The Project Gutenberg EBook of Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise
s�dlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet., by Gerhard Rohlfs

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Title: Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise s�dlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet.

Author: Gerhard Rohlfs

Release Date: May 24, 2005 [EBook #15890]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUFENTHALT IN MAROKKO ***




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Transcriber's notes: _ Kursiv / italic
                     [] Korrektur von Satzfehlern / correction of typos




      Mein erster Aufenthalt

                in

              Marokko

                und

      Reise s�dlich vom Atlas

               durch

     die Oasen Draa und Tafilet.



                Von

          Gerhard Rohlfs.



            BREMEN, 1873.

Verlag von J. K�htmann's Buchhandlung,

        U. L. Fr. Kirchhof 4.



#VORWORT.#

       *       *       *       *       *

Indem ich dem geneigten Leser die Beschreibung meines ersten Aufenthaltes
in Marokko �bergebe, verweise ich dabei auf die ausgezeichneten Karten, die
seiner Zeit in den Petermann'schen Mittheilungen �ber meine Routen
erschienen sind. Ich habe mir die gr�sste M�he gegeben, durch Vergleichung
mit anderen Angaben ein ann�hernd genaues Resultat �ber die Einwohnerzahl
des Landes und der St�dte zu erlangen, und hoffe das Richtige getroffen zu
haben, so weit das �berhaupt durch Sch�tzung zu erm�glichen ist. Sehr
bedauerlich ist f�r mich, dass durch einen Schreibfehler in meinem
Manuscripte die Zahl 25,000 statt 250,000 f�r die Draabev�lkerung auch in
Dr. Behm's geogr. Jahrb�cher �bergegangen ist. Im vorliegenden Buche bitte
ich ausserdem bei Dar beida statt 300 Einwohner 3000, und bei Asamor statt
30,000 Einwohner 3000 lesen zu wollen.

Weimar, September 1872.

#GERHARD ROHLFS.#




#INHALT.#

       *       *       *       *       *

 1. Ankunft in Marokko
 2. Bodengestalt und Klima
 3. Bev�lkerung
 4. Religion
 5. Krankheiten und deren Behandlung
 6. Uesan el Dar Demana
 7. Eintritt in marokkanische Dienste
 8. Die Hauptstadt Fes
 9. Mikenes und Heimreise nach Uesan
10. Politische Zust�nde
11. Consulatswesen
12. Aufenthalt beim Grossscherif von Uesan
13. Reise l�ngs des atlantischen Oceans
14. Reise s�dlich vom Atlas nach der Oase Draa
15. Die Oase Draa. Mordversuch auf den Reisenden. Ankunft in Algerien

       *       *       *       *       *




1. Ankunft in Marokko.

       *       *       *       *       *

Am 7. April 1861 verliess ich Oran und schiffte an Bord eines franz�sischen
Messagerie-Dampfers in Mers el kebir ein. Es war Nachmittag, als wir beim
herrlichsten Wetter aus der grossen Bucht hinausdampften. Die meisten an
Bord befindlichen Passagiere wollten, wie ich, nach Marokko, doch waren
auch einige, die Nemours, Gibraltar und Cadix als Reiseziel hatten. Der
gr�sseren Ersparniss wegen hatte ich einen Deckplatz genommen, da mein
Geldvorrath �usserst gering war; das Wetter war eben so sommerlich, die das
Dampfboot f�hrenden Leute so freundlich und zuvorkommend, dass man kaum an
die gr�sseren Unbequemlichkeiten des Decklebens dachte.

Zudem hatte ich genug mit mir selbst zu thun, ich hatte mir fest
vorgenommen, ins Innere von Marokko zu gehen, um dort im Dienste der
Regierung meine medicinischen Kenntnisse zu verwerthen. Zu der Zeit sprach
man in Spanien und Algerien viel von einer Reorganisation der
marokkanischen Armee; es hiess, der Sultan habe nach dem Friedensschlusse
mit Spanien die Absicht ausgesprochen, Reformen einzuf�hren; man las in den
Zeitungen Aufforderungen, nach Marokko zu gehen, jeder Europ�er k�nne dort
sein Wissen und sein K�nnen verwerthen. Dies Alles besch�ftigte mich, ich
machte die sch�nsten Pl�ne, ich dachte um so eher in Marokko fortkommen zu
k�nnen, als ich durch jahrelangen Aufenthalt in Algerien acclimatisirt war;
ich glaubte um so eher mich den Verh�ltnissen des Landes anschmiegen zu
k�nnen, als ich in Algerien gesucht hatte, mich der arabischen Bev�lkerung
zu n�hern und mit der Sitte und Anschauungsweise dieses Volkes mich bekannt
zu machen.

Um Mitternacht wurde ein kurzer Halt vor Nemours (Djemma Rassaua) gemacht,
um Passagiere abzusetzen und einzunehmen, und wieder ging es weiter nach
dem Westen, und als es am folgenden Morgen tagte, befanden wir uns gerade
in gleicher H�he von Melilla. Ich unterlasse es, eine Beschreibung der
K�stenfahrt zu geben, von der sich �berdies �usserst wenig sagen l�sst.
Nackt, steil und abschreckend fallen die Felsw�nde ins Meer hinein.
Freilich ist die K�ste gar nicht so einf�rmig, wie sie sich in einer
Entfernung von circa dreissig Seemeilen ausnimmt, welche Entfernung wir
gew�hnlich hielten, auch konnte man deutlich manchmal Wald und Buschwerk
unterscheiden; aber das belebende Element fehlt, kein Dorf, kein St�dtchen
ist zu erblicken, h�chstens die einsame Kuppel des Grabmals irgend eines
Heiligen sagt dem Vorbeifahrenden, dass auch dort an der K�ste Menschen
hausen.

H�tte nicht Spanien einige befestigte Punkte, Strafanstalten, an dieser
K�ste, sie w�rde vollkommen unbewohnt erscheinen. Alhucemas, Pegnon de
Velez bekamen wir nach einander von ferne zu sehen, als einzige Zeichen von
Menschenbauten. Denn wenn auch die Rifbewohner einige D�rfer an der K�ste
haben, so sind diese doch so versteckt angelegt, dass sie sich dem Auge des
Vorbeifahrenden entziehen. Der Seer�uber scheut das Licht, er muss
Schlupfwinkel haben, und die in unmittelbarer N�he des Mittelmeers
wohnenden Rifi sind nichts Anderes als Seer�uber, und zwar der schlimmsten
Art. Freilich wagen sie sich heute nicht mehr aufs offene Meer, haben dazu
auch weder passende Fahrzeuge noch gen�gende Waffen, aber wehe dem Schiffe,
das an ihrer K�ste scheitert, wehe dem Boote, welches der Sturm in eine
ihrer Buchten treiben sollte.

Wie ganz anders ist die gegen�berliegende spanische K�ste, gr�ne, wein- und
olivenumrankte Berge, �berall St�dte, freundliche Villen und D�rfer, kleine
Schiffe, die den K�stenverkehr vermittelm [vermitteln]; man kann keinen
gr�sseren Gegensatz denken.

Gegen Abend desselben Tages verliessen wir die K�ste, ohne sie jedoch ganz
aus den Augen zu verlieren, und hielten auf Gibraltar, welches noch Nachts
erreicht wurde. Bis zum folgenden Mittag ruhte der Dampfer, sodann wurde
die Meerenge durchschnitten und wir waren um 3 Uhr vor Tanger. Zahlreiche
Jollen waren gleich vorhanden, uns Passagiere aufzunehmen, die jetzt ausser
mir fast nur noch aus Bewohnern des Landes Marokko bestanden. Eine Jolle
war bald gefunden, aber man kann auch mit diesen kleinen Fahrzeugen nicht
unmittelbar ans Land kommen, sondern bedarf dazu eines Menschen, der einen
heraustragen muss. Bei sehr flachem Strande ist n�mlich die Brandung so
stark, dass die B�te dort nicht anlegen k�nnen. Ich miethete einen
kr�ftigen Neger, der mich rittlings auf seinen Schultern vom Boote aus ans
Land trug.

F�r einzelne Reisende sind die Douane-Schwierigkeiten nicht l�stig, zumal
f�r mich, da mein Pass bekundete, dass ich unter englischem Schutze st�nde.
Die Dragomanen der verschiedenen Consulate fragen die gelandeten Fremden
nach ihrer Nationalit�t, und als ich meinen Bremer Pass in die H�nde eines
vornehm aussehenden Juden legte, des Dolmetsch des englischen
Generalconsulates, waren im Augenblick alle Schwierigkeiten beseitigt. Die
Hansest�dte standen dazumal unter grossbritanischem Schutze, w�hrend
Preussen sich durch Schweden vertreten liess.

Ein Absteigequartier war auch bald gefunden, das H�tel de France, welches
von einem Levantiner Franzosen gehalten wurde, ein reizendes Haus, in �cht
maurischem Style. Von einem fr�heren Gouverneur der Stadt erbaut, geh�rte
dasselbe jetzt der marokkanischen Regierung, der Eigenth�mer der
Gastwirthschaft hatte es nur miethweise.

Ausser mir war noch ein Blumenh�ndler dort, der mit dem Bruder des Sultans,
Mulei el Abbes, Gesch�fte machen wollte, und auch hoffte bei den
europ�ischen Consuln seine Waare absetzen zu k�nnen, dann ein Spanier,
vormals Offizier der spanischen Armee: Joachim Gatell. Letzterer wollte,
wie ich, in Marokko Dienste nehmen und lebte nun schon seit mehreren
Monaten in Tanger. Ich weiss nicht, aus welchen Gr�nden er die spanische
Armee verlassen hatte; als Verwandter von Prim, der sich soeben bei Tetuan
noch so ausgezeichnet hatte, h�tte er in Spanien sicher eine
Zukunft gehabt. Besch�ftigt mit der Uebersetzung des spanischen
Artillerie-Reglements ins Arabische, wollte er dies dem Sultan pr�sentiren
und dann in die marokkanische Armee eintreten. Nebenbei hatte ihm Mulei el
Abbes noch gl�nzende Versprechungen gemacht.

Mein n�chster Weg war sodann zum englischen Gesandten, Sir Drummond Hay.
Obwohl ich nicht reich war, vielmehr beinahe von allen Mitteln entbl�sst,
obwohl ich kein einziges Empfehlungsschreiben vorzuzeigen hatte und obschon
ich ihm ein vollkommen Fremder und nicht einmal ein Engl�nder war, empfing
mich Sir Drummond mit liebensw�rdigster Zuvorkommenheit. Aber wie
zerstieben meine Tr�ume. Ich erfuhr, dass an eine Reorganisation der
Zust�nde des Landes nicht gedacht w�rde, dass der religi�se Fanatismus eher
zu- als abn�hme, dass, wenn der Sultan f�r seine Person auch vielleicht
Reformen in einigen Dingen w�nsche, der Religionshass der Eingeborenen
gegen alles Christliche so gross sei, dass an Ausf�hrung nicht gedacht
werden k�nnte. Allerdings habe der Sultan eine _regelm�ssige_ Armee
gebildet, aber diese sei nur dem Namen nach regelm�ssig, und falls ich auf
dem Beschluss best�nde, ins Innere des Landes gehen zu wollen, sei vor
Allem _erforderlich_, �usserlich den Islam anzunehmen.

Entmuthigt kehrte ich ins Hotel zur�ck. Aber eine Berathung mit Gatell, der
Reiz des Neuen, das Lockende, v�llig unbekannte Gegenden durchziehen zu
k�nnen, fremde V�lker und Sitten, ihre Sprache und Gebr�uche kennen zu
lernen, ein Trieb zu Abenteuern, ein Hang, Gefahren zu trotzen: alles dies
bewog mich, das Wagniss auszuf�hren, und nach einer zweiten Unterredung mit
Sir Drummond wurde beschlossen, ich solle--(es war dies das _einzige_
Mittel, um ins Innere des Landes Zugang zu bekommen)--_�usserlich_ den
Islam annehmen und eine Anstellung als Arzt in der Armee des Sultans
nachsuchen. Unter dieser Verkleidung und mit solchen Intentionen, meinte
Sir Drummond, sei ich in Fes eines guten Empfanges sicher und k�nne mich so
lange im Lande aufhalten wie ich wollte. Mulei el Abbes, den ich versuchte
zu besuchen, war indess nicht sichtbar f�r mich, jedesmal kam ich zu
ungelegener Zeit.

Unterdessen machte ich mich rasch und mit Energie daran, meinen Vorsatz
auszuf�hren, obschon alle anderen Europ�er abriethen. Ich vermied aber so
viel wie m�glich mit ihnen in weitere Ber�hrungen zu kommen, namentlich
mied ich das spanische Consulat (obschon mir dasselbe sp�ter in Marokko
viel Freundschaft erwiesen hat), um nicht als Spion verd�chtigt zu werden.
Denn h�tten die Mohammedaner mich nach wie vor mit Christen verkehren
sehen, so w�rden sie es gleich gemerkt haben, dass ich nur zum Schein
�bergetreten. So war ich nur f�nf Tage in Tandja, wie der Marokkaner die
Stadt nennt, und am sechsten Tage hatte ich dem Orte schon den R�cken
gekehrt, in Begleitung eines Landbewohners, der es �bernommen hatte, mich
nach Fes bringen zu wollen.

Ich hatte meine Sachen auf das Nothd�rftigste reducirt, ein B�ndelchen mit
W�sche war Alles, was ich bei mir hatte, nach Landessitte trug ich es an
einem Stocke h�ngend auf der Schulter; eine weisse Djelaba (ein weisses
langes wollenes, mit Capuze versehenes Hemd) war meine Kleidung. Gelbe
Pantoffeln, dann eine spanische M�tze, worein ich mein letztes Geld--eine
englische F�nf-Pfundnote--gen�ht hatte, endlich ein schwarzer weiter
europ�ischer Ueberzug, der als Burnus dienen konnte: das war mein Anzug.
Ich hatte keine Waffen, ein kleines Buch mit Bleistift, um Notizen machen
zu k�nnen, war in der Tasche verborgen. Dies war meine ganze Ausr�stung.

Gewiss ein Wagest�ck, unter solchen Umst�nden, mit solchen mehr als
bescheidenen Mitteln in ein vollkommen fremdes Land eindringen zu wollen!
Um so mehr, als ich von der arabischen Sprache nur die gew�hnlichsten
Redensarten auswendig wusste und weit davon entfernt war, auch nur
mangelhaft sprechen zu k�nnen. Allerdings hatte ich Eine Phrase gut
auswendig gelernt, die Glaubensformel der Mohammedaner, welche, man kann es
sagen, alleiniger Schl�ssel zum Oeffnen dieser von so fanatischer
Bev�lkerung bewohnten Gegenden ist. Diese Glaubensformel--wer h�tte sie
nicht schon geh�rt oder gelesen--lautet: _"Lah ilah il allah, Mohammed
ressul ul Lah,"_[1] ausser Gott kein Gott, Mohammed ist der Gesandte
Gottes.

      [Fu�note 1: Ganz genau so sprechen die Marokkaner den Satz aus,
       obschon es nach der Schreibweise eine etwas andere Aussprache sein
       m�sste.]

Mein Gef�hrte schien vollkommen �berzeugt, ich sei zum Islam �bergetreten,
nur glaube ich, vermuthete er, ich sei heimlich entflohen aus irgend einem
verborgenen unlauteren Grund, vielleicht dachte er auch, dass bei den
Christen der Uebertritt von einer Religion, wie bei den Mohammedanern mit
dem Tode bestraft w�rde; aber das schien ihm gewiss, dass mein P�ckchen mit
W�sche gestohlen sei, vielleicht noch andere Sachen enthielte und ich mich
damit aus dem Staube machen wolle. Nat�rlicherweise mussten ihm solche
Gedanken kommen: ein Marokkaner, wenn er auf Reisen geht, beschwert sich
nie mit W�sche zum Wechseln, und wenn es selbst der Sultan w�re.

Wir schlugen einen Weg ein, der in der Richtung nach Tetuan f�hrte, weil
mein Begleiter im "Djebel" (Gebirge) vorher einen Freund aufsuchen wollte,
und bald genug hatten wir die n�chste Umgegend Tangers verlassen. Der Weg
war nicht belebt, denn es war nicht der nach Tetuan f�hrende Karavanenweg.
Aber wie entz�ckend war die Umgebung, und wenn auch die Pflanzenwelt nicht
neu f�r mich war, wenn auch das Thierreich n�rdlich vom Atlas �berhaupt
wenig bietet, was nicht in den �brigen L�ndern am Mittelmeerbecken zu
finden ist, das schon Gesehene unter anderen Verh�ltnissen �bt immer einen
m�chtigen Zauber aus.

Da sieht man die Wege bordirt von der Stachelfeige oder, wie der Marokkaner
sagt: "Christenfeige, karmus nssara", von der langbl�ttrigen Alo�s,
Lentisken- und Myrtengeb�sch, Schlingpflanzen wuchern dazwischen. Der April
ist f�r Marokko die Zeit, welche in Deutschland etwa dem Ende Mai und dem
Anfang Juni entsprechen w�rde. Die Pracht und F�lle der Natur hat nun keine
Grenzen. Der heisse und austrocknende S�dostwind hat seine t�dtenden
Wirkungen auf die ganze Natur noch nicht ausge�bt. Wie alle G�rten der
St�dte Marokko's zeigen sich dann auch die Tanger's durch Ueppigkeit aus.
Und da in den unteren Theilen die Bew�sserung gut ist, wird Alles gezogen,
was man nur in Europa an Gem�se kennt.

Aber wir waren bald im Gebirge, nicht ohne vorher einer von Tetuan
kommenden Karavane begegnet zu sein, bei welcher mehrere Europ�er waren,
die mich alle baten und beschworen, nicht in alleiniger Begleitung eines
Mohammedaners und sogar ohne Waffen ins Innere des Gebirges zu gehen. Aber
ich liess mich nicht mehr bereden, es waren die letzten Christen, die ich
f�r lange Zeit zu sehen bekam. Man hatte mir in Tanger gesagt, ich solle
nie aussagen, ich wolle nach Fes oder zum Sultan, sondern ich ginge nach
Uesan zum Grossscherif Sidi el Hadj-Abd-es Ssalam. Da hernach noch
ausf�hrlicher von dieser merkw�rdigen Pers�nlichkeit die Rede sein soll,
beschr�nke ich mich darauf, hier anzuf�hren, dass er der gr�sste Heilige
von Marokko ist und im ganzen Nordwesten von Afrika unter den Mohammedanern
ungef�hr dieselbe Rolle spielt, wie der Papst bei den ultramontanen
Katholiken.

Durch viele kleine Duar (Zeltd�rfer) und Tschar (H�userd�rfer) kommend, die
alle von h�bschen G�rten umgeben waren, zog ich trotz meiner
halbmarokkanischen Kleidung �berall die Blicke der Eingeborenen auf mich,
und Si-Embark (so nannte sich mein Gef�hrte) hatte genug zu thun, die
Neugier der Leute zu befriedigen. Aber kaum hatte er gesagt: "er geht zu
Sidi, ist ein zum Islam �bergetretener Inglese" (Engl�nder), als alle
beruhigt waren. Der Name "Sidi" (so wird schlecht weg der Grossscherif von
Uesan genannt, er bedeutet Meinherr) wirkte �berall wie Zauber. Ich liess
es ruhig geschehen, dass sie glaubten, ich sei Engl�nder, die M�he, ihnen
auseinanderzusetzen, welcher Nationalit�t ich angeh�re, w�rde �berdies bei
ihren kindlichen geographischen Kenntnissen vergebliche Arbeit gewesen
sein.

Bald nach Sonnenuntergang erreichten wir ein ziemlich hoch am Berge
gelegenes D�rfchen. Alle H�user und Geh�fte waren von hohen Cactushecken
umgeben, ebenso die einzelnen G�rten. Vor einem Hause wurde Halt gemacht,
und Si-Embark wurde vom Besitzer mit grosser Freude empfangen. "Wie ist
Dein ich? Wie bist Du? Wie ist Dein Zustand? Nicht wahr, gut?" Das waren
die Fragen, die Beide sich unz�hlige Male, nachdem der erste _"ssalamu
alikum"_ ausgetauscht worden war, wiederholten. Dabei k�ssten sie sich
recht herzlich, und allm�hlich, als etwas mehr Ruhe in die rasch
erfolgenden und, wie es schien, stereotypen Fragen kam, wurden diese h�ufig
untermischt mit anderen Fragen, nach den Kornpreisen, ob die Pferde auf dem
letzten Markte theuer gewesen seien, ob der Sultan wirklich die und die
Tribe gebrandschatzt habe, und dergleichen mehr. Nat�rlich wurde die
Neugier in Betreff meiner auch gestillt.

Das Haus, in welches wir sodann gef�hrt wurden, bestand wie alle �brigen
nur aus Einem Zimmer. Die W�nde waren auswendig und innen �berkalkt, der
Fussboden war aus gestampftem Lehm, der Plafond aus Rohr, welches auf
St�mmen aus Aloes ruhte. Fenster waren nicht vorhanden, und die einzige
Th�r so niedrig, dass ein f�nfj�hriges Kind allenfalls aufrecht hindurch
gehen konnte. Das �ussere Dach, � cheval dar�ber gelegt, war aus Stroh.
Eine Matte, ein Teppich, auf einer Erderh�hung eine Art Matratze war das
ganze Ameublement.

Gegen�ber dem Hause befanden sich zwei Zelte, f�r je eine Frau, denn das
Haus war von zwei Br�dern bewohnt. Man findet es in Marokko �berhaupt sehr
oft, dass zwei verheirathete Br�der Eine Wirthschaft haben. Der alte Vater
der beiden Br�der lebte noch und bewohnte das Haus.--Der ganze folgende Tag
wurde auch noch in diesem Dorfe, dessen Namen ich leider nicht erfuhr,
zugebracht. Hier wurde ich in den Augen der Eingeborenen nun zum wirklichen
Mohammedaner gestempelt; sie riethen mir n�mlich, oder vielmehr befahlen,
mein Kopfhaar glatt abzurasiren. Sie wollten sich allerdings herbeilassen,
mir eine Gotaya, d.h. einen Zopf stehen zu lassen; aber diese chinesiche
[chinesische] Art, das Haar zu tragen, wollte ich nicht, und Morgens nach
Sonnenaufgang bekam mein Kopf auf einmal das Ansehen, welches Mirza-Schaffy
f�r den sch�nsten Schmuck des Mannes h�lt. Der alte Papa hatte selbst das
Rasiren besorgt, freilich unter grossen Qualen meinerseits: er bediente
sich dazu seines ganz gew�hnlichen Messers. Ein F�tha (d.h. Segen) wurde
gesprochen, ein "Gottlob" entquoll jeder Brust, und nun war ich ihrer
Meinung nach vollkommener Muselmann.

Die Beschneidung wird bei vielen Berbertriben, wie ich das sp�ter n�her
er�rtern werde, nicht als zum Islam unumg�nglich nothwendig gehalten[2].

      [Fu�note 2: Siehe dar�ber auch H�st, S. 208.]

Nat�rlich musste ich von nun an alle Gebr�uche, die der Islam erfordert,
mitmachen. Zum ersten Male ass ich mit der Hand aus einer irdenen Sch�ssel
mit dem m�nnlichen Hauspersonal. Die Leute unterrichteten mich, wie der
Bissen zu fassen und zum Munde zu f�hren sei, und Nachts musste ich mich
bequemen, auf hartem Erdboden zu schlafen, froh f�r diesmal eine Matte zu
haben. Die Beleuchtung Abends bestand aus einer kleinen th�nernen Lampe,
ganz �hnlich in Form und Gestalt den antiken griechischen und r�mischen.
Ein Klumpen Butter wurde hineingeworfen, irgend ein baumwollener Fetzen zu
einem Dochte zusammen gedreht, und fertig war die alte Grossmama der
brillanten Gaslampe.

Am dritten Tage Morgens wurde die Reise fortgesetzt, ich nat�rlich immer zu
Fusse. Vor Sonnenaufgang aufgebrochen, erreichten wir um "Dhaha" beim Ued
Aisascha die grosse von Tanger nach L'xor (Alcassar) f�hrende
Karavanenstrasse. Eine Uhr besass ich damals nicht, und bald lernte ich wie
die Marokkaner meine Zeit nach der Sonne, dem Schatten, den
Magenbed�rfnissen und anderen Kleinigkeiten erkennen. Der Marokkaner hat
als Zeiteintheilung vor allem Sonnenaufgang, Sonnenh�he oder Mittag, und
Sonnenuntergang. Sodann die halbe Zeit zwischen Sonnenaufgang und Mittag,
endlich zwischen Mittag und Sonnenuntergang ebenfalls die halbe Zeit. F�r
alle diese Zeitpunkte hat man auch bestimmte Namen[3]. Wenn ich sagte, dass
wir die grosse Karavanenstrasse erreichten, so denke man dabei ja nicht an
eine gepflasterte oder makadamisirte Chaussee, dergleichen giebt es im
ganzen marokkanischen Reiche nicht, wie denn auch der Gebrauch des Wagens
noch ganz unbekannt ist. Eine solche Strasse besteht aus verschiedenen mehr
oder weniger parallel neben einander herlaufenden Pfaden. Je betretener
eine solche Strasse ist, um so mehr Pfade gehen neben einander, oft
zwanzig, ja bis zu f�nfzig, die sich in einander schl�ngeln, so dass das
Ganze von der Vogel-Perspective aus gesehen, wie ein langgezogenes Netz
erscheinen w�rde.

      [Fu�note 3: Sonnenaufgang Seroct el schems, gegen 9 Uhr Morgens
       Dhaha, Mittag nus el nhar, Nachmittags 3 Uhr L'asser, Untergang der
       Sonne Hebut el schems. Diesen Zeiten entsprechen auch die Gebete,
       doch ist das Dhaha-Gebet nicht obligatorisch]

Die Gegend war immer gleich strotzend von Ueppigkeit, und die weissen
Gipfel der Rifberge im Osten trugen nur dazu bei, den Reiz derselben zu
erh�hen. Wir waren jetzt im Monat April. Man fing schon an hie und da die
Gerste zu ernten. Die Verh�ltnisse sind in dieser Beziehung in Marokko ganz
anders als bei uns. Der Acker wird gemeiniglich im December, auch wohl
Anfang Januar bestellt, mittelst eines primitiven Pfluges, wohl ganz
derselben Art, wie sich die Araber vor 2000 Jahren desselben bedienten. Ob
die Berber den Pflug _vor_ der arabischen Invasion gekannt haben, ist
nicht mit Bestimmtheit zu sagen, von allen �brigen V�lkern Afrika's kennt
nur der Abessinier den Pflug, und nach Abbessinien ist er auch
wahrscheinlich aus Arabien her�bergekommen. S�dlich vom Atlas, in den Oasen
der Sahara, in Centralafrika wird der Boden nur mit der Hacke bearbeitet.
Das Schneiden der Frucht geschieht mittelst krummer Messer, Sicheln kann
man kaum sagen, und so nahe unter der Aehre, dass fast das ganze Stroh
stehen bleibt, dies soll dann zugleich f�r die n�chste Bestellung des
Ackers als D�ngungsmittel dienen. In Haufen l�sst man alsdann das Getreide
einige Zeit auf dem Felde trocknen und hernach wird das Korn durch Rinder,
_denen das Maul verbunden ist_[4] und die im Kreise herumgetrieben
werden, ausgetreten. Eine aus Lehm gestampfte Tenne dient in der Regel
einem ganzen Dorfe. Das Getreide, was man f�r den n�chsten Gebrauch nicht
im Hause beh�lt, wird in grosse L�cher gesch�ttet. Diese Gruben von
birnf�rmiger Gestalt mit engem Halse als Oeffnung nach oben, sind mehr als
mannstief und unten 4 bis 5 Fuss breit; man legt sie immer auf Erh�hungen
und im trockenen Erdreich an, das Getreide soll sich jahrelang darin
halten.

      [Fu�note 4: H�st (S. 129) behauptet zwar das Gegentheil, ich habe es
       aber nur so ausdreschen sehen.]

Es war an dem Tage ungemein warm; obschon an Gehen gew�hnt, war mir der
Marsch mit blossen F�ssen in den d�nnen gelben Pantoffeln �usserst
beschwerlich; nach der Sitte der Marokkaner hatte ich meine Hosen
eingerichtet, d.h. bis zu den Knieen abgeschnitten und die Folge davon war,
dass hier die empfindliche Haut von einem Sonnenstich bald blauroth wurde
und schmerzhaft brannte. Gl�cklicherweise hatte Si-Embark eine kleine
Rku�[5] bei sich, woraus wir unseren Durst stillen konnten. Abends
erreichten wir einen Duar, d. i. ein Zeltdorf, in dem gen�chtigt wurde. Es
war ein Kreis von 17 Zelten; eins, das sich durch gr�ssere Feinheit des
Stoffes auszeichnete, auch ger�umiger als die �brigen war, geh�rte dem Mul
el Duar (Dorfherr), der zu gleicher Zeit Aeltester der Familie und ihr Kaid
war. Sein Zelt stand mit den �brigen im selben Kreise, manchmal lagern die
Kaids in der Mitte oder auch abseits vom Duar. Nicht bei allen Triben
herrscht �berdies die Sitte, die Zelte kreisf�rmig aufzuschlagen; viele
lieben es, in Einer Front die Zelte zu errichten oder auch die Behausungen
den �rtlichen Verh�ltnissen der Gegend anzupassen. Si-Embark hatte mir den
ganzen Tag �ber gute Lehren gegeben, wie ich mich zu verhalten h�tte, und
ich ersah daraus, dass es vor Allem darauf ankam, fortw�hrend Gott im Munde
zu haben. Doch waren manche andere Kleinigkeiten darunter, die uns
l�cherlich erscheinen werden. Als er mich das Wort "rsass", Blei, f�r Kugel
anwenden h�rte, unterbrach er mich rasch und meinte, es sei unanst�ndig,
dies Wort, womit man Menschen t�dte, zu nennen; er sagte mir darauf, wie
ich zu sagen habe. Das Wort entfiel mir damals, aber sp�ter fand ich, dass
man in Marokko allgemein f�r Bleikugel das Wort "chfif", d.h. "leicht"
sagt. Gerade die dem Blei entgegenstehende Eigenschaft. Er sagte mir, ich
solle nie die Frauen und jungen M�dchen ansehen und als Fremder nicht mit
ihnen sprechen, kurz, er gab mir goldene Lehren, machte sich freilich auch
am folgenden Tag daf�r bezahlt.

      [Fu�note 5: Rku�, kleiner Schlauch, den man selbst tr�gt; Girba,
       Schlauch, den das Vieh zu tragen bekommt.]

Im Duar logirten wir nicht im Gitun el diaf oder Fremdenzelt, sondern
Si-Embark hatte auch hier seinen speciellen Freund, bei dem er Unterkommen
fand und ich mit ihm. Hatte ich am Abend vorher zum ersten Male eine
einheimische feste Behausung kennen gelernt, so war jetzt das Leben und
Weben einer Zeltfamilie mir erschlossen. Ich sah jetzt ein, welch
ungemeinen Vortheil ich aus der Maske des Islam ziehen w�rde. H�tte man
einen Christen oder auch einen unter Gepr�nge reisenden Mohammedaner so
ohne Weiteres ins geheiligte Innere eines Familienzeltes zugelassen? Nie.
Auf diese Art, unscheinbar, ohne alle Mittel, aber ganz wie die dortige
Bev�lkerung selbst lebt--auf diese Art reisend, durfte ich hoffen, genau
die Sitten und Gebr�uche der Eingeborenen kennen zu lernen. Vor mir war
keine Scheu, keine Zur�ckhaltung, Jeder gab sich, wie er war, ja, ich kann
sagen, auf dem Lande beeiferte man sich, mich mit Allem, was mir neu und
unbekannt war, bekannt zu machen. Freilich war ich auch geplagt daf�r vom
Morgen bis zum Abend. Ich hatte, um mich besser der zudringlichen Fragen,
warum ich gekommen, weshalb ich �bergetreten, warum ich nicht heirathe und
mich sesshaft mache etc. etc., erwehren zu k�nnen, ausgesagt, ich sei Arzt;
aber von dem Augenblick war keine Ruhe mehr. Die mit wirklichen Krankheiten
Behafteten sowohl, wie die vollkommen Gesunden, Alles wollte Mittel und
Rathschl�ge vom ehemaligen christlichen Arzt haben. Freilich sch�pfte ich
auch hieraus manchen Nutzen, denn ebenso gut wie in Europa der Arzt
manchmal mehr erf�hrt als der Beichtvater, haben in jeder Beziehung die
Marokkaner Vertrauen zu dem Arzte, wenn sie nur einmal den geringsten
Beweis seiner Heilkraft erprobt haben.

Das Zelt, welches wir f�r die Nacht bewohnten, war dasselbe, worin die
ganze Familie unseres Gastgebers zubrachte. Im Allgemeinen sind die Zelte
der Marokkaner etwas kleiner als die der Algeriner, aber gr�sser als die
der Bewohner von Tripolitanien und Cyrenaika. Dies gilt indess nur f�r die
Theile in Marokko, die unter der Hand des Sultans oder seiner Blutsauger
stehen, in den Gebieten, welche eine unabh�ngige Herrschaft haben, besitzen
die St�mme ebenso grosse, wenn nicht noch gr�ssere Zelte als die der Triben
in Algerien. Man kann mit Recht von dem grossen Hause oder grossen Zelte
auf den Wohlstand Einzelner, sowie auch ganzer Triben schliessen, und wie
bei uns urspr�nglich die Redensart: "er ist aus einem grossen Hause", "er
macht ein grosses Haus", nicht nur bildlich sondern in Wirklichkeit zu
nehmen ist, so auch in Marokko; "_min dar kebira_", oder "_cheima
kebira_" heisst vom grossen Hause, vom grossen Zelte und bedeutet, dass
der, auf den es Bezug hat, wirklich ein grosses Haus oder grosses Zelt,
mithin Reichthum und Macht besitzt.

Man kann wohl denken, dass das Zelt, welches wir bewohnten, nicht zu den
grossen geh�rte; in der einen H�lfte schliefen Mann und Frau, in der
anderen wir und noch zwei m�nnliche halberwachsene Kinder. Die Scheidewand
war durch die im Zelte �blichen M�bel gebildet: hohe S�cke mit Korn, darauf
ein Sattel, Ackerger�th, zwei Flinten, ein grosser Schlauch mit Wasser, ein
anderer, worin gebuttert wird und der nur halb voll zu sein schien[6],
T�pfe und leere h�lzerne Sch�sseln vervollst�ndigten die trennende
Barrikade. Bei Vornehmen pflegt aber aus Zeug eine Scheidewand gezogen zu
sein. Ein kleines F�llen, welches an unserer Seite angebunden war, bekam
mehrere Male Nachts Gesellschaft, Ziegen, Schafe, wahrscheinlich Besitz des
Eigenth�mers, kamen aus der Mitte des Duars ins Zelt, um einen kurzen
Besuch zu machen, wobei sie ungenirt �ber uns wegkletterten.
Gl�cklicherweise sind die Hunde _des Zeltes_, in das man einmal
aufgenommen ist, nicht mehr zu f�rchten, es ist, als ob sie den Gastfreund
ihres Herrn respectiren wollten. Aber wehe Dem, der ohne Knittel Nachts
einen Duar verlassen oder in denselben einzudringen versuchen wollte, er
w�rde von der ganzen Meute der stets halbverhungerten Bestien angefallen
werden. Und dennoch kommt mitunter Diebstahl vor, man lockt durch faules
oder frisches Fleisch die hungerigen Thiere fort, und mit Leichtigkeit kann
dann gestohlen werden, da die Eingeborenen sich Nachts nur auf die
Wachsamkeit ihrer Hunde verlassen.

      [Fu�note 6: Man giesst mehrere Morgen nach einander die frisch
       gemolkene Milch in einen Ziegenschlauch, und sp�ter wird durch
       Sch�tteln die Butter erzeugt.]

Die Heerden, d.h. Rinder, Schafe und Ziegen werden stets f�r die Nacht in
den inneren Kreis getrieben und Morgens und Abends gemolken. Besitzt ein
Einzelner viele Schafe, so werden sie in zwei Reihen mit den K�pfen nach
vorn gerichtet, durcheinander gebunden, um so gemolken zu werden. Sobald
ein Schaf gemolken ist, wird es freigelassen. Unter der Zeit f�hren die
Widder der verschiedenen Heerden furchtbare K�mpfe auf und meistens lassen
die Besitzer sie gew�hren. Ein jeder der K�mpfer geht ungef�hr zehn Schritt
zur�ck, und sodann st�rzen beide mit gesenktem Kopfe auf einander, dass die
K�pfe zu zerspringen drohen. Sie bohren nach jedem Stosse mit dem Kopfe
nach vorw�rts, sie fallen auf die Knie, endlich r�umt der eine das Feld,
w�hrend der andere laut schnuppernd zu seiner Heerde eilt. Das
marokkanische Schaf ist nicht das fettschw�nzige. Die H�rner des Schafes
sind spiralf�rmig gebogen, der Kopf ist vorn gew�lbt, die Wolle lang und
fein, durch Veredlung dieses Schafes ist das spanische Merino entstanden.
F�r Veredlung der Race der Schafe wird nat�rlich in Marokko gar nichts
gethan, im Gegentheil wundert man sich, dass sie bei so ung�nstiger
Behandlungsweise noch so ausgezeichnet gedeihen. Hems� sch�tzt die Zahl der
Schafe auf vierzig bis f�nfundvierzig Millionen. Wo Schafe sind, ist
gleichzeitig auch Ziegenzucht und verh�ltnissm�ssig gedeihen diese besser,
weil sie weniger Wartung bed�rfen. Vorzugsweise in den gebirgigen Theilen
Marokko's zieht man dieselben, und von den Einwohnern werden sie wegen
ihrer Felle gesch�tzt. Die Schl�uche zum Wasserbedarf, Eimer, sind nur dann
gut, wenn sie aus Ziegen- oder Bockfellen bereitet sind. Aber auch das
gegerbte Leder, Safian, Maroquin, oder das, was heute am bew�hrtesten ist,
Fessian und das von Tafilet wird aus Ziegenleder bereitet; als Fleisch
zieht der Marokkaner jedoch Schaffleisch dem Ziegenfleisch vor.

Am Morgen ehe wir den Duar verliessen, gab man uns statt der �blichen
Morgensuppe, ein Gericht grosser Bohnen, welche in Wasser gekocht und mit
Butter gegessen wurden. Wir hatten die Absicht, Abends noch die Stadt L'xor
zu erreichen. Wie am Tage vorher war die Hitze ausserordentlich, und ich
fing bald an, mich meiner �berfl�ssigen Kleidungsst�cke zu entledigen, auch
mein spanisches M�tzchen wurde dem B�ndel beigef�gt und daf�r aus meinem
Tuch zum besseren Schutz gegen die Sonne ein Turban gedreht. Si-Embark war
freundlich genug, das Packet, mein ganzes Hab und Gut auf sein Maulthier zu
nehmen, welches in zwei an beiden Seiten angebundenen K�rben, "Schuari"
genannt, verschiedene Waaren seines Herrn trug. So wurde Tleta-Risane
erreicht, Oertlichkeit, wo Dienstags ein Markt abgehalten wird; ungef�hr
halbwegs zwischen Tanger und L'xor gelegen, zeichnet sich dieser Platz
sonst durch nichts aus. Manchmal soll auch in der N�he ein Duar zu finden
sein, zu der Zeit sahen wir nur eine leere St�tte, die aber auf den ersten
Blick andeutete, dass zu Zeiten dort grosses Leben und Treiben sein m�sste.
Hier standen leere H�tten aus Zweigen, dort waren Metzgerpl�tze, und viele
Aasgeier und Raben durchw�hlten noch den blutdurchtr�nkten Boden, hier sah
man Asche der Schmiedewerkst�tte, dort todte Kohlenreste einer Gark�che,
aber nirgends war ein Mensch zu sehen.

Da Wasser in der N�he war und die Sonne ihren h�chsten Stand erreicht
hatte, w�rde gelagert, und nachdem wir etwas trockenes Brod gegessen
hatten, sagte Si-Embark, er wolle einen Freund aus einem in der N�he
lagernden Duar abholen, ich solle ihn erwarten, gemeinschaftlich wollten
wir dann nach L'xor gehen. Ich wagte nicht, um nicht misstrauisch zu
scheinen, ihn um mein B�ndelchen zu bitten, er entfernte sich und nie habe
ich ihn wiedergesehen.

Ich wartete und wartete, Si-Embark kam nicht wieder; die dem Untergange
zueilende Sonne mahnte aber zum Aufbruch. Indess ein �ngstliches Gef�hl
beschlich mich, so allein auf jetzt v�llig einsamer Strasse weiter zu
ziehen, s�mmtlicher Sachen beraubt. Ich hatte vor, nach Tanger
zur�ckzukehren, aber ich sch�mte mich, nach einer dreit�gigen Reise dort
und noch dazu unter solchen Verh�ltnissen wieder zu erscheinen. Ich nahm
noch einen t�chtigen Trunk Wasser und vorw�rts zog ich nach S�den. Da
Si-Embark mir gesagt hatte, im Funduk el Sultan in L'xor absteigen zu
wollen, hoffte ich noch, ihn dort zu finden; aber auch diese Hoffnung
erwies sich als falsch.

Es war Abend, als ich L'xor erreichte, mein eigenth�mlicher Aufzug, halb
europ�isch halb marokkanisch gekleidet, erregte nat�rlich das gr�sste
Aufsehen. Hunderte von Menschen umdr�ngten mich bald, Kinder l�rmten,
schimpften und schrien, auch marokkanische Juden kamen hinzu, und das war
ein Gl�ck f�r mich. Der P�belhaufe wollte n�mlich nicht glauben, ich sei
Moslim, und wenn ich auch nicht Alles verstand, was sie mir B�ses sagten,
merkte ich doch so viel, dass sie keineswegs vom Eindringen eines Christen
in ihre Stadt erbaut gewesen w�ren; als aber die Juden, welche spanisch
verstanden, oder wie die Marokkaner sagen, "el adjmia" reden (adjmia wendet
der Marokkaner auf jede fremde Sprache an), erkl�rten, ich sei allerdings
Christ gewesen, habe aber die Religion der Gl�ubigen angenommen,
werwandelte [verwandelte] sich das Schimpfen in ein "Gottlob", und als die
Juden nun noch hinzuf�gten, ich beabsichtige nach dem "dar demana"[7] zu
pilgern, um sp�ter in die Dienste des Sultans zu treten, war Jedermann
zufrieden.

      [Fu�note 7: Dar demana, Haus der Zuflucht, wird Uesan von den frommen
       Gl�ubigen genannt.]

Mittlerweile waren auch ein paar Maghaseni (Reiter der Regierung, die zum
Theil in den St�dten Polizeidienst versehen) hinzugekommen; ohne Weiteres
ergriff der eine meine Hand und bedeutete, mit ihm zu kommen. Ich wollte
nicht, der Maghaseni rief immerw�hrend: "tkellem el Kaid" (der Kaid l�sst
Dich rufen), und schien gar nicht zu fassen, dass man einer solchen
Aufforderung �berhaupt Widerstand entgegensetzen k�nne. Die Juden redeten
zu, mitzugehen, sie selbst w�rden f�r mich dolmetschen, ich solle nur keine
Furcht haben, der Kaid sei ein guter Mann.--Angekommen im Dar el Maghasen,
wie jedes Regierungsgeb�ude in Marokko genannt wird, einerlei, ob man das
Palais des Sultans oder die Wohnung eines gew�hnlichen Kaid damit meint,
wurde ich sogleich vorgelassen. Den ganzen Weg �ber hatte mich immer der
eine Maghaseni bei der Hand gehalten, w�hrend der andere hinten drein ging;
erst als wir vor dem Kaid waren, wurde ich losgelassen. Auch sp�ter habe
ich diese Sitte in Marokko beobachtet, dass, wenn Jemand gerufen wurde, er
immer an der Hand vom Rufenden herbeigebracht wurde.

Der Kaid Kassem empfing mich sehr freundlich, eine Tasse Thee erquickte
mich ungemein, ich musste mich setzen und sodann begann er zu fragen, woher
ich komme, nach Vaterland, wes Standes, wohin ich wolle, ob ich
verheirathet, etc. etc. Der mich begleitende Jude explicirte Alles. Darauf
hielt der Kaid, ich muss ihm diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, eine
eindringliche Rede, nicht ins Innere zu gehen; als ehemaliger Christ w�re
ich Alles besser gewohnt, denn Alles sei schlecht in Marokko; er erbot sich
sogar, mir ein Pferd zur R�ckreise nach Tanger zu stellen und mich durch
einen Maghaseni begleiten zu lassen.

Als er sah, dass ich darauf bestand, nach Fes gehen zu wollen, glaubte ich
zu verstehen, wie er zu dem Juden sagte: "er hat gewiss gemordet oder sonst
etwas verbrochen, und _darf_ zu den Christen nicht zur�ckkehren." Nach
Beendigung des Verh�rs war ich unvertraut genug mit den Sitten des Landes,
nach dem "Funduk el Sultan" zu verlangen; denn der Kaid hatte es nat�rlich
als selbstverst�ndlich betrachtet, dass ich bei ihm wohne. Aber auch so
noch erstreckte sich seine Freundlichkeit weiter, er befahl einem Maghaseni
und dem Juden, mich nach dem genannten Funduk zu begleiten: ich solle dort
auf seine Kosten wohnen, Nahrungsmittel wolle er schicken. Nat�rlich wird
er dem Miethsmann des Funduks als Entsch�digung nichts gegeben haben, was
er �berdies auch kaum n�thig hatte, da der Name "Funduk el Sultan", d.h.
"Gasthof zum Kaiser" nicht etwa in unserem Sinne zu verstehen ist, sondern
so viel bedeutet, als Eigenthum des Sultans oder der Regierung. In der
Regel geh�ren die Funduks in Marokko entweder der Regierung oder irgend
einer Djemma (Moschee) an und werden verpachtet.

Die Stadt L'xor (so gesprochen ist es der marokkanischen Aussprache am
n�chsten, geschrieben wird aber Alkassar) liegt ungef�hr 10 Minuten vom
rechten Ufer des Ued-Kus entfernt, nach Ali Bey auf 35� 1' 10" N. B. und 8�
9' 45" W. L. v. P. in einer freundlichen Alluvialebene. Die Stadt soll nach
Leo von Almansor[8] gegr�ndet sein; da aber Edris derselben unter dem Namen
Kasr-Abd-el-Kerim erw�hnt, so hat wohl Sultan Almansor, wie Renou richtig
bemerkt, nur zur Vergr�sserung der Stadt beigetragen. Die Bev�lkerung ist
sehr schwankend, Hems� nimmt nur 5000 Einwohner an, Washington 8000, bei
meiner zweiten Reise in Marokko taxirte ich die Stadt auf 30,000 Seelen,
mich st�tzend auf die Anzahl der bewohnten H�user, die mir zu 2600
angegeben wurden. Fr�her muss die Stadt noch bedeutender gewesen sein, wie
man aus den vielen Ruinen und leeren Djemmen schliessen kann. Eigenth�mlich
f�r Marokko ist, dass die meisten H�user nicht flach sind, sondern spitze,
mit Ziegeln gedeckte D�cher haben. Wie wenig Ab�nderungen in den Gebr�uchen
beim Volke in Marokko vor sich gehen, ersieht man daraus, dass der von Leo
als am Montage ausserhalb der Stadt abgehaltene Markt auch noch jetzt am
Montage abgehalten wird. Sehr auffallend f�r alle Besucher der Stadt ist
die ungeheure Anzahl von Storchnestern mit ihren Besitzern, wenn die
Jahreszeit sie herbeizieht, nicht nur die H�user sind voll davon, sogar auf
den B�umen erblickt man sie. Aeusserst g�nstig als Zwischenstapelplatz der
H�fen L'Araisch, Arseila und Tanger einerseits, der Binnenst�dte Fes und
Uesan andererseits, hat bei besserer Entwickelung des Handels L'xor eine
Zukunft vor sich.

