Der Brief war von der Klara Sesemann geschrieben. Sie erz�hlte Heidi, dass es seit seiner Abreise so langweilig geworden sei in ihrem Hause, sie es nicht lang hintereinander so aushalten k�nne und so lange den Vater gebeten habe, bis er die Reise ins Bad Ragaz schon auf den kommenden Herbst festgestellt habe, und die Gro�mama wolle auch mitkommen, denn sie wolle auch das Heidi und den Gro�vater besuchen auf der Alm. Und weiter lie� die Gro�mama noch dem Heidi sagen, es habe Recht getan, dass es der alten Gro�mutter die Br�tchen habe mitbringen wollen, und damit sie diese nicht trocken essen m�sse, komme gleich der Kaffee noch dazu, er sei schon auf der Reise, und wenn sie selbst nach der Alm komme, so m�sse das Heidi sie auch zur Gro�mutter f�hren.

Da gab es nun eine solche Freude und Verwunderung �ber diese Nachrichten und so viel zu reden und zu fragen, da die gro�e Erwartung alle gleich betraf, dass selbst der Gro�vater nicht bemerkte, wie sp�t es schon war, und so vergn�gt und fr�hlich waren sie alle in der Aussicht auf die kommenden Tage und fast noch mehr in der Freude �ber das Zusammensein an dem heutigen, dass die Gro�mutter zuletzt sagte: "Das Sch�nste ist doch, wenn so ein alter Freund kommt und uns wieder die Hand gibt, so wie vor langer Zeit; das gibt so ein tr�stliches Gef�hl ins Herz, dass wir einmal alles wieder finden, was uns lieb ist. Ihr kommt doch bald wieder, �hi, und das Kind morgen schon?"

Das wurde der Gro�mutter in die Hand hinein versprochen; nun aber war es Zeit zum Aufbruch, und der Gro�vater wanderte mit Heidi die Alm hinan, und wie am Morgen die hellen Glocken von nah und fern sie heruntergerufen hatten, so begleitete nun aus dem Tale herauf das friedliche Gel�ut der Abendglocken sie bis hinauf zur sonnigen Almh�tte, die ganz sonnt�glich im Abendschimmer ihnen entgegengl�nzte.

Wenn aber die Gro�mama kommt im Herbst, dann gibt es gewiss noch manche neue Freude und �berraschung f�r das Heidi wie f�r die Gro�mutter, und sicher kommt auch gleich ein richtiges Bett auf den Heuboden hinauf, denn wo die Gro�mama hintritt, da kommen alle Dinge bald in die erw�nschte Ordnung und Richtigkeit, nach au�en wie nach innen.









End of Project Gutenberg's Heidis Lehr- und Wanderjahre, by Johanna Spyri

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