      [Fu�note 8: Maltzan meint, dass hier die Stadt Bauasa der Alten
       gelegen sei, welche Stadt freilich, als am Sebu gelegen angegeben
       wird, sonst stimmen die Entfernungen.]

Ausserdem ist die Gegend eine der reichsten von Marokko, was man an Gem�sen
nur bauen will, gedeiht um L'xor. Freilich liegt der Gem�sebau in Marokko
noch arg danieder. Obschon der Marokkaner Gelegenheit hat, in den von
Christen cultivirten G�rten der Hafenst�dte alle Gem�se kennen zu lernen,
kann doch von einer eigentlichen Gartencultur der Marokkaner selbst kaum
die Rede sein. Wie gut w�rde aber Alles hier gedeihen; versorgt doch das
nahe Algerien unter nicht ganz so g�nstigen klimatischen Verh�ltnissen,
wegen geringerer Feuchtigkeit des Bodens und der Luft, im Winter fast ganz
Europa mit frischen Gem�sen der feinsten Art. Die uns unentbehrliche
Kartoffel hat den Weg in das Innere des Landes noch nicht finden k�nnen.
Mit Ausnahme der G�rten des Sultans in Fes, Mikenes, Maraksch etc. kennt
man nirgends Spargel, Artischocken, Blumenkohl und andere feine Gem�se. Und
selbst dort werden sie keineswegs des Nutzens halber gezogen; irgend ein
Consul brachte sie vielleicht zum Geschenk, man zieht sie nun als Blumen
und wundert sich, dass die Christen solches Zeug essen.

Das Gem�se, was in Marokko gebaut wird, ist bald aufgez�hlt. Rothe und
gelbe R�ben, Steckr�ben, grosse Bohnen, Rankbohnen, Erbsen, Linsen,
Zwiebeln, Knoblauch, Kohl findet man fast �berall, Sellerie und Petersilie
ebenfalls. Was aber gerade bei L'xor besonders gut gedeiht, sind die
Melonen, sowohl die gew�hnlichen wie die Wassermelonen. Man sagt, dass die
um L'xor wachsenden Trauben schlecht seien wegen des zu feuchten Bodens.

Gegenstand der gr�ssten Neugier, blieb ich durch starken Regen gezwungen
vier Tage in der Stadt und lernte immer mehr mich an die eigenth�mlichen
Sitten gew�hnen, "Christ, laufe doch nicht immer auf und ab," rief mir ein
alter Kaffeetrinker eines Abends zu, als er sah, wie ich im Hofe in
Gedanken auf und ab ging. Ich setzte mich und fragte, ob das denn ein
Verbrechen sei. "Das nicht," antwortete mir ein Anderer, "aber ohne Zweck
auf- und abgehen thun nur die Thiere und ist hier nicht anst�ndig[9]."
"Gott verfluche Deinen Vater," sagte ein Anderer zu mir, "wenn er Dir auch
gute Lehren giebt, hat er doch kein Recht, Dich _Christ_ zu nennen;
Gott sei Dank, Du glaubst jetzt an einen einigen Gott und an dessen
Liebling, Gott vertilge alle Christen und lasse sie ewig brennen!"--"Aber,
o Wunder!" fing ein Dritter an, "seht den ungl�ubigen Hund, wie er die
H�nde gefaltet hat (ich hatte mich auf t�rkisch niedergesetzt und in
Gedanken die H�nde gefaltet), gewiss betet er seine s�ndhaften Gebete!" Ich
entfaltete rasch meine H�nde, und ein Anderer ermahnte mich nun, nie wieder
in der Gesellschaft von Gl�ubigen solche gottvergessenen Handlungen
vorzunehmen.

      [Fu�note 9: Ich �bersetze das Wort "drif", dessen er sich bediente
       so, eigentlich bedeutet es zart, elegant, fein gebildet.]

So unangenehm es auch war, auf diese Art auf Tritt und Schritt wie ein
kleines Kind geschulmeistert zu werden, so lernte ich doch dadurch rasch
die Sitten in ihren kleinsten Einzelheiten kennen. Am peinlichsten war mir
immer die Essstunde; abgesehen davon, dass am Boden hockend aus einer
Sch�ssel gegessen wird, und Jeder mit halb oder gar nicht gewaschener Hand
ins Essen f�hrt, haben alle Marokkaner die sehr unangenehme Angewohnheit,
zwischen und gleich nach dem Essen _laut aufzustossen_. "Veizeih's
[Verzeih's] Gott," ist das Einzige, was so ein alter Schlemmer mit seiner
unsauberen Erleichterung zugleich ausruft, und ein "Gott sei gelobt" der
Anwesenden giebt die Billigung derselben zu erkennen.

Als endlich das Wetter sich aufheiterte, setzte ich in Begleitung eines
Bauern aus der Umgegend von Tetuan meine Reise nach Uesan fort. Durch die
strotzenden G�rten hatten wir bald den Ued Kus erreicht, setzten �ber und
gingen auf die Berge los; obschon man den Weg recht gut in Einem Tage
machen kann, n�chtigten wir doch abermals, da der anhaltende Regen die Wege
in dem Lehmboden fast grundlos gemacht hatte. Die Gegend wurde uns als
gef�hrlich geschildert, doch sch�tzte uns der Umstand, dass wir Uesan als
Reiseziel hatten. Der Ruf des dortigen Grossscherif ist in der That so
gross, dass Alle, die zu ihm pilgern, unter einem allgemein anerkannten
Schutz stehen.

Die reizende Gegend, durch die wir zogen, jeder H�gel, jeder Berggipfel,
wie in der Romagna mit einem Dorf oder St�dtchen, machte einen grossen
Eindruck auf mich. Mit grosser Freigebigkeit wurden wir Mittags in einem
Orte, Kaschuka genannt, bewirthet, angestaunt von der ganzen Bev�lkerung,
welche wohl noch nie einen Deutschen gesehen hatte. In einem dem
Grossscherif geh�renden Dorfe aus Zelten wurde �bernachtet, und am anderen
Morgen gegen 9 Uhr erreichten wir die heilige Pilgerstadt, das Mekka der
Marokkaner.

Doch bevor ich den Leser mit Uesan bekannt mache, werfen wir auf
Bodengestalt, Klima und Bev�lkerung des ganzen Reiches einen Blick.

       *       *       *       *       *




2. Bodengestalt und Klima

       *       *       *       *       *

Das am nordwestlichen Ende von Afrika gelegene Kaiserreich Marokko, Rharb
el djoani[10] im Lande selbst genannt, ist von allen an das Mittelmeer
grenzenden L�ndern Nordafrika's eins der am g�nstigsten gelegenen. Es w�rde
zu nichts f�hren, wollten wir versuchen, die Gr�sse des Landes in Zahlen
anzugeben; selbst eine allgemeine Bezeichnung, dass Marokko zwischen den so
und so vielten L�ngen- und Breitengraden liege, giebt nur ann�hernd einen
Begriff und wechselt je nachdem wir die bedeutenden Oasen von Gurara, Tuat
und Tidikelt, die fast bis zum 26� N. B. nach dem S�den und bis zum 22� O.
L. von Ferro reichen, hinzurechnen oder nicht. Halten wir diese letzte
Ausdehnung fest und rechnen die grossen Strecken w�sten Terrains, welche
zwischen den Oasen und dem atlantischen Ocean liegen, hinzu, so k�nnen wir
uns den besten Begriff von der Gr�sse Marokko's machen, wenn wir dann aus
der Karte ersehen, dass es um ein Drittel gr�sser ist, als Frankreich,[11]
ohne diese Gebiete aber ungef�hr mit Deutschland eine gleiche Gr�sse hat.

      [Fu�note 10: Der Name Maghreb el aksa ist im Lande selbst nicht
       bekannt und gebr�uchlich, wohl aber sagt man Rharb schlechtweg, oder
       Bled-es-Sidi-Mohammed, oder bled Fes nach der Hauptstadt. Das Wort
       djoani bedeutet nach Wetzstein das "innere" und "eigentliche", also
       der innere und eigentliche Westen.]

      [Fu�note 11: Kl�den und Behm 12,210 Quadrat-Meilen. Renou 5775
       Myriam.-Q.-M. Beaumier 5000 M.-Q.-M. Daniel ca. 13,000 Q.-M. A. Rey
       und Xavier Durrieu 24,379 Lieues car. Gr�berg de Hems� 219,400 Q.-M.
       italiane. Jardine 50,000 (englische) Q.-M. Donndorf 7425 Q.-M. J.
       Duval 57,000,000 Hectars und in Berlings Staatszeitung von 1778
       giebt Tempelmann 6287 Q.-M. f�r Fes, Tafilet und Marokko an.]

Wenige L�nder von Afrika haben im Verh�ltniss zum Binnenlande eine so
grosse K�stenentwickelung. Die Gestadel�nge Marokko's am atlantischen Ocean
betr�gt 1265, die an der Meerenge von Gibraltar 60, die am Mittelmeere 425
Kilometer, w�hrend die Landgrenze nur eine L�nge von 250 Kilometer hat.[12]

      [Fu�note 12: Nach Renou, der Tuat etc. nicht mit in seine
       Berechnungen gezogen hat.]

Was die K�sten ihrer Beschaffenheit nach anbetrifft, so fallen dieselben im
Norden nach dem Mittelmeere steil ab mit unz�hligen Buchten, die aber zu
klein sind, um einen guten Hafen zu bilden. Dennoch sind sie gross genug,
um den Rif-Piraten mit ihren kleinen Fahrzeugen Versteck und Sicherheit
gegen Sturm und st�rmische Witterung zu gew�hren. Indess fehlen die guten
Ankerpl�tze auch nicht. Zwischen den Djafarin-Inseln und an der K�ste bei
Melilla, bei Ceuta, haben grosse Schiffe vollkommenen Schutz, und noch
andere H�fen w�rden sich mit geringen Mitteln herstellen lassen, so
namentlich die grosse Bucht von Alhucemas, fast gegen�ber von Malaga,
liesse sich mit leichter M�he zu einem pr�chtigen Ankerplatz umwandeln.

An der Strasse von Gibraltar liegt Tanger mit einer zu weiten Bucht, um nur
als sichere Rhede betrachtet werden zu k�nnen; der einstige kleine Hafen
der Stadt Tanger wurde von den Engl�ndern, als sie 1684 Tanger freiwillig
den Marokkanern �berliessen, zerst�rt.

Die ganze nun folgende l�ngs des atlantischen Oceans in s�dwestlicher
Richtung streichende K�ste ist vollkommen flach und sanft das Meer
hinabsteigend bis s�dlich von Mogador. Aeusserst gef�hrlich f�r die
Schifffahrt, besonders bei nebeliger Witterung, hat man durchschnittlich in
einer Entfernung von dreissig Seemeilen erst hundert Faden Wasser. Hohe
Sandd�nen hat das Meer an dieser langen K�ste ausgeworfen, die einen
eigenth�mlichen Anblick gew�hren, weil sie nach der Landseite, oft auch
nach der Seeseite zu nicht kahl, sondern mit Lentisken bewachsen sind. Und
wahrscheinlich durch den Wind beeinflusst, bilden diese f�nf bis acht Fuss
hohen Lentiskenb�sche ein vollkommen den D�nen glatt angepasstes Ganze, als
ob sie gleichm�ssig oberhalb derselben beschnitten w�ren. Gute H�fen w�rden
allerdings mit leichter M�he herzustellen, der Unterhalt indessen wegen des
immer stark vom Meere ausgeworfenen Sandes kostspielig sein. Andererseits
haben fast alle M�ndungen der gr�sseren Fl�sse, die wohl gut zu H�fen
eingerichtet werden k�nnten, sehr starke Barren.

Gleich s�dlich von Mogador, wo die K�ste von Nord nach S�d bis Agadir
l�uft, ist sie schroff ins Meer abfallend. Bei Agadir ist offenbar der
beste nat�rliche Ankerplatz, aber vollkommene Sicherheit haben auch hier
die Seeschiffe nicht. Von hier an weiter nach dem S�den bewahrt die K�ste
wieder ihren D�nencharakter, die Berge treten nicht mehr bis unmittelbar an
den Ocean hinan.

An bedeutenden, bis ans Meer hineinragenden spitzen Vorgebirgen hat man im
Mittelmeer das Cap Tres Forcas oder Ras el Deir; westlich von Melilla
gelegen, hat diese Landzunge eine L�nge von ungef�hr zwanzig Kilometer auf
circa sieben Kilometer Breite, und die nordwestliche hat noch auf den
Seekarten den speciellen Namen Cap Viego. Das weltbekannte Cap Espartel
oder Ras el kebir[13] streckt sich nach Europa hin, w�hrend die
nord�stliche Landspitze bei Ceuta, Cap Almina, unserm Erdtheile noch n�her
liegt. An der langen atlantischen K�ste des Landes haben wir nur das Cap
Gher, nordwestlich von Agadir, zu verzeichnen. Es ist hier der Punkt, wo
die Haupt-Atlaskette sich ins Meer st�rzt. Alle �brigen auf den Karten
verzeichneten Vorgebirge, wie Cap Blanco und Cap Cantin n�rdlich vom
Gher-Vorgebirge, oder Cap Nun s�dlich davon, spielen in der Formation
der K�ste keine Rolle.

      [Fu�note 13: Auf den Karten auch Ras Idjberdil genannt.]

Ein gewaltiges Gebirge, der Atlas, durchzieht Marokko von S�dwest nach
Nordost. Wir w�rden zu irren glauben, wenn wir die Gebirge Algeriens zum
grossen Atlas rechnen wollten; m�gen die franz�sischen Geographen dort
immerhin ihre der K�ste parallel laufenden Gebirge als _grossen_ und
_kleinen_ Atlas bezeichnen, m�gen die Franzosen f�r die Gebirge
Algeriens den Namen Atlas beanspruchen--wer beide L�nder bereist hat, wird
finden, dass Algerien nur ausgedehnte Hochebenen mit davorliegenden
Gebirgsketten besitzt, der _grosse_ Atlas ist nur in Marokko, und in
dieser Beziehung gilt auch das Zeugniss der Alten, welche den
_grossen_ Atlas beim Cap Gher entspringen und beim heutigen Cap Ras el
Deir enden liessen, oder umgekehrt.

Im Grossen, kann man sagen, hat der Atlas eine hufeisenf�rmige Gestalt.
Ge�ffnet nach Nordwesten, ist die Spitze seines einen Schenkels das
Vorgebirge Ras el Deir, die Spitze des andern das Vorgebirge Gher. Der
Atlas bildet eine Hauptkette, welche durchschnittlich nach dem Nordwesten,
d.h. also nach der dem eigentlichen Marokko zugekehrten Seite durch breite
Terrassen allm�lig ins Tiefland sich hineinzieht. Nach dem S�dosten zu
senkrecht und steil abfallend, zweigt sich indess auf ungef�hr 31� N. B.,
12� O. L. von Ferro eine bedeutende Kette nach S�d-S�dwest ab und l�uft
demnach fast mit der Hauptkette des Atlas parallel. Der Abzweigungspunkt
giebt dem Sus Ursprung. Etwas weiter von diesem Punkte haben wir �berhaupt
den eigentlichen Knotenpunkt des grossen Atlas, den "St. Gotthard" dieses
Gebirges. Wie bei den Schweizeralpen ist aber auch hier nicht der h�chste
Gebirgspunkt, dieser scheint im S�dwesten zu liegen, etwa s�dlich von der
Stadt Marokko.

S�dlich von dieser Stadt haben wir den von Washington gemessenen Djebel
Miltsin mit 11,700 Fuss. [3475 Meter.] H�st berichtet von diesem Berge,
dass nur Einmal innerhalb eines Zeitraumes von zwanzig Jahren sein Schnee
geschmolzen sei, obschon Humboldt f�r diese Breite die Grenze des ewigen
Schnees h�her angiebt. Es ist dies um so auffallender, als man gerade hier
erwarten sollte, die Schneegrenze h�her zu finden. Es ist also wohl
anzunehmen, dass Washington's Rechnung nicht ganz richtig gewesen ist. Der
Etna z.B. bei einer H�he von 10,849 Fuss und fast 7� n�rdlicher gelegen,
hat nie Schnee im Sommer (das, was in einigen Felsspalten liegen bleibt,
ist kaum zu rechnen und zum Theil k�nstlich von den Bewohnern Catania's
zusammengetragen, um im Sommer benutzt zu werden). Nach den Aussagen der
Bewohner dortiger Gegend verlieren die h�chsten Atlaspunkte den Schnee nie.
Bei der Uebersteigung des grossen Atlas, die ich selbst sp�ter zwischen Fes
und Tafilet, und etwas westlich vom Knotenpunkt des Gebirges ausf�hrte,
erlaubte mir mein mangelhaftes Aneroid nicht, auch nur ann�hernd richtige
Messungen zu machen. Zu der Zeit verstand man bloss Aneroide zu
construiren, mit denen man h�chstens bis 1000 Meter messen konnte; das
meine zeigte nicht einmal so hoch. Wenn ich aber bedenke, dass dasselbe
schon auf dem ersten Absatz, auf der Terrasse s�dlich von Fes und Mikenes,
zum Gebiete der Beni-Mtir geh�rend, den Dienst versagte, dass ich dann
aber, mehrere Tage nach einander immer steigend, verschiedene Terrassen und
Plateaux zu �berwinden hatte, so glaube ich, dass die h�chste Passh�he auf
dieser Strecke, "Tamarakuit" genannt, kaum unter 9000 Fuss sein d�rfte.
Aber wie hoch th�rmten sich daneben und nach allen Seiten hin die
schneeigen Spitzen des Atlas selbst auf! Sp�teren Zeiten und sp�teren
Forschern muss dies zu erforschen vorbehalten bleiben.

Von diesem Knotenpunkt aus werden noch einzelne Ketten nach dem Osten und
S�den gesandt, im Ganzen h�rt aber der Charakter als Kette nach diesen
Richtungen auf: das Gebirge erweist sich mehr als ein Gewirr von einzelnen
schroffen Felsen und zerkl�fteten Bergen. Aber die Hauptkette des Atlas ist
erhalten, sie geht mittelst der Djebelaya (Gebirgsland) und dem Djebel
Garet direct nach Norden, um mit dem Cap Ras el Deir am Mittelmeer zu
enden. Vorher jedoch, etwa auf dem 14� O. L. von Ferro und 34� 40' N. B.
entsendet diese Hauptkette einen Zweig gegen Nordwesten; es ist das
Rifgebirge, welches an der Strasse von Gibraltar sein Ende erreicht.
Ausserdem schickt der grosse Atlas zahlreiche kleinere Zweige in das von
ihm umschlossene Dreieck zwischen Ras el Deir und Ras Gher. So sind die
Gebirge bei Uesan, die Berge n�rdlich von Mikenes nur Ausl�ufer des
n�rdlichen Riesengebirges, welches selbst weiter nichts als ein Zweig des
Atlas ist, w�hrend das sogenannte Djebel el Hadid ein directer Zweig des
_grossen_ Atlas ist, obschon Leo sagt:[14] "Der Berg Gebel el Hadid
genannt, geh�rt nicht zum Atlas; denn er f�ngt gegen Norden am Gestade des
Oceans an und dehnt sich nach S�den am Flusse Tensift aus." Von den H�hen
des Rif-Gebirges sind nur die vom Meere aus gemessenen Punkte bekannt,
deren es bis zur H�he von circa 7000 Fuss[15] giebt; weiter nach dem S�den
d�rften in dieser Kette Berge von noch bedeutenderer H�he sein und diese
mindestens dem Djurdjura-Gebirge in Algerien gleichkommen.

      [Fu�note 14: Leo, Uebersetzung von Lorsmann.]

      [Fu�note 15: Stielers Atlas und Petermanns Mittheilungen, 1865, Taf.
       6.]

Haben wir somit durch Zeichnung der Hauptlinien der Gebirge von Marokko ein
Bild gewonnen, so bleibt uns nur �brig zu sagen, dass _alles_ Land von
der n�rdlichen Kante des Atlas bis zum atlantischen Ocean und Mittelmeer
vollkommen culturf�hig ist. Der Ausdruck "Tel" f�r culturf�higes Land ist
in Marokko _nicht_ bekannt. Solche Gegenden und Unterschiede davon,
existiren nur in Algerien, durch die Bodenbeschaffenheit bedingt. Der
einzige Strich n�rdlich in Marokko, d.h. auf der Abdachung nach dem
Mittelmeere zu, der nicht die Fruchtbarkeit des vollkommen culturf�higen
Landes besitzt, ist das sogenannte Angad, s�dlich vom Gebirge der
Beni-Snassen und vom mittleren Laufe der Muluya durchzogen. Aber
keineswegs ist dieser Boden hier w�stenhaft, steril und vegetationslos,
ebensowenig, wie es die Hochebenen Algeriens s�dlich von Sebda, Saida
oder Tiaret sind. Wenn nur der feuchte Niederschlag reichlich ist und
zur rechten Zeit erfolgt, sehen wir �berall den Boden in Acker
umgewandelt. So im Angad auch, eine Landschaft, die seit dem
ungl�cklichen Versuch Ali Bey's el Abassi, durchzureisen, als
vollkommene W�ste verrufen, aber nichts weniger als vegetations- und
wasserlos ist. Sie wird durchflossen von einem der m�chtigsten Str�me
Marokko's, ist das nicht schon bezeichnend genug?

Marokko, auf diese Art ausgezeichnet, ist das Land von Nordafrika, welches
den breitesten G�rtel von culturf�higem Lande hat, und dies nicht nur
n�rdlich vom grossen Atlas, sondern auch das lang gezogene Dreieck s�dlich
von demselben, durch diesen und seine nach S�ds�dwest gesandten Zweige
eingeschlossen: das ganze Sus-Thal ist zum Anbau geeignet.

Wie Algerien und Tunis, so hat auch Marokko seine Vorw�ste. Wir verstehen
f�r Marokko unter diesem Namen den Raum, der sich hinerstreckt vom
atlantischen Ocean bis zur Grenze von Algerien einerseits, vom S�dabhange
des Atlas bis zu den Breiten, welche durch die S�dpunkte der grossen Oasen
gehen, andererseits. Wir schliessen jedoch Tuat von dieser Vorw�ste aus,
beanspruchen diese Oase im Gegentheil f�r die _grosse_ W�ste. Auch
diese Vorw�ste, oder, wie die Franzosen in Algerien das entsprechende
Terrain benennen, "petit desert", ist keineswegs ohne Cultur und nach
rechtzeitigem Regen sieht man auch hier manchmal Getreide aus dem Boden
sprossen, wo vordem der Wanderer jede Cultur f�r vollkommen unm�glich
gehalten haben w�rde.

Wie der ganze Norden von Afrika, d.h. besonders die Berberstaaten in
Bodenformation dasselbe Gepr�ge zeigt, wie wir es in den �brigen um das
Mittelmeer gruppirten L�ndern finden, so zeigen auch die Fl�sse Marokko's
einen Lauf, der nicht abweichend ist von dem der anderen L�nder, d.h. sie
sind nicht unverh�ltnissm�ssig lang, haben zahlreiche Kr�mmungen und eine
starke Ver�stelung nach der Quelle zu. Jene langgezogenen Wasserl�ufe, ohne
Nebenfl�sse, wie sie der �brige weite Norden von Afrika so h�ufig
aufzuweisen hat, und deren Bilder wir am besten im Draa, Irharhar und Nil
wiedergegeben sehen, giebt es im eigentlichen Marokko nicht.

Einer der bedeutendsten Str�me von Nordafrika (Nil nat�rlich ausgenommen)
unter denen, die dem Mittelmeer tribut�r sind, ist die Muluya. Ungef�hr
beim �stlichen siebenten L�ngengrad von Ferro auf der Ostseite des grossen
Atlas entspringend, bekommt die Muluya ausser vielen Nebenfl�ssen ihren
Hauptzustrom vom S�den, dem Ued-Scharef, ein Gew�sser, fast so m�chtig, wie
die Muluya selbst. Dicht bei der algerischen Grenze, etwa 10 Kilometer
westlich davon, und etwa 10 Kilometer �stlich von Cap del Agua, welches
gerade s�dlich von den spanischen Inseln Djafarin liegt, ergiesst sieh die
Muluya ins Mittelmeer. Die L�nge dieses Stromes auch nur ann�hernd in
Zahlen ausdr�cken zu wollen, wie Hems� das gethan hat, ist jetzt, wo noch
von Niemandem die Quelle des Flusses erforscht wurde, ein vollkommen
�berfl�ssiger Versuch. Wir wollen nur erw�hnen, dass die L�nge der Muluya
etwas geringer als die des Chelif zu sein scheint, und dass die Muluya
ungef�hr ein gleiches Gebiet beherrscht wie der spanische Fluss
Guadalquivir.

Auf der oceanischen Seite haben wir, von Norden anfangend, den Ued Kus[16]
oder el Kus. Dieser Fluss, der die fruchtbarsten Ebenen in zahllosen
Kr�mmungen durchzieht, woher sein Name, geht bei L'Araisch ins Meer,
empf�ngt aber dicht vor seiner M�ndung den Ued el Maghasen, bekannt durch
die Drei-K�nigs-Schlacht; beide Fl�sse kommen vom Rif-Gebirge und dessen
Ausl�ufern.

      [Fu�note 16: Bei Renou Loukous, bei H�st Luccos, Stieler Aulcos,
       Jackson el koss und Luccos, Maltzan Aulcus.]

Weiter der K�ste folgend, kommen wir sodann auf den bedeutenden Ued Sseb�.
Mit zwei Armen gleichen Namens, von denen der eine vom grossen Atlas
anderthalb Grad s�dlich von Fes, der andere aber vom grossen Atlas �stlich
von Tesa entspringt, haben diese Arme, welche sich ungef�hr eine Stunde
n�rdlich von Fes vereinigen, verschiedene Nebenfl�sse, beide �ndern auch
h�ufig den Namen, um den alten vielleicht sp�ter wieder aufzunehmen. Von
Osten her erh�lt sodann nach seiner Conjunction der Sseb� auf seinem
rechten Ufer den bedeutenden Uargha vom Rif-Gebirge und vom S�dosten her
auf seinem linken Ufer den Bet. Der Sseb�, welcher sich bei Mamora[17] ins
Meer ergiesst, w�rde leicht bis zu dem Punkte, wo sich der Uargha mit ihm
vereint, schiffbar gemacht werden k�nnen. Die L�nge seines Laufes ist
ebenso bedeutend, als die der Muluya.

      [Fu�note 17: Auf den meisten Karten so verzeichnet, Ort, der von den
       Marokkanern Mehdia genannt wird.]

Der von den vorderen Terrassen des grossen Atlas kommende, aber
unbedeutende Fluss Bu Rhaba[18], in nordwestlicher Richtung fliessend, ist
nur erw�hnenswerth, weil an seiner M�ndung die bedeutenden St�dte Rbat und
Sla liegen.

      [Fu�note 18: Der auf den Karten verzeichnete Name Buragrag d�rfte
       falsch sein; die Marokkaner nennen ihn Bu Rhaba, Vater des Waldes,
       d.h. waldreich. Bu-Rgag oder Rgig w�rde heissen der "Vater der
       Enge", Bu-Rhaba "Vater des Geh�lzes".]

Der Fluss Um-el-Rbea (Mutter der Kr�uter, oder der Kr�uterreiche)
entspringt mit einem m�chtigen Ge�ste aus dem grossen Atlas, fliesst seiner
Hauptrichtung nach nach Nordwest, um bei Asamor, einer bedeutenden Stadt,
den Ocean zu erreichen. Renou nennt ihn den bedeutendsten Fluss vom Norden
Afrika's (nat�rlich der Nil immer ausgenommen) und stellt ihn auf gleiche
Stufe mit der Garonne und Seine. Auch dieser Strom ist leicht schiffbar zu
machen.

Merkw�rdigerweise hat der grosse Tensift, der ebenfalls mit vielen
Nebenfl�ssen aus dem Atlas entspringt, an seiner M�ndung, die zwischen Asfi
und Mogador liegt, keine Besiedelung. Gerade weil er vorher der von jeher
bedeutenden Stadt Marokko Wasser zuf�hrt, sollte man denken, an seiner
M�ndung auch eine Stadt zu finden. Obgleich von bedeutender Breite, kann
der Fluss bei Ebbezeit an der M�ndung durchwatet werden.

Mit Ausnahme der Muluya entspringen alle diese Str�me am Nordwestabhange
des Atlas; �bersteigt man sodann die Ausl�ufer dieses Gebirges und das
Gerippe, welches im Cap Gher endet, so erreicht man die M�ndung des Sus,
ungef�hr 30� 20' N. B. Der Sus hat fast vollkommen �stliche Herkunft und
entspringt in dem Winkel, den der grosse Atlas und der von ihm nach
Wests�dwest entsandte Zweig bilden.

Weiter nach dem S�den zu kommt sodann, auf den meisten Karten verzeichnet,
der Ued Nun. Der Name Ued Nun bedeutet aber weiter nichts als eine
Landschaft oder Provinz, wie wir aus den neuesten Forschungen von Gatel
ersehen k�nnen. Der dort existirende Strom heisst Ued Asaka, und es ist
dies der Fluss, dessen Nun-M�ndung auf den Petermann'schen Karten als
Aksabi verzeichnet steht, was dasselbe ist.

Wir haben sodann eines echten W�stenstromes M�ndung, die des Draa[19] zu
verzeichnen. Mit kleinem Ge�ste aus dem grossen Atlas entspringend,
ungef�hr unter dem 13� O. L. von Ferro geht dieser Strom direct und ohne
nennenswerthe Nebenfl�sse zu erhalten bis zum 29� N. L. nach S�den, schl�gt
dann aber westliche Richtung ein, um unter 28� 10' in den Ocean zu fallen.
Dieser lange Lauf, ein Sechstel mindestens l�nger, als der des Rheins von
der Quelle bis zur M�ndung, hat best�ndig Wasser, auch im Hochsommer bis zu
dem Punkte, wo der Strom von der S�drichtung eine westliche Richtung
einschl�gt. Die Wassermenge, die der Draa fortschwemmt, ist in den oberen
Theilen des nords�dlichen St�ckes dennoch nicht bedeutender, als etwa
diejenige der Spree bei Berlin; sie wird dann am s�dlichen Ende des von
Nord nach S�d fliessenden Theiles, nachdem der Strom sogar mehrere Male
verschwindet und viel Wasser durch Irrigiren verbraucht ist, so gering,
dass man diesen grossen Strom, wie er sich zur Herbstzeit, kurz vor dem
Eintritt der Regenperiode auf dem Atlas pr�sentirt, hinsichtlich der
Wasserarmuth kaum einen Bach nennen kann.

      [Fu�note 19: Wir erw�hnen der Ssegiat el Hamra, weil sie auf den
       meisten Karten als _Fluss_ verzeichnet ist, als in die M�ndung des
       Draa einfliessend. Der Name Ssegiat hat aber immer etwas K�nstliches
       in sich und Gatel auf seiner Karte verzeichnet sie nicht.]

Dass �berhaupt noch so viel Wasser bis zum Umbug Jahr aus Jahr ein
herabk�mmt, nachdem der heisse Wind der Sahara im Fr�hjahr und im Sommer
mit Macht daran gezehrt hat, nachdem Tausende von Feldern und G�rten, die
sich l�ngs der Ufer hinziehen, Tag und Nacht vom Wasser des Draa berieselt
werden, das eben spricht f�r die M�glichkeit der Schneelage des Atlas, aus
welchem der Fluss gespeist wird.

Ob aber ein stets S�sswasser haltender See, der Debaya, auf seinem weiteren
Laufe nach dem Westen zu vom Draa durchflossen wird, m�chte sehr zu
bezweifeln sein. Allerdings sendet gleich nach der Regenzeit auf dem Atlas
der Draa seine Wasser fort bis zum Ocean, aber in der trockenen Jahreszeit
trocknet der ganze untere Theil des Flusses aus. Nicht weit von dem Orte,
wo der See sein sollte, sagten mir die Bewohner, ein solcher existire
nicht. Ein Sebcha, d.h. ein salziger Sumpf, wie ihn Petermann auf seinen
neuesten Karten verzeichnet hat, k�nnte indess wohl vorhanden sein. Renou
spricht sogar dem Debaya eine dreimalige Gr�sse des Genfer Sees zu.

Als ebenfalls vom S�dostabhange des Atlas kommend und nach der Sahara
abfliessend, haben wir dann den Sis zu nennen; ein echter W�stenfluss ohne
alle Nebenfl�sse, und nur in seinen ersten zwei Dritteln oberirdisch
verlaufend, tr�nkt er unterirdisch noch die ganze grosse Oase Tafilet, um
s�dlich davon den Salzsumpf Daya el Dama zu bilden, der nach starken
Regenerg�ssen zu einem See sich gestaltet. Von Nordwesten her hat der Daya
el Daura noch Zufl�sse durch den Ued-Chriss.

Einen ebenso langen, wenn nicht noch l�ngeren Lauf hat der Fluss, der die
Oase von Tuat speist, aus verschiedenen Zweigen, von denen einige unter dem
33� N. B. entspringen, zusammengesetzt. Ich verfolgte den Fluss fast bis
zum 26� N. B., ohne dass ich bei Taurhirt schon sein s�dlichstes Ende
erreicht h�tte. Dieser Fluss, den man l'ued Tuat nennen k�nnte, setzt sich
aus dem Ued Gher, Ued Knetsa und einigen minder bedeutenden zusammen,
erh�lt nach der Vereinigung den Namen Ued Ssaura, und sobald er das
eigentliche Tuat betritt, den Namen Ued Mssaud. Von Osten soll er s�dlich
von Tuat durch den Fluss Acaraba verst�rkt werden. Da er schon bei seinem
Entspringen aus dem Gher und Knetsa gar nicht oberirdisch Wasser h�lt, so
ist es nicht wahrscheinlich, dass er dem Draa oder dem Ocean zugeht, wie
Duveyrier meint, ebensowenig aber glaube ich, dass die von mir fr�her
mitgetheilte Nachricht der Eingeborenen, der Mssaud erg�sse sich nach sehr
starken Anschwellungen bis zum Niger, auf Wahrheit beruht.

Da wir den oben angef�hrten Debaya vorl�ufig trotz Renou nicht als See
anzuerkennen brauchen, ja nicht einmal mit Bestimmtheit behaupten k�nnen,
ob ein Salzsumpf dort ist, so haben wir eigentlich gar keine nennenswerthen
Seen in Marokko zu verzeichnen, denn der von Leo erw�hnte See unterhalb der
"gr�nen Berge", den er mit dem See von Bolsena in der N�he von Rom
vergleicht, ist nirgends zu finden, es m�chte denn der kleine auf der
Beaumier'schen Karte verzeichnete Salzsee sein, Zyma genannt, der ungef�hr
so gross wie der See von Bolsena zu sein scheint. Der einzige von mir
entdeckte kleine S�sswassersee, Daya Sidi Ali Mohammed genannt, ungef�hr 3
Stunden lang und 1/2 Stunde breit, liegt auf der H�he des grossen Atlas
zwischen Fes und Tafilet.

Erw�hnenswerth ausser dem Daya el Daura, s�dlich von Tafilet ist nur noch
der grosse Salzsumpf von Gurara im Norden von Tuat, ungef�hr zehn deutsche
Meilen lang und an seiner dicksten Stelle f�nf deutsche Meilen breit,
endlich der Sigri Sebcha (Salzsumpf), ungef�hr zehn Meilen s�dwestlich von
Schott el Rharbi gelegen, dessen s�dwestliche H�lfte nach dem Frieden von
1844 zu Marokko, die �stliche dagegen zu Algerien gerechnet wird.

Ohne Widerrede bef�rchten zu m�ssen, kann man behaupten, dass Marokko von
allen Staaten Nordafrika's das gesundeste Klima besitzt. Der Grund davon
ist zum Theil in der bedeutenden Erhebung des Landes zu suchen, in den
erfrischenden Winden vom Mittelmeere und vom Ocean, in der Abwesenheit
sumpfiger Niederungen[20], wie man sie in Algerien so h�ufig beim Anfange
der Besiedelung durch die Franzosen antraf; dann in den reichen Waldungen
der Stufen des Atlas, welche die Hitze mildern und zugleich den Fl�ssen in
Verbindung mit dem Schnee der Gipfel im Sommer das Wasser constant
erhalten; endlich in der Abwesenheit jener Schotts oder flachen Seen und
S�mpfe, wie sie Algerien und Tunis von Westen nach Osten durchziehen.

      [Fu�note 20: Die wenigen S�mpfe bei L'Araisch kommen zum grossen
       Ganzen nicht in Betracht.]

Im Allgemeinen kann man sagen, dass in ganz Marokko ein mildes warmes Klima
herrscht; denn wenn auch die Tekna- und Nun-Gegenden mit Rhadames und den
s�dlichsten Oasen Algeriens, was Breite anbetrifft, correspondiren, so
wirken die constanten Seewinde doch so lindernd, dass die Temperatur
bedeutend k�hler ist als in diesen Strichen. Und wenn auch die Spitzen der
Atlasberge, die wie der Milstin mit einer H�he von 3475 Meter, der
Alpenh�he von 2300 Meter entsprechen, oder auch dem Meeresniveau von
Norderney, wenn diese Berge des Atlas eine mittlere Jahres-Temperatur von
nur 0� haben, so w�rden wir nicht fehl zu greifen glauben, wenn wir sagen,
die Summe der mittleren Temperaturen Marokko's w�rde 18� R. betragen.

Der Atlas bildet die nat�rliche Scheide in den Temperaturverh�ltnissen.
W�hrend n�rdlich am Atlas die Regenmonate im October beginnen und bis Ende
Februar anhalten, ist der Regenfall s�dlich vom Atlas nur im Januar und der
ersten H�lfte des Februar und erstreckt sich landeinw�rts etwa bis zum 10.
L�ngengrad �stlich von Ferro, so dass die Draa-Provinzen in ihrem s�dlichen
Theile nicht davon ber�hrt werden. In der Oase Tafilet ist Regenfall schon
�usserst selten, und in Tuat regnet es h�chstens alle 20 Jahre ein Mal.
Eine Regenlinie w�re also s�dlich vom Atlas etwa so zu ziehen: vom 10� O.
L. von Ferro und 29� N. B. in schr�ger nord�stlicher Linie mit dem Atlas
parallel zu den Figig-Oasen. Der feuchte Niederschlag ist in den n�rdlich
vom Atlas gelegenen Theilen sehr bedeutend, ebenso auf dem Atlas selbst,
s�dlich davon nur m�ssig.

In der Zeit von October bis Februar herrschen fast nur Nordwestwinde und am
wechselvollsten ist der Februar, wo an einem Tage sechs bis sieben Mal
Winde mit einander k�mpfen. Im M�rz sind Nordwinde vorherrschend und dann
von diesem Monat an bis Ende September Ost, S�dostwinde und S�d. An den
K�sten des Oceans in den Sommermonaten von 9 Uhr Morgens an ein stark
k�hlender Seewind bis Nachmittags, wo der S�dost wieder die Oberhand
gewinnt; indess ist dieser Wind so k�hlend, dass Lempiere Recht hat zu
sagen: "Mogador, obschon sehr s�dlich gelegen, hat eine ebenso k�hle
Temperatur als die gem�ssigten Klimate von Europa." Die S�dost- und
S�dwinde f�hren oft Heuschreckenschw�rme mit sich, so in den Jahren 1778
und 1780. Indess scheint der Atlas ein wirksamer Damm gegen diese
Eindringlinge zu sein, da sie im Norden des Gebirges nur vereinzelt
beobachtet werden.

Bestimmte Beobachtungen f�r die mittlere Temperatur einzelner Orte liegen
nur wenige vor. Tanger hat nach Renou eine mittlere Temperatur von 18�
(Celsius), was aber vielleicht 2� zu viel sein d�rfte. F�r Fes kann man bei
einer Erhebung von 4-500[21] Meter + 16-17� (Celsius) rechnen. Uesan,
welches circa 250 Meter hoch liegt, d�rfte eine mittlere Temperatur von 18�
(Celsius) haben. In der Stadt Marokko kann die mittlere Temperatur
h�chstens + 20� (Celsius) sein, da die Datteln nicht reifen, diese brauchen
mindestens + 22� Durchschnittsw�rme. In Tarudant, wo die Datteln schlecht
reifen, d�rften vielleicht + 21� Durchschnittsw�rme sein. Hems� f�hrt noch
an, dass im Winter weder in einem Hafen noch in irgend einer Stadt je das
Thermometer unter + 4� R. sinkt. In Uesan beobachtete ich eines Tages im
December leichten Schneefall, und die Leute sagten mir, es k�me dies
allj�hrlich vor, aber der Schnee bleibt nie liegen. Aus Gatel's
Beobachtungen ist in Tekna das Thermometer in dem Wintermonaten December
1864, Januar und Februar 1865 durchschnittlich um 7 Uhr Morgens + 13�
(Celsius) gewesen, "es kam nie unter + 6� und stieg nicht h�her als + 18�
(Celsius)". In den Monaten September und October beobachtete ich in Tuat
eine mittlere Temperatur von + 19� vor Sonnenaufgang. Diese Oase des
Kaiserreichs Marokko w�rde also ungef�hr dieselbe Durchschnitts-Temperatur
wie Fesan haben.

      [Fu�note 21: Nach Renou; da aber Fes wohl niedriger liegt, wird auch
       die Temperatur wohl um einige Grade h�her sein.]

Kleiden wir noch einmal als Ergebniss das marokkanische Klima in Worte, so
m�chten wir das anf�hren, was Hems� sagt: "Il clima di tutta questa regione
� di pi� salubri e di pi� belli di tutta la superficie del globo
terrestre."

       *       *       *       *       *




3. Bev�lkerung.

       *       *       *       *       *

F�r ein Land, in dem nie statistische Untersuchungen angestellt worden
sind, auch nur ann�hernd richtig die Zahl der Einwohner angeben zu wollen,
ist �usserst schwer, und wenn f�r ganz Afrika in dieser Beziehung die
abweichendsten Angaben herrschen, so noch speciell f�r Marokko. W�hrend
z.B. Jackson die �bertrieben grosse Zahl von 14,886,600 Einwohnern angiebt,
hat Kl�den in seiner neuesten Geographie nur 2,750,000, w�hrend Daniel
3-5,000,000 annimmt.

Durch Vergleich kann man am ersten auf ann�hernde Wahrheit kommen, und den
besten Vergleich k�nnen wir machen mit Algerien, wo bei �hnlicher
Bodenbeschaffenheit und bei fast gleichen klimatischen Verh�ltnissen eine
ungef�hr gleiche _Dichtigkeit_ der Bev�lkerung besteht, die sich (im
Jahre 1867) auf 2,921,246 Seelen bel�uft. Da nun Marokko mindestens noch
ein Mal so gross als Algerien ist, ausserdem grosse Oasen (Draa, Tafilet
und Tuat) besitzt, endlich s�dlich vom Atlas grosse und furchtbare
[fruchtbare] Provinzen (Sus und Nun) l�ngs des atlantischen Oceans hat, so
glauben wir nicht zu �bertreiben, wenn wir die Bev�lkerung von Marokko auf
6,500,000 Einwohner sch�tzen.

Wir k�nnen jetzt mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen, dass, noch ehe die
Ph�nizier nach Nordafrika kamen, noch bevor die Libyer oder Numider
Nordafrika bev�lkerten, ein anderes Volk dort hauste. Berbr�gger, Desor
u.A. haben die Existenz von Dolmen in Algerien nachgewiesen, man findet
dolmenartige Grabm�ler in Fesan, und dolmenartige H�gel konnte ich
wenigstens in Einer Gegend Marokko's constatiren, an einem Bergabhange
�stlich von Uesan. Ungef�hr zwei Stunden von der Stadt entfernt, f�hrte uns
in Begleitung des Grossscherifs eines Tages eine Jagd dorthin. Leider war
es bei der dortigen Furcht, Gr�ber zu verletzen, und sollten sie selbst von
Ungl�ubigen herr�hren, vollkommen unm�glich, eine n�here Untersuchung
anzustellen, oder gar die Grabh�gel zu �ffnen. Ob nun diese Dolmen auf
Kelten, Tamhu oder andere Ureinwohner zur�ckzuf�hren sind, m�ssen sp�tere
Zeiten entscheiden; auch Marokko wird den Zeitpunkt erleben, wo es dem
europ�ischen Forscher gestattet sein wird, frei und ungehindert seine
Studien dort anzustellen.

Die Punier legten zahlreiche Colonialst�dte dort an; Hanno selbst gr�ndete
bei seiner Umschiffung Hafenpl�tze, von denen uns die Namen erhalten sind.
Aus den Schriften von Ptolem�us und Plinius ersehen wir ziemlich genau, wo
die einheimischen St�mme--Mauri, Maurenses, Numidae--alles dies ist nur
eine verschiedene Benennung f�r dasselbe Volk--ihr Gebiet haben. Von diesen
sind als die haupts�chlichsten die Autolalen, die Sirangen, die Mausoler
und Mandorer hervorzuheben; alle diese, wie die weiter im Innern wohnenden
Gaetuler sind das im Norden von Afrika einheimische Berbervolk[22].
R�mische, vandalische und gothische Ber�hrung mit diesem Volke fand statt,
hat aber auf den eigentlichen Bewohner Nordafrika's wenig Einfluss gehabt,
da die Vermischung jener mit den Numidern nur ausnahmsweise vor sich ging.

      [Fu�note 22: Siehe Mannert und das interessante Schriftchen von
       Kn�tel.]

Wichtiger f�r Nordafrika's Bev�lkerung, mithin auch f�r Marokko wurde der
Einbruch der Araber. Wir haben eine zweifache Invasion, die eine direct von
Osten kommend, die andere weit sp�ter vor sich gehend: die
Zur�ckvertreibung der Araber aus Spanien, denn wenn auch nach Spanien
gemeinsam Araber und Berber unter Mussa und Tarik gezogen waren, so kamen
nur Araber von dort zur�ck. Es versteht sich wohl von selbst, dass damit
nicht gemeint ist, die Berber seien in Spanien zur�ckgeblieben. Die
Thatsache erkl�rt sich so, dass beide V�lker dort im fremden Lande in
einander aufgingen, in Spanien waren sie Angesichts der Christen nur
Mohammedaner, und die Gemeinsamkeit der Sitten, und namentlich der Religion
f�hrte dort rasch die Berber zur Annahme der arabischen Sprache. Der
Spanier kannte denn auch nur los Moros oder los Mahometanos. Die
Sesshaftigkeit beider, sowohl der Araber als auch der Berber trug noch mehr
zu einer Verschmelzung bei, so dass, als s�mmtliche Mohammedaner aus
Spanien vertrieben wurden, Berber und Araber sich selbst nicht mehr
unterscheiden konnten; aber die Araber hatten verm�ge ihrer geistigen
Ueberlegenheit, verm�ge der Religion, deren Tr�ger sie besonders waren,
�usserlich in jeder Beziehung die Berber absorbirt.

Nicht so in Marokko selbst. Bis auf den heutigen Tag hat sich dort das
Urvolk, die alten Numider, von den Arabern fern und unvermischt erhalten.
Allerdings kommen wohl in den St�dten und gr�sseren Ortschaften Heirathen
zwischen beiden V�lkern vor, auch giebt wohl der Schich einer grossen
Berbertribe dem Sultan oder einem Grossen des Reiches seine Tochter zur
Frau, oder sucht sich selbst eine solche unter den T�chtern der Araber, im
Ganzen stehen sich aber heute Araber und Berber so fremd gegen�ber, wie zur
Zeit der ersten Invasion.

Der Unterschied der meisten Reisenden zwischen reinen Arabern und
Halbarabern, zwischen Mauren, Mooren etc., ist ein vollkommen
willk�rlicher, auf Nichts basirter; ebenso ist der Name Beduine in Marokko
vollkommen unbekannt, selbst die in den Hafenst�dten sesshaften Europ�er
wenden den Ausdruck nicht an. Die Araber nennen sich in Marokko Arbi, d.h.
Araber; wollen sie ihr specielles jetziges Heimathsland damit in Verbindung
bringen, so nennen sie sich (in diesem Falle aber ist es einerlei, ob der
Redende Araber oder Berber, Jude oder auch Neger ist) "Rharbi" oder
"Rharbaui" (der vom Westlande), oder auch "min el bled es Sidi Mohammed"
(vom Lande des Herrn Mohammed). Was die Berber anbetrifft, so nennen sie
sich "Masigh" oder "Schellah"; das Wort "Berber" ist ihnen aber keineswegs
unbekannt, namentlich s�dlich vom Atlas. Aber als ob sie sich des
Ursprunges des Wortes bewusst seien, h�ren sie sich nicht gerne so
bezeichnen und nennen _sich selbst_ nie so. Was die Juden anbetrifft,
so nennen sie sich und werden "Jhudi" genannt. Die Europ�er werden "Rumi"
oder "Nssara" und die Schwarzen im Allgemeinen "Gnaui" und ihre Sprache
"Gnauya" genannt. Das Spanische der Juden, die verschiedenen Sprachen der
Europ�er fasst man im Lande unter dem gemeinsamen Namen "el adjmia"
zusammen.

Wir haben es also heute nur mit zwei Hauptv�lkern in Marokko zu thun, mit
dem urspr�nglich in Nordafrika einheimischen, dem Berbervolke, und mit dem
von Asien her eingewanderten, dem Arabervolke. Renou und Jackson, die
versucht haben, die verschiedenen St�mme aus Triben aufzuz�hlen, zum Theil
sogar versucht haben, ihnen bestimmte Wohnsitze oder Provinzen zuzutheilen,
sind indess weit von der Wahrheit entfernt geblieben. Der eine f�hrt einen
Stamm als irgendwo sesshaft an, wo er vielleicht seiner Zeit war, aber
jetzt nicht mehr ist; der andere f�hrt Berber-Triben als Araber auf. So
sagt Renou in seinem "L'Empire de Maroc", p. 393: "Die Berber bestanden
urspr�nglich aus f�nf Zweigen: S'enb�dja, Ma'smouda, Haou�ra, Zn�ta und
R'm�ra oder R'amra; aber alle diese Abtheilungen, welche den R�mern
unbekannt geblieben sind, hatten viele Unterabtheilungen" etc. Renou
sch�pft aber nur aus Leo's Berichten. Wenn dann Renou noch auf derselben
Seite seines angef�hrten Werkes sagt: "Gegenw�rtig sind die Berber in
verschiedene grosse Fractionen getheilt, die keineswegs den urspr�nglichen
f�nf Abtheilungen entsprechen. In Marokko sind es die Chevlleuh' und die
Amazir' etc.", so kann ich versichern, dass man in Marokko von dieser
Abtheilung nichts weiss. F�r Algerien nimmt Renou sodann "die Kbail und im
Aures die Ch�ou�a, wovon ein Zweig in der marokkanischen Provinz Temsena
existirt", in Anspruch. Aber was bedeutet denn in Algerien der Name Kbail,
Kabyl? Weiter nichts als Bergbewohner, und dieselbe Bedeutung hat er in
Marokko auch; der Einwohner von Uesan, von Fes nennt die umwohnenden Leute
der Gebirge, _einerlei_, ob sie Berber oder Araber sind: Kbail. Selbst
wenn man im Stande w�re, heute mit Genauigkeit angeben zu k�nnen, ein
gewisser Stamm habe irgend ein Gebiet inne, w�rde das wohl morgen immer
noch der Fall sein? Ich selbst konnte in Marokko constatiren, wie ein Stamm
den andern verdr�ngt. Unter diesen V�lkern findet heute noch immer eine
V�lkerwanderung im Kleinen statt. Ausgebrochene Feindseligkeiten,
eingetretene D�rre eines Weideplatzes, Heuschreckennoth, oft auch ganz
unbedeutende Gr�nde veranlassen ganze St�mme zum Wandern, um sich
beg�nstigtere Gegenden aufzusuchen.

Was Zahl und Ausbreitung beider V�lker anbetrifft, so finden wir in
Marokko, dass die Berber nicht nur bedeutend zahlreicher, sondern auch �ber
einen viel gr�sseren Raum des Landes verbreitet sind. Ganz rein arabisch
sind nur die Landschaften Rharb und Beni Hassan s�dlich davon, endlich
Andjera und der K�stensaum vom Cap Espartel bis Mogador. Denn selbst die
Landschaften Schauya, Dukala und Abda haben theils arabische, theils
berberische Triben. Mit Ausnahme der grossen St�dte und Ortschaften, in
denen die Araber �berall das �berwiegende Element bilden, kommen sie sodann
nur noch sporadisch vor. So findet man einzelne Arabertriben im grossen
Atlas, im Nun- und Sus-Gebiete, in der Draa-Oase finden wir zahlreiche
_nur_ von Arabern bewohnte Ortschaften (sp�ter gaben mir die
Draa-Bewohner an, dass die n�rdliche H�lfte des Draa-Thales, also von
Tanzetta bis zum Atlas, _ausschliesslich_ von Arabern bewohnt sei, was
ich aber bezweifeln m�chte), ebenso in Tafilet, ausserdem in beiden
Oasen den grossen in Palmenh�tten lebenden Araber-Stamm der
Beni-Mhammed. In Tuat sind die Araber nur ganz vereinzelt, die grosse
Mehrheit der dortigen Bev�lkerung ist berberisch. Man kann also fast
behaupten, dass an Land die Berber vier F�nftel besitzen, gegen ein
F�nftel, welches auf Araber kommt. Der Zahl der Bewohner nach d�rfte das
Verh�ltniss so sein, dass zwei Drittel Berber, ein Drittel Araber sind.

Dass die V�lker, welche eine Zeitlang im heutigen Marokko sesshaft gewesen
sind, Spuren zur�ckgelassen haben, ist unleugbar. Nur so k�nnen wir
zwischen vorwiegend schwarzhaariger und schwarz�ugiger Bev�lkerung uns die
hell�ugigen und blondhaarigen Individuen erkl�ren. Indess kommen
dergleichen Typen bedeutend seltener bei den Arabern vor, was sich
hinwiederum daraus erkl�ren l�sst, dass nach der einmal erfolgten Invasion
der Araber, ein Eindringen blonder V�lker in Westafrika nicht mehr
stattfand. Es beruht das auf dem Princip der Erblichkeit. So sieht man denn
auch h�ufig in Familien, wo Vater und Mutter beide schwarzhaarig und
schwarz�ugig sind, hell�ugige und blondhaarige Kinder. Vielleicht war
irgend einer der Vorfahren dieser Familie ein Nichtberber oder Nichtaraber
derart ausgestattet gewesen, welche Eigenth�mlichkeit dann sp�ter oder
fr�her, oft vereinzelt, oft bei allen Nachkommen wieder hervortritt.
Bemerkt muss hier werden, dass die sogenannten Kuluglis, Nachkommen der
Araber und T�rken, nirgends in Marokko zu finden sind, weil eben die T�rken
westlich von Tlemcen oder von der Muluya nie ihre Grenzen ausgedehnt haben.

Was die Sprache der Araber in Marokko anbetrifft, so ist bekannt, dass von
den vier haupts�chlichsten Dialekten dieser Sprache, hier der
maghrebinische gesprochen und geschrieben wird. Vordem ist aber auch, wie
aus M�nzen und Inschriften hervorgeht, Kufisch geschrieben worden. Was das
heutige Schreiben anbetrifft, so unterscheidet es sich von dem Uebrigen nur
darin, dass das Qaf oben statt zweier Punkte einen, dass das Fa statt eines
Punktes _oben_, einen solchen _unten_ hat. Was die Aussprache
anbetrifft, so zeichnen sich die Araber in Marokko dadurch aus, dass sie
fast gar nicht die Vocale aussprechen, oder doch so wenig wie m�glich
hervorheben. In der gew�hnlichen Schreibweise der Araber werden die aus
Strichen und Punkten bestehenden Vocale weggelassen, und fast k�nnte man
sagen, dass der marokkanische Araber diese Regel auch in der Aussprache
anwendet, d.h. das Wort so kurz wie m�glich ausspricht; z.B. in der
Redensart: "wie heisst Du, asch ismak", sagt der Marokkaner "sch-smk".
Nat�rlich wird f�r den Fremden das Erlernen des Sprechens dadurch
au�erordentlich erschwert. Ausserdem hat in Marokko der Araber sich
zahlreiche berberische und aus romanischen Sprachen herkommende Ausdr�cke
zu eigen gemacht, sogar zum Theil auch Constructionen aus diesen Sprachen
her�bergenommen, z.B. die romanische Form des Genitivs, welche man in
Marokko so h�ufig angewendet findet, um das Genitivverh�ltniss zwischen
zwei Substantiven auszudr�cken.

Die von den Berbern gesprochene Sprache, "tamasirht" oder "schellah"
genannt, ist im Grunde, wie aus Sprachvergleichungen hervorgeht, eine und
dieselbe. Es ist eben die, welche die Tuareg temahak im Norden und
temaschek im S�den nennen, und der wir in Audjila und noch ferner im
�ussersten Osten in der Oase des Jupiter Ammon begegnen. Jackson freilich
behauptet, dass die Sprache der Siuaner eine vollkommen verschiedene sei;
heutzutage aber wissen wir, dass Marmol vollkommen Recht hat, wenn er sagt,
dass das Siuahnisch nur Dialekt der weit verbreiteten Berbersprache ist.
Allerdings sind die Unterschiede der verschiedenen Dialekte dieser Sprache
�usserst gross, wie das ja auch nicht anders sein kann bei einer Sprache,
welche �ber einen Raum verbreitet ist, welcher ungef�hr den vierten Theil
von Afrika ausmacht. Dennoch aber sind sie nicht so gross, um nicht leicht
eine Verst�ndigung zwischen den verschiedenen, berberisch redenden V�lkern
zu erm�glichen. Kommt der Berber, der im fernen Westen am Nun ans�ssig ist,
auf seiner Pilgerreise nach Mekka zu demjenigen, der in der Oase Siuah
wohnt, so ist nach einer kurzen Uebung zwischen diesen Leuten gleichen
Stammes eine Unterhaltung leicht hergestellt, und als vor einigen Jahren
mehrere Schichs der Tuareg nach Algier zum Besuche kamen, ward es ihnen
keineswegs schwer, sich mit den Berbern des Djurdjura-Gebirges, also mit
Leuten, die am Mittelmeere wohnen, zu verst�ndigen. Die Berber in Marokko
haben und kennen keine Schriftzeichen wie ihre Br�der, die Tuareg. Die
einzigen berberischen Schriftzeichen, die ich in Marokko vorfand, befinden
sich in Tuat, und r�hren jedenfalls von Tuareg her, die fr�her vielleicht
weiter nach dem Norden hinauf kamen, als dies heute der Fall ist. Ob aber
�berhaupt mit berberischen Lettern geschriebene B�cher oder auch nur
l�ngere Gedichte und Geschichten unter den Tuareg bestehen, ist trotz der
Versicherung der Tuareg sehr zweifelhaft. Einer der intelligentesten
Tuareg, Si Otman ben Bikri, hat wiederholentlich sowohl gegen Duveyrier als
auch gegen mich dies ge�ussert, er hatte sogar Duveyrier versprochen, ein
solches Buch sp�ter nach Algier zu bringen oder doch einzuschicken, aber
bis jetzt hat Si Otman sein Versprechen nicht erf�llt, obschon er nach
seinem Begegnen mit Henry Duveyrier wiederholentlich in Algier gewesen ist.
Das Eigenth�mliche bei den berberischen Buchstaben, sie so schreiben zu
k�nnen, dass sie bald nach rechts, bald nach links offen sind, bald diese,
bald jene Seite offen haben, dass man von oben nach unten, von rechts nach
links, oder von links nach rechts schreiben kann, muss eine so grosse
Verwirrung herbeif�hren, dass die Existenz ganzer B�cher in berberischer
Schrift kaum glaublich erscheint.

Was die Berber am entschiedensten von den Arabern trennt, ist eben die
Sprache, denn obschon die Berber nat�rlich viele Worte aus der arabischen
Sprache aufgenommen haben, wie die marokkanischen Araber solche dem
Berberischen entlehnten, unterscheidet sich im Grunde das Berberische
derart vom Arabischen, dass die Sprachforscher, welche sich mit dem
Berberischen besch�ftigt haben, und unter diesen vorzugsweise H.A.
Hannoteau, nicht wagen, es den semitischen Sprachen beizuz�hlen. Ja, in der
j�ngsten Zeit war der franz�sische General Faidherbe, welcher ebenfalls
sich viel mit dem Berberischen besch�ftigt hat, geneigt, Berber und ihre
Sprache f�r die Arier zu vindiciren. Sp�tere genauere Untersuchungen,
namentlich wenn alle verschiedenen Dialekte der Berber bekannt sind, werden
hoffentlich zu einem Resultate f�hren, ebenso wird man sodann wohl
erfahren, ob im Berberischen W�rter vorhanden sind, welche auf andere
�ltere Sprachen zur�ckf�hren.

Unterscheiden sich nun Araber und Berber so sehr durch die Sprache, so sind
die �brigen Unterschiede �usserst gering. Derselbe K�rperbau auf dem
Flachlande wie im Gebirge (wegen der vielen Wanderungen), d.h. schlanker,
sehnigter Wuchs mit stark ausgepr�gtem Muskelbau, gebr�untem Teint,
kaukasischer Gesichtsbildung, stark gebogener Nase, schwarzen feurigen
Augen, schwarzem schlichtem Haare, spitzem Kinne, etwas stark
hervortretenden Bakenknochen, sp�rlichem Bartwuchse--alles dies haben
Berber und Araber gemein. Allerdings sind im Allgemeinen die
Gebirgsbewohner heller, aber das gilt sowohl f�r die berberischen Bewohner
des Rif-Gebirges, wie f�r die arabische Bev�lkerung der Gebirge der
Andjera-Landschaft. Bei den Frauen beider V�lker muss allerdings auffallen,
dass das Weib des Arabers durchschnittlich kleiner sein d�rfte, als das des
Berbers. Im Uebrigen sind auch sie nicht �usserlich zu unterscheiden. Man
kann von beiden sagen, dass sehr fr�h entwickelt, sie in der Jugend h�bsche
volle Formen haben, meist regelm�ssige Gesichtsz�ge besitzen, aber schnell
alternd und durch unzul�ngliche Nahrung �usserst mager werdend, sie im
Alter wegen ihrer �berfl�ssigen Hautfalten die h�sslichsten Hexen werden.

Hervorzuheben ist, dass bei den Berbern die Stellung der Frauen eine
bedeutend hervorragendere ist als bei den Arabern. Indess ist das Lied der
meisten Reisenden, als sei die Frau bei den Arabern weiter nichts als eine
Magd, ein blosses Werkzeug, ein auf oberfl�chlicher Anschauung beruhendes.
Bei dem Araber ebensogut wie bei uns schwingt die Frau den Pantoffel. Liegt
der Mann die gr�sste Zeit des Jahres auf der B�renhaut, so hat das seinen
Grund darin, weil eben f�r ihn keine h�usliche Besch�ftigung vorhanden ist.
Oder soll etwa der Mann das Wasser f�r den t�glichen Bedarf holen, soll der
Mann den M�hlstein drehen, oder das Korn zu Mehl zerreiben, oder ist es
Sache des Mannes das Kind auf dem R�cken zu tragen, oder Reisig zum Feuer
zu holen oder Kuskussu zuzubereiten, und die heimkehrenden Heerden zu
melken? Sind nicht dergleichen Gesch�fte in der ganzen Welt Sache der Frau.
F�r einen europ�ischen Reisenden muss es allerdings hart erscheinen, wenn
er den ganzen Tag den Mann ausgestreckt liegen oder am Boden hocken sieht,
w�hrend die Frau sich abm�ht, oft stundenweit das Wasser herbeischleppt und
dann m�hsam stundenlang den Stein dreht, um Mehl zu gewinnen. Kommt aber
die Zeit der Arbeit f�r den Mann heran, dann ist der Berber sowohl wie der
Araber bei der Hand: das Feld wird von den M�nnern bestellt, das Einheimsen
des Getreides besorgen die M�nner, ebenso die Abwartung der G�rten, wo
solche vorhanden sind, das H�ten der Heerde, das Abschlachten des Viehes,
kurz alle schwerere Arbeit, wie sie eben auch bei anderen V�lkern von der
st�rkeren H�lfte verrichtet wird.

Die hervorragende Stellung der Frauen bei den Berbern datirt jedenfalls
noch aus den vormohammedanischen Zeiten. Denn Mohammed, obschon ein so
grosser Verehrer von Frauen, dass er sich nicht scheute manchmal ins Gehege
seines N�chsten einzudringen[23], hat im Ganzen den gl�ubigen Frauen eine
etwas stiefm�tterliche Stellung angewiesen. Indess haben die Berberinnen,
obschon auch sie Mislemata wurden, ihren Rang beizubehalten gewusst. Bei
manchen berberischen Triben offenbart sich dies in der Erbfolge, wo nicht
der �lteste Sohn nachfolgt, sondern der Sohn der �ltesten Tochter oder der
Schwester. Ja, in einigen St�mmen kann sogar eine Frau herrschen. S�dlich
vom eigentlichen Marokko fand ich mitten unter Berbern, dass die Sauya
Karsas, eine religi�se Corporation, und eine geistliche Oberbeh�rde f�r den
ganzen Gehr-Fluss nicht vom allerdings vorhandenen m�nnlichen Chef Namens
Sidi Mohammed ben Aly befehligt wurde, sondern dass factisch seine Frau,
eine gewisse Lella-Diehleda, die geistlichen Angelegenheiten besorgte. In
allen wichtigen Sachen hat die Berberfrau mitzureden, und mehr wie bei
anderen V�lkern f�gen sich die M�nner dem Ausspruche der Frauen.

      [Fu�note 23: Siehe dar�ber die 33. Sure des Koran, worin Mohammed die
       Vorw�rfe, die man ihm dar�ber machte, seinen Sklaven Said gezwungen
       zu haben, ihm seine Frau abzutreten, damit zur�ckwies, dass er f�r
       sich allein, den anderen Gl�ubigen voraus, g�ttliche Natur, d.h.
       Unfehlbarkeit beanspruchte.]

Die mohammedanische Religion hat aber in jeder Beziehung dazu beigetragen,
die Verschiedenartigkeiten der Sitten und Gebr�uche nicht nur zwischen
Arabern und Berbern auszugleichen, sondern auch die Eigenth�mlichkeiten der
einzelnen St�mme unter sich zu verwischen. Es soll hier nur die Rede sein
von den Bewohnern des Landes, welche allein treu und wahr ihre alten
Ueberlieferungen beibehalten haben. Die Landbev�lkerung[24] gegen die
St�dtebev�lkerung gehalten, ist in Marokko so �berwiegend, dass wenn man
von jener spricht, damit der Kern des Volkes bezeichnet wird.

      [Fu�note 24: Jackson in seinem Account of Marokko kommt freilich zu
       dem Resultate von 895,600 Einw. f�r die St�dte und von diesen hat er
       Fes mit 380,000, Marokko mit 27,000 und Mickenes mit 11,000 Einw.]

Vor allem muss daher bemerkt werden, dass nur Einweiberei in Marokko
herrscht, sowohl bei den Arabern als auch bei den Berbern; die wenigen
Ausnahmef�lle, wo ein reicher oder hochgestellter Araber sich einen Harem
h�lt, kommen kaum in Betracht, und ein Berber, mag er eine noch so hohe
Stellung einnehmen, noch so reich sein, heirathet _nie_ mehr als Eine
Frau. Freilich durch die Religion beg�nstigt kommen h�ufig genug
Scheidungen vor, was dann oft zu unerquicklichen Verh�ltnissen f�hrt: ein
Mann trennt sich nachdem er schon ein Kind mit der Frau gehabt von dieser,
heirathet wieder, die Frau auch; sie zeugt mit dem neuen Mann nochmals ein
Kind, wird abermals verstossen, heirathet vielleicht zum dritten Male und
hat dann manchmal drei Familien Kinder gegeben. Es ist �usserst selten,
dass sich ein unverheiratetes M�dchen einem Manne hingiebt, auch Ehebruch
kommt fast nie vor. Desto ungebundener leben die Frauen, welche Wittwen
sind, diese glauben ihrer Sittlichkeit, namentlich wenn sie merken, dass
die Hoffnung auf Wiederverheirathung vorbei ist, "keine Schranken"
auferlegen zu m�ssen. Ueberhaupt zeichnen sich M�dchen und Frauen in
Marokko durch unanst�ndige Gangart aus. Es scheint sich dies von den
Araberfrauen den Berberweibern mitgetheilt zu haben (vielleicht ist es aber
auch diesen eigenth�mlich), denn alle semitischen Frauen scheinen an einer
unanst�ndigen Allure Gefallen zu haben. Schon Jesaias Cap. 3, 16. wirft den
israelitischen Frauen ihren buhlerischen und herausfordernden Gang vor,
ebenso Mohammed im Koran Sure 24. den arabischen Frauen.

Es ist hier nicht der Ort die Ceremonien einer Verheirathung zu schildern,
mehr oder weniger gleichen sich alle bei den Mohammedanern, und oft genug
sind sie beschrieben worden. Hervorgehoben soll aber werden, dass in der
Regel die Heirath eine zwischen Eltern oder Verwandten f�r die betreffenden
Personen abgemachte Sache ist, doch auch h�ufig genug Liebesheirathen
vorkommen. Es hat dies seinen Grund darin, weil alle Frauen und jungen
M�dchen (ich spreche immer von der Landbev�lkerung) unverschleiert gehen,
mithin hat der Freier Gelegenheit seine Zuk�nftige kennen zu lernen. Solche
Liebesheirathen gelten meist f�r Lebzeiten, w�hrend die Eheb�ndnisse,
welche aus Convention geschlossen sind, gemeiniglich keine Dauer haben. Ein
eigentlicher Kauf der Frauen, obschon die meisten Reisenden sich so
ausdr�cken, findet nicht statt; der betreffende Br�utigam erlegt nur dem
zuk�nftigen Schwiegervater die Geldsumme, welcher dieser f�r die
Anschaffung der Kleidungsst�cke und Schmucksachen seiner Tochter n�thig
hat, der gew�hnliche Preis hierf�r ist auf 60 franz�sische Thaler normirt.
Giebt die Frau Grund zur Scheidung, oder aber beantragt sie die Scheidung,
so muss das Geld zur�ckbezahlt werden, verst�sst aber der Mann seine Frau,
so bleibt sie Eigenth�merin ihrer Sachen und ihr Vater beh�lt obendrein das
Geld.

Beschneidung ist durchweg eingef�hrt, doch giebt es einige
_Berberst�mme_, welche sie nicht �ben. In Marokko h�lt man die
Beschneidung als nicht unbedingt erforderlich f�r den Islam. Die
Berberst�mme, welche nicht Beschneidung �ben, leben sowohl im Rif-Gebirge,
als auf den Geh�ngen der n�rdlichen Seite des Atlas. Ueberhaupt haben die
Berber Eigenth�mlichkeiten bewahrt, die bei den Arabern nicht zu finden
sind, so essen _s�mmtliche_ Rif-Bewohner das wilde Schwein trotz des
Koran-Verbotes. Alle Berber rechnen nach Sonnenmonaten und haben daf�r die
alten von den Christen herr�hrenden Benennungen; ja s�dlich vom Atlas haben
auch die dort hausenden Araber diese Zeitrechnung angenommen.

Das Leben in der Familie ist ein patriarchalisches und man h�lt
ausserordentliche St�cke auf Verwandtschaft und Sippe; eigenth�mliche
Familien-Namen nach unserem modernen Sinne haben weder Araber noch Berber,
Familien-Namen werden nur von der ganzen Sippschaft oder dem Stamme
gef�hrt, z.B. die grosse Familie der Beni Hassan in Marokko, die von einem
gewissen Hassan abstammen. Oder bei den Berbern die zu einem grossen Stamme
herangewachsene Familie der Beni Mtir[25], welche von einem gewissen Mtir
abstammen. In diesen St�mmen setzt dann Jeder den Namen seines Vaters,
manchmal auch den seines Grossvaters und Urgrossvaters hinzu (�usserst
selten den der Mutter), z.B. Mohammed ben Abdallah ben Yussuf, d.h.
Mohammed Sohn Abdallah's, Sohn Yussuf's. Will er aber noch n�her sich
bezeichnen, so sagt er z.B. "von den uled Hassan". Letzteres ist
gewissermassen der Familien- oder Zunamen. Bei den Arabern haben wir fast
nur biblische und koranische Namen, sowohl bei den M�nnern als Frauen. Die
beliebtesten in Marokko sind Mohammed (mit den verschiedenen Variationen),
Abdallah, Mussa, Isssa [Issa] oder A�ssa, Edris, Said, Bu-Bekr und Ssalem.
Die Frauen findet man fast unab�nderlich Fathma, Aischa oder Mariam
benannt. Die Berber haben sich auch hierin apart gehalten und fahren fort
heidnische oder berberische Namen zu f�hren, z.B. Humo, Buko, Rocho, Atta
etc.[26], obschon nat�rlich arabische Namen vorwalten.

      [Fu�note 25: Was "Uled und Beni", d.h. S�hne, Abk�mmlinge bei den
       Arabern bedeutet, dr�cken sonst in der Regel die Berber durch das
       Wort "ait" aus.]

      [Fu�note 26: Berberische Frauennamen liegen mir gerade nicht vor.]

Eine eigentliche Erziehung wird den Kindern nicht gegeben, die ganz jungen
Kinder bleiben circa zwei Jahre auf dem R�cken ihrer M�tter, welche
dieselben wenigstens zwei Jahre stillen. Allerdings hat jeder Tschar (Dorf
aus H�usern), jeder Duar (Dorf aus Zelten), jeder Ksor (Dorf einer Oase)
seinen Thaleb oder gar Faki, der die Schule leitet, aber die Meisten
bringen es kaum dazu die zum Beten nothwendigen Korancapitel auswendig zu
lernen, geschweige dass sie sich ans Lesen und Schreiben wagten. Aber jeder
Marokkaner weiss doch das erste Capitel des Koran auswendig, wenn auch die
meisten besonders unter den Berbern den Sinn der Verse nicht kennen.

Beim Heranwachsen stehen die T�chter den M�ttern in der h�uslichen
Besch�ftigung bei, w�hrend die m�nnliche Jugend zuerst zum H�ten des Viehes
verwandt wird, in der Pflanzzeit den Acker mit bestellen helfen muss, und
schliesslich nach einer kurzen Arbeitszeit im Jahre, die liebe lange Zeit
mit Nichtsthun hinbringt. Obschon �berall Taback und Haschisch in Gebrauch
und namentlich letzterer ganz allgemein ist, kann man kaum sagen, dass der
Marokkaner einen unm�ssigen Gebrauch davon macht. Der Taback wird auf alle
drei Arten genommen, man findet St�mme, wo geraucht wird, andere welche
kauen, und das Schnupfen ist ganz allgemein, namentlich machen die
Gelehrten Gebrauch davon. Haschisch wird in Marokko entweder geraucht oder
pulverisirt mit Wasser hinuntergeschluckt. Der Gebrauch des Opium ist mit
Ausnahme der St�dte, und der Oase Tuat, nicht eingeb�rgert. Desto
allgemeiner ist in der Weinlesezeit und kurz nachher der Genuss des Weines.
Marokko ist ein an Weinreben ungemein reiches Land, namentlich producirt
der kleine Atlas, die Provinz Andjera, die Gegenden von Uesan, Fes und
Mikenes derart viele und gute Weintrauben, dass die Leute von selbst darauf
fallen mussten Wein zu bereiten. In allen diesen Gegenden sind denn auch
viele Leute Weintrinker, ohne Unterschied ob sie Araber oder Berber sind.
Aber unm�ssig wie Araber und Berber immer beim Essen und Trinken sind,
sobald dies in H�lle und F�lle vorhanden ist, haben sie ihre Weintrinkezeit
nur f�r einige Wochen. Der schlecht zubereitete Wein, man gewinnt ihn
mittelst Kochen, w�rde sich auch wohl nicht lange halten. Die Marokkaner
thun ihn in gr�ssere oder kleinere irdene Gef�sse, manchmal antik wie eine
Amphore geformt, die enge Oeffnung wird mit Thon zugeklebt. Reiche Leute
und Sch�rfa[27], welche ihn l�ngere Zeit bewahren wollen, giessen oben auf
den Wein eine Schicht Oel und sodann wird die Krug�ffnung mit Thon
verkittet. Von Geschmack ist der Wein nicht �bel, das Aussehen desselben
aber meist tr�be. Es ist gef�hrlich zur Zeit der Lese durch jene Gegenden
zu reisen, weil ein grosser Theil der Bev�lkerung dann stets betrunken ist,
und da, je roher ein Mensch ist, die Intoxications�usserungen des Rausches
auch um so unmanierlicher sind und oft viehisch ausarten, so vermeidet
derjenige, der die Gegenden nicht unumg�nglich besuchen _muss_,
dieselben.

      [Fu�note 27: Die Sch�rfa, d.h. die Nachkommen Mohammeds sind die
       haupts�chlichsten Weintrinker.]

Ueberhaupt zeichnet sich das ganze marokkanische Volk durch eine gewisse
Rohheit und durch wenig edle Gef�hle und wenig sanfte Neigung aus. Bei den
Berbern namentlich am Nord-Abhange des Atlas streift die Rohheit sogar an's
Thierische. Ich wusste nicht, wof�r ich es halten sollte, ob f�r kindliche
Unschuld, mit der junge und erwachsene M�dchen den Spielen vollkommen
nackter J�nglinge zusahen, oder ob es ein rohes Interesse war. Der
entsetzlich verdummende Einfluss der mohammedanischen Religion, der
Fanatismus, die _eitle Anmassung nur den eigenen Glauben f�r den
richtigen_ zu halten, schliessen aber auch jede Besserung aus.

Wie unmanierlich ist die Art und Weise zu essen! So wie man zur Zeit
Abrahams ass, so wie die Juden in Pal�stina, aus Einer Sch�ssel am Boden
hockend, assen, so isst noch heute der Marokkaner. Morgens nach
Sonnenaufgang wird nur saure Milch mit hineingebrocktem Brode, oder eine
m�ssige Suppe genommen. Die zweite Mahlzeit ist gegen Mittag: Br�de d.h.
eine Art von Mehlkuchen, welche auf eisernen Platten oder erhitzten Steinen
gebacken sind, heisse Butter (in diese tippt man die Brodst�cken und
verf�hrt recht haush�lterisch; nur die Reichen geben harte Butter) bilden
dies zweite Mahl, zu dem auch wohl noch Datteln, oder im Sommer andere
Fr�chte, wie die Jahreszeit und die Gegend sie bietet, gegeben werden.
Abends nach Sonnenuntergang ist die Hauptmahlzeit, welche aus Kuskussu
besteht. Aber Tag f�r Tag, Jahr aus Jahr ein, kommt dies Gericht auf die
Erde (auf den Tisch kann ich nicht sagen, da der Marokkaner ein solches
M�bel nicht kennt) und mittelst der Hand, die Marokkaner kennen noch nicht
den Gebrauch der Messer und Gabeln, wird das Gericht rasch in den Magen
bef�rdert. Auch der Gebrauch der L�ffel ist nicht �berall eingeb�rgert. Am
atlantischen Ocean vom Cap Spartel s�dlich bis nach der M�ndung des Sus,
vielleicht noch weiter s�dlich, bedienen sich s�mmtliche Leute statt eines
L�ffels einer austerartigen Muschel, wie sie der Ocean dort an den Strand
wirft. Die M�nner essen getrennt von den Frauen, diese essen mit den
Kindern des Hauses. Selbst bei den Berbern hat der Islam dies durchzusetzen
gewusst. Oder sollten auch die Berber schon _vor_ der Einf�hrung des
Islam ohne ihre Frauen ihre Mahlzeiten eingenommen haben? Fleisch wird von
den Bewohnern auf dem Lande nur bei Gelegenheit eines Festes gegessen und
auch dann nur in geringer Quantit�t. Wenn nicht manchmal ein St�ck Wild
erlegt wird, bekommt manche arme Familie oft jahrelang kein Fleisch zu
sehen, und wenn nicht der Genuss von Eiern, von Butter und Milch die
animalische Kost ersetzte, k�nnte man mit Recht sagen, die Marokkaner sind
der Mehrzahl nach Vegetarianer. Der in den marokkanischen St�dten so sehr
beliebte Thee wird auf dem Lande nur noch bei vereinzelten Vornehmen und
Reichen gefunden; das allgemeine Getr�nk ist Wasser. Nirgends kennt man in
Marokko die Bereitung von Busa oder Lakby, d.h. ersteres ein gegohrenes
Getr�nk aus Getreide, letzteres der den Palmen abgezapfte Saft. Es w�rde
den Marokkanern ein grosses Verbrechen sein, eine Dattelpalme derart f�r
das Tragen der Fr�chte unbrauchbar zu machen oder gar zu t�dten. Ebenso ist
in den marokkanischen Oasen, sowohl in den grossen wie in den kleinen, der
Lackby vollkommen unbekannt, und dennoch giebt es in der ganzen Sahara
keine Oasen, die sich an Palmenreichthum, und auch was die G�te der Palmen
anbetrifft, mit den marokkanischen Oasen messen k�nnen. Der Gebrauch die
Palmen anzuzapfen beginnt erst in den s�dlich von Tunesien gelegenen Oasen.

Indessen m�ssen wir doch auch einer guten Eigenschaft der Marokkaner
gedenken, der Gastfreundschaft, welche ohne Prunk, ohne Ceremonie als etwas
Selbstverst�ndliches in Marokko �berall ge�bt wird. In den meisten Duar, in
fast allen Tschar's giebt es eigene H�user oder Zelte, Dar und Gitun el
Diaf genannt, welche f�r die Reisenden bestimmt sind. Der Fremde hat
dagegen keinerlei Verpflichtung. Kommt er zu einem Duar und hat sich
gl�cklich durch die kl�ffenden und bissigen Hunde hindurchgearbeitet, so
weisen ihm die Leute nach dem Gastzelte. Man bringt Fr�chte, wenn sie die
Jahreszeit und Gegend bietet, sonst Brod oder Datteln, und wenn Abends die
Zeit des Hauptmahls ist, werden die Fremden _zuerst_ bedient. In
einigen Gegenden besteht die Sitte, dass die einzelnen Familien tageweise
der Reihe nach die Fremden zu verpflegen haben, in anderen kommen Abends
die Familienv�ter mit vollen Sch�sseln in das Fremdenzelt und das Mahl wird
gemeinschaftlich verzehrt. In anderen Gegenden existirt ein Gemeindefond
zur Speisung der Fremden, oder eine Sauya, d.h. eine religi�se
Genossenschaft besorgt dies Gesch�ft. Nie wird daf�r irgend eine Verg�tung
vom Fremdling beansprucht. Im Gegentheil, wird man nicht ordentlich
verpflegt, so hat man das Recht Beschwerde zu f�hren. Nat�rlich wird man
bei dieser Gelegenheit von Allen �ber Alles ausgefragt, denn Zur�ckhaltung
und Schweigsamkeit kennt in dieser Beziehung der Marokkaner nicht. Die
grosse Gastfreundschaft erkl�rt sich nun zum Theil dadurch, dass sie auf
Gegenseitigkeit beruht: der, welcher heute Gastgeber ist, beansprucht
vielleicht am n�chsten Tage von einem Anderen freie Bewirthung. Es verdient
hervorgehoben zu werden, dass die arabischen St�mme bedeutend liberaler
sind, als die berberischen.

Barth und von Maltzan haben ausgesprochen, dass in Nordafrika je weiter
nach dem _Westen_, desto kriegerischer und muthiger die Bewohner seien
und dass man in Marokko den gr�ssten Sinn der Unabh�ngigkeit tr�fe. Es
scheint mir dies nur in sofern richtig zu sein, als man die Eigenschaft der
Freiheitsliebe, den kriegerischen Sinn st�rker bei den Gebirgsv�lkern
ausgepr�gt findet. Die Bewohner der Cyrenaica sind heute noch ebenso
freiheitsdurstig und unabh�ngig wie die Rif-Bewohner in Marokko, bis jetzt
sind sie von den T�rken noch nicht vollkommen unterworfen. Die Bewohner des
Gorian-Grebirges in Tripolitanien sind bedeutend kriegerischer, als die
_westlich_ davon wohnenden St�mme. Das Djurdjura-Gebirge oder die
grosse Kabylie wurde zu _allerletzt_ von den Franzosen unterworfen,
nachdem schon jahrelang der ganze _Westen_ von Algerien, d.h. die
Provinz Oran unterworfen war. Endlich sind die im �ussersten Westen von
Marokko wohnenden St�mme, die der Schauya, Abda und Dukala die
geknechtetsten von allen, und seit Jahren wissen sie nicht mehr was
Freiheit und Unabh�ngigkeit ist.

Die Bev�lkerung von Marokko hat keinen eigentlichen Adel in unserem Sinn.
Die vornehmste Classe sind die Sch�rfa, d.h. Abk�mmlinge Mohammeds,
selbstverst�ndlich sind diese arabischen Stammes. Da sie sich unglaublich
vermehrt haben, giebt es ganze Ortschaften, die fast nur aus Sch�rfa
bestehen; man erkennt sie daran, dass sie vor dem Namen das Pr�dicat "Sidi"
oder "Mulei", d.h. "mein Herr" f�hren. Die gegenw�rtige Dynastie von
Marokko besteht aus Sch�rfa. Das Sherifthum ist _nicht_ erblich durch
die Frau heirathet z.B. ein gew�hnlicher Marokkaner eine Sherifa, so sind
die Kinder keine Sch�rfa. Aber ein Sherif kann eine Frau aus jedem Stande
nehmen und die aus der Ehe entspringenden Kinder werden alle Sch�rfa. Sogar
eines Sherifs Heirath mit einer Christin oder J�din, (die in ihrer Religion
verbleiben k�nnen) oder mit einer Negerin (eine solche muss aber den Islam
angenommen haben) hat auf das Sherifthum der Kinder keinen vernichtenden
Einfluss, ebenso sind die im Concubinate erzeugten Kinder vollkommen
gleichberechtigt mit den in g�ltiger Ehe erzeugten.

Die Sch�rfa werden �berall in Marokko als eine besonders bevorzugte
Menschenclasse angesehen. Sie haben das Recht, andere Leute zu insultiren,
ohne dass man mit gleichen Waffen antworten darf. Der Mohammedaner schimpft
_dann_ am st�rksten, wenn er Beleidigungen auf die Vorfahren oder
Eltern des zu Beschimpfenden h�uft. Der Sherif darf zu einem Nicht-Sherif
sagen "Allah rhinal buk" odes [oder] "Allah rhinal djeddek", "Gott
verfluche deinen Vater", "Gott verfluche deinen Grossvater". Der
Nicht-Sherif darf dies nicht erwidern, denn den Vorfahr oder Vater eines
Nachkommen des Propheten beleidigen, w�re ein Verbrechen gegen die
Religion. Er hat aber das Recht, die Person des Sherif selbst zu schimpfen,
und gegen ein "Allah rhinalek" "Gott verfluche Dich" kann in einem solchen
Falle als Entgegnung, der Sherif nicht klagen. Ich habe selbst oft
Gelegenheit gehabt, so zu antworten; wenn in Uesan die jungen Sch�rfa sich
darin gefielen, meinen Grossvater und Vater zu verfluchen und zu
verbrennen, verbrannte und verfluchte ich sie selbst in meiner Antwort:
"Allah iharkikum"--"Allah rhinalkum"[28], dagegen konnten sie nichts
machen. Entschieden aber glaubten sie stets einen Sieg �ber mich
davongetragen zu haben, da ich ihren Eltern und Vorfahren nichts nachsagen
durfte.

      [Fu�note 28: Gott soll euch verbrennen, Gott verfluche euch!]

Die sogenannten Marabutin, heilige Personen oder Nachkommen solcher
Heiligen, stehen in Marokko in bedeutend geringerem Ansehen, sie werden zu
sehr von den Sch�rfa verdunkelt. Selbst Chefs grosser St�mme, in deren
Familien seit langer Zeit Kaid oder Schichthum nebst Reichth�mern und Macht
erblich sind, verschwinden an der Seite der Sch�rfa.

Ueber die geistige Begabung der Marokkaner l�sst sich wenig sagen.
Hervorragende M�nner hat die Neuzeit nicht hervorgebracht, und bei der
Verdummung, welche die Religion herbeigef�hrt hat und worin das Volk zu
erhalten, der Sultan und die Grossen ihr Interesse sahen, wird hierin auch
aus ihnen selbst heraus keine Abh�lfe kommen. Kunst und Handwerke findet
man nur noch in den St�dten und auch da k�mmerlich genug. Edlerer Regungen
ist der Marokkaner kaum f�hig; das Gute zu lieben und zu thun blos um des
Guten willen, das kennt man fast bei diesen Leuten nicht. H�chstens
schwingt sich der Marokkaner auf den Standpunkt, deshalb gut zu handeln,
weil es die Religion vorschreibt, weil er sonst der zuk�nftigen Freuden des
Paradieses verlustig ginge, oder sich wohl gar die Strafen der H�lle
zuziehen k�nne.

Indess ist die Unmoralit�t beim Volke lange nicht so schlimm wie in den
St�dten. Ausschweifungen, eheliche Ueberschreitungen oder andere Laster
h�rt man im Volke fast nie vorkommen. Diebstahl, Lug und Betrug kommen zwar
oft genug vor, namentlich einer Tribe gegen die andere, indess wird dies
kaum als s�ndhaft betrachtet. L�gen ist �berhaupt den Arabern und Berbern
so eigen, dass es wohl kaum ein Individuum giebt, das die Wahrheit spricht.
Und professionsm�ssige L�ge hat wohl immer Betrug und Diebstahl im Gefolge.
Das Faustrecht, der Raub und Mord sind in all den Theilen des Landes, die
nicht von der Armee des Sultans erreicht werden k�nnen, an der
Tagesordnung, und Niemand findet auch etwas Ausserordentliches darin. Dass
der Gastfreund den Marokkanern eine geheiligte Person sei, ist eine Farce,
in vielen Gegenden respectiren die Bewohner nicht einmal die Sch�rfa.

Soll ich einen Vergleich wagen zwischen Berbern und Arabern, so m�chte ich
sagen, die Zukunft geh�rt den ersteren. Bis jetzt haben die Araber der
Neuzeit sich der Civilisation am wenigsten geneigt gezeigt, sie sind die
echten R�mlinge des Islams und mit Stolz bekennen sie sich als die Tr�ger
und St�tzen dieser fanatischen Religion. Der Berber ist in dieser Beziehung
bescheidener, er h�ngt weniger an Religion, und die Leute lassen sich
weniger von der Religion beherrschen. In Algerien haben denn auch die
Franzosen schon die Erfahrung gemacht, dass die Berber weit empf�nglicher
f�r Civilisation sind, _als die nur f�r und durch ihre Religion lebenden
Araber_.

Was die Juden in Marokko anbetrifft, so habe ich an anderen Orten
Gelegenheit, von ihrer miserabelen Stellung gegen�ber den Mohammedanern zu
sprechen. Zum Theil sind sie direct aus Pal�stina hergewandert, zum Theil
aus Europa zur�ck vertrieben. Ich glaube nicht, wie einige Schriftsteller
annehmen, dass von den jetzt noch im grossen Atlas und in den Oasen der
grossen W�ste existirenden Judengemeinden, diese Abk�mmlinge[29] der
Ureinwohner Nordafrikas also Berber ihrer Herkunft nach sind. Wenn man auch
annimmt, dass Berber vor der arabischen Invasion zum Theil das
Christenthum, zum Theil das Judenthum angenommen hatten, so mussten h�chst
wahrscheinlich Christen und Juden den Islam annehmen. Man behauptet, diese
eben erw�hnten Juden haben gleiches Aeussere, gleiche Sitten und Gebr�uche
mit den Berbern. Es ist das ein Irrthum. Ich habe j�dische Gemeinden des
grossen Atlas und fast s�mmtliche j�dische Ortschaften der Draa- und
Tafilet-Oasen besucht, aber immer gefunden, dass sie sich auszeichneten von
der sie umgebenden mohammedanisch-berberischen Bev�lkerung, sowohl in der
Sprache, als auch durch anderen K�rperbau, andere Gesichtsbildung und
Sitten. Im Allgemeinen sind die Juden sch�ner und kr�ftiger als die Araber,
aber der entsetzliche Schmutz, den sie zur Schau tragen, die nachl�ssige
und �rmliche Kleidung, der sie sich bedienen m�ssen, entstellt sie mehr als
es unter anderen Umst�nden der Fall sein w�rde. Die J�dinnen namentlich
zeichnen sich durch Sch�nheit der K�rperformen und reizende Gesichtsz�ge
aus, m�ssen daf�r aber auch oft genug, sind sie in der N�he eines Grossen
und Vornehmen, in dessen Harem wandern.

      [Fu�note 29: Die Angaben von Richardson und Davidson �ber die frei im
       Atlas lebenden Juden, die berechtigt seien Waffen zu tragen, beruhen
       auf tr�gerischer Information. Aus _eigener_ Anschauung weiss ich,
       dass die Juden im Atlas und in den grossen Oasen der Sahara ebenso
       miserabel leben, wie nur in Fes oder irgend einer anderen Stadt des
       Landes.]

Die direct von Pal�stina hergekommenen Juden finden sich auf dem Atlas und
in der Sahara, auch in den St�dten Uesan, Fes, Tesa, Udjda giebt es deren.
Sie reden kein Spanisch, sondern nur Arabisch und in rein berberischen
Gegenden Schellah oder Tamasirht.

Aber eigenth�mlich! Der Jude scheint nirgends die Landessprache erlernen zu
k�nnen. Wir wissen alle, dass der echte Jude in Deutschland gleich an
seiner lispelnden Sprache zu erkennen ist, ebenso die Juden aller �brigen
europ�ischen L�nder, die stets die Sprache des Landes anders sprechen als
die christlichen Bewohner. So auch in Nordafrika. Selbst wenn nicht durch
Tracht und Physiognomie verschieden von dem Araber, w�rde man unter
Hunderten den Juden gleich an der Sprache herauskennen. Nichts l�cherlicher
als einen Juden arabisch schmunzeln zu h�ren, und die unter den Berbern
ans�ssigen Israeliten, die berberisch sprechen, schmunzeln das Tamasirht,
wie der Jude �berhaupt in allen Sprachen schmunzelt.

Man wird wohl kaum �bertreiben, wenn man die Zahl der in Marokko lebenden
Juden auf circa 200,000 Seelen angiebt. Der gr�sste Zuschub von Aussen trat
1492 bei der Vertreibung aus Spanien ein, dazu kamen 1496 die aus Portugal
vertriebenen Juden. Aber fr�her schon hatten andere europ�ische L�nder ihr
Contingent gestellt, 1342 fand in Italien eine Judenvertreibung, 1350 in
den Niederlanden und 1403 in England und Frankreich statt[30]. Alle diese
ungl�cklichen Israeliten fanden in Nordafrika und vorzugsweise in Marokko
eine Zuflucht. Und wie ungl�cklich und gedr�ckt ihre Stellung auch dort
ist, bis auf den heutigen Tag haben sie ausgehalten und sich vermehrt.

      [Fu�note 30: Don Serafin Calderon, Cuadro geografico de Marrueccos,
       Madrid 1844.]

Auch die schwarze Race ist in Marokko vertreten und zwar sind es
vorzugsweise Haussa-, Sonrhai- und Bambara-Neger, die man antrifft. Sie
haben dazu beigetragen, das arabische Element kr�ftig zu durchsetzen,
obschon auf dem Lande die Mischung mit den Schwarzen seltener ist als in
den St�dten. Es ist weniger im arabischen _Volke_ Sitte eine Negerin
zu nehmen, als bei den _Grossen_. Die ganze Familie des Sultans, alle
ersten Familien der Sch�rfa haben heute eben so viel Negerblut in ihren
Adern als rein arabisches. Die Berber mischen sich nie mit den Schwarzen,
sie w�rden glauben sich dadurch zu degradiren. Als Sklaven werden die
Schwarzen in Marokko gut behandelt und fast immer nach k�rzerer oder
l�ngerer Zeit in Freiheit gesetzt. Die Zahl der Schwarzen in Marokko,
welche stets durch neue Zufuhren aus Centralafrika erneuert wird, d�rfte
sich auf circa 50,000 beziffern.

Die in Marokko sich aufhaltenden Renegaten verdienen kaum einer Erw�hnung.
Es ist meist der Abschaum der menschlichen Gesellschaft,
Galeerenstr�flinge, die aus den spanischen Praesidos von Ceuta, Melilla,
Alhucanas und Pe�on de la Gomera entflohen sind. Und die Aussicht auf
Begnadigung ist ihnen dadurch, dass sie die mohammedanische Religion
angenommen haben, vollkommen abgeschnitten, sie w�rde auch nutzlos f�r sie
sein, da sie im Falle einer Begnadigung, _dem R�cherarm der allliebenden
katholischen Kirche anheimfallen w�rden_. Die katholische
alleinseligmachende Religion in Spanien und die mohammedanische
alleinseligmachende Religion in Marokko stehen sich noch ebenso feindlich
gegen einander, wie zur Zeit Ferdinand des Katholischen.

Es m�gen einige Hundert Renegaten in Marokko sein, fast alle Spanier, mit
Ausnahme von drei oder vier Franzosen; alle sind verheirathet, die meisten
sind Soldaten und alle leben in einer sehr verachteten Stellung. Selbst die
Kinder und Nachkommen solcher Oeludj[31] haben noch zu leiden von der
tiefverachteten Stellung, die ihre Eltern einnahmen.

      [Fu�note 31: Oeludj pl. von Oeldj heisst man in Marokko den
       ehemaligen christlichen Sklaven und ebenso auch die Renegaten.]

Europ�er, oder wie die Marokkaner sie nennen: Christen, trifft man nur in
den H�fen. Im Ganzen betr�gt ihre Zahl jetzt wohl 2000; sie zeigt also eine
grosse Zunahme gegen fr�her. Tanger und Mogador haben das gr�sste
Contingent aufzuweisen. In den �brigen K�stenst�dten, wie Tetuan,
L'Araisch, Rbat, Darbeida, Dar-Djedida und Saffi findet man nur einzelne
Familien. Die H�fen von Sla, Asamor und Agadir haben _keine europ�ische
Bev�lkerung_.

Ueber Zu- oder Abnahme der Bev�lkerung in Marokko liegen nat�rlich keine
Angaben vor. Was die St�dte anbetrifft, so hat in der neuesten Zeit Fes
durch Cholera bedeutend an der Einwohnerzahl verloren. Dass die Stadt
Marokko ehedem viel bedeutender bev�lkert war als jetzt, dass ein Gleiches
in Mikenes, Luxor (Alcassar) und Tarudant der Fall gewesen ist, habe ich
selbst beobachten k�nnen. Die grossen G�rten innerhalb der Stadtmauern, die
vielen leerstehenden H�user, meistens schon Ruinen, endlich die grosse
Anzahl unbenutzter Moscheen, zu gross f�r die jetzige Population, deuten
darauf hin, dass die Bev�lkerung dieser St�dte bedeutend abgenommen hat.
Zunahme sehen wir nur in den Hafenst�dten, namentlich in denen, welche
haupts�chlich den Handel mit dem Auslande vermitteln; aber auch hier ist
die Zunahme mehr unter der fremden, europ�ischen Bev�lkerung zu bemerken,
als unter den Eingeborenen. Viele Hafenst�dte, welche ehemals bewohnt
waren, sind in der Neuzeit sogar g�nzlich entv�lkert und verlassen worden.

Ebenso kann auf dem Lande von einer merklichen Zunahme der Einwohner nicht
die Rede sein; es kann sein, dass einzelne Triben sich vermehren, durch
locale Einfl�sse beg�nstigt, w�hrend aber andere daf�r sich vermindern oder
ganz aussterben. Constante Zunahme der Bev�lkerung und fast m�chte ich
sagen Ueberv�lkerung findet man nur in den Sahara-Oasen, namentlich im Draa
und Tafilet. Es scheint, dass diese gesegneten Inseln, wie sie Treibh�user
f�r Pflanzen sind, auch ebenso g�nstig auf die Menschen einwirken. Dazu
kommt, dass in den grossen Oasen eine verh�ltnissm�ssig grosse Sicherheit
des Lebens und Eigenthums ist, dass Kriege und Raubz�ge dort seltener sind,
und Beraubungen und Vexationen durch die marokkanische Regierung dort nicht
vorkommen.

Hauptgr�nde aber der Abnahme der Bev�lkerung Marokko's (h�chstens kann man
sagen, dass diese bleibt wie sie ist) sind vor allem mangelhafte Nahrung.
Die Faulheit und Sorglosigkeit der Bewohner ist derart; dass trotz des
reichen und jungfr�ulichen Bodens oft Missernten erzielt werden. Nicht zur
rechten Zeit eingetretener Regen, Hagelwetter oder Heuschrecken f�hren
h�ufig Hungersnoth herbei. Vorr�the anlegen kennt der Marokkaner nicht.
Aber selbst bei reichlichen Ernten, in Jahren, wo Marokko Getreide
ausf�hren kann, ist die Nahrung wegen der Einf�rmigkeit keine die
Gesundheit f�rdernde. Wie schon angef�hrt worden ist, kommt beim
Landbewohner das ganze Jahr keine Fleischkost vor. Unm�ssigkeit, wenn
Nahrung reichlich vorhanden ist, hat dann Krankheit im Gefolge. Das
weibliche Geschlecht entkr�ftet sich durch zu langes S�ugen der Kinder.
Fortw�hrende Kriege und Raubz�ge fordern Opfer unter den kr�ftigsten
M�nnern. Die willk�rliche Regierung, die dem Volke den letzten Blutstropfen
aussaugende mohammedanische _Geistlichkeit_, endlich die grassirenden
Krankheiten, alles dieses sind Ursachen, welche auf die Entwickelung des
marokkanischen Volkes hemmend und hindernd einwirken.

       *       *       *       *       *




4. Die Religion

       *       *       *       *       *

Will man die Religion eines Volkes richtig beurtheilen und richtig
erfassen, so muss man sich ausserhalb einer jeden Religion stellen; ein
Christ wird �ber jede andere Religion immer, fasst er dieselbe von seinem
_christlichen_ Standpunkte auf, ein falsches Urtheil voller
Vorurtheile abgeben; eben so wenig gen�gt es, die Religion, �ber welche ein
Urtheil abgegeben werden soll, zur eigenen zu machen (obschon, um in das
Wesen derselben einzudringen, dies vollkommen nothwendig ist), sondern muss
nachdem das geschehen, wieder heraustreten, um f�r die Kritik ohne Fessel
dazustehen.

In allen L�ndern ist die Religion der Grund des moralischen Volkszustandes,
und derjenige, welcher L�nder durchforscht und in das Leben des Volkes der
L�nder eindringen will, muss daher vor allem sich angelegen sein lassen,
die Religion des Landes einer eingehenden Betrachtung zu unterwerfen.

Von den drei f�r semitische V�lker gemachten Religionen hat keine so
gewirkt, das freie Denken, die _bewusste_ Vernunft einzuschr�nken, wie
der Islam. Und rechnen wir die Inquisitionszeiten, die Verbrennungen der
Hexenprocesse ab, hat keine der semitischen Religionen so viele
Menschenopfer gekostet, als die mohammedanische. Auch ihr ist ureigen,
unter der Firma der N�chstenliebe, unter der Maske religi�ser Heuchelei
jede Freiheit des Gedankens als S�nde hinzustellen; ihr ist ureigen, nur
die _eigene Anschauung_ des Propheten oder Macher der Religion als
allein wahr hinzustellen und den _Glauben_ zum unumst�sslichen
_Gesetz_ erhoben zu haben.

Der Grund der mohammedanischen Religion liegt in dem Satze: "Es giebt nur
Einen Gott und Mohammed ist sein Gesandter." Wir sehen hier ausdr�cklich,
dass, wie in den anderen beiden semitischen Religionen, die Einheit Gottes
vor allen Dingen betont wird, aber ohne den Glauben, dass Mohammed
"Gesandter"[32] Gottes ist, gilt die ganze Lehre nichts.

      [Fu�note 32: Gesandter ist wohl zu unterscheiden von Prophet, deren
       die Mohammedaner viele anerkennen, ein Prophet aber wie Moses oder
       Jesus bekommt nie den Beinamen "Gesandter".]

Mohammed, von einem als Beduinen gekleideten Engel gefragt: "worin besteht
das Wesen des Islam?"--antwortete: "zu bezeugen, es giebt nur einen Gott
und ich bin sein Gesandter; die Stunden des Gebets innehalten, Almosen
geben, den Monat Ramadhan beobachten, und wenn man es kann, nach Mekka
pilgern."--"Das ist es," erwiederte der Engel Gabriel, indem er sich zu
erkennen gab.

Mit der christlichen Religion hat die mohammedanische das gemein, dass sie
die _unbedingteste_ Herrschaft �ber alle Menschen anstrebt, wenn aber
jene Herrschaft der christlichen Kirche erst im Mittelalter verloren ging
durch die Reformation oder Revolution eines Luther[33], so sehen wir in der
mohammedanischen Kirche schon 755 ein Schisma. Es bildet sich nach der
Verlegung des Kalifats von Damaskus nach Bagdad ein eigenes vollkommen
unabh�ngiges _westliches_ Kalifat, welches im Anfange in Cordova
seinen Sitz hatte. Ausser den vielen anderen Religionssecten und Parteien,
welche dann den Islam spalteten, wir erw�hnen nur der Kharegisten, der
Kadarienser, der Asarakiten, der Safriensen, sind in der
_rechtgl�ubigen_ mohammedanischen Welt heute diese beiden Kalifate
noch zu erkennen.

      [Fu�note 33: Die krankhafte Anstrengung des Papstthums, diese
       Herrschaft bei den Katholiken jetzt wieder herzustellen, darf,
       wenigstens was die germanischen V�lker anbetrifft, als verfehlt und
       zu sp�t angesehen werden.]

Der Sultan der T�rkei erkennt sich als den rechtm�ssigen Nachfolger des
Kalifats von Bagdad und Damaskus, und da dies Kalifat �berhaupt nie als
gleichberechtigt bestehend das westliche Kalifat von Spanien und den
Maghreb anerkannt hat, so glaubt er der Alleinherrscher aller Mohammedaner
zu sein. Es versteht sich von selbst, dass eben so wenig wie Protestanten,
Griechen und andere christliche Bekenner von Rom f�r _rechtm�ssige_
Christen gehalten werden, auch die �brigen Bekenner des Islam, die
Schiiten, Aliden, Choms, f�r rechtgl�ubige Mohammedaner angesehen werden.

Der Sultan von Marokko als Nachfolger des Kalifats von Cordova erkennt aber
keineswegs die Oberherrschaft des Sultans der T�rkei an, und eben so wie
die Kalifen von Spanien ihre Unabh�ngigkeit von den Abassiden aufrecht zu
erhalten wussten, hat _nie_ irgend ein marokkanischer Herrscher des
Sultans der T�rkei Oberherrlichkeit anerkannt. Im Gegentheil, die jetzige
Dynastie der Kaiser von Marokko, die sogenannte _zweite_ Dynastie der
Sch�rfa, proclamirt laut und feierlich, dass sie die allein rechtm�ssigen
Herrscher _aller_ Gl�ubigen seien, eben weil sie Abk�mmlinge Mohammeds
sind. Der Sultan von Marokko betrachtet den Sultan von Constantinopel als
einen Usurpator, der nicht einmal arabisches Blut, geschweige das "unseres
gn�digen Herrn Mohammed" in seinen Adern habe.

Der echte Marokkaner, wenn er auch das arabische Volk als das bevorzugte,
das von Gott auserw�hlte und besonders besch�tzte betrachtet, erkennt
keineswegs _Nationen_ an. F�r ihn giebt es nur Mohammedaner, oder wie
er selbst in r�mischer Ueberhebung sagt, "Rechtgl�ubige Moslemin", Juden,
Christen und Ungl�ubige. Zu den letzteren rechnet er alle solche, die kein
"Buch", d. h. die keine g�ttliche Offenbarung bekommen haben.

Da nun aber von solchen, die ein "Buch" haben, im Koran nur die Juden und
Christen erw�hnt sind, so werden die Wedas der Inder, die Kings (B�cher des
Confucius) der Chinesen und andere als nicht vorhanden betrachtet, und in
Marokko gar hat man die Vorstellung, dass die durch "Tausend und eine
Nacht" bekannten L�nder Hind (Indien) und Sind (China) ausschliesslich den
Islam bekennen.

Von den vier rechtm�ssigen und gleichberechtigten Bekennern des Islam, den
Hanbaliten, Schaff�iten, Hanefiten und Malekiten, huldigen die Marokkaner
wie in Afrika _alle_ Mohammedaner mit Ausnahme der Aegypter, dem
malekitischen Systeme. F�r diejenigen, welche weniger mit dem
Mohammedanismus bekannt sind, f�hre ich hier an, dass man schon gleich nach
dem Tode des Propheten einzusehen angefangen hatte, dass der Koran
unm�glich allein allen religi�sen Anforderungen, allen Rechtsfragen
entsprechen konnte. Im Anfange der mohammedanischen Religion begn�gte man
sich damit, zweifelhafte F�lle durch Mohammed selbst oder seine J�nger
entscheiden zu lassen. Nach des Propheten Tode, nach dem seiner J�nger,
sammelte man dann die m�ndlichen Ueberlieferungen; es ist das die Sunnah,
welche im ersten Jahrhundert nach der Hedjra entstand.

Da nun aber noch keineswegs Koran und Sunnah ein regelm�ssiges System
boten, so f�hlte man die Notwendigkeit, f�r Theologie und Jurisprudenz
einen solchen festen Anhalt zu bilden, und vier Schriftgelehrte unternahmen
diese Arbeit. Jeder lieferte eine Abhandlung �ber die religi�sen
Ceremonien, �ber die Grunds�tze, wonach der Moslim sein h�usliches Leben
einzurichten hat, und sie sonderten die Scheria, d. h. das von Gott selbst
gegebene unab�nderliche Gesetz, von dem, welches nach dem Willen und
Gutd�nken der Menschen abge�ndert werden kann. Die Abhandlungen dieser vier
Schriftgelehrten, obschon sie in vielen �usserlichen Sachen von einander
abwichen, wurden alle als orthodox anerkannt und sie bekamen den Namen nach
ihren Urhebern.

Der _Malekitische Ritus_ nun (Malek ben Anas wurde 712 in Medina
geboren, woselbst er 795 starb) verdr�ngte im Westen von Afrika gegen das
Ende des achten Jahrhunderts den Hanefitischen Ritus, und dieser hat sich
dort bis auf unsere Zeit erhalten. Neben Malek und haupts�chlich als bester
Erkl�rer der Malekitischen Schriften gilt das Werk von Chalil ben Ischak
ben Jacob, der 1422 starb, und aus einer Menge anderer Schriften �ber
Malekitischen Ritus seine Werke zusammengesetzt hat. Sehr hoch gehalten
werden in Marokko auch die Schriften des Buchari, der 200 Jahre nach
Mohammeds Tode schon die Ueberlieferungen sichtete und von 7275 f�r wahr
gehaltenen und 2000 zweifelhaften mehr als �ber 2000 falsche ausstiess.

Der Unterschied der Malekiten von den �brigen drei rechtgl�ubigen Parteien
beruht nur auf Aeusserlichkeiten, so namentlich in der Verrichtung bei den
Ablutionen, in den Bewegungen beim Gebet, endlich hat Malek vor seinen
gelehrten Collegen den Vorzug, dass er denen, die seine Religionsregeln
befolgen, entschiedene Erleichterungen gew�hrt.

Das Sultanat von Marokko als solches wurde gegr�ndet nach dem Untergange
des K�nigreichs von Granada am 2. Januar 1492, als Ferdinand auf der
Alhambra die Fahne von Castilien und des heiligen Jacob aufziehen konnte.
Das westliche Kalifat war nun begraben, aber als Erben desselben
betrachteten sich von dem Augenblicke an die Sultane von Marokko. Wenn dann
noch sp�ter bis zur eigentlichen Vertreibung der Mohammedaner aus Spanien
ein inniger Zusammenhang mit den afrikanischen Glaubensgenossen blieb, so
hatte doch jeder politische Zusammenhang, wie fr�her schon oft, seit 1492
g�nzlich zu existiren aufgeh�rt. Marokko selbst hatte auch freilich nicht
die Grenzen, welche es jezt [jetzt] inne hat, seine Ausdehnung wechselte je
nach der Macht der regierenden Sultane. Einzelne dehnten ihre Oberhoheit
durch die Sahara bis Timbuctu und Senegambien hin aus, und Mascara und
Tlem�en haben h�ufig genug die Oberherrlichkeit derselben anerkannt.
Oftmals aber regierten drei K�nige oder Sultane neben einander, daher die
Namen K�nigreich Fes, Tafilet, Marokko. Nie aber, wir betonen es,
namentlich weil _jetzt_ die Pforte auch die Souver�net�t �ber Marokko
beanspruchen zu wollen scheint, ist im eigentlichen Marokko, d. h. westlich
von der Muluya, irgend wie oder irgend wo ein t�rkischer Pascha als Regent
seines Herrn, des Sultans der T�rken, gesehen worden.

Im Allgemeinen sind die Begriffe des Volkes von der mohammedanischen
Religion �usserst oberfl�chlich und verworren. Der gemeine Mann giebt sich
auch gar keine M�he, in das Wesen des Islam einzudringen, und was die Faki
und die Tholba, d. h. die Doctoren und Schrifgelehrten [Schriftgelehrten],
anbetrifft, so sind diese in Marokko auf einer bedeutend tiefer stehenden
Stufe der Gelehrsamkeit, als in den meisten anderen L�ndern, wo der Islam
herrscht.

Die Lehre von der _Pr�destination_ zieht sich auch in Marokko durch
die ganze religi�se Anschauung hin: "Es stand geschrieben," dass an dem
Tage der und der sterben muss, "es stand geschrieben," dass der und der das
Verbrechen beging etc. Es w�rde indess lebensgef�hrlich sein, einem Thaleb
zu sagen: Da Gott _allm�chtig_ ist und _Alles_ erschaffen hat, so
hat er doch auch den Teufel geschaffen; oder, der Teufel als gefallener
Engel hat doch nur mit _Wissen_ und _Willen_ Gottes fallen
k�nnen. Man w�rde in Gefahr sein, verbrannt zu werden, wenn man einem Faki
sagte: Da Gott _Alles_ geschaffen hat, so muss er doch auch das
_B�se_, die _S�nde_, geschaffen haben; wie erkl�rst Du das mit
der _Allgute_ Gottes, Gottes, welcher doch nur der Inbegriff _alles
Guten_ sein soll? Ein marokkanischer Geistlicher w�rde nicht antworten
"mit unerforschlichen Geheimnissen", die wir nicht zu ergr�nden verm�gen,
sondern gleich mit "Feuer und Schwert".

Gott mit "hundert guten Eigenschaften", als "gr�sster", "allbarmherziger",
"allmitleidiger", denkt sich der marokkanische Mohammedaner als ein
pers�nliches Wesen. Obschon der Name Gottes "Allah" immer mit besonderer
Betonung und recht sonor ausgesprochen wird, so hat doch das _h�ufige_
Anrufen desselben eine v�llige Missachtung nicht nur des Namens, sondern
Gottes selbst herbeigef�hrt. Die eigene Lehre Mohammed's tr�gt Schuld
daran. W�hrend die j�dischen Lehrer vor allen Dingen darauf hielten, den
Namen Gottes so wenig wie m�glich im Munde zu f�hren, "Du sollst den Namen
des Herrn, Deines Gottes, nicht unn�tzlich f�hren; denn der Herr wird den
nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht", und die Israeliten
hierin so weit gingen, dass der Name Jehovah nur von den Priestern im
Tempel ausgesprochen werden durfte, und man f�r Gott Eloah oder Adonai, d.
h. "Herr" im gew�hnlichen Leben, sagte, lehrte die mohammedanische
Religion, es ist _verdienstvoll_, den Namen Gottes _so viel als
m�glich_ auszusprechen.

Bei aussergew�hnlichen Versammlungen von Religionsgenossenschaften kann man
daher sehen, wie manchmal die Versammelten mit nichts Anderm sich
besch�ftigen, als wiegend mit dem K�rper den Takt zu geben, und jedesmal
das Wort "Allah" auszusprechen. Eine Versammlung der religi�sen
Genossenschaft der Mulei Thaib in Rhadames, der ich dort beiwohnte,
behauptete, am selben Abend das Wort "Allah" 70,000 Mal ausgerufen zu
haben. Wenn dies nun auch nicht genau dem Worte nach genommen werden muss,
denn die Zahlen in gr�sseren Zusammensetzungen sind �berhaupt den
Marokkanern ziemlich unbekannte Gr�ssen, so kann ich doch versichern, dass
ich sicherlich eine nachhaltige Heiserkeit w�rde davon getragen haben, wenn
ich mit gleicher Regelm�ssigkeit und Vehemenz eben so oft Allah
mitgeschrien h�tte.

Allah wird deshalb eigentlich weder geliebt, noch gef�rchtet und kaum
verehrt, denn wenn auch das Chotba-Gebet Freitags wie die t�glichen Gebete
an Gott gerichtet sind, so wendet sich doch der Marokkaner, um irgend eine
Gunst zu erlangen, um irgend etwas durchzusetzen, an irgend Jemand sonst,
nur nicht an Gott.

Wie hat es aber auch anders sein k�nnen? Es liegt dem Menschen so nahe,
dass er das, was er immer zur Hand hat, was er t�glich braucht, anf�ngt
nicht zu beachten, und die Nichtbeachtung ist immer der erste Schritt zur
Verachtung. Und in Marokko wird das Geringste, das unbedeutendste Gesch�ft,
ja Dinge, die nach den Gesetzen aller Menschen s�ndhaft sind, um nicht noch
mehr zu sagen, mit der Anrufung Gottes "Bi ism' Allah, im Namen Gottes"
begonnen. Mit dieser Redensart steht der Marokkaner auf, ergreift seine
Kleidungsst�cke, falls er sich derselben ausnahmsweise Nachte entledigt
h�tte, unternimmt Waschungen, betritt die Strasse, geht damit zur Arbeit,
pr�gelt damit seine Lehrlinge durch, ohrfeigt seine Gattin, empf�ngt damit
ein Almosen, ersticht damit seinen Feind, schw�rt damit einen falschen Eid,
betritt damit die Moschee, legt sich damit schlafen, um in der Regel damit
auch seinen letzten Hauch von sich zu geben.

Die Vorstellung, welche man sich von Engeln macht, ist im Wesentlichen der
der anderen semitischen Lehre nachgebildet. Die Engel haben einen feinen
und reinen K�rper; sie essen und trinken nicht, sind geschlechtslos und
werden als specielle Diener Gottes betrachtet. Die Befehle Gottes, der
unumschr�nkter Gebieter des Weltalls ist, werden durch die Engel
vermittelt. So beginnt die 35. Sure[34]: "Lob und Preis sei Gott, dem
Sch�pfer des Himmels und der Erde, der die Engel zu seinen Boten macht, so
da ausgestattet sind mit je zwei, drei und vier Paar Fl�geln." Als
vornehmster wird _Gabriel_ betrachtet, der manchmal auch als "Geist
Gottes" erw�hnt ist; _Michael_, der Engel der Offenbarung,
_Azariel_ der Todesengel, _Israful_ der Engel der Auferstehung.
Man glaubt sodann an Geister, _Djenun_ (Plural von Djin), welche als
aus gr�berer Materie gemacht gedacht werden und am j�ngsten Tage einem
Gerichte unterliegen.

      [Fu�note 34: Der Koran von Dr. Ullmann. Bielefeld.]

Man kann nicht sagen, dass in Marokko ein _Teufelcultus_ best�nde, und
als ob man sich �berhaupt etwas aus dem Teufel mache. Er wird nicht so oft
in den Mund genommen, wie Allah, und ist dem zufolge den dortigen
Mohammedanern ziemlich zur Nebensache geworden. Wie bei den meisten
V�lkern, wird auch hier dem Teufel Alles in die Schuhe geschoben und
_"Allah rhinal Schitan, Gott verfluche den Teufel!"_ kann man t�glich
h�ren. St�sst einer aus Versehen an, schneidet sich einer in den Finger,
f�llt einer zur Erde, zerbricht aus Versehen ein Gef�ss, beschmutzt durch
eigene Unvorsichtigkeit sein Gewand, so wird unab�nderlicherweise der
Teufel verflucht. Als eigenth�mlich beobachtete ich, dass, sobald _ein
Esel_ seine musikalischen T�ne ausst�sst, es zum guten Ton geh�rt, sich
mit Abscheu wegzuwenden und "Gott verfluche den Teufel" auszurufen. Der
Teufel wird _Iblis_ oder _Schitan_ genannt, und nach der Meinung
der Mohammedaner wird er deshalb als gefallener Engel angesehen, weil er
sich weigerte, Adam anzubeten[35].

      [Fu�note 35: An anderen Orten und Surat 2 im Koran: "Darauf sagten
       wir zu den Engeln: Fallet vor dem Adam nieder, und sie thaten so,
       nur der hochm�thige Teufel weigerte sich, er war ungl�ubig."]

Als Lohn wird den Menschen nach dem irdischen Tode ein Aufenthalt entweder
im _Paradiese_ oder in der _H�lle_ zu Theil. Indess kommen die
Abgeschiedenen keineswegs sofort dorthin; sondern erst _nach_ dem
j�ngsten Gericht. H�st[36] sagt S. 197, und dieser Glaube ist auch heute
noch in Marokko: "Wenn ein Maure gestorben ist, so glauben die Anderen,
dass er gleich im Grabe von zwei Engeln befragt wird, die sie Munkir und
Nakir nennen; und wenn er dann als ein echter Moslim zu ihrer Zufriedenheit
antwortet, so ruhet der Leib ungest�rt bis zum Gerichtstage; wo nicht, so
schlagen sie ihn mit eisernen Keulen an die Schl�fe, und er wird von
giftigen Thieren gebissen und �bel behandelt. _Die Seelen der M�rtyrer
verbleiben im Halse der gr�nen V�gel des Paradieses_ bis an den Tag des
Gerichts; aber die anderen rechtgl�ubigen Seelen, die durch den Engel
Azariel mit Gelindigkeit vom K�rper getrennt werden, halten sich um die
Gr�ber herum auf, ob sie gleich gehen k�nnten, wohin sie wollen. F�r
diejenigen Seelen hingegen, die verdammt werden, wissen sie keinen Platz,
denn weder Himmel noch Erde will sie annehmen."

      [Fu�note 36: Nachrichten von Marokko und Fes, Ton G. H�st.
       Kopenhagen 1781.]

Endlich naht der _j�ngste_ Tag, dessen Ankunft durch "Zeichen"
angek�ndigt wird. So soll am Abend vorher die Sonne aufgehen, der zw�lfte
Imam, der Mehedi verk�ndet aufs Neue und zuletzt den Islam, und Jesus
Christus, die Lehre Mohammed's bekennend, erscheint aufs Neue. Nach dem
Glauben der Mohammedaner haben sowohl Moses als auch Christus den wahren
Islam gepredigt, nur wir Christen und die Juden haben unsere, respective
ihre B�cher gef�lscht. Die Mohammedaner verweisen auf verschiedene Stellen
des Alten und Neuen Testaments, von denen sie glauben, dieselben enthielten
eine Weissagung, einen Bezug auf Mohammed.

Die Trompete erschallt, die Sonne wird verfinstert, die Sterne fallen zur
Erde, es herrscht Chaos. Ein zweiter Trompetenstoss ert�nt, und Alles auf
Erden, was Leben hat, stirbt. Ein 40 Jahre anhaltender Regen soll zum neuen
Keimen und Leben rufen, und dann werden die Engel Gabriel, Michael und
Israful zuerst erweckt (an anderen Koranstellen l�sst Mohammed sie nicht
sterben, wie �berhaupt die gr�ssten Widerspr�che herrschen). _Letzterer
sammelt die Seelen in seiner Trompete_, und beim letzten Schall
entfliegen sie derselben, um den Raum zwischen Erde und Himmel auszuf�llen.
Die L�nge des j�ngsten Gerichtstages wird im Koran verschieden, im 30.
Capitel zu 1000, im 70. Capitel zu 50,000 Jahren angegeben.

Nachdem die Menschen von den Engeln Munkir und Gabriel gefragt sind, wiegt
Gabriel in einer Waage, die so gross ist, dass sie Himmel und Erde zugleich
enthalten kann, die Thaten der Menschen. Ueberwiegen die guten Thaten auch
nur _Ein Haar_ die b�sen, so ist der Eingang in das Paradies
gesichert. Ein Mohammedaner, der einem andern Unrecht gethan hat, muss
�brigens einen Theil seiner guten Thaten demselben abgeben, hat er gar
keine, so �bernimmt er daf�r des Anderen S�nden. Obschon die Verdammung an
vielen Stellen als eine _ewige_ geschildert wird, so glaubt man doch
nach anderen Andeutungen, wenigstens f�r die Rechtgl�ubigen auf eine
_zeitweise_ Strafe rechnen zu k�nnen, "nachdem die Haut 1000 Jahre
lang zu Kohle verbrannt ist".

Bei der _Auferstehung_ sind die Frommen bekleidet mit Leinwand, die
Gottlosen erstehen nackt, und jene, welche unrechtm�ssig Reichth�mer
erworben haben, werden als Schweine auferstehen; die, welche Zinsen nehmen,
werden Kopf und F�sse verkehrt tragen. Um einer solchen Strafe zu entgehen,
leiht man in Marokko nie auf Zinsen, aber man umgeht das unentgeltliche
Darleihen dadurch, dass man z.B. 100 Metkal ausleiht, aber gleich zur
Bedingung macht, nach so und zo [so] langer Zeit das _verdoppelte_
oder _verdreifachte_ Capital zur�ckzubekommen. Nur so konnte ich mir
selbst sp�ter am Tsadsee vom Mohammedaner Mohammed Sfaxi 200
Maria-Theresia-Thaler verschaffen; es war Bedingung, 400
zur�ckzuerstatten; Zeit war hierbei nicht angegeben, aber man verlangte
Zahlung auf Sicht in Tripolis, und da die Karavane gleich darauf abging
nach dieser Stadt und etwa neun Monate Zeit gebrauchte, so konnte der
Darleiher gewiss zufrieden sein.--Die ungerechten Richter, die M�rder,
Diebe etc., Alle werden in eigenen Gestalten erscheinen, um ihre Strafe
anzutreten. Das Gericht wird lange dauern und Gott wird in Person
richten, Mohammed wird F�rbitter sein, Adam, Noah, Abraham und Jesus
weisen das Amt der F�rbitte von sich. Auch die Engel, die Geister und
die Thiere werden zur Rechenschaft gezogen.

Die Auferstandenen haben, um in den f�r sie bestimmten Aufenthalt zu
kommen, die _Siratbr�cke_ zu passiren, die so fein wie ein Haar und so
schneidig wie ein Messer ist; die frommen Seelen kommen mit telegraphischer
Geschwindigkeit hin�ber, die Gottlosen st�rzen in die Tiefe.

Ehe man ins Paradies gelangt, kommt man zu einer _Mauer_, welche H�lle
und Paradies trennt. Diese Mauer wird zugleich als neutrales Gebiet
betrachtet und dient als Aufenthalt f�r Solche, die gleichviel Gutes und
B�ses, oder �berhaupt weder B�ses noch Gutes gethan haben.

Das mohammedanische _Paradies_ mit den rieselnden B�chen von Milch und
Honig, den schwarz�ugigen Huris, deren Leib aus duftendem Bisam besteht,
dem Weine, der nicht berauscht, und den 80,000 Sklaven, die jeder
Rechtgl�ubige zur Verf�gung hat, ist hinl�nglich bekannt, und der
Marokkaner schm�ckt sich nach seiner Art die Versprechungen, die ihm
Mohammed im Koran davon gemacht hat, noch mehr aus. So wird er dort immer
seine Haschischpfeife haben, und der Haschisch wird ihn nicht schlaftrunken
machen; er wird nicht schwarz�ugige Huris als Dienerinnen haben, sondern
_blau�ugige, blondlockige Engl�nderinnen_, welche nach der Meinung der
Marokkaner diesen Vorzug verdienen. Das Paradies befindet sich �ber den
sieben Himmeln, unmittelbar unter dem Throne Gottes; was aber r�umlich
_�ber_ Gott selbst ist, dar�ber nachzudenken ist dem Marokkaner nicht
erlaubt.

Nach der Beschreibung der die H�lle vom Paradiese trennenden Mauer sollte
man denken, dass dieses letztere sich auf gleichem Niveau bef�nde mit der
H�lle. Aber wie bei den �brigen semitischen Religionen und wie bei fast
allen V�lkern ist mit der _H�lle_ der Begriff des "Tiefen,
Unterirdischen" verbunden. Deshalb sagt man auch, die B�sen _fallen_
von der Siratbr�cke. Man stellt sich sodann die _H�lle mit sieben
Stockwerken_ vor; im obersten wohnen jene Mohammedaner, die auf F�rbitte
des Herrn Mohammed nach einigen tausend Jahren Eintritt ins Paradies
bekommen k�nnen. Es ist sodann ein Aufenthalt f�r die Christen, f�r die
Juden, f�r Sab�er, Magier, Ungl�ubige �berhaupt vorhanden. In das unterste
Stockwerk werden die Heuchler kommen, d.h. Solche, die �usserlich eine
Religion, vornehmlich die mohammedanische, bekannten, aber innerlich nicht
daran glaubten. Die Qualen der H�lle werden eben so erfinderisch
beschrieben, wie bei den �brigen V�lkern, so dass es eine wahre Lust ist,
sich daneben den _allbarmherzigen_ Gott zu denken, wie er im Paradiese
in seiner ewig _allg�tigen_ und _allmitleidigen_ Natur auf diese
_seine_ Gesch�pfe hinabschaut, ohne dass es ihm einf�llt in seinem
unerforschlichen Rathschlusse, die von ihm verh�ngten und nach seiner
Vorherbestimmung (nach der Lehre Mohammed's ist ja Alles vorherbestimmt)
erfolgten Qualen zu lindern oder gar zu beendigen.

_Feuer_ spielt nat�rlich eine Hauptrolle in der H�lle; die Anz�ge sind
von Feuer, in den Eingeweiden brennt Feuer, Feuer verkohlt die Haut,
Feuerschuhe bekleiden die F�sse; ebenso heisses Wasser (22. Cap.). "Es soll
auf ihre K�pfe gegossen werden, wodurch sich ihre Eingeweide und ihre Haut
aufl�sen." Genug von den Freuden des mohammedanischen Paradieses und den
Leiden der mohammedanischen H�lle.

Unter dem Schutze des Grossscherifs von Uesan, der mir ein unwandelbarer
Freund war, wagte ich einst, einem Thaleb, der mit gl�henden Farben die
K�stlichkeiten des Paradieses der Gl�ubigen mir ausmalte, zu erwiedern:
"wenn aber Ihr Marokkaner Alle Anspruch macht, ins Paradies zu kommen, so
will ich lieber nach dem Orte kommen, der den Christen angewiesen wird." Da
mein Besch�tzer zu lachen anfing, lachten Alle pflichtschuldigst �ber die
Abfertigung, die der Thaleb erhalten hatte, mit. Ich konnte mir damals in
Uesan eine solche Aeusserung erlauben, weil ich nach den Worten Mohammed's
als _�bergetretener_ Christ den Vortritt vor den �brigen Moslemin
hatte. Wenn Mohammed von Vortritt spricht, meint er darunter den in das
Paradies.

Folgendes ist die unwandelbare Lehre, wie sie von Gott durch die Propheten
den Menschen vermittelt worden ist; sind Juden und Christen sp�ter von
diesem Islam abgewichen und haben die B�cher verf�lscht, so war es die
Hauptaufgabe Mohammed's, die reine Lehre wieder herzustellen. Mohammed
l�sst verschiedene Offenbarungen zu seit der Erschaffung der Welt, und
unter den Propheten giebt es verschiedene Rangstufen. Zu den ersten geh�ren
Adam, Noah, Abraham, Moses und Jesus. Es kommen sodann Patriarchen und
Propheten, welche vollkommen heilig und s�ndlos auf Erden lebten. Nach der
Meinung der Marokkaner giebt es 104 heilige Schriften[37], von denen auf
Adam 10, auf Seth 50, auf Edris oder Enoch 30, auf Abraham 10, auf Moses 1,
auf David 1, auf Jesus 1 und auf Mohammed 1 kommen. Bis auf die vier
letzten sind alle anderen verloren gegangen, und bis auf das letzte, den
Koran, die drei noch �brig gebliebenen gef�lscht. Damit der Koran nicht
gef�lscht werde, darf er nur _geschrieben_ und in arabischer Sprache
verbreitet werden. Ein gedruckter Koran ist daher in Marokko schlecht
angesehen; gleichwohl machte ich dem Grossscherif einen solchen sowie ein
Altes und Neues Testament in arabischer Sprache zum Geschenk, und er nahm
sie gern an. Aus demselbsn [demselben] Grunde, d.h. um den Koran verstehen
zu k�nnen, m�ssen aller _nichtarabischen_ V�lker Schriftgelehrte
Arabisch lernen. Ein Versuch, den die Marokkaner selbst machten, den Koran
ins _Berberische_ zu �bersetzen, da die �berwiegende Mehrzahl der
Marokkaner Berber sind, scheiterte vollkommen an dem Fanatismus der
arabischen Tholba; die schon �bersetzten Exemplare wurden verbrannt.

      [Fu�note 37: Siehe Jackson, Account of Marocco, p. 197.]

Unter den Propheten erkennt Mohammed Jesu den ersten Platz zu; er glaubt,
dass Jesus der Sohn Mari� sei und dass diese auf wunderbare Weise empfangen
habe. Er glaubt weiter, dass die Juden Jesum nicht kreuzigten, sondern eine
andere Person unterschoben. Die Auferstehung und die H�llenfahrt werden
also vollkommen von den Mohammedanern geleugnet. Indess glauben sie, dass
Jesus lebendig gen Himmel empor gestiegen sei; und ebenfalls wird er, wie
schon erw�hnt, zum j�ngsten Gericht zur�ck erwartet.--

Ein Haupterforderniss ist das _Gebet_; aber kein Gebet ist g�ltig,
wenn nicht vorher eine Abwaschung des K�rpers, d.h. eine bestimmte
Ceremonie, vorgenommen worden ist. Man unterscheidet in Marokko wie
�berhaupt bei den Mohammedanern die _grosse Abwaschung_, el odho el
kebir[38]; die _kleine_, el odho el sserhir; _die Abwaschung mit
Sand_, el timum, und das blosse _Fingiren des Waschens_, el chofin.
Diese Abwaschung wird in verschiedener Weise bei den vier rechtgl�ubigen
Riten vorgenommen, aber nach einer der vorgeschriebenen Normen _muss_
die Ablution verrichtet werden. W�rde man z.B. zuerst das _linke_ Auge
auswaschen, wenn es erforderlich ist, dass vorher das rechte gewaschen
werden soll, dann ist die ganze Ablution _batal_, d.h. umsonst, und es
kann nicht gebetet werden. W�rde man z.B. um den Mund auszusp�len, dies mit
der linken statt mit der vorgeschriebenen rechten Hand thun, so _taugt
die ganze Ablution_ nichts. Jeder K�rpertheil kommt nach
_vorgeschriebener_ Ordnung an die Reihe, und je nachdem wird die
_rechte_ oder _linke_ Hand zum Abwaschen benutzt. Die grosse
Abwaschung unterscheidet sich von der kleinen dadurch, dass man bei jener
den _ganzen_ K�rper einer Reinigung unterzieht, bei dieser indess nur
die Theile des K�rpers abw�scht, welche man, ohne sich der Kleidungsst�cke
zu entledigen, einer W�sche unterziehen kann. Bei der Waschung mit Sand
reibt man sich nat�rlich nicht buchst�blich mit Sand ab, sondern legt die
H�nde auf den reinen Erdboden und _fingirt_ die Waschung. Auch hier
muss streng die _Reihenfolge_ der abzuwaschenden Theile inne gehalten
werden. Bei _unreinem_ Boden und wenn kein Wasser vorhanden ist,
ber�hrt man irgend einen Gegenstand, eine Wand, einen Stein, und fingirt
dann die Ablution; es ist dies was man _el chofin_ nennt. Malek, der
�berhaupt duldsamer als die �brigen drei mohammedanischen Gelehrten ist,
erlaubt auch das _timum_ und _el chofin_ da, wo _Wasser_
vorhanden ist; deshalb findet man in den meisten marokkanischen Moscheen,
namentlich in allen Djemen der Oasen, _Steine_, welche umfasst werden,
nach welcher Umfassung sodann die Ablution vor sich geht.

      [Fu�note 38: H�st S. 204 sagt: Die grosse Abwaschung heisst Ergasel.
       Es ist dies ein Irrthum; Ergasel bedeutet jede beliebige Abwaschung,
       aber keine _religi�se_; wenigstens habe ich in Marokko dies Wort nie
       in diesem Sinne gebrauchen h�ren, obschon ich selbst t�glich die
       Ceremonien mitzumachen hatte.]

Das Gebet der Marokkaner ist keineswegs ein solches nach dem Sinne solcher
Christen, welche darunter vorzugsweise einen freien Herzenserguss, einen
selbst�ndigen Gedankenausfluss, eine aus eigenem Herzen entspringende Bitte
an Gott sehen, sondern vielmehr ein bestimmt auswendig Gelerntes, und eine
mit _bestimmt_ vorgeschriebenen Ceremonien verkn�pfte Handlung. Es
kann daher bei den Marokkanern nach christlicher Auffassung von keinem
eigentlichen Gebet die Rede sein, sondern nur von Gebets_�bungen_, von
Gebetsceremonien; und so muss man es wohl f�r alle Mohammedaner auffassen,
indem die dabei vorkommenden Ceremonien und Verbeugungen f�r Alle
_bestimmt vorgeschrieben_ sind. Fehlt eine dieser Ceremonien, w�rde
man z.B. sich statt nach Mekka nach einer andern Richtung wenden, oder
w�rde man es unterlassen; sich nach der und der Stelle zu Boden zu werfen,
so ist das Gebet ung�ltig; es steigt dann nicht zu Gott auf.

Man unterscheidet das _Morgengebet, essebah_, das _Mittagsgebet,
eldhohor_, das _Nachmittagsgebet, elassar_, das _Abendgebet, el
maghreb_, und das _Nachtgebet, elascha_. Die so h�ufige
Wiederholung der Gebets�bungen ist im Anfange des Islam auf z�hen
Widerstand gestossen, sp�ter gew�hnte man sich daran, so wie sich der
Soldat an Disciplin gew�hnt. Und dadurch, dass Mohammed �berall das Beten
erlaubt, und das Gebet auf der Strasse oder im freien Felde f�r ebenso
verdienstvoll gilt, als das in der Moschee, und vom Gebet im "stillen
K�mmerlein" im Koran nirgends die Rede ist, dadurch hat sich nach und nach
ein Pharis�ismus in die mohammedanische Religion eingeschlichen, der
anderen Leuten ganz ungeheuerlich vorkommen muss. Namentlich in Marokko hat
sich _unter dem Systeme der Unfehlbarkeit des Sultans_ eine
entsetzliche Scheinheiligkeit und Heuchelei aller Classen bem�chtigt. Der
gew�hnlichste Marokkaner versteht es, sich beim Beten derart den Schein der
Andacht, der Heiligkeit zu geben, er weiss seiner Stimme derart einen
n�selnden Ton, einen feierlichen Klang beizulegen, er wendet derart seine
Augen gen Himmel und scheint �berhaupt so sehr seinen ganzen K�rper dem
nichtigen, irdischen Dasein zu entr�cken, dass man glauben sollte, er
zerfl�sse vor Heiligkeit. Und doch ist er nichts weniger als fromm; die
Worte, die er an Allah richtet, versteht er kaum, falls er nicht sehr
gebildet ist. Das koranische Arabisch unterscheidet sich vom Neuarabischen
und namentlich vom Magrhebinischen eben so sehr, wie das Lateinische von
den neueren romanischen Sprachen. Man h�lt in Marokko darauf, beim Beten
_gesehen_ zu werden, man h�lt in Marokko auch darauf, recht _laut
die vorgeschriebenen_ Worte auszusprechen, damit man ja, falls man
�bersehen wird, geh�rt werde. Da es nicht n�thig ist, genau die Zeit des
Gebetes inne zu halten, die Gebete aber nachgeholt werden m�ssen, so trifft
man allerorts, auf allen Pl�tzen, auf allen Strassen, in allen Moscheen
Leute, die ihre Gebets�bungen verrichten. Besucht man einen Marokkaner, so
kann man sicher sein, dass unter hundert neunundneunzig den Gast einen
Augenblick zu warten bitten, "damit ein nachzuholendes Gebet erst
verrichtet werde." Man will damit documentiren, dass man fromm sei! Recht
eifrige Leute, namentlich Br�der einer religi�sen Innung, pflegen ausser
den vorgeschriebenen Gebetsceremonien noch andere zu bestimmten Tageszeiten
abzuhalten, z. B. vor dem Morgengebet das Morgenrothgebet _Fedjer_; um
die Zeit des _Dhaha_, d.h. zwischen dem Morgen- und Mittagsgebete, das
Dhahagebet; das _eschefah-_ und _uter-_Gebet nach dem _el
ascha_ etc.

In den St�dten wird von den Th�rmen der Moschee die Gebetsstunde durch
Aufziehen einer weissen am Freitage zum Chotbagebet einer
_dunkelblauen_ Fahne angek�ndigt, ausserdem ruft der _Muden_ von
den Th�rmen zum Gebet auf. Auch dieser Aufruf ist bestimmt vorgeschrieben
und beginnt nach Osten, um durch S�den, Westen und Norden wieder gen Osten
beendigt zu werden. Die Worte lauten: "Gott ist der Gr�sste, Gott ist der
Gr�sste, ich bezeuge, es giebt nur Einen Gott, ich bezeuge, es giebt nur
Einen Gott, Mohammed ist sein Gesandter, Mohammed ist sein Gesandter[39];
kommt zum Gebet, kommt zum Gebet, kommt in den Tempel, kommt in den Tempel,
Gott ist der Gr�sste, Gott ist der Gr�sste, es giebt nur Einen Gott!"

      [Fu�note 39: Vor dem Morgengebet werden die Worte "das Gebet ist
       besser als der Schlaf" eingeschaltet.]

_Das Gebet selbst_ zerf�llt in Anrufung, verschiedene Rikats und
Gruss[40] und wird folgendermassen bei den Malekiten abgehalten:

      [Fu�note 40: Siehe Ali Bey el Abassi, Voyage en Afrique etc. I, p.
       153.]

_Die Anrufung_: K�rper gerade und beide H�nde erhoben bis zur H�he der
Ohren, "Gott ist der Gr�sste!"

Erstes Rikat und erste Position: Aufrecht, die H�nde fallen herab, und man
sagt das erste Capitel des Koran her. "Lob und Preis dem Weltenherrn, dem
Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen,
und zu Dir wollen wir flehen, auf dass Du uns f�hrest den rechten Weg, den
Weg derer, die Deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, �ber
welche Du z�rnest, und nicht den der Irrenden."--Es folgt jetzt ein
Koranvers, z.B. "Gott ist der einzige und ewige Gott. Er zeugt nicht und
ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich."

Zweite Position: Man verbeugt sich, die H�nde auf die Knie st�tzend, und
ruft: "Gott ist der Gr�sste!" Dritte Position, sich wieder aufrichtend:
"Gott h�rt, wenn man ihn lobt." Vierte Position, niederknieend ber�hrt man
mit beiden H�nden, mit der Stirn und Nasenspitze die Erde und ruft: "Gott
ist der Gr�sste!" F�nfte Position: Man setzt sich auf die zur�ckliegenden
Waden, legt die H�nde auf die Schenkel und ruft: "Gott ist der Gr�sste!"
Sechste Position: Man ber�hrt abermals mit H�nden, Stirn und Nasenspitze
den Boden und ruft: "Gott ist der Gr�sste!" Siebente Position: Man richtet
sich auf und ruft stehend! "Gott ist der Gr�sste!"

_Zweites Rikat_: Die ersten sechs Stellungen werden wiederholt, nach
der sechsten bleibt man sitzen und spricht: "Die Nachtwachen sind f�r Gott,
wie auch die Gebete und Almosen; Gruss und Friede sei Dir, o Prophet
Gottes; Gottes Mitleid und Segen ruhe auf Dir. Heil und Friede komme auf
uns und alle Diener Gottes, die gerecht und tugendhaft sind. Ich bezeuge,
es giebt nur Einen Gott, ich bezeuge, dass Mohammed sein Diener und
Gesandter ist!" Hat das Gebet nur zwei Rikats, so f�gt man noch hinzu,
indem man in derselben Stellung bleibt und dabei immer den rechten
Zeigefinger kreisf�rmig bewegt: "Und ich bezeuge, Er war es, der Mohammed
zu Sich rief, und ich bezeuge die Existenz des Paradieses, die der H�lle,
die des Sirat (Br�cke), die der Wage und die des ewigen Gl�ckes, welches
denen gew�hrt werden soll, welche nicht zweifeln und die wahrhaftig Gott
aus dem Grabe erwecken wird. O, mein Gott, giesse Deinen Segen auf Mohammed
und Mohammed's Nachkommen aus, wie Du Deinen Segen auf Abraham ausgegossen
hast; segne Mohammed und die von Mohammed Stammenden, wie Du Abraham und
die von Abraham Stammenden gesegnet hast. Die Gnade, das Lob und die
Erhebung zum Kuhme sind in Dir und bei Dir."

_Der Gruss und Schluss_: Man bleibt sitzen, wendet das Gesicht erst
links, dann rechts, erhebt etwas die Finger beider auf den Schenkeln
ruhenden H�nde und ruft: "Friede sei mit Euch!"

Fedjer und Esebah haben zwei, Dhohor und l'Asser vier, Magrheb drei,
l'Ascha vier, l'Eschefa und l'Uter drei Rikats. Recht fromme Leute,
namentlich solche, die sich gern beten sehen und h�ren lassen, die sich den
Ruf eines "Heiligen" erwerben wollen, machen ausserdem f�nf, sechs und noch
mehr Rikats.

Der Freitagsgottesdienst, das Chotbagebet, wird in der Regel eine Stunde
nach Mittag verrichtet. Nach vorhergegangener Ablution geht Jeder in die
Moschee und betet f�r sich ein aus zwei Rikats bestehendes Gebet und setzt
sich. Es dauert nicht lange, so erscheint ein Fakih, besteigt den Mimbr,
ein Ger�st, �hnlich einer Treppe, und beginnt mit n�selnder Stimme eine Art
Predigt _abzulesen_. In seiner Rechten hat er einen langen Stock, aber
auch nur in diesem Augenblicke des Treppenbesteigens, denn sobald er
dieselbe verl�sst, wird der der Moschee zugeh�rende �brigens werthlose
Stock in eine Ecke gestellt. Die Fakihs und Tholba (Schriftgelehrten) der
Marokkaner unterscheiden sich keineswegs in der Kleidung von ihren �brigen
Glaubensgenossen. Da �berhaupt Jeder, der lesen und schreiben kann,
_Thaleb_, Jeder, der den Koran lesen und interpretiren kann,
_Fakih_, d.h. _Doctor_ ist, so halten die Tholba und Fakih, die
sich speciell mit der Bedienung der Moscheen befassen, es nicht f�r
nothwendig, sich durch besondere, z.B. _schwarze Tracht_
auszuzeichnen; sie w�rden es auch nicht wagen, da in Marokko sich Jeder
wenigstens eben so fromm und von Gott geliebt glaubt, als sein N�chster,
_innerlich_ sogar Jeder sich wohl f�r am fr�mmsten h�lt. Es mag
anderen unbefangenen Menschen dies unglaublich vorkommen, aber die
fanatische Dummheit in Marokko ist so gross, dass man der festen
Ueberzeugung lebt, jedwede S�nde begehen zu k�nnen, wenn man nur mit dem
Munde bereut und mit dem Munde durch Gebete seine Reue kund thut.

Wirkliche Gebete, d. h. improvisirte, selbstgemachte, von Herzen kommende
Anreden an Gott, meistens W�nsche und Bitten enthaltend, giebt es auch.
Erfleht der Marokkaner etwas, so h�lt er beide H�nde zumal offen gen
Himmel, als ob er etwas empfangen wollte; auf dieselbe Art wird auch der
Segen erfleht. Selbst ein Scherif, d. h. ein Abk�mmling Mohammed's,
erflehet den Segen f�r sich oder f�r die Menge derart, d. h. die Hand offen
haltend. Der Mohammedaner w�rde es als grosse S�nde ansehen, wenn ein
Mensch sich verm�sse, die Hand umzudrehen, um den Segen zu ertheilen, wie
es bei den Christen Sitte ist.

Aber "das Gebet f�hrt nur halbwegs zu Gott, die Fasten fuhren uns vor die
Thore seines Palastes und das Almosen verschafft uns Einlass."

Es giebt verschiedene den Mohammedanern vorgeschriebene _Fasttage_, in
Marokko werden sie indess nur von aussergew�hnlich fromm sein wollenden
Leuten gehalten, jeder aber ist verpflichtet, den ganzen Monat Ramadhan zu
fasten: _Bruch wird mit dem Tode bestraft_. Sobald der Neumond von
zwei des Lesens und Schreibens kundigen Leuten in einem Orte gesehen
worden, ist f�r _den_ Ort der Ramadhan angegangen. Da nun manchmal der
Himmel an einigen Stellen bew�lkt ist, so treten dort die Fasten einen Tag
sp�ter ein; da die Marokkaner wie �berhaupt die Mohammedaner, _was das
Religi�se anbetrifft_, nach Mondsmonaten rechnen, so muss, falls
_immer_ der Himmel bew�lkt bliebe, nach Ablauf von 30 Tagen des
vorhergehenden Monats der 31. der erste Tag des Rhamadhan sein.

Von Morgens bis Abends, d.h. sobald man in der Morgen- oder Abendd�mmerung
einen weissen von einem blauen Faden unterscheiden kann, ist sodann jeder
materielle Genuss untersagt. Nicht nur dass man nicht essen, trinken,
rauchen oder schnupfen darf, muss auch in dieser Zeit der Umgang mit
Frauen, �berhaupt jeder Sinnengenuss gemieden werden. Ja in Marokko geht
man so weit, das Riechen an eine Blume, das Erg�tzen des Auges an einer
sch�nen Landschaft und das Anh�ren von Musik f�r S�nde zu erkl�ren. In
diesem Monat erhielt Mohammed den Koran vom Himmel, und zwar am 27. des
Monats. Diese Nacht wird daher besonders gefeiert. Es giebt Einzelne, die
sich derart kasteien, dass sie Tag und Nacht in der Djemma bleiben, sich
Nachts nur etwas Brot und Wasser bringen lassen. Solche Heilige nennt man
Elatkaf. Man kann sich denken, dass namentlich in der ersten Zeit des
Ramadhan, wo der Magen sich noch nicht an eine solche Ordnung gew�hnt hat,
diese ganze Lebensweise Einfluss auf das Gem�th des Menschen hat.
Streitigkeiten, Processe, Pr�geleien und Ehescheidungen sind immer am
h�ufigsten in der ersten H�lfte des Ramadhan.

Der Reiche entbehrt �brigens gar nichts, er f�hrt nur eine umgekehrte
Lebensweise; denn Nachts entsch�digt er sich durch Essen und Trinken
reichlich. Nachts sind �berhaupt alle Gen�sse erlaubt, indess pflegen
manche Schnapstrinker w�hrend des Ramadhan sich geistiger Getr�nke zu
enthalten; Opiumesser, Haschisch- und Tabacksraucher k�nnen, �brigens ohne
dass man Anstoss daran nimmt, ihren Leidenschaften fr�hnen. Nachts d�rfen
auch Hochzeiten im Ramadhan gefeiert werden, obschon auch dies selten
vorkommt. Die Moscheen sind um die Zeit hell erleuchtet, die Buden und
Gew�lbe in den Strassen ebenfalls, die Kaffeeh�user stark besucht; �berall
h�rt man ausgelassenen L�rm, und besonders in der Nacht des 27. Ramadhan.

Bricht einer aus Versehen den Ramadhan, d.h. er w�re z.B. ins Wasser
gefallen und h�tte dabei einen Schluck Wasser getrunken, so muss er
nachfasten. Es brauchen den Ramadhan nicht zu halten schwangere Frauen,
solche, die s�ugen, Kinder unter 13 Jahren, alte Leute, Kranke und
Reisende. Ebenfalls ausgenommen sind die Wahnsinnigen. Kranke und Reisende
sind verpflichtet, die Fasten nachzuholen, was aber in der Regel
unterbleibt. Fr�her wurde der Anfang und das Ende der t�glichen Fasten
durch Hornsignale von den Th�rmen der Djemma dem Volke mitgetheilt, heute
geschieht dies in den meisten marokkanischen St�dten wie im Orient durch
einen Kanonenschuss.

Im zweiten Capitel des Koran heisst es an verschiedenen Stellen, wo vom
Almosen die Rede ist: "O, Ihr Gl�ubigen, gebet Almosen von den G�tern, die
Ihr erwerbet, und von dem, was wir aus der Erde Schooss wachsen lassen;
suchet aber nicht das Schlechteste zum Almosen aus, solches, was Ihr wohl
selbst nicht annehmet, es sei denn, Ihr werdet get�uscht." Und etwas weiter
hin: "Machet Ihr Eure Almosen bekannt, so ist's gut, doch wenn Ihr das, was
Ihr den Armen gebet, verheimlicht, so ist es besser; dies wird Euch von
allem B�sen befreien. Gott kennt, was Ihr thut! Was Ihr den Armen Gutes
thut, wird Euch einst belohnt etc." Diese und sehr viele andere Stellen des
Koran (fast in jedem Capitel ist die Rede davon) zeigen, wie grosses
Gewicht Mohammed auf die Mildth�tigkeit legte, und wenn der unparteiische
Mensch auch Vieles in der Lehre Mohammed's findet, was gegen die allgemein
von civilisirten V�lkern angenommenen Sitten verst�sst, so muss man ihm
dies hingegen hoch anrechnen. Norm ist in Marokko, den zehnten Theil aller
der G�ter den Armen abzugeben, welche von L�ndereien hervorgebracht, oder
aus Waaren erl�st sind, die man �ber ein Jahr im Besitz hat. Viehheerden
geh�ren ebenfalls hierher. Dieser Zehnte wird vom Sultan von Marokko
eingefordert. Die Armen bekommen nichts davon, wenn nicht dahin zu rechnen
ist, dass der Sultan den Sch�rfa (Scherifen) von Tafilet und Mekka j�hrlich
Geschenke macht, aber diese Sch�rfa sind keineswegs h�lfsbed�rftig. Man
nennt diese Almosen _el-aschor_. Eine andere Art Almosen wird
_Sakat_ genannt und besteht darin, dass man am ersten Tage des Monats
Schual am Feste des _aid el sserir_ vor Sonnenaufgang den Armen je
nach seinen Kr�ften Gerste, Weizen, Datteln etc. zum Geschenk macht, damit
auch sie das Fest w�rdig begehen k�nnen. Die gew�hnliche Art, Almosen zu
geben, _Ssadakat_ genannt, besteht, wie bei uns, in t�glichen Gaben,
die man H�lfsbed�rftigen und Bettlern giebt, welche den Vor�bergehenden im
Namen irgend eines Heiligen anrufen, oder auch selbst von Haus zu Haus
gehen.

Das letzte Erforderniss des Islam, _das Pilgern nach Mekka_, ist nicht
unumg�nglich nothwendig und wird in Marokko im Ganzen selten ausgef�hrt.
Die Pilger bekommen nach vollf�hrter Wallfahrt den Titel _el Hadj_,
d.h. Pilger, und sind dann sehr geachtet. Man kann �brigens f�r Geld einen
Andern f�r sich pilgern lassen; so lassen die Sultane von Marokko stets f�r
sich einen andern Mann nach Mekka wallfahrten. Stirbt ein reicher Mann, ehe
er Mekka gesehen, so miethen die Nachkommen bisweilen einen Mann, der
nachtr�glich das Gesch�ft f�r Geld besorgen muss. Manchmal bem�chtigt sich
unter diesem Vorwande der Kaid oder Bascha eines grossen Theils der
Hinterlassenschaft eines reichen Mannes, um von _Amtswegen_ das
nachtr�gliche Pilgern besorgen zu lassen.

Die grossen _Karawanen_, welche ehemals von Fes aus nach Mekka
fortzogen, haben jetzt ganz aufgeh�rt, nur in Tafilet sammelt sich noch ein
H�uflein, um den weiten beschwerlichen Marsch durch die Sahara, wobei fast
immer die H�lfte zu Grunde geht (ein solcher Tod auf der Pilgerschaft ist
aber sehr verdienstvoll und verschafft directen Eintritt ins Paradies),
zur�ckzulegen. Jetzt fahren die meisten Marokkaner mit Dampfschiffen nach
Djedda, und allm�lig gew�hnt man sich daran, eine solche Wallfahrt mit
Dampf f�r eben so heilig und verdienstvoll zu halten, als eine zu Fuss
zur�ckgelegte. Es w�rde hier zu weit f�hren, die endlosen Ceremonien einer
solchen Wallfahrt zu beschreiben, uns gen�ge diese kurze
Auseinandersetzung. Wir wollen noch weiter in Marokko selbst die
Entwickelung der mohammedanischen Religion verfolgen.

Was die _religi�sen Festtage_, die Feiertage Marokko's, anbetrifft, so
gelten im Allgemeinen dieselben Regeln, wie in den �brigen mohammedanischen
L�ndern. Indess ist nirgends Zwang, irgendwie an einem Feiertage die Arbeit
einzustellen, oder Handel und Wandel zu beschr�nken. So sehen wir
namentlich, dass Freitags, welcher Tag bei dem Mohammedaner dem Sabath der
Juden, dem Sonntage der Christen entspricht, Niemand daran denkt, irgend
wie seine Arbeit einzustellen, seinen Verkaufsladen zu schliessen, oder
sonst seine tagt�gliche Besch�ftigung zu unterlassen. Nur w�hrend der Zeit
des Chotbagebetes liegt Alles still in den St�dten, weil jeder St�dter aus
_eigenem Antriebe_[41], dann auch weil das Gesetz es erheischt, diesem
Gebete in der Djemma beiwohnt.

      [Fu�note 41: Aus eigenem Antriebe, d.h. wer ohne Grund Freitags das
       Chotbagebet zweimal hinter einander vers�umt, muss der Djemma, zu
       der er geh�rt, Strafe zahlen; dies gilt nat�rlich nur f�r St�dter.]

Die Feste religi�ser Art, welche in Marokko gefeiert werden, sind im Monat
Rebi-el-ual das Geburtsfest Mohammed's, _Mulud_ genannt, am 12. des
genannten Monats. Dies Fest dauert sieben Tage, aber nur der erste Tag wird
durch einen besondern Gottesdienst in der Djemma gefeiert. Gefastet wird
nicht, aber viel Musik gemacht, Pulver verschwendet und Phantasia geritten.

Das kleine Fest, _aid el sserir_, beendigt den Fastenmonat Ramadhan;
es findet vom 1. bis zum 7. Schual statt. Bei diesem Feste werden, wie
schon erw�hnt, grosse Almosen gegeben, und man h�lt sodann ein grosses
�ffentliches Gebet im Freien. Zu dem Ende hat jede Stadt in Marokko
ausserhalb des Weichbildes einen gemauerten, weiss angekalkten Gebetsplatz,
_Emssala_ genannt. Eine 5 bis 6 Fuss hohe crenelirte Mauer, 20 Schritt
lang, hat in der Mitte einen steinernen _Mimbr_, d. h. eine Treppe,
die f�r den Fakih, der die Predigt h�lt, bestimmt ist. Darf man Ali Bey
Glauben schenken, so wohnte er einem solchen Gottesdienste bei, wo zu
gleicher Zeit 250,000 Menschen sich vor Gott zur Erde beugten; es war dies
in Fes zur Zeit der Regierung des Sultans Sliman. Ich wohnte in Uesan einem
solchen religi�sen Feste zweimal bei; der Grossscherif, Sidi-el-Hadj
Abd-es-Ssalam, war die Hauptperson dabei; im Ganzen mochten 20,000
Menschen anwesend sein. _Nach der Predigt_ und nach dem Gebete war
ein grosses _lab-el-barudh_, d. h. ein _Pferdewettrennen_ mit
Flintensch�ssen. Dies Fest findet am 1. Schual statt; die �brigen sechs
Tage zeichnen sich nur dadurch aus, dass man aussergew�hnlich grosse
Quantit�ten Nahrung zu sich nimmt und dem s�ssen Nichtsthun huldigt.

Am 10. Dulhaja ist das grosse Fest oder _aid el kebir_ zur Erinnerung
des Opfers Abraham's; zugleich ist es jetzt f�r die, welche nicht nach
Mekka pilgern, eine Mitfeier des dort stattfindenden grossen Festes.
Dasselbe dauert drei Tage. Man verrichtet zuerst sein Gebet in der Moschee
und geht sodann nach Hause, um ein Schaf zu opfern, d. h. zu schlachten und
zu verspeisen. In nicht reichen Familien h�lt man f�r gen�gend, ein Schaf
f�r Alle zu schlachten, in reichen Familien aber opfert jedes m�nnliche
Mitglied ein Thier. Der ganz arme Mann holt sich sein Viertel bei dem
Reichen, kurz, an dem Tage ist Niemand ohne Fleischkost in Marokko. H�st
meint, dass an jenem Tage in Fes 40,000, in Maraksch 20,000 Schafe
geschlachtet werden, und nach der Zahl zu urtheilen, die in Uesan geopfert
wurden (Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam z. B. liess von einem seiner Duar 500
Schafe zum Opfern bloss f�r seinen Haushalt nach Uesan kommen), m�chte ich
glauben, dass jene Zahlen eher zu niedrig als zu hoch gegriffen seien. An
diesem Tage werden dem Sultan ebenfalls grosse Geschenke gemacht, von jeder
Stadt und jeder Ortschaft. Die beiden folgenden Tage zeichnen sich
ebenfalls durch Schmausereien aus, und Unverdaulichkeit, allgemeines
Kranksein und Unf�higkeit, irgend etwas zu thun, sind immer Folge dieser
Feier, namentlich f�r solche, die so wenig an animalische Kost gew�hnt
sind, wie die Marokkaner.

Ein halb religi�ses, halb weltliches Fest ist das _aid el tholba_, das
Fest der Schriftgelehrten. Es findet im Fr�hjahr zur Zeit der Tag- und
Nachtgleiche statt; s�mmtliche Tholba und Fakih ziehen zur Stadt hinaus und
lagern w�hrend einer Woche unter Zelten. Obschon Koranlesen und Beten der
urspr�ngliche Zweck dabei sein soll, konnte ich davon in der heiligen Stadt
Uesan, aber vielleicht gerade _weil_ Uesan eine heilige Stadt ist,
nichts merken; im Gegentheil, bei Tage besch�ftigten sich die Doctoren und
Schriftgelehrten damit, Almosen zu empfangen in Gestalt von Geld, Thee,
Zucker, Lebensmitteln aller Art und leckeren Gerichten, welche die
and�chtigen Frauen aus der Stadt heraussandten. Inzwischen wurde enorm
gegessen, und wenn Abends profane Blicke der Bauern aus der Umgegend nicht
zu bef�rchten waren, gab man sich fleissig dem Wein und Schnaps hin. War am
andern Morgen ein Doctor oder Schriftgelehrter durch Trunkenheit oder
Katzenjammer unf�hig, sich irgend wie vern�nftig mit Almosen bringenden
Leuten aus dem Gebirge und der fernen Umgegend zu unterhalten, so _wuchs
sein Ruf_, man glaubte, er habe sich durch Nachtwachen derart in einen
�berreizten und heiligen Zustand versetzt, dass er dem gew�hnlichen
Erdenleben entr�ckt sei.

Wir haben oben bemerkt, dass in Marokko nur rechtgl�ubige Mohammedaner
malekitischen Bekenntnisses sind, denn die wenigen _Choms_ (eine nicht
den vier orthodoxen Secten huldigende f�nfte Partei) im Gebirge sind kaum
erw�hnenswerth. Aber in dieser malekitischen Sekte haben sich nun wieder
zahlreiche _religi�se Genossenschaften_ gebildet, religi�se Innungen,
so dass man fast sagen kann, ein jeder Marokkaner geh�rt einer solchen an.

In gewisser Beziehung haben solche religi�se Verbindungen Aehnlichkeit mit
den christlichen, besonders insofern, als ihnen speciell eine gewisse
Verpflichtung obliegt, gewisse Privatgesetze gemein sind, Viele noch
besondere additionelle Gebete verrichten, gewisse Fasten halten, mancher
Speise insbesondere sich enthalten. Sie unterscheiden sich aber am
deutlichsten von christlich-religi�sen Genossenschaften dadurch, dass jedes
Mitglied einer solchen Innung[42] verheirathet ist, weil Mohammed das
Heirathen an und f�r sich als verdienstlich und gut hinstellt. Leute unter
den Mohammedanern, die nicht verheirathet sind, werden daher unter allen
Umst�nden ver�chtlich angesehen.

      [Fu�note 42: Mir wurde in ganz Marokko nur von einer religi�sen
       Genossenschaft Kunde gegeben, deren Mitglieder _unverheiratet_ sein
       mussten, diese nannten sich _Fokra el mulei Abd Allah el Scherif_ in
       Uesan. Diese Br�derschaft war �usserst schwach, die Mitglieder waren
       alle gelehrt und (dem Anscheine nach) sittenreine Leute. _Leo_, Bd.
       I, S. 251, Ausgabe von Loosbach, spricht aber von den sogenannten
       Romiti (Marabuten), welche ebenfalls nicht heirathen d�rfen, aber
       deren Lebenswandel nach seiner Beschreibung eben nicht sehr
       erfreulich und tugendhaft gewesen sein soll.]

Die verschiedenen religi�sen Genossenschaften zu beschreiben werde ich
andernorts Gelegenheit haben, hier gen�ge, dass die vornehmste religi�se
Innung die der _Muley Thaib_ in Uesan ist, die ausgebreitetste im
ganzen Nordwesten von Afrika. Es kommt sodann die Corporation der _Sidi
Hammed ben Nasser_ mit dem Centralsitze von Tamagrut in der Draa-Oase;
die der _Sidi Abd-es-Ssalam-ben-Mschisch_ mit der Hauptstadt Sauya, im
Djebel Habib, s�d�stlich von Tanger; die von _Sidi Mussa_ in Karsas,
und viele andere. Ohne religi�ses Centrum, Sauya[43], sodann ist der Orden
der _Aissauin_, d. h. der Jesuitenorden, zu erw�hnen. Da wir gleich
auf letztere etwas n�her eingehen wollen, erw�hne ich nur, dass alle
�brigen religi�sen Genossenschaften als alleinigen Zweck haben, _sich die
Menschen zu unterwerfen und dieselben auszubeuten_. Indem sie vorgeben,
dass wer ihrem Orden beitrete, d. h. die und die Ceremonie mitmache, dies
oder jenes Gebet ausserdem verrichte, an die F�rbitte dieses oder jenes
Heiligen besonders glaube, den oder jenen Festtag extra halte und, worauf
es besonders ankommt, freiwillige oder bestimmte Gaben der Sauya oder dem
Oberhaupte darbiete, suchen sie sich mehr oder minder der Herrschaft �ber
die Geldbeutel und damit �ber die Leute selbst zu bem�chtigen. Aeusserlich
unterscheiden sich die Genossen einer religi�sen Innung von denen einer
andern nicht, h�chstens findet man einen Unterschied im Rosenkranz. Die
Mohammedaner haben mit den Katholiken gemein die Hantirung eines
Rosenkranzes, der aus hundert Perlen besteht. Die Mohammedaner beten
freilich nicht bei jeder der Hand entgleitenden Kugel ein Ave oder
Paternoster, sondern rufen bloss Gott an (es ist vorhin gesagt, wie
verdienstvoll es ist, den Namen Gottes auszusprechen), bei jeder Perle z.
B. "Gott ist gross" oder "Gott ist allbarmherzig" etc. Als Unterschied von
�brigen religi�sen Orden haben die Br�der des Mulei Thaib einen grossen
Messingring am Rosenkranz, die des Sidi Hussa in Karsas eine grosse Perle
von Bernstein, und andere �hnliche Abzeichen.

      [Fu�note 43: Das Wort _Sauya_ bedeutet Kloster, Pilgerort, Schule,
       Asyl zusammengenommen. Da aber, wie schon gesagt, die Mitglieder
       einer religi�sen Genossenschaft fast immer verheirathet sind, so hat
       eine Sauya ein ganz anderes Aussehen als ein Kloster. Wichtigkeit
       haben Sauya besonders, wenn sie Centralstelle eines religi�sen
       Ordens sind, wenn sie todte oder lebendige Heilige haben, wenn sie
       durch Tradition ein unverletzliches Asylrecht besitzen. Letzteres
       wird aber dennoch manchmal durch die _Unfehlbarkeit_ irgend eines
       Sultans, _dem ja keine Ueberlieferung heilig ist_, gebrochen.]

Die vorhin erw�hnten _Aissauin_ oder Br�der vom Orden Jesu (Aissa
heisst Jesus) sind eine der merkw�rdigsten Verbindungen. Sie haben kein
bestimmtes _lebendes_ Oberhaupt, keine bestimmten Ordensregeln, keine
Sauya, sie leben nur vom Aberglauben und dadurch, dass sie die
Leichtgl�ubigkeit ihrer Mitmenschen t�uschen. Ihren Namen haben sie vom
Propheten Jesus angenommen, den sie auch als geistiges, unsichtbares
Oberhaupt anerkennen, und sie behaupten auch, ihre Wunderkraft von ihm
ererbt zu haben. Sie fussen dabei auf die Worte Mohammed's im Koran, "dass
ihm (d. h. Mohammed) die Gabe, Wunder zu thun, nicht verliehen gewesen sei,
dass aber Jesus sie gehabt habe." Die Aissauin sind sehr zahlreich, und
nicht nur in Marokko zu finden, sondern in der ganzen mohammedanischen
Welt.

Manchmal sind die Kunstst�cke, welche ihre wunderth�tige Heiligkeit darthun
sollen, sehr einfacher Art, z. B. dass sie einen Scorpion in die Hand
nehmen, Schlangen auf dem K�rper herumkriechen lassen; manchmal aber erregt
es Entsetzen, wenn man sieht, wie diese Leute Schlangen lebendig verzehren,
zerhackte N�gel, gestossenes Glas, scharfkantige Steine und gl�hende Kohlen
hinunterschlucken, wie sie unter Anrufung von "Gott und Jesus" ihren K�rper
wund schlagen, dass er blutr�nstig wird (�hnlich wie die Flagellanten der
Christen etc.), und ausserdem nicht nur gegen ihren _eigenen_ K�rper
Verbrechen begehen, sondern oft _�ffentlich_ und _ungestraft_
gegen die Sittlichkeit mit anderen Menschen und Thieren sich vers�ndigen,
dass dergleichen in anderen L�ndern als Wahnsinn bezeichnet, oder wollte
man es berichten, als erlogen betrachtet w�rde. Ich unterlasse es deshalb,
Beispiele ihrer religi�sen Tugend, die ich selbst gesehen, anzuf�hren,
verweise daf�r auf Leo Africanus I, S. 253 oder Lempriere's Reise durch
Marokko und auf fast alle anderen Schriftsteller, welche �ber Marokko
berichtet haben.

Wie in der christlichen Kirche, so hat sich auch im Mohammedanismus ein
_Heiligenstand_ entwickelt und namentlich in Marokko steht derselbe in
Bl�the. Die mohammedanische Religion spricht aber nicht durch ein
bestimmtes Organ, wie z. B. bei den Christen durch den Papst, heilig; ein
solches hat die gesammte mohammedanische Religion �berhaupt nicht, sondern
in einzelnen mohammedanischen L�ndern, wie Marokko, wo der Sultan Papst,
der Papst Sultan ist, besorgt es das ganze Volk, welches nie Heilige genug
haben kann. Die mohammedanische Religion hat nun den Vortheil, dass
Menschen schon bei Lebzeiten heilig gehalten oder gesprochen werden, und da
jeder Mohammedaner heirathet, _so ist die Erblichkeit in das Heiligsein
gekommen_, d. h. die Nachkommen eines solchen Heiligen werden auch als
heilig betrachtet. Ja, im Laufe der Jahrhunderte hat sich dies so
eigenth�mlich herausgestaltet, dass die Heiligkeit nicht nur erblich,
sondern _wachsend_ geworden ist, derart, dass der Nachkomme eines
Heiligen stets f�r heiliger gehalten wird, als er selbst. So sehen wir,
dass z. B. in Uesan der directeste Spr�ssling Mohammed's jetzt f�r viel
heiliger und unfehlbarer gehalten wird, als Mohammed selbst.

Wenn meistens bei Christen und anderen der Glaube obwaltet, es sei um
Mohammedaner zu werden, unumg�nglich die Beschneidung nothwendig, so ist
dies irrth�mlich. Im Koran ist f�r den Moslim die Beschneidung nicht
gesetzlich gemacht, und so giebt es denn, namentlich unter den
Berberst�mmen Marokko's, verschiedene, welche _nie die Beschneidung bei
sich eingef�hrt haben_. Trotzdem zweifelt Niemand an dem Islam dieser
St�mme. Ueberdies wird die Circumcision erst im siebenten oder achten
Lebensjahr vorgenommen, und falls die Beschneidung _wesentlich_ zum
Islam geh�rte, w�ren sodann Kinder, die jenes Alter nicht h�tten, keine
Mohammedaner. Es werden nur Knaben in Marokko beschnitten.

Ziehen wir schliesslich einen Vergleich, so finden wir, dass gleiche Lehren
und gleicher Glaube auf das Volk dieselbe Wirkung haben. Die
_Unfehlbarkeit eines Einzelnen_, die in Marokko schon seit der
Regierung des Sultans Yussuf Ben Taschfin's besteht, hat die grenzenloseste
Dummheit des Volkes, den kolossalsten Aberglauben, die gr�sste
Scheinheiligkeit und den Ruin der Nation und des Landes zur Folge gehabt.
So hat auch in der j�dischen, der ersten semitischen Religion, die
Unfehlbarkeit der Bundeslade, des Hohenpriesters, Jerusalems, d. h. das
starre, eiserne Festhalten eines �berlebten Grundsatzes Scheinheiligkeit,
Aberglauben, Heuchelei, Selbst�bersch�tzung und dann den Ruin des Volkes
zur Folge gehabt. Und bei den Christen sehen wir, dass das feste Anklammern
an abgelebte Ideen, das Wiederaufrichten vorweltlicher Lehren, der
eingebildete Wahn, den allein seligmachenden Glauben zu besitzen, oder die
allein unfehlbare Oberkirchenbeh�rde zu sein, schliesslich zur
"Unfehlbarkeit" eines einzelnen Menschen selbst f�hrte.

       *       *       *       *       *




5. Krankheiten und deren Behandlung.

       *       *       *       *       *

Eine der ersten Ursachen, weshalb die Bev�lkerung in Marokko so wenig
zunehmend ist, vielmehr station�r bleibt, sind die vielen im Lande
herrschenden Krankheiten, und die schlechte und unrationelle Behandlung
derselben. Ein Land, dessen Bewohner eben nur "Jenseits-Candidaten" sind,
falls es sich um Ungl�cksf�lle handelt, die ihr gew�hnlicher durch die
mohammedanische Religion erstickter Geist nicht ergr�nden kann, das Volk
eines solches Land _muss_ zu Grunde gehen. Und in Marokko wird eine
jede Krankheit als eine Heimsuchung "Allah's" bezeichnet, und die besten
Mittel dagegen sind "Gebets�bungen" und "Amulette."

Von den Lehren der grossen Doctoren, welche einst in Spanien und Marokko
gelebt, ist heut zu Tage keine Spur mehr vorhanden. Man m�sste ihre Werke
herausholen aus den Bibliotheken Fes' oder Uesan's, um nur den Namen
derselben zu erfahren.

Kein marokkanischer Arzt, geschweige ein gew�hnlicher Marokkaner weiss,
dass Abu-el-Kassem-Calif-ben-Abbes (Albucasis) ihr Landsmann ist, dass er
der Erfinder der Lithotomie[44] war.

      [Fu�note 44: Portal, Histoire de Panatomie et de la chirurgie.]

Der im Dienste des marokkanischen Sultans (Yussuf [Yussuf] ben Taschfin
gewesene Arzt Aven-Zoar (Abu-Meruan-ben-Abd-el-Malek-b-Sohr), der es wagte
gegen die Vorurtheile seiner Zeit, Chirurgie und Medicin zu vereinigen,
welcher zuerst die Idee der Bronchotomie hatte, ist in Marokko verschollen.
Weder der �ltere noch j�ngere (Aven-Zoar's Sohn), der gleichfalls Arzt war,
sind auch nur dem Namen nach bekannt. Verschollen ist der noch ber�hmtere
Arzt und Philosoph Avero�s (Abu-Uld-Mohammed-ben-Rosch), ein Sch�ler des
�lteren Aven-Zoar, welcher unter des Sultans Almansor Regierung nach
Marokko berufen wurde und dort starb. Kein Grabstein, kein Andenken solch
ber�hmter M�nner ist im Lande zu finden, und wenn die Marokkaner kein
Ged�chtniss haben f�r so ber�hmte M�nner, welche einst unter ihnen lebten,
wie ist es da zu verwundern, dass auch von anderen minder ber�hmten jede
Spur ausgel�scht ist.

Die heutigen Aerzte von Marokko verdienen in jeder Beziehung die
untergeordnete Stellung, die sie einnehmen. Nur dann stehen sie in Ansehen,
wenn sie zu gleicher Zeit Tholba, d. h. Schriftgelehrte oder Faki, d. h.
Doctoren der Theologie sind. Und noch h�her ist ihr Einfluss und ihr Ruf
verbreitet, wenn sie zugleich Sch�rfa, d. h. Abk�mmlinge Mohammed's sind.
In dieser Eigenschaft liegt zugleich, der Meinung des Marokkaners nach,
�rztliche Natur. Und so sieht man denn auch h�ufig genug Leute zu einem
Scherif kommen, um seine H�lfe gegen irgend eine Krankheit zu erflehen, sei
es nun, dass diese in einem Gebete oder Segen, in einem Amulet, oder
geschriebenen geheimnissvollen Zauberspruche, oder auch in wirklicher
medicinischer Substanz besteht.

Solche Leute, die sich nur mit Aus�bung innerer Heilkunde besch�ftigen,
ohne Thaleb, Faki oder Scherif zu sein, giebt es daher sehr wenige in
Marokko, eher schon st�sst man auf Chirurgen von Profession, die es durch
Uebung in irgend einem Zweige der Wundarzneikunde zu einem mehr oder
weniger verdienten Rufe gebracht haben.

Meinen grossen �rztlichen Ruf in Marokko verdankte ich denn auch nicht dem
Umst�nde, dass ich Medicin studirt hatte, oder Milit�rarzt des Sultans,
sp�ter sogar dessen Leibarzt war, sondern es hatte das seinen Grund darin,
dass ich vorher Christ gewesen war. Nach dem Glauben der Mohammedaner ist
Jesus der gr�sste Arzt gewesen, und sie meinen, er habe den Christen eine
Menge wunderth�tiger Heilmittel hinterlassen. So wurden denn oft zu mir die
verzweifeltesten F�lle gebracht. "Der Sohn des Jesus (uld ben Aissa) wird
uns schon helfen k�nnen," meinten sie. Ebenso giebt es nirgends eigentliche
Apotheken oder Pharmacien. Der Arzt bereitet immer selbst seine Arzneien
und giebt sie dann dem Kranken. Ist er unbekannt und die erkrankte
Pers�nlichkeit eine einflussreiche, so muss er unab�nderlich von der Arznei
vorher kosten, oft sogar die H�lfte geniessen. So hatte ich die
Unannehmlichkeit, mich eines Tages mit dem Bascha von Fes, Ben-Thaleb
purgiren zu m�ssen. Derselbe hatte ein Abf�hrungsmittel verlangt, ich
brachte ihm eine Schale mit aufgel�stem Bittersalz, aber um sicher zu sein
nicht vergiftet zu werden, musste ich die H�lfte vor seinen Augen
austrinken; vorher davon unterrichtet, hatte ich die Dose stark genug
gemacht, um f�r uns beide eine Wirkung zu erzielen, im entgegengesetzten
Falle w�rde mein Ruf gelitten haben.

Indem wir hier nur die am h�ufigsten in Marokko vorkommenden Krankheiten
vorf�hren, beginnen wir mit der, welche am verbreitetsten ist, so
verallgemeinert, dass heute fast keine Familie in Marokko n�rdlich vom
Atlas existirt, welche von dieser Krankheit unber�hrt geblieben w�re:
Syphilis.

Unter Syphilis verstehen die Marokkaner vom Ulcus syphiliticum an alle jene
Krankheiten, welche wir als Syphilis universalis, constitutionelle Syphilis
und ihre Producte bezeichnen. Der Marokkaner nennt diese Krankheit "die
grosse," Mrd-el-kebir, oder die "Frauenkrankheit," Mrd-el-nssau�n. Einzelne
Formen, z.B. das Ulcus syphiliticum nennt er Grah, ohne aber diese, wie
andere syphilitische Erscheinungen, z.B. Bubonen, Ulcerationen im Schlunde,
Ausschl�ge herpetischer Art, f�r Syphilis zu halten; ebensowenig rechnet
der Marokkaner zum Mrd-el-kebir die Krankheiten der Harnr�hre und Scheide.
Also unseren secund�ren und terti�ren Erscheinungen entspricht das
Mrd-el-kebir, um so mehr tritt dies heraus, als selbst nicht sichtbare,
sondern nur f�hlbare Erscheinungen, die n�chtlichen Knochenschmerzen
(satar) von dem Marokkaner zum Mrd-el-kebir gerechnet werden.

Es giebt in der That fast kein Individuum in Marokko, das sein Leben ohne
diese Krankheit zubr�chte. Leo[45] schon meint, dass nicht der zehnte Theil
der Einwohner der Berberei dieser Seuche entgehe. Leo behauptet ferner,
diese Krankheit sei ehedem nicht in Afrika bekannt gewesen, selbst nicht
dem Namen nach; er sagt: "sie fing dort zu der Zeit, als K�nig Ferdinand
(der Katholische) die Juden aus Spanien verjagt hatte, an; viele von
denselben waren angesiechet, und das Gift steckte die woll�stigen Mauren,
die mit J�dinnen nach ihrer Ankunft in Afrika zu vertraut umgingen, auch
an, und griff nach und nach so um sich, dass wohl keine Familie in der
Berberei gefunden wird, die das Uebel nicht gehabt h�tte, oder noch h�tte.
Sie halten es f�r unleugbar, dass es aus Spanien herkomme, und nennen es
folglich auch die spanische Krankheit." Wie dem nun auch sein mag, ob diese
Krankheit in Marokko erst nach der Judenvertreibung aus Spanien bekannt
wurde, oder schon _vorher_ grassirte, heute ist sie unter dem Namen
"spanische Krankheit" in Marokko _nicht_ bekannt. Aber Alle, die in
Marokko gewesen sind, constatiren das _allgemeine_ Verkommen. So sagt
Jackson in seinem Account p. 190: "they call it the _great disease_
and it had now spread itself into so many varieties, that I am persuaded,
there is scarcely a moor in Barbary who has not more or less of the virus
in his blood."

      [Fu�note 45: Leo Africanus, Uebersetzung von Lorsbach.]

Es giebt wohl keine Form der syphilitischen Krankheit, welche in Marokko
unbekannt w�re, und da sie keine gr�ndlichen Heilverfahren dagegen in
Anwendung bringen, so wird dies Uebel erblich durch ganze Triben
fortgesetzt. H�ufig genug h�rt man ein Individuum sagen, "mein Vater war
ganz gesund, und ohne Ursache bin ich vom Mrd-el-kebir befallen," forscht
man aber nach, so erfahrt man bald, dass m�tterlicherseits oder von
grosselterlicher Seite her die Krankheit existirte und bei den Eltern nur
latent war oder so schwach auftrat, dass sie nicht beachtet wurde.

Als Mittel gegen den Mrd-el-kebir wenden die Marokkaner mit bestem Erfolg
die heissen Schwefelquellen von Ain-Sidi-Yussuf an. Da ich nicht selbst
jenes bei Fes gelegene, wahrscheinlich das zu den R�merzeiten schon unter
dem Namen Aquae Dacicae bekannte Bad besucht habe, so kann ich weder �ber
die Temperatur noch �ber die Bestandtheile desselben berichten. Nach den
Aussagen der Araber ist aber unzweifelhaft Schwefel Hauptbestandteil und
ist das Wasser so heiss, dass darin Badende das Bassin, welches die
eigentliche Quelle enth�lt, nicht betreten k�nnen, dort soll das Wasser
fast siedend sein. Die Badebassins befinden sich in einiger Entfernung
davon, nachdem das Wasser auf Umwegen eine Abk�hlung erhalten hat. Die das
Wasser Gebrauchenden baden in grossen gemeinschaftlichen Bassins, Frauen
von den M�nnern getrennt.

Eine Kur dauert mit t�glichem Baden, wobei mau oft stundenlang im Bassin
hockt, so lange bis man geheilt ist, oder die Unwirksamkeit glaubt erprobt
zu haben. Jahrelanges Baden ist nichts Seltenes, und weniger als eine
dreimonatelange Kur wird wohl nie versucht. Die Marokkaner trinken das nach
faulen Eiern riechende Wasser nicht. Man kann sich denken, welche Vollheit
immer in Ain-Sidi-Yussuf ist, indess campiren alle Leute, f�r
Badeeinrichtung ist n�mlich gar nicht gesorgt und auf einem w�chentlich
Einmal abgehaltenen Markte ebendaselbst, werden die Lebensmittel und
Vorr�the eingekauft. Eine besondere Di�t wird bei der Kur nicht beobachtet,
was bei der einfachen marokkanischen Kost auch nicht nothwendig ist.

Vom Gebrauche dieser B�der habe ich die �berraschendsten Erfolge gesehen,
manchmal nach kurzem (d.h. nach 5-6monatlichem, t�glichem, meist
zweimaligem Baden, wobei die Leute behaupteten, jedesmal zwei Stunden im
Bade zugebracht zu haben), manchmal nach l�ngerem Gebrauche. Indess ist
dies Bad wie alle Schwefelb�der kein specifisches Mittel und nicht nur
kamen oft genug R�ckfalle, Wiederausbruch der Syphilis vor, sondern sehr
oft zeigt sich das Bad vollkommen wirkungslos. Der Marokkaner sagt
nat�rlich nie, dass das Wasser des Bades die Heilung bewirkt: Sidi Yussuf
oder dessen Segen bewirken die Genesung.

Mercur wird �usserst selten gebraucht, und fast nur in den St�dten. Man
kennt dort, wo europ�ische Apotheken sind, die einfache Mercurialsalbe und
macht �rtliche Einreibungen. Auch Juden in den St�dten des _inneren_
Landes pr�pariren und verkaufen Ung. mercuriale cinerum. Am h�ufigsten wird
das Quecksilber angewandt, indem man es in seiner wahren Gestalt in eine
stark erhitzte Pfanne sch�ttet und dann die Quecksilberd�mpfe einathmet.
Aber wenn auch manchmal sowohl von den �rtlichen Einreibungen, wie von den
Inhalationen Besserung erfolgt, so unterliegen dann aber die Meisten den
Folgen der Mercurialvergiftung. Jod und seine Verbindungen sind g�nzlich
unbekannt. Am gebr�uchlichsten ist noch die Sarsaparilla, nicht nur das
Decoct der Wurzel, sondern auch diese selbst im pulverisirten Zustande wird
genossen. Aber nur Wenige in Marokko sind im Stande, eine durchgreifende
Kur mit diesem f�r dortige Verh�ltnisse recht kostspieligen Medicament,
welches die Portugiesen importiren, machen zu k�nnen. Man h�lt sodann
ausserordentlich viel auf Ortsver�nderung, Di�t und Schwitzen, d.h.
Ortsver�nderung wird nur insofern gepriesen, als die Leute dabei in
heissere Gegenden gehen, meist s�dlich vom Atlas. Die dann erfolgende
gr�ssere Transpiration soll manchmal Heilung bewirken. Entziehung der
Nahrung bringt indess nach den Aussagen der Marokkaner nur Stillstand der
Krankheit herbei. Jackson erz�hlt, dass zur Zeit, als er in Agadir war, der
dortige Bascha, Namens Hayane, seine schwarzen Soldaten dadurch von der
Krankheit heilte, dass er sie schwere Lasten bergauf tragen liess, welches
eine m�chtige Schweissbildung hervorbrachte. Innerlich giebt man an einigen
Orten auch eine Abkochung der Rinde von Coloquinthen (Cucumis colocynthis).
Dieses drastische Purgirmittel soll das Gift des Mrd-el-kebir aus dem
K�rper entfernen, aber nie habe ich geh�rt, dass es irgend gewirkt h�tte.

Ebenfalls giebt man diese Decoction gegen blennorrho�sche Affectionen, in
der Regel aber werden diese durch eine Abkochung von Melonenkernen
behandelt, welches unschuldige Mittel innerlich gegeben wird. Injectionen
bei dieser Krankheit werden nie angewandt. Es braucht kaum gesagt zu
werden, dass nebenher Amulette und Zauberspr�che hier wie bei _allen_
Krankheiten in Anwendung sind. Kleine Zettelchen mit Koran- oder anderen
Spr�chen werden in die Kleidungsst�cke oder in kleine lederne S�ckchen
gen�ht und diese umgehangen, oder ein solches beschriebenes Papierchen wird
in einer Tasse mit Wasser abgewaschen und dies dem Patienten zu trinken
gegeben, oder endlich das Amulet selbst wird als Medicin hinabgeschluckt;
man denke sich, welche Wirkung es haben muss, wenn der Kranke einen
Koran-Spruch gegessen hat.

F�lle von constitutioneller Syphilis, die ich selbst behandelte mittelst
Jodkali und Mercur, hatten die �berraschendsten Erfolge. Aeusserlich wandte
ich die Inunctions-Kur, innerlich Jodkali an, mit 0,5 anfangend, bis zu 3
oder 4 Gr. auf einmal t�glich, in Wasser gel�st, gegeben. Aus Mangel an
Medicamenten musste ich indess auch bald zu den Amuletten greifen.

Intermittirende Fieber[46] kommen in den Niederungen l�ngs der Fl�sse, in
den sumpfigen Ebenen best�ndig und zu jeder Jahreszeit vor. Der Marokkaner
wird ebenso gut davon befallen wie der Europ�er, und das krankhafte
Aussehen von Kindern und Frauen der Rharb-Provinzen deuten genug an, dass
diese haupts�chlich dieser Krankheit unterliegen. Der Grund liegt darin,
dass der Mann durch h�ufigen Ortswechsel seine Gesundheit leichter wieder
herstellen kann. Meist ist das Fieber das gew�hnliche, alle 48 Stunden
auftretende, sehr h�ufig beobachtet man auch Febr. quartanae, und die damit
Behafteten werden ihr Fieber fast nie wieder los. Man kennt in Marokko den
Segen des Chinin nicht, das erste Mittel, zu dem man greift (ausser den
Amuletten und Zauberspr�chen), ist eine starke Purganz, die aber nat�rlich
keine Heilung bewirkt. In den marokkanischen St�dten, namentlich in den
Hafenst�dten, hat man in letzterer Zeit angefangen trotz des hohen Preises
Chinin zu kaufen.

      [Fu�note 46: Fieber: el Homma.]

Weit verbreitet sind Leberleiden und Gelbsucht[47], gegen welche man das
Kraut des K�mmel (Cuminum cyminum L.) anwendet, arabisch Schemssuria
genannt; als ger�hmtes Mittel wird dagegen auch Schih (Art. odorif.)
genommen. H�ufige Magenbeschwerden, Folgen grosser Unm�ssigkeiten, die
namentlich nach den Festlichkeiten beobachtet werden, und alle die
Krankheiten, wie Rheumatismus, Gicht, Kopfschmerz[48], halbseitiger
Kopfschmerz, der oft beobachtet wird, alle Arten von Entz�ndungen, versucht
man durch �usserliches Bestreichen mit heissem Eisen zu heilen. Gegen
Durchfall, Ruhr, Dysenterie wendet man Gummi arabicum, in Substanz
gegessen, dann eine Pflanze "Kebbar" (Capparis spinosa) an, deren Holz
gestampft und abgekocht wird, endlich auch rohes Opium.

      [Fu�note 47: Gelbsucht, Bu-Sfor, d.h. w�rtlich: Vater des Gelben.]

      [Fu�note 48: Alle diese Krankheiten, welche bei uns mit Schmerz
       endigen (arabisch udja), dr�ckt der Marokkaner ebenso aus, z.B.
       Kopfschmerz udja el ras u.s.w.]

Es ist unglaublich, wie besondere Freunde die Marokkaner von der Feuerkur,
�berhaupt von allen recht schmerzhaften Heilverfahren sind. In Fes giebt es
daher auch eigene Special-Feuer�rzte. Man sieht sie auf der Hauptstrasse,
welche Neu-Fes mit Alt-Fes verbindet, auf dem Boden hocken. Vor sich haben
sie einen kleinen eisernen Topf mit einem Rost darin, worauf sich ein gut
unterhaltenes Kohlenfeuer befindet. Nebenan steht ein K�rbchen mit
Holzkohlen, daneben liegt auch ein Ziegenschlauch, der zum Anblasen dient.
Ein Kranker erscheint, er hat Nachts ohne Zelt zubringen m�ssen, es hat
geregnet, und Folge davon war, dass er sich einen Hexenschuss geholt. Er
pr�sentirt sich beim ber�hmten Feuerdoctor Si-Edris, um so ber�hmter, da er
lesen kann, Thaleb ist: ein dicker neben ihm liegender Foliant, einziges
Buch, das er besitzt, bezeugt es. Trotzdem Doctor Si-Edris nur das eine
Buch besitzt, hat er es, obschon er sechzig Jahre alt ist, noch nicht ganz
durchgelesen. Ist es so schwer zu verstehen? Keineswegs! Aber das hat seine
Gr�nde, erstens hat Doctor Edris es im Lesen keineswegs zu einer grossen
Fertigkeit gebracht, er verf�hrt dabei so rasch wie bei uns ein sechs- oder
siebenj�hriges Kind, sodann ist der Inhalt des Buches, wenn auch f�r den
Mohammedaner sehr gewichtig und zu wissen nothwendig, doch �usserst
langweilig. Das Buch enth�lt n�mlich von hinten bis vorn nichts Anderes als
die Phrase: "Lah illaha il Allah Mohammed resul ul Lah", oder: "es giebt
mir einen Gott und Mohammed ist sein Gesandter"[49].

      [Fu�note 49: Als die Spanier die Stadt Tetuan einnahmen, fiel ihnen
       ein Buch in die Hand, welches von Anfang bis Ende nur die Worte
       "Gottlob", "Hamd-al-Lahi" enthielt.]

Mittlerweile hat unser Specialarzt mehrere Eisenst�be, zwei Fuss lang und
mit sonderbaren Kn�pfen, Haken und anderen Formen am heisszumachenden Ende
versehen, in das vor ihm stehende Feuer geschoben. Mit dem Schlauche facht
er die Gluth besser an, endlich ist das Eisen weiss. Der Kranke hat sich
unterdessen auf den Bauch gelegt, seine Kleidungsst�cke in die H�he
schiebend, und die Vorbeigehenden, welche sehen, dass einer "das Feuer
bekommen" soll, bilden einen dichten Haufen. Der wichtige Augenblick ist
da, der Doctor ergreift ein Eisen und mit dem Ausrufe "Bi ism Allah" macht
er bed�chtig mit demselben auf dem R�cken und der Kreuzgegend einige
Striche, es zischt und ein unangenehmer Geruch von verbrannter Haut zieht
den Umstehenden in die Nase. Der Patient zeigt bei dieser Operation, welche
Si-Edris mit wundervoller Langsamkeit vornimmt, weil er glaubt zu grosse
Eile schade seinem Ansehen, die gr�sste Ausdauer und Standhaftigkeit, er
beisst die Z�hne zusammen und allein die stark ausbrechenden
Schweisstropfen verrathen seinen Schmerz.

Wie vernichtet bleibt er nach beendeter Operation eine Zeit lang auf dem
Boden liegen, aber keine Klage ber�hrt das Ohr der Umstehenden, die den
Rosenkranz durch die Finger laufen lassen und mit den Lippen Gott und
Mohammed preisen. Aber was geschieht? Der Patient, der wohlhabend sein
muss, dreht seinen Kopf: "Si-Edris, Si-Edris," ruft er.--"Malk, was willst
du?" ist die kurze Antwort des ber�hmten Arztes.--"Masal-en-nar, noch ein
Feuer!--" "Mlech attini haki, gut, gieb mir mein Honorar",[50] erwiedert
der Doctor. Unter Seufzen und Aechzen holt der Kranke aus irgend einer
Falte eines Kleides eine Mosona (ungef�hr einen viertel Groschen), reicht
sie dem Doctor und die Feuerkur beginnt aufs Neue. Si-Edris l�sst sich wie
alle marokkanischen Aerzte immer im Voraus sein Honorar zahlen; sein
grosser Ruf hat ihn �brigens �berm�thig gemacht, er l�sst nicht mit sich
dingen. W�hrend alle anderen Aerzte und auch die Feuerdoctoren, immer mit
sich handeln lassen, thut dies Si-Edris nicht, von dem festen Preise: f�r
ein einmaliges Feuer eine Mosona zu nehmen, ist er seit Jahren nicht
herabgekommen.

      [Fu�note 50: W�rtlich: gieb mir mein Recht.]

Der grosse Ruf, dessen sich als Heilmittel in Marokko das Feuer erfreut,
liegt eben darin, dass in vielen F�llen recht gute Erfolge erzielt werden.

Aber welche Revolution brachte ich unter Fes' Aerzte, als sich auf ein Mal
das Ger�cht verbreitete, ich habe "en-nar-bird" _kaltes Feuer_ und der
Segen des kalten Feuers sei bedeutend gr�sser. Ich f�rchtete, da, alle
Patienten zu mir kamen, um sich mit _kaltem Feuer_[51] brennen zu
lassen, dass meine Collegen irgend etwas gegen mich unternehmen w�rden, und
obschon ich noch Vorrath von _H�llenstein_ hatte, gab ich vor, das
kalte Feuer sei zu Ende, und schickte von da an alle Kranke, die sich
brennen lassen wollten, zu meinen w�rdigen Collegen.

      [Fu�note 51: Lapis infernalis.]

Ebenso erzielte ich sp�ter mit spanischem Fliegenpflaster wenn nicht
Erfolge, so doch das gr�sste Renomm�. Der Marokkaner liebt es sich selbst
zu qu�len mit starken Mitteln, und wenn ein Zugpflaster nach
vierundzwanzigst�ndigem Liegen auf dem R�cken, auf dem Bauche oder auf dem
Kopfe (der Marokkaner tr�gt den Kopf ganz glatt rasirt) eine m�chtige mit
Wasser gef�llte Blase bildete, war er zufrieden, einerlei ob er geheilt war
oder nicht. Merkw�rdig genug, obschon �berall in Marokko die spanische
Fliege[52] k�uflich zu haben ist, so kennt der Marokkaner die _guten_
medicinischen Eigenschaften derselben nicht. Sie dient nur dazu Begierden
anzustacheln, indem Cantharidenpulver mit anderen Gew�rzen und Haschisch
durch Honig oder Zucker zu einer Paste verbunden wird, Madjun genannt,
welche sie angeblich gegen Impotenz einnehmen oder auch um die Potenz zu
erh�hen. Es ist wohl kaum n�thig zu sagen, welch' entsetzliche Folgen oft
aus dem Genuss dieses Madjun entspringen.

      [Fu�note 52: In den sumpfigen Niederungen von L'Areisch kommt die
       spanische Fliege h�ufig vor.]

Lungenkrankheiten, namentlich Tuberculose sind in Marokko fast ganz
unbekannt, leichtere Affectionen dieser Art werden nur durch Amulette
geheilt, d.h. man l�sst die Natur walten.

Ein allgemeines Uebel ist noch Wassersucht in ihren verschiedenen
Vorkommnissen. Die Ursache dazu liegt wohl zum Theil in der mangelhaften
Kleidung, wo bei pl�tzlich eintretender K�lte oder schnell wechselnder
Witterung, die Hautausd�nstungen nicht mehr regelrecht vor sich gehen
k�nnen und Unterdr�ckung des Schweisses stattfindet. Zum Theil ist, und
dies gilt namentlich von den St�dtern, durch die vielen heissen B�der die
Haut �usserst empfindlich geworden. Syphilitische Einfl�sse m�gen zur
H�ufigkeit der Hydropsie auch noch mit beitragen. Viele Eingeborene
schreiben auch einer bestimmten Oertlichkeit und deren Trinkwasser die
Ursache zu; so steht das Trinkwasser von Tanger im Rufe, Wassersucht zu
erzeugen, ob mit Recht, lasse ich dahin gestellt sein. Vern�nftig genug
wendet man in diesem Falle Purgantien an, ohne indess allein mit diesen
eine Heilung herbeif�hren zu k�nnen. Diuretica sind nicht gebr�uchlich.
Ebensowenig ist die Paracentese bekannt.

Eine Abzapfung, die ich in Tafilet bei einer alten Frau mit einer
gew�hnlichen Schusterahle und eigends dazu angefertigten Cannule aus Blech
machte, hatte den besten Erfolg: mehrere Moschee-Eimer Fl�ssigkeit w�rden
abgezapft, und ich galt als der erste Arzt der Welt. Als ich ein Jahr
sp�ter den Ort wieder besuchte, hatte indess eine neue Wasseransammlung die
Frau get�dtet. Da die Einwohner aber nur Ged�chtniss f�r den
augenblicklichen, f�r sie �berraschenden Erfolg bewahrt zu haben schienen,
so war ich dort nach wie vor als ein wahrer Wunderdoctor von Kranken aller
Art �berlaufen, so dass ich wirklich froh war, als ich dem Orte f�r immer
Lebewohl sagen konnte.

Die levantische Pest, die in fr�herer Zeit oft genug in Marokko auftrat,
wahrscheinlich eingeschleppt durch die Mekka-Pilger, und welche der
Marokkaner mit dem bezeichnenden Worte "er ist befallen", oder "davon
betroffen" "medrub" ausdr�ckt, scheint jetzt seit Langem nicht mehr
beobachtet worden zu sein. Die letzte bedeutende durchs ganze Land
verbreitete Pest war im Jahre 1799, im April dieses Jahres starben daran
zuerst Leute in Fes und die Krankheit soll derart gew�thet haben, dass
allein in dieser Stadt 65000(?) Menschen, wenn man Jackson trauen darf,
gestorben sind. Wenn aber eine solche Seuche auftritt, erniedrigt sich der
d�nkelhafte Mohammedaner soweit, dass er dem�thig den "Rabiner" bittet, in
den Medressen der Juden �ffentliche Gebete zum Aufh�ren der Krankheit
abzuhalten, und gemeinsam durchziehen Mohammedaner und Juden die Strassen,
um Gott und die Heiligen um Schonung zu bitten. Der Jude muss hinterher
allerdings b�ssen, der glaubensstolze Mohammedaner erinnert sich, dass er
sich so weit erniedrigte, mit Juden gemeinschaftliche Sache gemacht zu
haben, und wehe dem Juden, der sich dann unter Mohammedaner wagt. Mittel
sind keine in Gebrauch, man kennt nur das resignirte Sichdreingeben.

Merkw�rdigerweise kommt Typhus nur selten und an bestimmte Oertlichkeiten
gebunden, Hundswuth aber nie vor. Typhus, Ruhr, Dysenterien, die der
Marokkaner kaum von einander unterscheidet, werden stets mit Oliven�l,
innerlich getrunken, behandelt. Fehlt das Oel, so wird es durch ungesalzene
fl�ssige Butter ersetzt. Man zwingt den Kranken, Oel hinabzutrinken bis zu
zwei Flaschen des Tags. Wirklich habe ich nach diesem Mittel manchmal
Heilung eintreten sehen; wage aber nicht zu sagen, ob es die Natur oder das
Oel waren, welche Heilung bewerkstelligt hatten.

Dass die Hundswuth bei den Hunden in Marokko noch nie beobachtet worden,
ist wieder eine Best�tigung, dass rohes Fleisch fressende Hunde nicht
spontan von dieser Krankheit befallen werden.

In neuerer Zeit ist mehrfach Cholera in Marokko beobachtet worden, so noch
im Jahre 1860, wo sie in verschiedenen St�dten des Innern zahlreiche Opfer
forderte. Der Marokkaner hat keinen Namen f�r diese Krankheit und man sagte
mir, es sei eine Art vom medrub (Pest). Man begn�gt sich damit, sobald man
von der Krankheit befallen ist, zu sagen: "Gott ist der Gr�sste" oder "es
stand geschrieben".

Gem�ths- und Geisteskrankheiten kommen in Marokko selten vor: im ganzen
Lande ist nur ein Geb�ude, um Tobs�chtige aufzunehmen. Leichte F�lle von
Gem�thskranken l�sst man frei umherlaufen, sie werden als Heilige verehrt.
Und die Tobs�chtigen, d.h. solche, welche ihre Mitmenschen sch�digen,
werden, sind sie in oder in der N�he der Hauptstadt in ein eigenes Geb�ude
in Fes eingesperrt, von einer medicinischen Behandlung ist aber nicht die
Rede; das Haus ist weiter nichts als ein Gef�ngniss f�r jene Ungl�cklichen.

Die durchnarbten Gesichter der Marokkaner allein geben hinl�nglich
Zeugniss, wie m�chtig in diesem Lande zu Zeiten die Blattern (Djidri
genannt) herrschen. F�r diese hat man nur Amulette in Gebrauch.

Prophylaktisch �brigens kennen die Marokkaner die Kuhpockenimpfung, welche
Heilart, wie die Marokkaner behaupten, ihre arabischen Vorfahren schon von
ihrer Heimathsinsel mit hergebracht haben. Die Vaccination wird leider in
Marokko gar nicht regelm�ssig vorgenommen, der Mohammedaner ist viel zu
sehr Fatalist, als dass er, ohne dazu gezwungen zu sein, aus freiem
Antriebe zu einem solchen Schutzmittel greifen sollte. In den arabischen
Triben, wo man vaccinirt, wird folgendes Verfahren angewandt: Mit einer
gesch�rften Kante eines Feuersteins werden die Zwischenr�ume der Finger an
deren Wurzeln geritzt, gew�hnlich nimmt man nur die rechte Hand, weil die
linke an und f�r sich als unrein gilt. Die Lymphe wird direct von der Kuh
genommen, und man hat Acht, dieselbe wohl einzureiben. Uebertragen der
Lymphe von dem Menschen auf den Menschen kennt man nicht.

Wie in fr�heren Jahren die Pest �fter in Marokko und zwar bedeutend
allgemeiner auftrat, so auch der Aussatz. Lepra orientalis, bekannt in
Marokko unter dem Namen Djidam, kommt in den n�rdlichen Theilen von Marokko
fast gar nicht vor. Allerdings begegnet man in Fes, Mikenes und anderen
n�rdlichen St�dten Leuten mit Elephantiasis; ob aber diese Krankheit immer
Folge des Aussatzes ist, wage ich nicht zu behaupten. Die mit Elephantiasis
Behafteten leben �berdies nicht abgesondert von der �brigen Menschheit,
sondern verheirathen sich mit Gesunden. Meistens aber wird dann beobachtet,
dass von den Kindern einer solchen Ehe, eines oder das andere angeborene
Elephantiasis besitzt.

Die Lepr�sen d�rfen aber nur unter sich heirathen, sie d�rfen keine Stadt
bewohnen, sondern m�ssen sich immer im Freien aufhalten.[53] Da Niemand
etwas von ihnen kaufen w�rde, treiben sie kein Handwerk oder Gewerbe, sie
leben von den Almosen ihrer Mitmenschen. Man findet sie einzeln oder in
Familien am Wege, schon von Weitem rufen sie dem Vorbeikommenden "Medjdum",
d.h. ein mit Aussatz Behafteter, zu, stellen ein Tellerchen an den Weg und
das Almosen in Geld oder in Lebensmitteln wird hinein geworfen. Einzelne
gr�ssere auss�tzige Familien besitzen sogar Heerden und ackern.

      [Fu�note 53: Bei der Stadt Marokko ist ein eigenes Dorf f�r
       Auss�tzige und die Insassen dieses Dorfes heirathen freilich nur
       unter sich, im Verkehr haben sie �brigens die gr�sste Freiheit mit
       den �brigen Bewohnern.]

Was das Aeussere dieser ausgestossenen Menschen anbetrifft, so zeigen sie
manchmal �ber den ganzen K�rper die widerlichsten weissen Flecke, anderen
fehlen einige Partien, die Nase, die Ohren, Augen, noch andere zeigen
Jauchen absondernde Wunden, von wulstiger und verdickter Haut umgeben,
Krusten und hart anzuf�hlende Beulen bedecken oft den ganzen K�rper. Oft
aber ist bei einem Auss�tzigen von alle dem nichts zu sehen, man bemerkt
keine einzige der angegebenen Erscheinungen, er hat �usserlich vollkommen
das Aussehen eines gesunden Menschen.

Nach der Meinung der Marokkaner verursacht der Genuss des Argan�ls (Oel vom
Baume des Elaeodendron Argan, der auf den westlichen Abh�ngen des grossen
Atlas w�chst) diese Krankheit oder beg�nstigt dieselbe. Ob dies der Fall
ist, wage ich nicht zu best�tigen. Die in Mogador und Asfi lebenden
Europ�er haben nichts von einer solchen Wirkung dieses Oels gemerkt; und
was dagegen spricht, ist das, dass in der Provinz Abda und Schiadma, wo
doch haupts�chlich der Arganbaum w�chst, gar keine Lepr�se anzutreffen
sind, w�hrend andererseits in Haha, wo ebenfalls der Argan vorkommt, die
meisten Auss�tzigen anzutreffen sind. Auffallend ist, dass die Kranken als
Linderung ihrer Schmerzen innerlich einen Absud der Arganbl�tter nehmen,
und auch �usserlich auf offene Wunden zerstampfte Arganbl�tter legen. Ein
Teig aus Henne-Bl�ttern[54] mit Erde gemischt wird ebenfalls zu Verband bei
den offenen Geschw�ren gebraucht.

      [Fu�note 54: Lawsonia inermis, L.]

Kr�tze kommt �berall vor, aber weniger, als man bei dem entsetzlichen
Schmutze, an dem diese V�lker Gefallen finden, denken sollte. Aus Kr�tze
wird nicht viel Wesen gemacht, und Heilung wird erzielt durch kr�ftige
Einreibung von brauner Schmierseife und Sand; Schmierseife wird �berall in
Marokko fabricirt, zu halben Theilen von beiden eingerieben, habe ich
selbst Heilung bei verschiedenen F�llen erfolgen sehen.

Eine ungleich widerlichere Krankheit und �usserst verbreitet ist der
Kopfgrind. Meistens sind die Knaben damit behaftet, im Alter von zwanzig
Jahren verliert er sich von selbst. Ob die Tinea in Marokko Folge des
Rasirens ist (jeder m�nnliche Marokkaner tr�gt den Kopf von fr�hester
Jugend an, rasirt), ist wohl anzunehmen. Der Reiz, der dadurch entsteht bei
ganz jungen Kindern, monatlich und noch �fter mit halbscharfem Messer die
Haare dicht �ber der Wurzel zu entfernen, oft abzureissen, kann wohl
Veranlassung zu einer solchen Krankheit geben. Bei den M�dchen beobachtet
man Grind sehr selten. Man braucht gegen diese Krankheit gar nichts, und
sie ist so allgemein, dass Niemand in der Gesellschaft eines Grindigen
Abscheu oder Ekel empfindet. Nach dem zwanzigsten Jahre sind die Meisten
der M�he, ihren Kopf zu rasiren, �berhoben, da die Krankheit im Kindesalter
sie ihrer s�mmtlichen Haare beraubt hat.

Von Parasiten kommen nur Kopf- und Kleiderl�use vor, beide haften an jeder
Frau, w�hrend die m�nnliche Bev�lkerung nur den Pediculus vestimenti[55]
cultivirt, da sie in der Regel kein Kopfhaar hat, diejenige m�nnliche
Jugend indess, welche einen Zopf tr�gt, hat auch Kopfl�use. Der Pedic.
pubis ist nirgends anzutreffen, weil sich Alle, sowohl die m�nnliche als
die weibliche Bev�lkerung, diejenigen Partien des K�rpers, wo derselbe
vorzukommen pflegt, rasirt erhalten.

      [Fu�note 55: Von dem Pedic. vestimenti existiren in Marokko mehrere
       Arten.]

Wurmkrankheiten sind selbstverst�ndlich auch im Lande. Obschon die
Lebensweise und Nahrung sehr f�rderlich f�r diese Entozoen sein muss, h�rt
man doch selten dar�ber klagen. Spul- und Madenw�rmer, eine h�ufige
Erscheinung, werden behandelt durch eine Abkochung von Sater (Thymian[56])
und Kelil (Rosmarin[57]), denen noch andere starkduftende Kr�uter zugesetzt
werden. Aber auch durch eine Decoction der Wurzel der Rtemwurzel (Genista
Saharae). Genannte beide bilden indess Hauptbestandteile. Taenia Solium,
der auch vorkommt, wird (nach den Aussagen der marokkanischen Collegen)
erfolgreich derart behandelt, dass man zuerst eine Portion Haschisch
(Cannabis ind.) geniesst und sp�ter, wenn der Wurm berauscht ist, ihn durch
irgend ein Purgirmittel abtreibt. Als Dose wurde angegeben ein Essl�ffel
voll pulverisirten und gedorrten Haschichkrautes [Haschischkrautes] [58],
und als Abf�hrungsmittel haben sie eine Zusammensetzung aus Sennesbl�ttern
(w�chst wild im s�dlichen Marokko), Schwefel und Alo�s, welches innerlich
gegeben wird. Der Guineawurm kommt �usserst selten vor, und dann nur von
Schwarzen aus dem S�den eingeschleppt. Die Behandlung desselben, sowie sie
von den Schwarzen in Centralafrika practicirt wird, ist in Marokko nicht
bekannt.

      [Fu�note 56: Thymus hyrtus, Willd.]

      [Fu�note 57: Rosmarinus offic.]

      [Fu�note 58: Allerdings eine starke Dosis.]

Nicht nur der ungeheure Schmutz, in dem sich alle nordafrikanischen V�lker
gefallen, sondern auch Oertlichkeiten und Klima haben Augenkrankheiten von
je her in Marokko beg�nstigt. Und je mehr man nach dem S�den kommt, desto
h�ufiger werden dieselben, bis man in den Oasen der grossen Sahara die
Bev�lkerung derart von Augenleiden aller Art afficirt findet, dass ein
Individuum mit beiden gesunden Augen schon zu _Ausnahmen_ geh�rt. Wie
der Staub auch sein mag, ob ihn der Gebli oder Samum aufwirbelt, ob er im
Norden mehr mit animalischen oder vegetabilischen Atomen, im S�den des
Atlas mit anorganischen, mikroskopisch kleinen Theilen geschw�ngert ist,
immer wirkt er gleich sch�dlich auf die Augen.

Es hat dies zur Folge, dass Hornhautkrankheiten allt�gliche Erscheinungen
sind. Chronische Hornhautentz�ndung nennt der Marokkaner Bu Tillis, d.h.
den Vater des Schleiers. Manchmal heilen sie derartige F�lle im Entstehen
dadurch, dass sie Feuer im Nacken, an den Schl�fen, hinter den Ohren
�rtlich anwenden. Meist aber enden alle Augenkrankheiten mit Erblinden.
Citronensaft und Wasser gemischt und in die Augen getr�pfelt, wird h�ufig
genug angewandt. Auch Antimon (Koh�l) ist in vielen Gegenden Gebrauch; es
wird dies im Atlas gefundene Metall, dessen sich alle Frauen nicht nur
Marokko's, sondern ganz Nordafrika's als Sch�nheitsmittel bedienen, und das
auch unsere Theaterdamen, um den Glanz der Augen zu erh�hen, anwenden, oft
mit Erfolg gebraucht. Man bestreicht mit Koh�l die Augenlider, mittelst
eines feinen Holzspatels und unzweifelhaft hat dies Mittel gute
Pr�servativeigenschaften bei dort herrschenden Augenkrankheiten. Als
Arzneimittel wird es deshalb auch vielfach von den M�nnern gebraucht. Die
Wirksamkeit des Spiesglanzes als Pr�servativmittel erhellt schon daraus,
dass bei weitem mehr M�nner von Augenkrankheiten betroffen werden als
Frauen. Als �usserstes Mittel gegen Augenkrankheiten[59] f�hre ich noch an,
dass in einigen Orten pulverisirter Pfeffer in die Augen geblasen wird.

      [Fu�note 59: Ich bediene mich dieses allgemeinen Ausdrucks, da der
       Marokkaner nicht unterscheidet, ob die Hornhaut, die Lider, der
       Augapfel, die Liderhaut etc. erkrankt ist, sondern alles dies
       Augenkrankheit, Mrd-el-aiun, nennt.]

Von inneren Mitteln gegen Augenkrankheiten ist nat�rlich keine Spur
vorhanden, als ich einige Male versuchte durch Calomel, innerlich gegeben,
oder durch Purgantien Ableitungen herbeizuf�hren, wurde mir ernstlich
gesagt, mit solchen Mitteln aufzuh�ren: "nicht der Bauch sei erkrankt,
sondern die Augen".

Schwarzer und grauer Staar sind unter einer Bev�lkerung, bei der fast jedes
Individuum augenkrank ist, nichts Seltenes, und merkw�rdig genug, giebt es
in Marokko einige Familien, die sich damit besch�ftigen, Staaroperationen
und zwar mit Erfolg auszu�ben. Diese Familien sind vorzugsweise auf dem
_grossen_ Atlas ans�ssig, die F�higkeit den Staar zu stechen geht vom
Vater auf den Sohn �ber, der nat�rlich bei jenem in die Lehre geht. Die
beiden Doctoren-Staarstecher, die ich kennen lernte, waren Berber ihrer
Abkunft nach. Ohne sich mit anderen Krankheiten zu besch�ftigen,
verschm�hten sie es sogar, andere Augenkrankheiten als Staarerblindungen in
Behandlung zu nehmen. Sie machten f�r dortige Verh�ltnisse gute Gesch�fte
und man w�rde sie wirklich als gute Special�rzte haben hinstellen k�nnen,
wenn sie die F�higkeit gehabt h�tten, irgend wie eine Diagnose zu stellen,
geschweige von einer Prognose zu reden. Aber da kam es oft genug vor, dass
irgend eine andere Krankheit der inneren Theile des Auges, wohl gar Gutta
serena mit Gutta opaca verwechselt wurde. Da ich nicht selbst der Operation
eines Staares beigewohnt habe, so kann ich nur anf�hren, dass mittelst
eines glattgeschliffenen nadelf�rmigen Instruments der Einstich, nach
Aussage der Staardoctoren, _seitw�rts_ gemacht wird, dass nach der
Beschreibung sodann die Linse zerst�ckelt wird, um sp�ter resorbirt zu
werden. Eine Extraction oder Depression der Linse war offenbar diesen
Leuten nicht bekannt.

Sehen wir, wenn es auf eine chirurgische Operation ankommt, wie bei der
Staarstechung, die Heilkunde auf einer bedeutend h�heren Stufe als bei
_inneren_ Krankheiten, so ist das im Allgemeinen in der Chirurgie auch
der Fall. Es ist dies auch ganz nat�rlich. Bei Verwundungen, bei �usseren
Verletzungen kennt auch der gew�hnliche Mensch gemeiniglich die
_Ursache_, er kann es dann bedeutend leichter unternehmen, eine
Heilung zu versuchen. Und nicht nur in ganz uncivilisirten L�ndern, oder in
halbcivilisirten wie Marokko, auch in den am weitesten in der Cultur
vorgeschrittenen findet man, dass die Chirurgie auf einer h�heren Stufe
steht als die Heilkunde innerer Krankheiten.

Reine Hiebwunden, die durch das fast �berall ge�bte Faustrecht so h�ufig
unter den Bewohnern Marokko's vorkommen, werden entweder mit einem Teig
verbunden, der aus Henne (Lawsonia inermis) und Chobis (Malva parviflora)
geknetet wird, oder man verbindet die Wunden mit geschmolzener salzloser
Butter, in welche vorher, sobald die Butter siedend ist, ein S�ckchen mit
Schih (Artemisia odorif.) getaucht worden ist. Hierdurch bekommt die Butter
einen starken aromatischen Gehalt, nimmt einen fast K�lnischem Wasser
gleichenden Geruch an, der sp�ter selbst nicht vom �belstriechenden Eiter
verdr�ngt wird. Wunden auf diese Art behandelt, nehmen fast immer einen
guten Verlauf. In vielen Gegenden verbindet man die Wunden mit Rinderkoth,
namentlich nomadisirende St�mme glauben an die Heilkraft der verdauten
Kr�uter.

Verwundungen, welche die Knochen verletzen, einerlei ob sie durch Kugeln
oder Hiebwunden herr�hren, werden auf gleiche Art rationell behandelt. Ist
eine vollkommene Knochenzerschmetterung vorhanden, so wird ein
_fester_ Verband angelegt, um die Heilung der zerschmetterten Knochen
mittels Callusbildung herbeizuf�hren. Man k�mmert sich nicht um
Herausziehen der Knochensplitter oder Kugelst�cken[60], so schnell wie
m�glich wird der Verband angelegt. Eine aus Ziegen- oder Schafleder
bestehende Binde, die ihren Halt durch kleine Rohrst�bchen, die
hineingen�ht werden, bekommt, wird um die verletzten Theile gelegt und das
Ganze dann mit Thon umkleistert. Ein solcher Verband soll nach den Regeln
der dortigen Chirurgie 28 Tage liegen bleiben. Das einzige Misslingen bei
diesem Verbande liegt darin, dass nicht geh�rig f�r Eiterabfluss gesorgt
wird, und dadurch f�r den Patienten oft missliche Zust�nde eintreten.

      [Fu�note 60: Man ladet meistens mit zerhacktem Blei.]

Fracturen werden ebenfalls durch festen Verband geheilt, ohne dass man aber
vorher einrichtet. Nat�rlich werden dabei meist schiefe Heilungen erzielt,
und oftmals sieht man R�hrenknochen die Weichtheile durchbohren, und es
entstehen dann f�r immer offene Wunden. Nie f�llt es ein irgend wie zu
amputiren. Der Marokkaner h�lt das f�r s�ndhaft. Die durch die
Gerechtigkeit abgehauenen H�nde oder F�sse werden sorgf�ltig vergraben,
weil sie sonst am Auferstehungstage fehlen k�nnten, und die St�mpfe werden
in siedende Butter oder kochendes Oel getaucht, um die Blutung zu stillen.
Verrenkungen einrichten kennt man nicht, so dass gew�hnliche Folge eine
schmerzhafte Entz�ndung mit oft b�sem Ausgang ist. Nat�rlich ist selbst bei
schwersten Verwundungen von einer inneren Behandlung nie die Rede, aber
Amulette, Zauberspr�che u. dergl. m. sind auch hier an der Tagesordnung.

Was die Geburtsh�lfe anbetrifft, so ist es schwer dar�ber nur das Geringste
anzugeben, da nur Frauen als Beistand geduldet werden. Die Wendung sowie
die Zange sind unbekannt, einzelne Praktiken, die mir erz�hlt wurden, sind
zu abgeschmackt, als dass ich sie hier wiedergeben sollte. Nur so viel kann
ich bezeugen, dass einst meine Hauswirthin in einer kleinen Oase der W�ste,
Nachts mit einem Kinde niederkam und am andern Morgen trotzdem ihre
gew�hnliche Besch�ftigung verrichtete.

       *       *       *       *       *




6. Uesan el Dar Demona.

       *       *       *       *       *

Es giebt B�cher genug, die �ber Marokko handeln, und keine Geographie
�lteren oder neueren Ursprungs unterl�sst es, irgend ein Capitel diesem
Reiche zu widmen; aber wie Afrika im Allgemeinen noch heute ein Terra
incognita f�r uns ist, so ist von all den Staaten, welche an den K�sten
liegen, namentlich an den K�sten des Mittelmeers, kein Land so wenig
bekannt wie Marokko und von allen St�dten in Marokko ist Uesan die
unbekannteste. So sehen wir denn auch, dass ein Hems�, Ali Bey, Richardson
und Renou nur ganz oberfl�chlich des Ortes Uesan im Vor�bergehen erw�hnen.

Ali Bey verlegt Uesan auf den 24� 42' 29" N. Br. und 7� 55' 10" L. von
Paris, Renou, der die Breite gelten l�sst, glaubt aber Uesan die L�nge von
7� 58' geben zu m�ssen. Dieselbe Position finden wir auch auf Petermanns
trefflichen Karten von Marokko[61]. Bis genauere Messungen an Ort und
Stelle angestellt sind, k�nnen wir uns auch einstweilen recht gut daran
halten. Die Stadt Uesan liegt etwa 900 Fuss �ber dem Meeresspiegel, erfreut
sich also unter diesen Breiten eines �usserst g�nstigen Klimas.

      [Fu�note 61: Mittheilungen, Jahrg. 1865.]

Vortheilhafter wird die Lage noch dadurch, dass die Stadt am Fusse des
m�chtigen und zweigipfligen Berges Bu-Hell�l aufgebaut ist. Dieser
herrliche Berg, dessen ganze Nordseite von der Stadt an bis zum Gipfel zum
Theil mit Oliven, zum Theil mit immergr�nen Eichen und Wachholder bewaldet
ist, h�lt wirksam die heissen S�dwinde ab, w�hrend er zugleich den
regentragenden Nord- und Nordwestwinden einen Damm entgegensetzt.

Der ganze Gebirgscomplex, der sich um Uesan herumzieht, steht im innigen
Zusammenhange mit dem sogenannten kleinen Atlas. Ersteigt man den
Bu-Hell�l, so sieht man �ber die Rharbebenen hinweg die blauen Fluthen des
atlantischen Oceans, w�hrend andererseits nach Norden und Osten der Blick
eine vollkommen zusammenh�ngende Gebirgslandschaft vor sich hat bis zu den
zackigen Berggipfeln, der Habib, der Srual, der Schischauun und in erster
N�he der Erhona.

Es scheint, dass Uesan von einem Nachkommen Mulei Edris, Namens Mulei
Abd-Allah Scherif, etwa um das Jahr 900 n. Chr. als Sauya gestiftet
wurde. Da nun Edris der Gr�nder der Stadt Fes als der directeste
Nachk�mmling des Propheten angesehen wird, so ist seine m�nnliche
Nachfolge in erster Linie noch heute in demselben Ansehen. Aus diesem
Grunde sind die Sch�rfa von Uesan, d.h. die Edrisiten, bedeutend
heiliger gehalten als die �brigen von Mulei Ali stammenden, wozu die
Familie des Sultans geh�rt.

Dennoch haben aber diese Vorrechte genug, und was der kaiserlichen Familie
an Heiligkeit directer Abkunft abgeht, ersetzt sie eben dadurch dass sie
die regierende ist. Bei den Mohammedanern nun ist aber das Heiligsein ganz
anders als bei uns Christen.

Mein seltsamer Anzug, halb christlich, halb mohammedanisch, hatte rasch
einen Haufen Neugieriger herbeigezogen, mein Begleiter und ich wurden
umdr�ngt und befragt, wer ich sei, was ich wolle, woher ich komme, wohin
ich wolle u. dergl. unversch�mte Fragen mehr. Es ist vollkommen falsch,
wenn man glaubt der Mohammedaner sei schweigsam, ernst und nicht neugierig;
in Afrika habe ich �berall das Gegentheil erfahren. Manchmal freilich mag
der Vornehme, der Mann vom "grossen Zelte," sich gegen Christen so
zur�ckhaltend benehmen, aber nie gegen seines Gleichen. Und man erinnere
sich, dass ich als Mohammedaner reiste.

Nachdem die Neugier befriedigt und nachdem namentlich die Menge beruhigt
war �ber meinen Glauben, d.h. nachdem ich auf ihre Aufforderungen zum
"Bezeugen" mehrere Male "es giebt nur Einen Gott und Mohammed ist sein
Gesandter" geantwortet hatte, sagten sie aus, "Sidi" bef�nde sich mit den
Sch�rfa und Tholba im Rharsa es Ssultan, so hiess man Garten und Gartenhaus
des Grossscherifs.

Man kann sich denken, mit welcher Spannung ich der ersten Zusammenkunft mit
diesem Manne, der in den Augen der meisten Marokkaner h�her als Gott, ja
h�her als der Prophet gehalten wird, entgegen sah.

Meine Begleiter und ich gingen also nach seinem Landsitze, der sich bald,
er liegt nur ca. 5 Minuten ausserhalb der Stadt, unseren Blicken zeigte.
Wie erstaunt war ich, ein Haus halb im neuitalienischen, halb im maurischen
Style zu erblicken. Dort ist Sidna,[62] sagte man mir. Aus den Fenstern des
oberen Stockes sah ich eine Menge Neugieriger herabgucken, vorne stand ein
junger Mann in franz�sischer Capit�ns-Uniform mit dem Degen an der Seite,
ein langes Fernrohr in der Hand. Jetzt rasch durch ein hohes gew�lbtes
Steinthor in den Garten tretend, befanden wir uns bald vor der Hauptth�r,
welche direct auf eine enge und so niedrig gebaute Treppe ging, dass jeder
nur etwas grosse Mann sich b�cken musste, um hinaufzuschreiten. Oben
angekommen, riefen uns mehrere uniformirte Sklaven ein "Okaf" (Halt)
entgegen, das aber gleich vom lauten "sihd" (marokk. Ausruf, bedeutend
"tritt n�her") des Grossscherifs �bert�nt wurde.

      [Fu�note 62: Der Titel Sidna, d.h. "unser Herr," kommt eigentlich nur
       dem Sultan zu. Jeder Scherif hat den Titel sidi oder mulei, was
       "mein Herr" bedeutet Tholba, d.h. Schriftgelehrte, Standespersonen,
       Beamte, haben den Titel "sid," was Herr bedeutet. Der Plural von
       mulei, muleina, wird nur Gott und dem Propheten gegeben.]

Mein Begleiter prosternirte sich, k�sste die gelben Stiefel
Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's, und berichtete dann �ber mich. Ich selbst
begn�gte mich, seine dargebotene Hand (der Grossscherif sass auf einem
Teppich in einer Ecke des Zimmers) zu ergreifen, und sodann f�hrte ich
die meine an Stirn und Mund. Unter der Zeit hatte ich Musse, ihn und
seine Umgebung zu betrachten.

Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam-ben-el-Arbi-ben-Ali-ben-Hammed-ben-Mohamm�d-ben-
Thaib[63], wie sein ganzer Titel lautet, war (1861) etwa 31 Jahre alt; von
fast zu hoher Statur, wurde das Ebenmaass seines K�rpers durch eine
angenehme Wohlbeleibtheit hergestellt. Sein Teint ist stark gebr�unt, und
auch etwas dick aufgeworfene Lippen deuteten auf Negerblut, wie denn in der
That seine Mutter aus Haussa stammte. Eine gerade Nase, ein feurig
schwarzes Auge, im Ganzen ein l�ngliches Gesicht, so pr�sentirte sich der
Mann, dem von fast der ganzen mohammedanischen Welt eine abg�ttische
Verehrung gezollt wird. Seine Bekleidung bestand in einer weiten
skendrinischen[64] rothen Tuchhose, einem franz�sichen [franz�sischen]
Waffenrock mit franz�sischen Epauletten, auf dem Kopfe hatte er einen
tunesischen Tarbusch mit schwerer goldener Troddel. An der Seite trug er
einen �usserst sch�n gearbeiteten Degen, wie ich sp�ter erfuhr, ein
Geschenk vom General Prim.

      [Fu�note 63: In seinen Briefen titulirt sich Abd-es-Ssalam bis zum
       Grossvater, Thaib, seines Urgrossvaters Hammed hinauf, weil Mulei
       Thaib der Erneuerer der religi�sen Gesellschaft der Thaib gewesen
       ist, in ganz Nord-Afrika die allergr�sste religi�se Genossenschaft.
       Seines marokkanischen Ahnen Mulei Edris, oder des Gr�nders der Sauya
       Uesan, Mulei Abd Allah Scherif, wird in den Briefen nicht Erw�hnung
       gethan.]

      [Fu�note 64: Skendrinischen = Alexandrinischen.]

Eine goldene Sch�rpe, die er um hatte, enthielt zugleich einen Revolver vom
System Lefaucheux, der �berdies mittelst einer rothseidenen Schnur um den
Hals befestigt war. "Merkw�rdig," dachte ich, "den Mohammedanern ist durch
den Koran verboten, Gold und Seide auf ihren Kleidern zu tragen, und nun
sehe ich den directesten Spr�ssling des Propheten damit �berladen.["] Die
�brigen Anwesenden bestanden zum Theil aus nahen Anverwandten, also
ebenfalls Abk�mmlingen Mohammed's, dann aus Tholba, endlich aus vielen
Fremden von vornehmer und geringer Herkunft. Ueberdies ging es ohne
Unterlass aus und ein, da ging kein Mann oder keine Frau aus dem Gebirge
vorbei (das Gartenhaus lag an einer sehr frequenten Strasse), ohne rasch
heraufzuspringen, um den Grossscherif zu k�ssen und um einige Mosonat[65]
niederzulegen. Da kamen Processionen von Ferne, um den uld en nebbi (Sohn
des Propheten) zu besuchen, von diesen wurde nur der "Emkadem" (geistige
Vorsteher und Hauptgeldeinsammler) vorgelassen, die anderen aber
einstweilen fortgeschickt, um in die f�r Fremdenaufnahme eingerichteten
weiten Hallen der Sauya in Uesan einquartiert zu werden und um sp�ter en
bloc den Segen zu empfangen.

      [Fu�note 65: Mosona, eine imagin�re marokkanische M�nze, besteht aus
       6 flus, pl. von fls. Ein fls. ist ungef�hr gleich einem
       franz�sischen Centime.]

Sidi winkte; gleich darauf brachte ein kleiner uniformirter Neger Namens
Zamba eine silberne Platte, darauf stand ein silberner Theetopf, eine
Schale mit grossen St�cken Zucker, eine Theeb�chse, und, ausser den sechs
�blichen kleinen Theetassen, ein Glas, woraus Sidi seinen Thee nehmen
sollte. Alles dieses wurde vor den Sidi zun�chstsitzenden Scherif, einen
schon �lteren Mann, Namens Sidi el Hadj Abd-Allah, gesetzt, und dann ging
die Bereitung des Thees vor sich.

Der Hadj Abd-Allah nahm eine t�chtige Hand voll gr�nen Thees, warf ihn in
den Topf, w�hrend ein anderer kleiner Neger, Ssalem, schon das siedende
Wasser in Bereitschaft hielt; der erste geringe Aufguss diente nur dazu,
den Thee zu reinigen. Sodann wurde eine t�chtige Portion Zucker in den Topf
geworfen, und nun derselbe mit kochendem Wasser gef�llt. Unter der Zeit
hatte der Hadj auch schon einige aromatische Kr�uter in Bereitschaft, als
Minze, Wermuth und Luisa, die noch obendrein hineingeworfen wurden. Nach
einiger Zeit wurde sodann f�r Sidi ein Glas gef�llt, nachdem jedoch vorher
der Hadj Abd-Allah mehrere Male durch Kosten sich �berzeugt, dass der Thee
genug gezuckert sei. Sodann wurden die �brigen sechs Tassen gef�llt, und
sie den G�sten von den beiden kleinen Sklaven pr�sentirt; da wohl 30 Leute
anwesend sein mochten, ohne die vielen Besucher, die ab- und zugingen, die
meisten auch drei Tassen tranken, wie es die Sitte erheischt, so kann man
sich denken, dass es ziemlich lange dauerte, ehe Alle, da nur sechs Tassen
vorhanden waren, befriedigt wurden. Es versteht sich von selbst, dass die
Theekanne verschiedene Male wieder nachgef�llt wurde.

Unter der Zeit wurden die verschiedensten Gespr�che gef�hrt, Sidi wollte
vor allem von den politischen Zust�nden in Europa unterrichtet sein, und
ich merkte, dass es ihn �rgerte, dass einige �ltere Sch�rfa mich fragten,
wann, wo und wie ich zum Islam �bergetreten, ob ich auch vollkommen
�berzeugt sei, dass die mohammedanische Religion besser sei als die
j�dische und christliche, ob ich auch ordentlich "bezeugen" k�nne etc.

Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam, der wohl merkte, wie unangenehm mir solche
Fragen sein mussten, sprang auf und winkte zu folgen. Alle erhoben sich, da
er aber auf mich speciell gedeutet hatte, so blieb die ganze Versammlung im
Zimmer und setzte sich wieder, w�hrend er und ich, begleitet von seinen
beiden G�nstlingen und einigen Dienern, die einen Teppich, ein Fernrohr,
Doppelflinte etc. trugen, in den Garten hinabgingen.

Diese beiden G�nstlinge, Ibrahim und Ali, die den ganzen Tag nicht von der
Seite des Grossscherifs wichen, waren Ssalami[66], d.h. j�dische Renegaten!
Der eine, aus Fes geb�rtig, war Schriftgelehrter, und aus freiem Antrieb
�bergetreten, Ali aber, aus Uesan geb�rtig, war, wegen Diebstahls verfolgt,
in die Sauya gefl�chtet, und hatte sich dann, um der Strafe zu entgehen,
mohammedanisirt. Beide trugen franz�sische Capit�ns-Uniform mit weiten
Hosen und rothem Tarbusch. Sie waren beide verheirathet und wohnten sogar
beide im Hause von Sidi, der ihnen je einen Fl�gel abgesondert angewiesen
hatte. Sie waren zu der Zeit die Personen, die Sidi gar nicht entbehren
konnte, Alles ging durch ihre H�nde.

      [Fu�note 66: Ein vom Judenthum zum Islam Uebertretender bekommt in
       Marokko den Namen Ssalami, d.h. Gl�ubiger, ein vom Christenthum
       Uebertretender bat den Namen Oeldj, d.h. w�rtlich christlicher
       Sklave.]

Im Garten angekommen, gefiel sich Sidi darin, mir seine europ�ischen
Einrichtungen zu zeigen; hier war auf einem Bassin ein Schiffchen mit
R�dern, eine Nachahmung der europ�ischen Dampfschiffe, dort kostbare Blumen
aus Europa und Amerika, Gew�chse feinerer Art, wie sie im �brigen Marokko
unbekannt sind, zwischen denen k�nstliche Springbrunnen auf verschiedenste
Art Wasserstrahlen auswarfen, sogar eine kleine Eisenbahn mit Wagen, welche
durch ein Radwerk in Bewegung gesetzt wurde.

"Der Sultan, die Grossen und auch die Sch�rfa," fing Sidi an, "wollen
nichts vom Fortschritt wissen, deshalb sind wir auch von den Spaniern
geschlagen; wenn ich nur k�nnte, ich w�rde Alles einf�hren wie es bei den
Christen ist, d.h. vor allem eine feste Gesetzgebung und regelm�ssiges
Militair."--"Aber, wenn du nur willst, Sidi," erwiederte ich, "so wird der
Sultan auch wollen und m�ssen."--"Der Sultan und ich sind beide vom Volk
abh�ngig, und dass ich mich christlich kleide, was doch die T�rken jetzt
auch thun, nimmt man gewaltig �bel." Unter diesen Gespr�chen waren wir
durch einen bl�henden Rosengarten, wo Jasmin und die k�stlich duftende
Verbena Luisa mit Heliotropen und Veilchen ihre Wohlger�che der Luft
spendeten, zu einem pr�chtigen Orangenhain gekommen. "Diesen ganzen Garten
hat mir der Sultan geschenkt," sagte Sidi, "oder eigentlich
zur�ckgeschenkt, denn mein Grossvater, Ali, schenkte ihn seinem Vater."
Nach dem Orangengarten kamen ausgedehnte Olivenpflanzungen, wir drangen bis
dahin durch, kehrten dann zur�ck, wo wir die Sch�rfa und Tholba noch im
Zimmer versammelt fanden.

Gleich nach der R�ckkehr Sidi's stellten sich Sklaven ein mit Sch�sseln auf
dem Kopf. Alles nahm Platz, da wurde zuerst eine Maida (kleiner Tisch) vor
Sidi gestellt, und, nachdem Sklaven ein messingenes Becken und eine Kanne
gebracht, die H�nde abgewaschen. Ein Handtuch, vielleicht hatte es schon
einmal als Hemd gedient, war f�r Alle zum Abtrocknen bereit. Es bildeten
sich Gruppen: Sidi ass aus einer Sch�ssel mit 5 oder 6 Sch�rfa, hier sass
wieder eine Gruppe, dort eine andere, ich selbst wurde eingeladen, an der
Sch�ssel der beiden G�nstlinge Ali und Ibrahim, zu der ausserdem noch zwei
Vettern von Sidi zugezogen waren, theilzunehmen. Man ass, mit Ausnahme des
Tisches, an dem Sidi sass, mit grosser Hast, um ja nicht zu kurz zu kommen.
Die Speisen waren gut, gebratenes Fleisch, gebratene H�hner, und bei jeder
Sch�ssel lagen f�nf oder sechs Brode, die vorher gebrochen wurden. So,
dachte ich, ass man zur Zeit Jesu aus einer Sch�ssel und mit den H�nden.

Sidi, der in Frankreich gewesen, konnte es nicht lassen ein paar Mal
her�berzusehen: "Mustafa (diesen Namen hatte ich angenommen), hast du schon
oft mit der Hand gegessen?" fragte er. "Gott erbarm dich!" rief ein
graub�rtiger Scherif, "essen denn die Christenhunde nicht mit der Hand?"
"Nein," erwiederte der Grossscherif, "als ich auf der franz�sischen
Fregatte nach Mekka reiste, ass ich mit einer Gabel." "Gott sei meinem
Vater gn�dig," erwiederte jener, "unser Herr Mohammed hat mit der rechten
Hand gegessen, Mohammad ist der Liebling Gottes, und der Segen Gottes ruht
auf seinen Nachkommen." Sidi, wohl um ein religi�ses Gespr�ch
abzuschneiden, rief einen Sklaven, gab ihm ein saftiges St�ck Fleisch, das
er vom Knochen abgel�st hatte: "gieb das Mustafa." Von dem Augenblick, d.h.
seitdem ich aus der Hand Sidi's einen Bissen erhalten hatte, wurde ich als
sein erkl�rter G�nstling angesehen.

Nach beendetem Essen wurde Kaffee herumgereicht, und nachdem man noch eine
Zeitlang gesessen und darauf in Gemeinschaft das l'Asser Gebet abgehalten
war, befahl Sidi sein Pferd. Er bestieg einen ausgezeichneten Fuchs, die
beiden G�nstlinge Ali und Ibrahim hatten nicht minder sch�ne Pferde zur
Verf�gung, und nun ging's heimw�rts. Vor den Thoren des Gartens lauerten
Haufen von Menschen, alte und junge, M�nner und Weiber, die sich bem�hten,
seinen Fuss oder den Saum des Burnus zu ber�hren, oder auch nur sein Pferd,
denn diesem wird dadurch, dass der Sohn des Propheten es besteigt,
ebenfalls eine Heiligkeit mitgetheilt, und man kann den Segen herausziehen.


Einige von den Sch�rfa bestiegen ebenfalls Pferde oder Maulthiere, die
meisten folgten zu Fuss. Unter ihnen war ich; einer der Emkadem[67] Sidi's
hatte sich meiner Hand bem�chtigt, als ob ich nicht allein gehen k�nnte,
oder um ja ein von Sidi ihm anvertrautes Gut nicht zu verlieren: "ich soll
f�r dich sorgen," sagte er, und so betraten wir Uesan el Dar Demana.

      [Fu�note 67: Emkadem, Verwalter oder Intendant.]

Eine enge Strasse f�hrte uns gleich in die eigentliche Sauya, d.h. das
heilige Viertel, das Sidi bewohnt, welches von der �brigen Stadt durch
Mauern und Thore geschieden ist. Denn wenn auch die ganze Stadt (Uesan el
dar demana heisst: Uesan das Haus der Zuflucht) ein geheiligtes Asyl ist,
so ist doch speciell das Stadtquartier, welches Sidi bewohnt, heilig und
unverletzlich. In diesem Quartier, gleich unterhalb seiner Hauptwohnung,
bekam ich im "Rheat"[68] einen Pavillon als Wohnung angewiesen, der
einstmals reizend gewesen sein musste, jetzt aber etwas vernachl�ssigt
aussah.

      [Fu�note 68: Rheat heisst eigentlich Blumengarten, Blumenterrasse.]

Dieser Rheat war zur Zeit Sidi-el-Hadj-el-Arbiis, des Vaters des jetzigen
Grossscherifs, ein �ppiger Garten gewesen; k�nstlich vom Djebel Bu Hell�l
hergeleitete Wasser tr�nkten die Orangen- und Granatb�ume, h�bsche Veranden
und Kubben im reinsten maurischen Style erbaut, aufs pr�chtigste geschm�ckt
mit Stucco-Arabesken, mit echten Slaedj[69] von Fes, standen an den
sch�nsten Punkten, und von einer jeden hatte man eine unvergleichliche
Aussicht auf die gegen�berliegende Gebirgslandschaft. Sie dienten dazu, die
zahlreichen Pilger aufzunehmen, eine einzelne Kubba enthielt manchmal
hundert solcher frommer Leute, die monatelang auf m�hevollste Art gereist
waren, um Uesan und den Sohn des Propheten zu sehen: hier auf den Terrassen
der Kubben, im Schatten der Arkaden einer Veranda ruhten sie aus von ihren
entbehrungsvollen Wegen, sie schauten auf das Bild zu ihren F�ssen, sie
bewunderten die Bauten, vor allem aber priesen sie Gott, dass er ihnen die
Gnade erzeigt habe, Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam sehen zu k�nnen, dass er
ihnen die Gunst gew�hrt habe, seine Nahrung geniessen zu k�nnen, denn alle
Pilger, mochten auch 1000 vorhanden sein, werden zweimal t�glich aus der
K�che Sidi's gespeist.

      [Fu�note 69: Slaedj sind kleine Fliesen von Thon verschiedenfarbig
       glasirt, man benutzt sie um den Fussboden damit zu belegen.]

Zwischen dem Rheat und dem Hauptgeb�ude befindet sich eine grosse
Djema[70], die auch Freitags zum Chotba benutzt wird; ein freier Platz, auf
dem die Pferde Sidi's angebunden stehen, f�hrte dann aufs Hauptgeb�ude.
Dies zeigt nach aussen die Th�r, welche zu den K�chenr�umen f�hrt, eine
Schule, worin die S�hne Sidi's mit vielen anderen Altersgenossen ihren
t�glichen Unterricht erhalten, und eine andere sehr niedrige Th�r, welche
zur eigentlichen Wohnung des Grossscherifs f�hrte.

      [Fu�note 70: Marokkanischer Ausdruck f�r Moschee.]

Man kommt zuerst in einen von zwei Orangenb�umen beschatteten Hof, auf
diesen Hof �ffnen sich eine Veranda und eine reizende Kubba[71], deren eine
Seite ebenfalls nach dem Hofe zu offen war. In diesen R�umlichkeiten
empf�ngt Sidi, und namentlich nach dem Freitagsgebet findet hier immer ein
grosses Essen statt, woran, alle die Theil nehmen, die mit Sidi
gemeinschaftlich das Chotba-Gebet verrichtet haben. Das eigentliche
Wohngeb�ude, welches an diesen Hof st�sst, besteht aus mehreren
Abtheilungen. Zuerst kommen verschiedene Zimmer, zu denen man mittelst
einer niedrigen Th�r und einer Treppe hinangelangt und welche die
Bibliothek Sidi's enthalten, dann folgen einige auf europ�ische Art
eingerichtete. Ausser seinen beiden kleinen S�hnen, seinen G�nstlingen, Ali
und Ibrahim, und einigen Sklaven, die Nachts vor seiner Th�r schlafen, hat
der Grossscherif diese Zimmer von Niemand betreten lassen, f�r seine
Frauen, f�r seine n�chsten Verwandten sind sie ein vollkommenes Harem. Da
ich die Beschreibung der Zimmer gegeben habe, brauche ich wohl kaum zu
sagen, dass es mir ebenfalls verg�nnt war, sie zu betreten: ich musste
mehrere Male auf einem Harmonium spielen, welches in einem dieser Zimmer
seinen Platz hat. Von diesen R�umen gelangt man in die H�user seiner
Frauen: das Harem. Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam hatte im Anfang der sechziger
Jahre drei rechtm�ssige Frauen.

      [Fu�note 71: Mit dem Worte Kubba bezeichnet man eine viereckige
       R�umlichkeit mit gew�lbtem oder nach oben spitz zulaufendem Dache.]

Mittelst eines Thores gelangt man aus dieser Sauya in die eigentliche Stadt
Uesan; eine enge Strasse windet sich den Berg hinan, �berall kleine L�den,
hier findet man siedende Sfindj (in Oel gebackene Kuchen), dort werden
Kiftah (Leber und Fleischst�ckchen) �ber Kohlenfeuer ger�stet, hier werden
Fische gebacken, dort liegen flache Brode aus: es ist dies die
Gark�chenstrasse, sie geht allm�lig in die Gasse der Oelh�ndler �ber,
welche zugleich Butter und braune Schmierseife (diese wird in Marokko
bereitet), eingemachte Oliven und Chlea (in Butter eingeschmortes Fleisch)
verkaufen. Grosse Thorwege der auf die Strasse m�ndenden H�user zeigen uns
Fonduks (marokkanische Gasth�fe), und die zahlreichen Esel, Maulthiere und
Kameele, die man im Innern erblickt, sagen, dass hier viel Leben und
Treiben herrscht.

So ist es auch in der That! Die grossen Schaaren von Pilgern, welche
t�glich in Uesan zusammenstr�men, ziehen viele Kaufleute herbei. Die
Pilger, die in der Sauya eine dreit�gige Gastfreundschaft geniessen,
bleiben oft noch l�nger, sie haben Waaren oder Kleinigkeiten zum Verkauf
mitgebracht, andererseits wollen sie Uesaner Gegenst�nde erhandeln. Man
kann sich denken, dass Alles was von Uesan kommt f�r besonders gut gilt,
die Frau zu Hause will Brod vom "dar demana" haben, oder ein St�ck Zeug,
der Sohn muss eine h�lzerne Schreibtafel vom ssuk es Uesan (Markt von
Uesan) haben, dann pr�gt er sich die Koranspr�che viel leichter ein, der
Grossvater muss einen neuen Rosenkranz von Mulei Thaib haben und die echten
werden nur in Uesan verkauft.

Zahlreiche kleine Kaffeeh�user, mit heimlichen Zimmerchen, wo "Kif"[72]
geraucht wird, liegen allerorts zerstreut und meist an den sch�nsten
Punkten der Stadt, welche �brigens, wohin man sieht, �ber paradiesische
Gegenden das Auge schweifen l�sst. Viele dieser Kaffeeh�user, wie �berhaupt
die meisten Buden, geh�ren Sidi zu, der sie vermithet oder auch an seine
G�nstlinge tempor�r zum Ausnutzen �berl�sst.

      [Fu�note 72: Kif heisst eigentlich Ruhe, Wohlergehen, wird aber von
       den Marokkanern auf das Kraut Cannabis indica �bertragen, welches
       jene Ruhe, mit der ein starker Rausch verbunden ist, hervorbringt.]

In einigen dieser Kaffeeh�user wird sogar zur Traubenzeit Wein, und fast zu
allen Zeiten Schnaps, der von Gibraltar her importirt wird, verkauft. Denn
auch hierin offenbart Uesan seine Aehnlichkeit mit andern religi�sen
St�dten, dass es ein Ort der Laster und Schwelgerei ist. Wie h�ufig sah ich
Sch�rfa, die n�chsten Anverwandten Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalams in einem
total betrunkenen Zustande. Aber ebensowenig wie die gr�ssten
Ausschweifungen, die gr�bsten Verst�sse gegen Sitte und Religion, je Rom
den Charakter einer heiligen Stadt genommen haben, ebensowenig leidet der
Ruf Uesans darunter. Der Grossscherif selbst hat bei Lebzeiten seines
Vaters der Flasche fleissig zugesprochen, und ob er nicht noch manchmal im
Innersten seines Hauses, an der Seite seiner G�nstlinge dem Bacchus opfert,
wer wollte darauf mit Gewissheit Nein sagen? Oeffentlich freilich ist er
jetzt die Enthaltsamkeit selbst, er raucht nicht, er schnupft nicht, er
nimmt weder Kif noch Opium (beides, obschon ebenso religionswidrig wie
Weintrinken, wird in Marokko keineswegs f�r sehr s�ndhaft gehalten),
kurzum, �usserlich lebt er sehr streng nach den Vorschriften des Islam, wie
duldsam er aber ist, geht daraus hervor, dass er, sobald ich mit ihm und
seinen G�nstlingen allein war, uns erlaubte, in seiner Gegenwart zu
rauchen.

Kommt man noch weiter in die Stadt, so hat man die Kessaria vor sich, d.h.
die Strassen, wo Kleidungsst�cke Tuche, Baumwollenzeuge und Wollfabrikate
verkauft werden. Hier sieht man auch jene sch�nen in ganz Marokko bekannten
Djelaba Uesania ausbieten, Ueberw�rfe aus feinster weisser Wolle gewebt.
Man durchschreitet die Atharia, d.h. die Strassen, wo Gew�rze, Essenzen und
Kramwaaren feil geboten werden, und befindet sich nun vis � vis der grossen
Moschee von Mulei Abd-Allah Scherif.

Diese Djemma ist eine der ber�hmtesten im ganzen marokkanischen Reiche,
hier liegt der Gr�nder Uesans, der Stifter der Sauya, die heute dar demana,
d.h. Zufluchtsort f�rs ganze Reich[73] ist, begraben. Wie alle
marokkanischen Moscheen bildet ein grosser Hofraum, dann verschiedene
S�ulenreihen, deren Gallerien man Schiffe nennen kann, die architektonische
Anordnung. Ausser Mulei Abd-Allah liegt der Hadj el Arbi, der Vater des
jetzigen Grossscherifs, in der Moschee begraben. Ein kostbarer Sarkophag
mit Tuch �berhangen, birgt in einer Nebencapelle die irdischen Reste dieses
grossen Heiligen. In der That war kein Abk�mmling des Propheten so
wunderth�tig wie der Vater Sidi's, namentlich soll er die Gabe gehabt
haben, die Fruchtbarkeit der Weiber zu vermehren. Er selbst hatte freilich
nur einen Sohn, den jetzigen Grossscherif, der ihm im sp�ten Lebensalter
von einer Sklavin geboren wurde.

      [Fu�note 73: H�ufig entfliehen Leute ans den Gef�ngnissen des
       Sultans, gelingt es ihnen Uesan zu erreichen, wo sie sich entweder
       in das Grabgew�lbe eines Heiligen fl�chten, oder zu den F�ssen des
       Pferdes des Grossscherifs legen, so werden sie immer begnadigt.
       Schwere Verbrecher d�rfen aber die Sauya nicht mehr verlassen, sonst
       sind sie vogelfrei.]

Wie gross aber von jeher Macht und Ansehn der Sch�rfa von Uesan gewesen
ist, geht am besten aus einer Beschreibung von Ali Bey hervor T.I. p. 269:
Je parlerai ici des deux plus grands saints qui existent maintenant dans
l'empire de Maroc: l'un est Sidi Ali Ben-Hamet qui r�side � Wazen (dies ist
der Grossvater Sidi's und Wazen ist englische Schreibart f�r Uesan) etc.
Ferner p. 270: J'ai d�j� remarqu� que ce don de saintet� �tait h�r�ditaire
dans certaines familles (A. Bey best�tigt hier meine oben angef�hrte
Thatsache von der mohammedanischen erblichen Heiligkeit). Le p�re de Sidi
Ali �tait un grand saint, Ali l'est � pr�sent et son fils a�n� commence �
l'�tre aussi.

Ausser diesen Hauptstadttheilen sind dann noch verschiedene Strassen, wo
Handwerke betrieben werden: hier werden gelbe Pantoffeln, dort rothe
Frauenschuhe verfertigt, hier arbeiten Sattler, dort sind Schmiede, hier
wird gedrechselt, dort wird geschneidert; �berall halten sie die
verschiedenen Handwerke beisammen. Auch eine M�lha, d.h. ein Judenquartier,
giebt es, und warum auch nicht, hatte nicht Rom auch sein Ghetto? Es giebt
keine marokkanische Stadt, ja es giebt keine marokkanische Oase in der
Sahara, wo nicht Juden w�ren[74].

      [Fu�note 74: In Tuat, welches politisch zu Marokko gerechnet wird,
       sind allerdings keine Juden, Tuat aber liegt geographisch ausserhalb
       Marokko's, es geh�rt seiner Lage nach zu Algerien.]

In Uesan unter dem milden Scepter Sidi's lebten die Juden ziemlich
ertr�glich, aber in anderen St�dten Marokko's Israelit sein, heisst die
H�lle hier auf Erden haben. Dennoch d�rfen sie auch in Uesan keinen rothen
Tarbusch tragen, sondern nur einen schwarzen, sie d�rfen die Oeffnung des
Burnus nicht wie die Muselmanen nach vorn tragen, sondern m�ssen dieselbe
auf der Seite haben, sie d�rfen keine gelbe oder rothe Pantoffeln, sondern
nur schwarze und auch diese nur in ihren H�usern und in der M�lha tragen.
Sie m�ssen, sobald sie einem Gl�ubigen begegnen, links ausweichen, endlich
sind ihnen verschiedene Strassen, wie bei der Hauptmoschee oder bei den
Grabst�tten der Heiligen vorbei, g�nzlich untersagt. Sie d�rfen ausserdem
in den St�dten und Oertern nie ein Pferd besteigen und m�ssen jeden
Mohammedaner mit "Sidi," d.h. "mein Herr," anreden. Man k�nnte Seiten
vollschreiben, wollte man all die Vexationen, die Erniedrigungen und
Dem�thigungen, welchen die Juden in Marokko unterworfen sind, aufschreiben.

v. Augustin[75] sagt p. 129: "Auf dem Markte m�ssen sich die armen Juden
die emp�rendsten Erpressungen von den Marokkanern gefallen lassen, und
unter ihren Bedr�ckern stehen obenan die Garden des Sultans, welche sich
alle m�glichen Frechheiten erlauben. Nicht selten reisst ein solcher
Halbmensch dem Juden eine Waare aus den H�nden, welche dieser eben einem
K�ufer vorzeigt, und hat dieser selbst nicht die feste Absicht sie zu
kaufen und wehrt sich gegen solche Eingriffe, so schreitet jener
unbek�mmert und laut lachend mit seinem Raube fort, trotz des
Jammergeschreies, welches ihm von dem Beraubten nacht�nt, welcher aber
dennoch seine Bude nicht verlassen darf, um den R�uber zu verfolgen, weil
sie sonst in wenigen Augenblicken rein ausgepl�ndert w�re. Wagte er es
aber, sich thats�chlich zu widersetzen, so kann er sich versichert halten,
halbtodt geschlagen zu werden, oder man f�hrt ihn zum Kadi, wo er Unrecht
bekommen muss, da kein Jude einen Mohammedaner schlagen darf."

      [Fu�note 75: Marokko in seinen geographischen etc. Zust�nden, von
       Frhrn. v. Augustin, Pesth 1845.]

Man kann die Bev�lkerung von Uesan auf 10,000 Einwohner rechnen, wenn man
die der D�rfer Rmel und Kascherin, die mit Uesan zusammenh�ngend sind,
hinzurechnet. Von diesen sind etwa 800 bis 1000 Juden. An manchen Tagen
vermehrt sich die Bev�lkerung um einige 1000 Pilger, namentlich zur Zeit
der grossen Feste.

Die Tendenz des jetzigen Sultans von Marokko, Sidi-Mohammed-ben-Abd-er-Rahman,
ist darauf aus, den Einfluss der Sch�rfa so viel wie m�glich
einzuschr�nken, und so hat er es denn auch durchgesetzt, dass gegenw�rtig
ein Kaid und einige Maghaseni (Reiter von der regelm�ssigen Cavallerie des
Sultans, die in Friedenszeiten auch zu Polizeidienst gebraucht werden),
welche die Regierung des Sultans repr�sentiren sollen, in Uesan wohnen. Ihr
Einfluss ist aber gleich Null, und sie selbst sind angewiesen, in wichtigen
Sachen die Entscheidung Sidi's einzuholen. Wie einflussreich beim
marokkanischen Gouvernement der Grossscherif von Uesan ist, geht allein
schon daraus hervor, dass kein marokkanischer Kaiser anerkannt wird, wenn
er vorher nicht gewissermassen die Weihe vom Grossscherif von Uesan
erhalten hat. Als nach dem Tode des Sultans Mulei-Abd-er-Rahman-ben-Hischam
verschiedene Bewerber um den Thron von Fes auftraten, und namentlich der
�lteste Sohn des Sultan Sliman, ein gewisser Mulei-Abd-er-Rahman-ben-Sliman,
mit viel gr�sseren Rechten zur Nachfolge hervortrat, verdankte Sidi
Mohammed seine rasche Besteigung des Thrones nur dem Umst�nde, dass
Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam ihm nach Mekines entgegen reiste und durch seine
Anerkennung (er stieg von seinem Pferde und f�hrte das edle Ross dem Sultan
zu Fuss entgegen, der es bestieg und dann sein Pferd dem Grossscherif zum
Geschenk machte) alle Mitbewerber aus dem Felde schlug.

Der Einfluss des Grossscherifs ist indess nicht bloss deshalb so gross,
weil er der directe Nachkomme Mohammeds, sondern weil er der reichste Mann
im ganzen Kaiserreich Marokko ist. Es giebt in Marokko keinen Tschar,
keinen Dnar, keinen Ksor[76], in dem der Grossscherif nicht eine
Filialsauya oder einen Emkadem h�tte. Die Emkadem sind angewiesen, in ihren
Sprengeln j�hrlich Geld zu sammeln, das, wie der Peterspfennig nach Rom, in
die Gasse Sidi's nach Uesan fliesst. In der ganzen Provinz Oran, in der
Oase Tuat sind fast alle Mohammedaner "Fkra," d.h. "Anh�nger" Mulei Thaib's
von Uesan. Der reelle Einfluss geht bis Rhadames im Osten, bis Timbuktu im
S�den. Aber selbst in Alexandrien, in Aegypten, in Mekka, in Arabien, sind
Sauya des Grossscherifs von Uesan.

      [Fu�note 76: Ksor, Ortschaften in den Oasen.]

Um den Glauben der Mohammedaner, d.h. die Opferwilligkeit, wach zu halten,
werden j�hrlich zahlreiche Sch�rfa, die n�chsten Verwandten Sidi's in die
ganze mohammedanische Welt geschickt, um die Wunder und Herrlichkeit Uesans
zu verk�nden. Sidi beklagte sich bitter, dass die Franzosen in letzter Zeit
den Sch�rfa von Uesan verboten hatten, in Algerien ihre Rundreisen zu
machen. Es hat dies aber seinen guten Grund, zum Theil wollen damit die
Franzosen verh�ten, dass so viel Geld ausser Landes geht, zum Theil aber
hatten die Sch�rfa sich in Politik gemischt, die Gl�ubigen gegen ihre
ketzerischen Herren aufgereizt, was die algerische Regierung sich nat�rlich
nicht gefallen lassen konnte.

W�hrend der ganzen Zeit meines Aufenthalts erfreute ich mich der gr�ssten
Zuneigung und Gastfreundschaft des Grossscherifs.

Ich musste fast den ganzen Tag mit ihm zubringen, von Morgens fr�h, wo er
mich rufen liess, Kaffee mit ihm und seinen G�nstlingen zu trinken, bis
Abends, wo er sich in seine Wohnung zur�ckzog. Wenn ich manchmal Zeuge war,
wie er im selben Augenblicke den Leuten, die soeben ihr Geld, ihre
Kostbarkeiten ihm geopfert hatten, mit ernstester Miene den Segen
ertheilte, und dann, sobald sie den R�cken gekehrt hatten, sich �ber sie
lustig machte, auch wohl sagte: "was f�r Thoren sind diese Leute, mir ihr
Geld zu bringen", so dachte ich den aufgekl�rtesten Mann vor mir zu haben,
andererseits sah ich aber so viele Thatsachen, wo er von seiner eigenen
Macht, von seinem besseren "Sein" �berzeugt war, dass es mir schwer wurde,
diese Widerspr�che zu erkl�ren.

Aber Alles dient in Uesan dazu, von Jugend auf dem Grossscherif
einzupr�gen, dass nicht nur die Mohammedaner, die vor Gott allein
Gl�ubigen, sondern dass unter den Mohammedanern die Araber (der Koran darf
z.B. bei allen mohammedanischen V�lkern nur arabisch gelehrt werden) das
auserw�hlte Volk sind, dass im auserw�hlten Volk die Sch�rfa als Nachkommen
Mohammeds den vorz�glichsten Platz einnehmen, und dass unter den Sch�rfa
wieder der directeste Nachkomme der von Gott am meisten Bevorzugte ist. In
dieser Art und unter dieser Auffassung wird der Sohn Sidi's erzogen.
Dieser, Namens Sidi-el-Arbi, entwickelte denn auch zu der Zeit schon ganz
den Stolz und Eigend�nkel, den eine solche Lehre hervorbringen muss. Dass
trotzdem bei Sidi sowohl als auch, wie es den Anschein hatte, bei seinem
�ltesten Sohne, Sidi-el-Arbi, Herzensg�te und eine gewisse Bescheidenheit
nicht unterdr�ckt werden konnte, ist wohl darin zu suchen, dass immer
fremdes Blut in die Familie kommt, wie denn Sidi's Mutter, wie schon
gesagt, eine Haussa ist. Es beruht dies auf dem Gesetz der Erblichkeit,
denn w�hrend Hochmuth, Eigend�nkel etc. v�terlicherseits mitgebracht wird,
k�nnen andererseits die Eigenschaften, welche von m�tterlicher Seite in die
Familie kommen, nicht unterdr�ckt werden.

Dass aber der spanische Krieg auch keineswegs nachhaltend civilisatorisch
auf den Grossscherifs wirkte, sah ich daraus, dass er, als ich sp�ter
wieder Uesan besuchte, seine christliche Militairuniform abgelegt hatte,
und daf�r sich mit einer Djelaba wie die �brigen Sch�rfa kleidete. Er
mochte, wohl recht haben; auf meine Frage nach dem Beweggrund, erwiederte
er: sein Ansehen leide, und er m�sse, um die Gelder reichlich fliessen zu
machen, dem Volke in seinen Vorurtheilen nachgeben.

Die Haltung des Grossscherifs hat aber nat�rlich auf das ganze Leben und
Treiben in Uesan den gr�ssten Einfluss. Und wenn wir auch Fortschritte in
Tanger und Mogador constatiren k�nnen, wo die gr�ssere Frequenz mit Europa
neben Hotels in ersterer Stadt sogar Dampffabriken ins Leben gerufen hat,
wo man angefangen hat, den Christen heute mit den Gl�ubigen eine
gleichberechtigte Stellung einzur�umen, so braucht man solche Fortschritte
von Uesan nicht zu f�rchten. Sollte es einem Europ�er heute gelingen, nach
dieser heiligen Stadt hinzukommen, er kann sicher sein, Uesan el dar demana
so zu finden, wie es geschildert ist, d.h. auf demselben Standpunkte der
Bildung, auf dem es sich seit Jahrhunderten schon befunden hat: man glaubt
sich ins volle Mittelalter zur�ckversetzt.

       *       *       *       *       *




7. Eintritt in marokkanische Dienste.

       *       *       *       *       *

Ich blieb nicht lange in Uesan, trotzdem "Sidi" wollte, ich sollte ganz bei
ihm bleiben; als er dann aber mich fest zum Weitergehen entschlossen sah,
stellte er auf liebensw�rdige Art ein Maulthier zur Disposition, und
empfahl mich einem Kaufmann aus Uesan, der ebenfalls nach Fes reisen
wollte. Abends vorher, ehe ich Uesan verliess, musste ich im Hause dieses
Kaufmanns zubringen, um die Zeit nicht zu verschlafen; der Hadj Hammed, so
heisst der Mann, war ein grosser Freund von Musik und hatte als
Abschiedsfest verschiedene Freunde geladen, die auch alle musikalisch
waren. Man kann sagen, dass eine Art Soir�e musicale abgehalten wurde, denn
Hadj Kassem, ein alter graub�rtiger Musikus aus Lxor, ber�hmt in Marokko
wegen seiner Spielfertigkeit auf dem Alut, wie Liszt bei uns auf dem
Klavier, war auch zugegen, andererseits war sein Sch�ler, ein Neger Ssalem,
ein fast ebenso bedeutender K�nstler auf der Violine wie weiland Paganini,
auch anwesend. Man denke aber ja nicht in Marokko an Fl�gel, Klaviere,
Harmonium oder dergleichen, denn wenn auch Sidi sich solche Instrumente
hatte kommen lassen, wenn auch beim Sultan dergleichen zu finden sein
m�chten, so kennt das Volk sie nicht. Ich glaube kaum, dass das
marokkanische Volk f�r unsere Musik Verst�ndniss haben w�rde; wenn es
musikalisch denken k�nnte, wenn es �berhaupt ein Urtheil abgeben k�nnte,
w�rde es vielleicht unsere Musik mit "Zukunftsmusik" bezeichnen.

Ich konnte an dem Abend s�mmtliche Instrumente, deren sich die Marokkaner
bedienen, kennen lernen. Eingeb�rgert von europ�ischen Instrumenten hat man
Guitarre, Violine und Violoncell, welch letzteres in Marokko als Bass
dient. Ausser diesen hat man �hnliche abenteuerlicher Art, und im Lande
selbst angefertigte Instrumente![77] Da ist das Saiteninstrument "Alut",
eine Art Guitarre, nur mit gew�lbtem Boden, es hat auf den vier Saiten die
Laute g, e, a, d. Da ist ein Streichinstrument mit zwei Saiten, "Erbab"
genannt, von dem der Hals auch hohl und resonirend ist, es hat die
Grundlaute d, a; der Fiedelbogen dazu besteht aus einem Bogen so gross wie
eine Hand, und die Streiche dazwischen haben nur eine Spannung von etwa 4
bis 5 Zoll. Endlich hat man noch eine gr�ssere Art "Kuitra" mit drei
Saiten, dem Cello entsprechend, mit den T�nen d, h, g. Als Blasinstrumente
besitzen die Marokkaner das "Schebab", eine kurze Fl�te mit verschiedenen
L�chern; die "Rheita", ein kleines Instrument mit clarinetartigen T�nen,
endlich eine grosse Posaune, "El-Bamut" genannt. Trommeln verschiedener
Form und Gr�sse, Schellen u. dgl. vervollst�ndigen die Liste der
Instrumente. Dass ein Unterschied in der Anwendung der Instrumente Seitens
der Araber, Juden und Neger best�nde, wie H�st bemerkt haben will, ist mir
nie aufgefallen. Von allen Instrumenten ist die "Rheita" allein das,
welches einen angenehmen Ton hervorbringt. Unsere europ�ischen Instrumente,
Violine, Guitarre u.s.w. werden von ihnen auf ohrzerreissende Art
behandelt. Das eigentliche Nationalinstrument der Marokkaner ist aber die
"Gimbri", ein kleines zweisaitiges Instrument, eine Guitarre oder Violine
im Kleinen. Der Resonanzkasten ist gemeiniglich nicht grosser als 4 oder 5
Zoll Durchmesser, irgend eine trockne K�rbisschale oder auch ein aus Holz
geschnitztes Becken ist gut dazu, ein St�ck d�nnes Leder oder Pergament
wird dar�ber gespannt, ein Stiel daran befestigt und die Saiten aufgezogen.
Jeder verfertigt es selbst, meist ist e und a Grundton. Die "Gimbri" wird
nicht gestrichen, aber auch nicht einfach mit den Fingern geknipst, sondern
man bedient sich dazu eines H�lzchens, wie bei uns es die Klavierstimmer
haben, um �ber die Saiten dieses Instrumentes zu fahren. Bei gr�sseren
Concerten findet �brigens die Gimbri keine Anwendung.

      [Fu�note 77: Siehe H�st p. 260, der Abbildungen von verschiedenen
       marokkanischen Instrumenten giebt.]

Wenn _uns_ nun aber auch Alles wie Katzenmusik vorkommt, so muss man
doch keineswegs glauben, dass die Marokkaner ganz ohne musikalisches Gef�hl
sind, nur sind eben ihre Empfindungen f�r Musik anders als unsere. Was f�r
uns Harmonie und Consonanz ist, h�ren sie als Dissonanz, ohne aber deshalb
in ihrer eignen Musik gewisser Regeln zu entbehren.

Der Abend ging angenehm hin; hatte ich auch keinen musikalischen Genuss, so
war doch Alles neu. Mit dem Spielen der St�cke war immer Gesang verbunden.
Und auffallend war es mir, dass je mehr Jemand n�selte oder Fistelt�ne
hervorbrachte, er desto mehr bewundert wurde.

Fr�h am andern Morgen wurde aufgesessen, ich ritt ein gutes Maulthier. Wie
Spanien ist Marokko das Land der Maulthiere, die meist braun oder grau von
Farbe sind. Die guten Maulthiere sind theurer als die guten Pferde, aber
nicht so theuer wie die besten Pferde. Man kann schon f�r 30 bis 40
franz�sische (F�nffranken-) Thaler ein gutes Pferd kaufen, aber unter 60
bis 80 Thaler kein starkes gutes Maulthier bekommen. Edle Pferde, wie sie
der Sultan besitzt oder vornehme Sch�rfa und Kaids, werden aber selbst in
Marokko bis 1000 Thaler gesch�tzt. Dies ist die Summe, welche mir als die
h�chste angegeben wurde.

Zu Pferde oder Maulthier braucht man von Uesan nach Fes anderthalb Tage,
aber da die Hitze jetzt immer gr�sser wurde, die Wege sehr schlecht waren,
und weil Hadj Hammed unterwegs allerlei Gesch�fte abzuschliessen hatte,
brauchten wir drei Tage. Er machte Eink�ufe, oder auch bekam hier ein
T�pfchen mit Butter, dort einige Eier zum Geschenk, was zur Folge hatte,
dass zuerst sein, dann auch mein Maulthier so beladen war, dass wir beide
zu Fuss gehen mussten. Man kann sich einen Begriff von der Macht und dem
Reichthum Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's machen, wenn ich anf�hre, dass fast
alles Land bis dicht vor Fes _sein pers�nliches Eigenthum_ ist.
Dennoch glaube ich kaum, dass er viel baares Verm�gen besitzt, da die
grosse Zahl der Pilger, welche in Uesan auf liberalste Weise bewirthet
werden, wieder Alles verausgaben macht.

Die ganze Gegend, welche man durchzieht, ist gebirgig und aufs reichste
angebaut, Getreidefelder von Weizen und Gerste wechseln ab mit
Olivenwaldungen, G�rten bestanden mit Orangen, Granaten, Aprikosen,
Pfirsichen, Quitten, Mandeln, Feigen und Weinreben, lachen am Wege. Man hat
zwei bedeutende Wasser zu �berschreiten, den Ued Uerga, ungef�hr auf halbem
Wege zwischen Uesan und Fes, circa sieben Stunden von letzterer Stadt
entfernt, und den Sebu. Beide waren so bedeutend angeschwollen, dass wir
mit einer F�hre �bersetzen mussten. Die F�hren waren ebenfalls Eigenthum
des Grossscherifs von Uesan.

Abends 5 Uhr des dritten Tages waren wir endlich vor Fes, der Hauptstadt
des Landes. Mich �berw�ltigte fast der Anblick der ausgedehnten
H�usermasse, aus denen hier und da hohe Sma (Minarets) hervorragten. Wir,
zogen rasch durch die lange Strasse dahin und ich wurde derart zur
"Mhalla", d.h. der Zeltlagerung der Soldaten gef�hrt. F�r einen Obersten
der Armee, Hadj Asus, hatte ich ein Empfehlungsschreiben des Grossscherifs.
Nicht nur wurde ich gut aufgenommen, sondern Hadj Asus, dessen Zeltgenosse
und Gast ich bleiben musste, versprach mir schon f�r den folgenden Tag eine
Anstellung.

Am andern Tage war grosse Revue vor dem Sultan; die ganze regelm�ssige
Armee, circa 4000 Mann, musste in ziemlich guter Ordnung vor dem unter
einem Baldachin sitzenden Sultan vorbeidefiliren; sobald eine Abtheilung in
unmittelbare N�he des Sultans kam, riefen s�mmtliche Soldaten "Allah ibark
amar Sidna", "der Herr segne die Seele unseres gn�digen Herrn". Die
Anf�hrer selbst pr�sentirten die S�bel, prosternirten sich und k�ssten den
Boden. Sobald die Abtheilung des Hadj Asus herankam, defilirt und gerufen,
und dann Hadj Asus seinen Gruss verrichtet hatte, wurde er in die N�he des
unbeweglich dasitzenden Sultans gerufen. Ursache war, dass ich mich seinem
Zuge angeschlossen hatte, und mit Offizieren und Soldaten den Parademarsch
mitmachte. Nat�rlich musste meine Erscheinung Aufsehen erregen, denn ich
hatte einen ziemlich langen schwarzen Ueberrock an, der bis auf die Kniee
reichte, darunter guckte die Unterhose kaum hervor, gelbe, recht abgenutzte
Pantoffeln und ein rother Fes, das war meine �brige Bekleidung. Hadj Asus
kam freudestrahlend zur�ck.

Der Sultan hatte sich in der That �ber meine Pers�nlichkeit informirt; Hadj
Asus hatte ihm gesagt, ich sei zum Islam �bergetreten, habe vom
Grossscherif eine Empfehlung gebracht und w�nsche in die Armee als Arzt
einzutreten: ein "Achiar" (Fi el cheir, d.h. das ist gut) war die Antwort
des Sultans gewesen, und Hadj Asus war den ganzen Tag �ber ausser sich �ber
das Gl�ck, vom Sultan angeredet worden zu sein.

Nach der Parade wurde ich sodann dem Kriegsminister vorgestellt, einem
Schwarzen, Si Abd-Allah genannt, der besondere Meldungen unter einem
schirmartigen Zelte sitzend entgegennahm. Er war sehr zufriedengestellt
�ber meine Antworten und sagte, dass ich am folgenden Tage meine Anstellung
zu erwarten habe. Am folgenden Tage wurde ich denn auch benachrichtigt, ich
sei zum obersten Arzte der ganzen Armee seiner Majest�t ernannt.

Als Obliegenheit wurde mir bezeichnet, alle Soldaten, die sich krank
meldeten, zu untersuchen und zu behandeln. Die Medicamente hatten sie von
mir zu bekommen, mussten aber daf�r zahlen, da mir �berhaupt von der
Regierung auch keine zur Disposition gestellt wurden. Mein Gehalt war
t�glich auf 2-1/2 Unzen angesetzt, ungef�hr 3 bis 4 Groschen. So klein das
nun auch klingt, so sind doch die Verh�ltnisse in Marokko derart, dass man
damit recht gut existiren konnte, zumal mir volle Freiheit blieb,
Privatpraxis zu treiben, wo und soviel ich wollte. Man k�mmerte sich
�berdies nicht viel um mich. Mein Quartier hatte ich vorl�ufig beim Hadj
Asus behalten; wenn ich aber den ganzen Tag von der "Mhalla" abwesend war,
fragte Niemand danach. Ich sollte ein Pferd, Maulthiere, Diener zur
Disposition erhalten, habe dieselben doch nie bekommen. Meine Nahrung hatte
ich mir selbst zu beschaffen, es war das freilich meine wenigste Sorge,
heute war ich Gast bei diesem, morgen bei jenem. Wenn gerade keine
Hungersnoth in Marokko ist, hat ein lediger Mann daf�r nicht zu sorgen.

Nach einigen Tagen liess der Baschagouverneur von Fes, Ben-Thaleb, mich
rufen. Er hatte von der Ankunft eines europ�ischen Arztes geh�rt, und
selbst an chronischem Asthma leidend, bat er mich ihn zu behandeln, zu
gleicher Zeit aber auch bei ihm Wohnung zu nehmen. Ich nahm diesen
Vorschlag mit Freuden an. Hadj Asus hatte nichts dagegen, dass ich beim
Bascha wohnte; dieser, einer der reichsten und einflussreichsten Beamten
des ganzen Kaiserreiches, hatte wohl Anspruch auf seine R�cksicht.

Um die Zeit kam denn auch Joachim Gatell, der vorhin erw�hnte Spanier, der
den Namen Sma�l angenommen hatte, nach Fes. Er wurde Si-Mohammed-Chodja,
einem andern Commandanten der regelm�ssigen Truppe zugetheilt, und erhielt
bald darauf ein selbstst�ndiges Commando �ber die Artillerie. Sp�ter
sollten wir genauer mit einander bekannt werden, als es jetzt der Fall war.
Denn der Sultan hatte nach Verlauf von ungef�hr vier Wochen Befehl zum
Aufbruche gegeben. Es war die Zeit des Residenzwechsels gekommen und der
Sultan beschloss, das Hoflager und die "Mhalla" nach Mikenes zu verlegen.
Nat�rlich durfte ich nun auch nicht in Fes bleiben, da alle Truppen mit
Ausnahme derer, welche den beiden Gouverneuren beigegeben waren, mit dem
Sultan fort mussten.

Schwer w�rde es sein, ein richtiges Bild von diesem eigenth�mlichen
Ausmarsche zu entwerfen. Alles lief bunt durcheinander. Da waren die
sogenannten regelm�ssigen Soldaten, in Begleitung ihrer Weiber (fast jeder
Soldat ist verheirathet), Kinder und Sklaven. Kaufleute dr�ngten sich
dazwischen, hier bot einer Brod feil, hier Zwiebeln, dort hatte ein anderer
ein Brettchen mit verschiedenen F�chern und Schachteln darauf; eine
ambulante Gew�rzkrambude, Zimmt, Pfeffer, Nelken u. dgl. war da zu haben.
Hier bot einer Fleisch, dort Fische feil. Und da kam der Sultan selbst
daher, ein grosser gl�nzender Haufe, die Minister, die h�chsten Beamten des
Landes umgaben ihn, ein langer, langer Tross beladener Maulthiere und
Kameele folgte. Dann der Harem, �ber hundert Frauen und junge M�dchen,
dicht verschleiert auf Maulthieren daherreitend, diese allein eine
geschlossene Masse bildend, denn auf schnellen Pferden hielten die Eunuchen
diese Lieblingsweiber des Herrschers zusammen. Es war dies gewissermassen
der ambulante Harem des Sultans, die sch�nsten, j�ngsten und fettesten
Frauenzimmer der vier Harems von Fes, Mikenes, Arbat und Maraksch, meist
Kinder von 12 bis 15 Jahren. Endlich kam die grosse Abtheilung der
Maghaseni, der unregelm�ssigen jedoch besoldeten Cavallerie; es mochten
wohl 10000 Pferde zugegen sein. Man denke sich nun diesen Menschen- und
Thierkn�uel ohne Ordnung und einheitliche Leitung in Bewegung, der eine
schnell, der andere langsam, der hier marschirend, der dort, dieser hier
laufend, jener langsam seinen Weg fortsetzend, wie ein Jeder es eben f�r
gut fand.

Als wir, ich befand mich unter den Ersten, Mikenes erreichten, war der
ganze Weg zwischen Fes und Mikenes noch mit Menschen und Thieren
�berschwemmt, denn als die ersteren in letzterer Stadt eintrafen, waren
noch lange nicht alle von Fes aufgebrochen. Zwei Tage dauerte es, bis die
ganze Armee, vielleicht in allem etwa 40,000 Menschen, eingetroffen waren,
und das Terrain zwischen beiden St�dten ist derart eben und sch�n, derart
ohne alle Hindernisse, dass man fortw�hrend mit mehreren Armeen, fast
m�chte ich sagen im Frontmarsche von einer Stadt zur andern marschiren
kann. Die Armee lagerte an der Aussenseite der Stadt, der Sultan selbst
bezog sein Palais.

Was mich anbetrifft, gebunden, da zu sein, wo die Armee ist, hatte ich
andererseits Freiheit genug, wohnen zu k�nnen wo ich wollte, und miethete
deshalb in einem Funduk der Stadt ein Zimmer zum Wohnen, w�hrend ich
andererseits ein "Hanut", Bude, in der belebtesten Strasse in Gemeinschaft
mit einem Franzosen, Namens Abd-Allah bezog. Ich prakticirte oder hielt ein
Polyclinicum ab. Meine Medicamente bestanden wie die der marokkanischen
Aerzte aus einem grossen Kohlenbecken, mit Eisenst�ben zum Weissgl�hen, aus
grossen T�pfen mit Salben, Kampher�l, Brechpulver, Abf�hrungsmitteln und
verschiedenen unsch�dlichen gef�rbten Mehlpulversorten f�r Hypochonder und
hysterische Kranke. Und was nie und nirgends in Marokko gesehen war: ich
hatte ein grosses Aush�ngeschild; darauf hatte Sma�l (Joachim Gatell) mit
grossen und sch�nen Buchstaben gemalt: "Mustafa nemsaui tobib ua djrahti",
d.h. Mustafa der Deutsche, Arzt und Wundarzt. Es ist kaum zu glauben, welch
Aufsehen es erregte in einem Lande, wo die Annoncen, Anzeigen,
Aush�ngeschilde noch nicht etwa in der Kindheit liegen, sondern wo sie noch
gar nicht geboren sind, ein solches Schild zu f�hren. Von Morgens fr�h bis
Abends sp�t stand Jung und Alt, Vornehme und Geringe, M�nner und Weiber vor
der Bude, und buchstabirten (lesen kann Niemand in Marokko, aber
buchstabiren k�nnen alle St�dter) die langen arabischen Buchstaben, welche
zwei grosse Bogen Papier einnahmen. Der Erfolg war vollst�ndig.

Ich hatte vorhin erw�hnt, dass ich mich mit einem Franzosen Namens
Abd-Allah zusammengethan hatte, weil ich allein nicht die Miethe f�r die
Bude von Anfang an zu Stande bringen konnte. Dieser Franzose, ein
ehemaliger Spahisoffizier, war vor ungef�hr zwanzig Jahren mit der Casse
seiner Compagnie nach Marokko entflohen, hatte bei dem vorletzten Sultan
Muley-Abd-er-Rahman gute Aufnahme gefunden, sein Geld (wie er selbst
angab 20,000 Franken) mit liederlichen Dirnen in Saus und Braus, aber in
einigen Jahren durchgebracht. Hernach hatte er sich dem Hofe
angeschlossen, hatte nat�rlich geheirathet und lebte nun von
mechanischen Fertigkeiten. So behauptete er, der Introducteur des
soufflets in Marokko zu sein, und seine damalige Besch�ftigung bestand
darin, neue P�ster anzufertigen, alte auszubessern. Von Zeit zu Zeit
pflegte er nach irgend einem Hafenplatz zu gehen, von wo er sich neue
Vorr�the holte. Ohne besonderes Wissen, trotzdem er darauf pochte,
franz�sischer Offizier gewesen zu sein, war er ein harmloser Mensch, was
man nicht immer von den �brigen Renegaten sagen kann. Er war �brigens
vollkommen durch seinen langen Aufenthalt in Marokko marokkanisirt, und
liess den Rosenkranz auf ebenso scheinheilige Art und Weise durch die
Finger gleiten, wie der beste Thaleb oder Faki es nur kann.

Aber sonderbar genug sah unsere Bude aus, auf der einen Seite arbeitete der
Franzose P�ster, auf der andern Seite quacksalberte ich, denn so muss ich,
wenn ich aufrichtig sein will, meine �rztliche Praxis in Marokko nennen.

Das ausgeh�ngte Plakat, dann �berhaupt die Ankunft eines europ�ischen
Arztes, hatten indess viel L�rm gemacht, und der Ruf davon war bis zu den
Ohren des ersten Ministers, Si-Thaib-Bu-Aschrin, gedrungen. Eines Abends
kamen einige seiner Diener und ergriffen meine Hand; ich hatte kaum noch
Zeit, den Franzosen Abd-Allah zu bitten, als Dolmetsch mit zu kommen, und
fort ging's. Wir trafen Si-Thaib gerade beim Nachtmahl mit mehreren anderen
Beamten des Hofes, die seine G�ste waren. Im �ussersten Winkel des Zimmers
spielten drei Musikanten auf einer Rheita, Kuitra und Erbab. Si-Thaib lud
uns beide gleich ein, mit an die Maida (kleiner flacher Tisch) zu r�cken,
aber Abd-Allah dankte f�r sich und mich, und wir zogen uns, w�hrend die
hohen W�rdentr�ger von einer Sch�ssel zur andern �bergingen, in ein
Nebenzimmer zur�ck, und bald darauf brachten uns Sklaven die angebrochenen
Sch�sseln, worin allerdings noch reichliche und recht gut zubereitete
Speisen sich befanden, die mir aber widerlich zu ber�hren waren, weil jene
W�rdentr�ger, so hoch sie nun auch in Marokko sein m�gen, mit ihren kaum
gewaschenen H�nden darin herum ger�hrt hatten. Anstandshalber _musste_
ich aber einige Bissen von jeder Sch�ssel nehmen, und dabei nicht
vergessen, die Grossmuth Si-Thaib's und die G�te der Speisen zu preisen.
Abd-Allah sagte mir dann auch, es w�rde sehr unschicklich gewesen sein,
h�tten wir die Einladung Si-Thaib's, mit ihm zu essen, angenommen, er w�rde
aber jetzt �ber unsere Bescheidenheit und unser Savoir-vivre hoch erfreut
sein.

Das Zimmer, worin Si-Thaib sich aufhielt, war eine sogenannte Mensa,
d.h. ein Gemach im ersten Stocke. Lang, wie alle marokkanischen Zimmer,
war es elegant m�blirt, d.h. durch das Zimmer zog sich ein weicher
Beni-Snassen-Teppich, und der hohen ogivischen Th�r gegen�ber waren noch
andere Teppiche auf diesem. Hierauf lagen sodann wollene Matratzen und
Kissen. Mehrere Lampen von Messing, alterth�mlich gestaltet, hingen von
der Decke des Zimmers und auch einige silberne Leuchter mit
Stearinkerzen brannten in den Nischen. Der Plafond des Zimmers war bunt
bemalt, und an den W�nden desselben Arabesken in Gyps.

Als auch wir abgegessen hatten, wurden wir ins Zimmer gerufen und durften
am Thee theilnehmen, der nur in kleinen aus sehr feinem Porzellan
bestehenden T�sschen herumgereicht wurde. Si-Thaib hielt mir sodann seine
F�sse hin und fragte mich, was Krankes daran sei. Abd-Allah, der Franzose,
hatte mir vorher schon mitgetheilt, der Minister leide an Podagra ich hatte
also eine leichte M�he, ihm seine Krankheitserscheinungen zu sagen. Dennoch
bef�hlte ich die F�sse vorher genau, fragte nach einigen anderen Umst�nden,
um der ganzen Sache mehr Ansehen zu geben, und als ich ihm dann
schliesslich sagte, er h�tte die Ministerkrankheit (mrd el u�sirat wird in
Marokko das Podagra genannt), war er h�chst erfreut, dass ich seiner
Meinung nach aus blossen �usseren Kennzeichen seine Krankheit erkannt
hatte.--Er fragte mich sodann, ob ich Anh�nger der heissen oder der kalten
Mittel sei (nach Meinung der Marokkaner haben die Medicamente entweder
erhitzende oder abk�hlende Eigenschaften), und als ich mich f�r die ersten
erkl�rte, fand ich, dass ich auch darin seinen Geschmack getroffen hatte.

Si-Thaib entliess uns huldvollst und f�gte beim Abschied hinzu, ich solle
am andern Tage eine seiner Wohnungen beziehen, um ihn an seinem Podagra zu
behandeln. Aber es sollte anders kommen, schon am folgenden Tage fr�h kamen
Maghaseni vom Dar es Ssultan (Palast des Sultans) mit der Weisung, rasch
dahin zu kommen; kaum liess man mir Zeit, die Pantoffeln anzuziehen und den
Burnus umzuh�ngen. Dort angekommen, erkl�rte mir ein Beamter des Sultans,
Ben Thaleb, der Gouverneur von Alt-Fes, habe an den Sultan geschrieben, ob
ich nicht zur�ckkehren d�rfe, um ihn zu behandeln, der Kaiser habe diese
Bitte gew�hrt und ich habe auf der Stelle abzureisen. Mein Protest, nach
Hause zur�ckkehren zu m�ssen, um meine Sachen zu holen, um die Medicamente
mitzunehmen, um den Bekannten Lebewohl zu sagen, alles das half
nichts; die Antwort war immer: "der Sultan hat gesagt, du solltest
_gleich_ abreisen, also _musst_ du auch _gleich_ abreisen". Ein
gesatteltes Maulthier stand bereit, ein Maghaseni zu Pferde war als
Begleiter da, und so musste ich fort, wie ein Packet ohne eigenen Willen.
Da der Sultan befohlen hatte, selben Abends noch in Fes anzukommen, wurde
scharf geritten, und vor Sonnenuntergange war die Hauptstadt erreicht und
bald darauf war ich wieder beim Gouverneur der Alt-Stadt.

Ich hatte indess einen guten Tausch gemacht, Ben-Thaleb sorgte daf�r,
einen Dolmetsch kommen zu lassen, einen eingeborenen Algeriner Thaleb,
Namens Si-Abd-Allah, der leidlich gut Franz�sisch verstand, ich bekam
eine gute Wohnung, Pferde, Maulthiere, Diener zur Disposition; Essen und
der dazu geh�rende Thee wurden vom Bascha geschickt, und ich hatte daf�r
weiter keine Verpflichtung, als mich t�glich eine oder zwei Stunden mit
dem Bascha zu unterhalten. Dass ich bei diesem mehrmonatlichen
Aufenthalt in Fes hinl�nglich Gelegenheit hatte, die Stadt kennen zu
lernen, braucht wohl kaum erw�hnt zu werden.

       *       *       *       *       *




8. Die Hauptstadt Fes

       *       *       *       *       *

Die Hauptstadt des Sultans von Marokko ist nur von wenigen Europ�ern
besucht worden, ebenso d�rftig sind die Nachrichten, welche Augenzeugen
davon gegeben haben. Am ausf�hrlichsten, fast weitschweifig, handelt Leo
von Fes, n�chst ihm giebt eine auf eigener Anschauung beruhende
Beschreibung der spanische General Badia (Ali Bey-el-Abassi). Alle anderen
Berichte �ber Fes beruhen nur auf Kundschaft und H�rensagen.

Ob der Ort, wo heute Fes steht, von den R�mern bewohnt war, ist nach so
wenigen Untersuchungen schwer zu entscheiden, aber h�chst wahrscheinlich.
Die Lage ist so ausgezeichnet, so f�r eine Stadt in jeder Beziehung
anlockend, dass eine so g�nstige Position den Alten gewiss nicht entgangen
ist. Ueberdies haben wir in der N�he Punkte, welche wir mit Sicherheit als
von den R�mern bewohnte kennen. Wir erkennen die Stadt Volubilis im
heutigen Serone, eine Stadt, die zur Zeit Leo's Gualili oder Walili hiess,
und von der er sagt, dass sie ausser dem Grabmale vom �lteren Edris nur
drei oder vier H�user habe. Heute nun ist Walili oder, wie sie jetzt
genannt wird, Serone, ein St�dtchen von 4-5000 Einwohnern, und das Grabmal
Mulei Edris-el-Kebir, wie der Vater des Gr�nders der Stadt Fes genannt
wird, ist noch immer ein ber�hmter Wallfahrtsort. Wir haben sodann in den
Aquae Dacicae einen sicheren Anhaltepunkt in der N�he von Fes; k�nnen wir
uns genau auf das Itinerarium Antonini verlassen, so w�rden wir nicht
anstehen, Fes das alte Volubilis zu nennen, denn die Entfernung, 16 Mill.,
stimmt genau mit den ber�hmten heissen Schwefelquellen von Ain
Sidi-Yussuf[78], die sich n�rdlich zu West von Fes befinden. Die Aquae
Dacicae sollen nach dem Itinerarium Antonini 16 Mill. n�rdlich von
Volubilis gelegen sein. Die alten Aquae Dacicae, jetzt Ain-Sidi-Yussuf
genannt, sind heute noch die ber�hmtesten Thermalen von Marokko.

      [Fu�note 78: ain = Quelle.]

Die heutige Stadt Fes wurde nach Leo im Jahr 185 der Hedschra von Edris
gegr�ndet, dieser war ein naher Verwandter von Harun-al-Raschid und ein
noch n�herer von Mohammed selbst, denn Edris war Enkel von Ali, dem
Schwiegersohn Mohammed's. Edris' Vater selbst ist jener
Edris-ben-Abd-Allah, der aus Jemen gekommen war und sich in Walili
niedergelassen hatte, sein Sohn wurde ihm erst nach seinem Tode von
einer gothischen Sklavin geboren. Renou giebt an, Edris habe die Stadt
793 n. Chr. gegr�ndet, welches Jahr mit dem 177. Jahre der Mohammedaner
correspondirt Marmol l�sst Fes an Jahre 793 n. Chr. erbaut werden,
stimmt aber irrth�mlicher Weise dieses Jahr mit dem 185. Jahre der
Hedschra. W�hrend noch Andere f�r das Gr�ndungsjahr von Fes 808 n. Chr.
ansetzen, verlegt Dapper es auf das Jahr 801 n. Chr. Es geht hieraus
hervor, dass wir nicht ganz mit Bestimmtheit das Jahr angeben k�nnen,
sondern uns damit begn�gen m�ssen, zu wissen, dass die Stadt gegen das
Ende des 8. oder im Anfange des 9. Jahrhunderts gegr�ndet wurde.

Ebenso unbestimmt sind die Angaben, woher der Name Fes kommt. Leo leitet
den Namen davon her, weil bei den ersten Grabstichen die Gr�nder Gold,
Silber (Fodda oder Fedda) gefunden h�tten; Andere meinen, die Stadt habe
den Namen vom Fl�sschen gleichen Namens, was die Stadt durchschneidet, noch
Andere leiten den Namen der Stadt von Fes her, was im Arabischen eine
"Hacke" bedeutet. Was die Schreibart anbetrifft, so finden wir ebensowenig
Uebereinstimmung; Einige schreiben Fes, Andere Fas, noch Andere Fez, und
doch d�rfte Fes die alleinig richtige sein, wenn wir die arabische Schreib-
und Aussprechungsweise zu Grunde legen.

Fes liegt nach Ali Bey auf dem 34� 6' 3" n�rdl. Breite, dem 7� 18' 30"
�stl. L�nge von Paris, und da bis jetzt keine anderen Bestimmungen
vorliegen, so m�ssen wir diese festhalten.

Es herrscht eine grosse Confusion �ber die �rtliche Lage von Fes. So sagt
Leo: "Die Stadt besteht fast ganz aus Bergen und H�geln; nur der mittelste
Theil ist eben, und Berge sind auf allen vier Seiten." Ali Bey: "Die Stadt
Fes ist auf den Abh�ngen verschiedener H�gel gelegen, welche die Stadt von
allen Seiten, mit Ausnahme von Norden her, umgeben." Thatsache ist, dass
Fes, als Ganzes betrachtet, denn die Stadt besteht aus zwei vollkommen
getrennten St�dten, von allen Seiten, mit Ausnahme vom S�den her, von
Bergen umschlossen ist. Ebenso werden die die Stadt durchziehenden Gew�sser
unter verschiedenen Namen aufgef�hrt, und es hat dies zum Theil seinen
Grund darin, dass die Araber in sehr vielen F�llen f�r einen und denselben
Fluss verschiedene Benennungen haben, je nach seiner Quelle, nach seinem
mittleren oder unteren Laufe. So hat denn das kleine Fl�sschen, welches
s�dwestlich von Fes etwa 20 Kilometer entfernt entspringt, zuerst den Namen
Ras-el-ma, �ndert aber den Namen, sobald es die Stadt erreicht, in Ued-Fes
um; es verbindet sich dieses Fl�sschen mit einem st�rkeren, aus S�dost
kommenden Flusse zwischen Neu- und Alt-Fes, und beide durchstr�men nun die
Stadt ebenfalls unter dem Namen Ued Fes, um sp�ter Ued Sebu genannt zu
werden. Der gr�ssere Fluss, der von S�d-S�d-Ost in Neu-Fes eindringt,
heisst aber oberhalb der Stadt, wie ich auf meiner zweiten Reise in Marokko
constatiren konnte, ebenfalls Ued Sebu. Wenn noch andere Namen aufgef�hrt
werden f�r diese W�sser, als von Renou Oued el Kant'ra (Br�ckenfluss), von
dem Renou glaubt, es sei dies der von Edris genannte Fluss Ued S'enh�dja,
oder von Graberg von Hems� Vad-el-Gieuhari und Vad-Matrusin, oder von
Marmol Ouad-el-Djouhour (Perlenfluss), so muss ich gestehen, dass diese
Namen mir w�hrend meines Aufenthalts in Fes nicht bekannt geworden sind.

Die Stadt pr�sentirt sich also derart, dass sie fast mit von Norden nach
S�den (mit etwas von Nordwest nach S�dwest geneigter) gerichteter Achse
gelegen ist und aus zwei St�dten besteht, Fes-el-bali[79], Alt-Fes, und
Fes-el-djedid, Neu-Fes. Beide St�dte aber liegen keineswegs dicht neben
einander, sondern sind durch eine zwei Kilometer lange Strasse, aufs
dichteste von H�usern bestanden, verbunden, so dass es, von oben gesehen,
das Aussehen hat wie zwei getrennte St�dte, welche communiciren durch eine
eng gebaute Strasse. Alt-Fes bildet den n�rdlichen Theil und ist mit
Ausnahme von S�den her von Bergen umschlossen, zum Theil namentlich nach
Osten zu an die Bergwand hinaufgebaut, Neu-Fes bildet den s�dlichen
Stadttheil und liegt vollkommen in einer Ebene. N�rdlich von Neu-Fes
verbinden sich der Sebu und das von Ras-el-ma[80] kommende W�sserchen, um
Alt-Fes zu durchfliessen, Alt-Fes wird so in zwei H�lften getheilt, durch
sechs steinerne Br�cken mit einander verbunden, die westliche Seite ist die
kleinere. Beide St�dte sind mit 30-40 Fuss hohen Mauern umgeben, welche von
etwa 500 zu 500 Schritt mit viereckigen hervorspringenden Th�rmen versehen
sind. Die Mauern sind an der Basis zwei Meter und mehr dick, verj�ngen sich
nach oben zu einem Meter, und haben auf der Zinne einen Umgang, gesch�tzt
durch eine etwa 5 Fuss hohe und 1-2 Fuss dicke crenelirte Mauer. Die Th�rme
selbst sind eingerichtet, Gesch�tze aufnehmen zu k�nnen.

      [Fu�note 79: Fes-el-bali sollte eigentlich Fes-el-kedim heissen, denn
       das Wort kedim entspricht genau unserm "alt", w�hrend "bali" mehr
       das "abgen�tzt" in sich schliesst.]

      [Fu�note 80: Ras-el-ma heisst eigentlich weiter nichts als Kopf des
       Wassers d.h. Quelle.]

Die Mauer von Alt-Fes sowie die Th�rme befinden sich in �usserst
mangelhalftem Zustande, die von Neu-Fes ist besser erhalten, und ist an
manchen Stellen eine doppelte, so namentlich nach S�dwesten und S�den zu,
wo die �ussere Mauer ausserdem 80 Fuss hohe Th�rme hat.

Die Mauern sowohl wie die Th�rme sind aus einer gegossenen oder vielmehr
gestampften Masse aufgef�hrt, welche zwischen Brettern eingestampft wird
und an der Luft, mit Kalk und Cement vermischt, eine grosse H�rte erlangt.
Die Ecken, Bogen, Seiten der Thore sind indess aus behauenen Steinen
hergestellt, denn die Masse, so widerstandsf�hig sie im grossen Ganzen auch
ist, so leicht zerbr�ckelt sie doch an den Ecken und Kanten. Aus eben
dieser Masse sind auch die meisten grossen Geb�ude hergestellt, viele aber
auch aus im Feuer gebrannten Ziegeln; gerundete Dachziegel endlich sind das
Material, das man zur Bedeckung der Moscheen genommen hat; die Wohnh�user
verlangen solche nicht, da alle platte D�cher haben.

Wenn auf diese Art die Stadt gegen Landesfeinde vollkommen gesch�tzt
erscheint--denn so sehr die Mauern auch Verfall drohen, w�rden sie dennoch
Schutz gegen regellose Angriffe gew�hren--, so wenig haltbar w�rde sich Fes
einem Angriffe irgend einer europ�ischen Macht gegen�ber zeigen. Selbst die
beiden Forts ausserhalb der Stadt tragen nichts zum Schutze gegen einen
Angriff von aussen her bei, weil sie selbst von anderen Anh�hen von
n�chster N�he aus beherrscht sind. Das eine dieser Forts liegt im S�dosten
der Stadt auf einer Anh�he und ist ein mit vier Bastionen versehenes
Viereck, offenbar von ehemaligen europ�ischen Renegaten nach Vauban'schem
System recht gut angelegt. Im Westen der Stadt auf der n�chsten Anh�he
befindet sich eine Lunette, diese letztere, nach der Stadt zu in ihrer
Kehlseite nur durch Pallisaden geschlossen, ist wie das vorhin erw�hnte
Quadrilat�r aus behauenen Steinen erbaut, und beide sind �berdies mit
tiefen Gr�ben versehen. Ob diese Steine, welche grosse Quadern aus
Sandstein sind, eigens zu diesen Bauten gehauen worden sind oder von alten
R�merwerken herstammen, konnte ich nicht erfahren; w�re letzteres der Fall,
so w�re das ein Beweis mehr, an der jetzigen Stelle von Fes eine alte
R�merniederlassung, vielleicht Volubilis, suchen zu m�ssen. Keines der
beiden Forts hatte Kanonen im Jahr 1861/62, und beide waren auch ohne jede
Bewachung.

Die Stadt Fes wird in 18 Quartiere getheilt, von denen zwei auf die
Neustadt, die �brigen auf Alt-Fes kommen, davon hat Alt-Fes sieben Thore,
inclusive des nach der Neustadt zu f�hrenden, w�hrend Neu-Fes nur drei hat,
von denen das eine auf Alt-Fes gerichtet ist. Der L�nge nach wird die Stadt
von einer Strasse durchschnitten, welche hinl�nglich breit ist, denn
�berall k�nnen vier oder f�nf Menschen neben einander gehen, oft auch noch
mehr. Die G�sschen aber, die sich von dieser Hauptstrasse in die
verschiedenen Quartiere hinschl�ngeln, sind �usserst schmal, manchmal so
eng, dass zwei sich Begegnende sich an einander vorbeidr�cken m�ssen. Es
sind dann zahlreiche Pl�tze vorhanden, aber kein einziger mit Ausnahme des
grossen Platzes in Neu-Fes, der sich vor dem Palaste des Sultans befindet,
welcher mehr als 500 Menschen aufnehmen k�nnte, wenn sie dichtgedr�ngt bei
einander stehen. Hierdurch erlangt die Stadt ein �usserst d�steres
Aussehen, was noch dadurch vermehrt wird, dass kein einziges Haus nach der
Strassenseite Fenster hat, und fast alle zwei oder drei Stockwerke hoch
sind.

Ein grosser Uebelstand ist auch der, dass man gar keine Pflasterung in Fes
kennt, man ist im Sommer einem entsetzlichen Staube ausgesetzt und hat im
Winter die gr�sste M�he, durch den tiefen Schmutz fortzukommen. Gegen
diesen haben allerdings die Bewohner eine eigene Art Holzschuhe erfunden
mit 2-3 Zoll hohen Abs�tzen unter dem Hacken und den Fussspitzen, aber oft
reichen selbst diese nicht aus. Auch in Tunis, wo �hnliche Verh�ltnisse
w�hrend der nassen Jahreszeit sind, hat man diese Holzunterschuhe, die
unter dem gew�hnlichen Schuhzeuge befestigt werden, und wie alt ihr
Gebrauch ist, geht daraus hervor, dass schon Leo ihrer erw�hnt.

Das Innere der H�user ist oft sehr h�bsch eingerichtet, obgleich man
nat�rlich an M�bel, wie sie bei uns in Gebrauch sind, nicht denken muss.
Der Marokkaner will gar keinen Fortschritt, so wie seine V�ter gelebt
haben, will auch er leben, und Neuerungen einf�hren, ist die gr�sste S�nde.
So sind denn auch alle Einrichtungen so, wie sie vor Hunderten von Jahren
gewesen sind. Gelangt man durch eine starke, meist dick mit Eisen
beschlagene Th�r durch einen umgebogenen Gang[81] in das innere einer
Wohnung, so kommt man zuerst auf einen mehr oder weniger grossen nach oben
offenen Hofraum, der meist viereckig von Form ist. Bei Reichen und Armen
ist dieser Raum gepflastert, oft mit Marmorfliessen (weche [welche] von
Spanien und Portugal kommen), meist aber mit Sleadj. Es sind dies kleine
Fliesse mit bunt glasirter Farbe, und da sie in allerlei Formen hergestellt
werden, sternartig, dreieckig, viereckig etc., so legen die Erbauer die
h�bschesten Muster damit zusammen. Eine einzelne Sleadj ist nicht grosser
als 1-2 Zoll Seitenl�nge; man verfertigt sie in Fes selbst. Auch die
Zimmerb�den sind meist aufs reizendste mit diesen Sleadj ausgelegt.

      [Fu�note 81: Ein gerader Gang darf von der Strasse nicht ins Innere
       des Hauses f�hren, weil sonst, bliebe ja einmal aus Versehen die
       Hausth�r offen stehen, der Blick eines Fremden in den Hofraum fallen
       k�nnte.]

In der Mitte des Haushofes befindet sich ein springender oder jedenfalls
fliessender Quell, auch in der �rmsten Wohnung fehlt er nicht. Bei den
Reichen befinden sich zu dem Ende meist h�bsche Marmorbecken, welche
ebenfalls aus Europa bezogen werden, im Hofe. Die Vertheilung des Wassers
in der Stadt ist n�mlich so ausgezeichnet, dass Can�le weit oberhalb der
Stadt von den Fl�ssen abgeleitet sind, und so auch die h�chsten Stadttheile
mit reinem Wasser versorgen. In Neu-Fes hat man an einem Canal sogar grosse
R�der erbaut, welche, wie in Italien die Bew�sserungsr�der, mittelst ihrer
eigenen vom Wasser bewirkten Umdrehung Wasser auf die H�he schaffen. Nach
Leo sollen diese Wasserr�der schon 100 Jahre vor seiner Ankunft in Fes
gewesen sein und von einem Genueser herr�hren.

Ebenso gut ist f�r die Abf�hrung der Unreinigkeiten aus den H�usern
gesorgt, das lebendige Wasser f�hrt allen Unrath mittelst kleiner
unterirdischer Can�le in den Ued Fes[82].

      [Fu�note 82: Leo giebt an: es seien �ber 150 �ffentliche Latrinen in
       Fes, und s�mmtliche wurden durch fliessendes Wasser von selbst
       reingehalten. Ob so viele in Fes sind, kann ich nicht behaupten,
       jedenfalls wird, da man in allen marokkanischen St�dten, auch in den
       Oasen, �ffentliche Latrinen findet, auch wohl in Fes daf�r gesorgt
       sein. Man findet sie �brigens nicht nur mit Moscheen verbunden,
       sondern h�ufig auch ganz unabh�ngig von solchen.]

Die Zimmer der H�user, von denen sich in der Regel drei oder vier auf den
Hofraum �ffnen, sind stets sehr lang, sehr hoch, aber auch nie breiter, als
dass ein grosser Mensch der Breite nach darin liegen kann. Grosse und hohe
Th�ren, wie immer mit hufeisenf�rmigen Bogen f�hren zu den Zimmern; im
Sommer und bei gutem Wetter sind sie offen, im Winter verschlossen, und man
gelangt durch eine kleine Th�r, eine Art Schl�pfth�r (Poterne), welche sich
in jeder grossen befindet, ins Zimmer. An beiden Seiten der Th�r sind
manchmal kleine viereckige, oder auch ogivische stark vergitterte Fenster,
Glasscheiben hat man erst in letzter Zeit angefangen einzuf�hren, M�bel
nach unserem Sinne sind nirgends vorbanden. Bei den Reichen findet man
Teppiche, Wollmatratzen, feine Matten, und auch die W�nde der Zimmer 3-4
Fuss hoch mit h�bschen Matten ausgeschlagen; auch manchmal Betten an den
Enden der Zimmer auf europ�ischen Bettstellen, aber diese werden mehr als
Luxus, als Schmuck betrachtet, es w�rde nie Jemandem einfallen, darin zu
schlafen.

Die W�nde der Zimmer sind weiss ausgekalkt, aber unterhalb des Plafond
laufen manchmal Arabesken herum, oft in Form von Koranspr�chen.

Die Plafonds der Zimmer sind bunt bemalt, oft azur mit Gold, oft aber auch
mit Holzschnitzerei bedeckt oder mit Holzst�ckchen ausgelegt. In den W�nden
sind h�ufig nischenartige Vertiefungen angebracht, welche als Schr�nke
dienen; ebenso findet man bei der wohlhabenden Classe Holzschr�nke, oft aus
sehr h�bschen Holzschnitzwerken gearbeitet, oder mit Perlmutterst�ckchen,
Elfenbein oder Ebenholzst�ckchen ausgelegt.

W�hrend im Hofe rings um die inneren W�nde ein durch steinerne S�ulen
getragener Bogengang l�uft, der zugleich Schatten gegen die senkrechte
Sonne gew�hrt, dient dieser Bogengang f�r das zweite Stockwerk als
Vorplatz, von dem aus man in die Zimmer gelangt; und ist noch ein drittes
Stockwerk vorhanden, so gehen die Gallerien ebenfalls h�her. Die oberen
Zimmer unterscheiden sich in der Anordnung durch nichts von den unteren;
ganz oben auf dem platten Dache, welches aus gestampfter und cementirter
Erdmasse besteht, befindet sich manchmal noch ein Zimmer, Mensa genannt;
hier geben die Frauen vorzugsweise ihre Gesellschaften. Der Zugang nach
oben geschieht mittelst Treppen, die immer sehr schmal, und, wenn im Innern
des Hauses, niedrig angelegt sind; aber so sehr man darauf sieht, den Raum
in Breite und H�he bei der Treppe zu beschr�nken, so wenig sieht man
darauf, die Abs�tze selbst kurz zu machen; im Gegentheil, diese sind so
hoch, dass manchmal ein ausserordentlicher Kraftaufwand erforderlich wird,
um einen Absatz zu ersteigen.

Von aussen werden die H�user bisweilen durch anstrebende Pfeiler verst�rkt
oder durch Bogeng�nge auseinandergehalten; es tr�gt dies keineswegs dazu
bei, die ohnehin schon schmalen Gassen passirbarer zu machen, und wo man ja
einmal eine etwas breitere Strasse antrifft, kann man sicher sein, dass die
Anwohner dies derart durch Ueberbauen der zweiten und dritten Etage benutzt
haben, dass die breiteren Strassen hiedurch fast zu den dunkelsten gemacht
sind.

Nachts werden nicht nur die Stadtthore geschlossen, sondern auch die Thore,
welche die verschiedenen Quartiere von einander trennen, und da die
Quartiere gemeiniglich durch mehrere Strassen mit einander communiciren, so
kann man sich denken, wie viele Thore alle Abende verschlossen werden
m�ssen. Man sagt: es sei dies eine Sicherheitsmassregel, und haupts�chlich
sei dieselbe gegen Diebe gerichtet. In der That wird dadurch alle
Communication Nachts aufgehoben; nach dem l'Ascha (das letzte Gebet) ist es
unm�glich, aus seiner Strasse oder seinem Quartier herauszukommen. W�hrend
des Chotba-Gebetes am Freitag werden ebenfalls alle Thore abgeschlossen,
nicht nur in Fes, sondern in allen St�dten Marokko's, ja im ganzen Rharb
(die arabischen Geographen rechnen alles Land westlich vom Nil zum Rharb,
d.h. dem Westen, alles �stlich davon zum Schirg, d.h. dem Osten) herrscht
diese Sitte, wie ich sp�ter in Rhadames, Tripolis, Bengasi, Tunis und
anderen St�dten zu erfahren Gelegenheit hatte. Es soll dies deshalb
geschehen, weil einer alten Sage zu Folge sich um die Zeit des
Chotba-Gebetes die Christen der mohammedanischen St�dte bem�chtigen
w�rden. Wahrscheinlich ist es aber ein alter Brauch der Regierungen, die
sich dann mit ihrer ganzen Macht in den Moscheen befinden und sich so
gegen ihr eigenes Volk sichern wollen.

An �ffentlichen Geb�uden der Stadt sind die Pal�ste des Sultans, die
Moscheen, die Funduks, B�der und Grabst�tten hervorzuheben.

Der grosse Palast des Sultans nimmt den ganzen s�dwestlichen Theil von
Neu-Fes ein; von dem Innern dieses Geb�udes kann ich nur wenig
berichten, da ich hier nicht dem Leser die �bertriebenen Beschreibungen
der Bewohner von Fes wiedergeben mag, die mehr nach Fabeln aus 1001
Nacht klingen, als auf Wirklichkeit beruhen. Grossartige Ruinen deuten
allerdings auf einstige grossartige Bauten hin, aber _alle_ Bauten der
Mohammedaner haben das Eigenth�mliche, dass sie meist schon _gleich_
nach dem Entstehen ein ruinenhaftes Aussehen bekommen. Der Palast
besteht eigentlich aus weiter nichts als vielen grossen mit Arkaden
versehenen H�fen mit Springbrunnen, auf welche sich die Zimmer �ffnen,
Pferdest�lle, Bedientenstuben, Wachtzimmer, Empfangsh�fe--diar el
meshuar genannt--wechseln damit ab. An der s�d�stlichen Ecke, durch hohe
Mauern von den �brigen Theilen des Palais getrennt, befindet sich das
Harem, welches Platz f�r mehr als 1000 Frauen hat. Zwischen der
kaiserlichen Wohnung und der s�dwestlichen Stadtmauer befindet sich ein
grosser Garten, in welchen ich mehrere Male Zutritt bekam. Man findet
hier fast alle feineren europ�ischen Gem�se, auch Blumenkohl,
Artischocken und dgl. Von langen geraden G�ngen durchschnitten, sind
diese an den Seiten eingefasst von Beeten mit Rosen, Jasmin und Luisa,
und fast alle Wege sind zu Tunnels und Laubeng�ngen umgeschaffen, wo die
rankenden Weinreben k�hlenden Schatten gew�hren. Eine kleine Veranda,
vor einem Theil des Palais gelegen--und davor ein besonderes
abgeschlossenes G�rtchen, worin nur Blumen gezogen werden, dienen zum
Privatgebrauche des Kaisers.

Ein zweiter Palast des Sultans ist zwischen Neu- und Alt-Fes gelegen und
hat den etwas sonderbaren Namen Bu-Djelud[83]. Es ist dies, abgesehen von
dem halbverfallenen Aussehen, ein h�bsches Geb�ude, und,
eigenth�mlicherweise im Renaissancestyl, vermischt mit maurischer
Architektur errichtet, was wohl daher r�hrt, dass europ�ische Renegaten die
Erbauer waren. Es gelang mir leider nicht (da der Sultan in Mikenes war),
in das Innere zu kommen; ebenso war mir auch der Garten verschlossen,
welcher damit verbunden ist, und dessen herrliche Baumgruppen, aus denen
schlanke Palmen hervorragten, ich oft im Vor�bergehen bewunderte. Dieser
Garten war den Damen des Harems reservirt.

      [Fu�note 83: Bu-Djelud heisst Vater der Felle; wahrscheinlich befand
       sich hier am Flusse--denn dieser Palast liegt hart am Ued-Sebu--eine
       Gerberei. Eine �hnlich sonderbare Benennung hat ja auch der Palast
       der franz�sischen Herrscher in Paris: Tuilerie.]

Eine halbe Stunde von Neu-Fes entfernt, nach dem S�den zu, befindet sich
eine sultanatliche Wohnung, von einem �usserst grossen und mit hoher Mauer
umringten Garten umgeben; in diesem Geb�ude h�lt sich der Sultan manchmal
auf, um die Sommerfrische zu geniessen; zum Theil wohnen sodann die
Minister, die Grossen des Reichs, die Gouverneure der Provinzen, welche zum
Besuch anwesend sind, mit in dem weitl�ufigen Geb�ude, zum Theil campiren
sie in ihren Zelten ausserhalb des Gartens.

Zwischen diesem Landsitz in Neu-Fes ist auch gew�hnlich die Mhalla, d.h.
der Lagerplatz des Heeres. Dieses muss immer da sein, wo der Sultan sich
aufh�lt; und da in Neu-Fes f�r die Truppen, welche der Sultan immer um sich
hat, nicht hinl�nglich Platz ist, so campiren sie hier unter Zelten. Von
Weitem gesehen, sieht dieses Zeltlager, inmitten der gr�nen Wiesen,
durchschl�ngelt vom Ued-Fes, sehr malerisch aus, aber im Innern herrscht
die gr�sste Unreinlichkeit und Verwirrung.

Die stehende Macht des Sultans bestand 1862 aus etwa 4000 Infanteristen,
welche aufs bunteste cost�mirt sind. Sidi-Mohammed-ben-Abd-er-Rhaman,
jetziger Sultan und derselbe, dem zu Lebzeiten seines Vaters eine so
empfindliche Niederlage durch den Marschall Bugeaud bei Isly[84]
beigebracht wurde, war im Feldzuge gegen die Spanier nicht gl�cklicher
gewesen. Indess hatte er so viel Einsehen bekommen, dass er begriff, mit
seinen regellosen Schaaren nicht gegen europ�ische Streitkr�fte k�mpfen zu
k�nnen.

      [Fu�note 84: Am 14. August 1844. Der jetzige Sultan entkam seiner
       Gefangennahme nur dadurch, dass er beim Eindringen der Franzosen in
       sein Zelt dieses mit dem S�bel schlitzte, und aufs Pferd sich
       schwingend, von diesem aus dem Bereich der Feinde getragen wurde.]

Er glaubte nun ein regelm�ssiges stehendes Heer zu haben, wenn er Leute auf
europ�ische Art uniformiren liess, und so sah man hier Uniformst�cke
s�mmtlicher Nationen, gemeinsam ist allen nur der rothe Fes und die gelben
Pantoffeln; auch hatte man angefangen, kurze bis an die Knie gehende Hosen
einzuf�hren, da es den Berbern und Arabern unm�glich schien, lange Hosen zu
tragen. Diese Infanterie ist in vier Theile oder Bataillone getheilt, je
von einem "Agha" commandirt, untergetheilt sind sie wieder in vier
Abtheilungen, denen ein Kaid (Hauptmann) vorsteht, und noch kleinere
Abtheilungen werden von Califat-el-kaid (Lieutenants) und Mkadem
(Unterofficier) commandirt. Die Mannschaft selbst besteht aus Berbern,
Arabern, Negern und spanischen Renegaten, welche letztere Str�flinge von
Ceuta, Penon oder Mellila her desertiren. Diese Renegaten sind vorzugsweise
Hornisten, Tamboure oder bei der Capelle angestellt. Denn da die englische
Regierung die Instrumente geschenkt hat, so hat der Sultan eine Capelle
einrichten lassen, welche aber auf noch viel haarstr�ubendere Art deutsche
Walzer oder italienische St�cke zum Besten giebt, als die t�rkischen
Regimenter. Die Capelle hat 24 Mitglieder, w�hrend der Hornisten und
Tamboure f�r jede Compagnie je zwei vorhanden sind. Die Trommeln sind
�hnlich wie die des deutschen Heeres, die H�rner sind gleich denen der
Engl�nder.

Die Bewaffnung besteht aus alten franz�sischen Steinschlossgewehren, fast
alle mit der Jahreszahl 1813. Der Sultan, hat diese im Preise von 40 Fr.
das St�ck kaufen lassen (er h�tte daf�r auch Z�ndnadeln bekommen k�nnen),
aber die Zwischenh�ndler haben ihr Profitchen dabei gemacht. Das Commando
geschieht in t�rkischer Sprache, was den Uebelstand f�r den Soldaten hat,
dass derselbe das Commando nur mechanisch verstehen lernt. Jede Compagnie
hat eine Fahne, jedes Bataillon (ich nenne so die vom "Agha" commandirte
Atheilung [Abtheilung]) eine etwas gr�ssere, die Farben der Fahnen sind
roth, gelb, blau, je nachdem der Chef Vorliebe f�r diese oder jene Farbe
hat.

Der gemeine Soldat bekommt sechs Mosonat L�hnung, und muss sich hierf�r
Alles halten, was bei den billigen Verh�ltnissen in Marokko auch recht gut
angeht, zumal die Kleidung vom Sultan geliefert wird. Die h�heren Stellen
sind allerdings nicht besonders bezahlt, so bekommt ein Agha,
Bataillonschef, nur ein Metcal t�glich (= 40 Mosonat oder etwa = 2 Francs).
Da diese aber ausser den Pferderationen Korn, Aecker und Vieh vom Sultan
bekommen, �berdies die Gelder der beurlaubten Soldaten zum gr�ssten Theil
in ihre Tasche fliessen, so stehen sie sich nicht schlecht. Denn von 1000
Mann, die ein Agha commandirt, sind h�chstens 800 zur Stelle, die 200
fehlenden werden aber gef�hrt, und der Sold davon t�glich vom "Amin el
Lascari," d.h. dem Zahlmeister, bezogen.

Man kann sich einen Begriff von dieser regelm�ssigen Armee, welche aus den
gr�ssten Taugenichtsen des ganzen Reiches zusammengesetzt ist, machen, wenn
ich einige kurze Personalnotizen der Befehlshaber, mit denen ich bekannt
wurde, hier gebe.

Der Agha des einen Bataillons war ehedem ein Verk�ufer von roher Seide und
Seidengarn in Fes, Namens Hadj-Asus, er verdankte seine Stellung bloss dem
Umstande, dass er Hadj, d.h. Pilger nach Mekka war. Marokko, welches so
weit von Mekka entfernt liegt, hat verh�ltnissm�ssig nur wenig Pilger
aufzuweisen, und obgleich die Dampfer jetzt die frommen Gl�ubigen auf
erstaunlich billige Weise von Tanger nach Alexandria und von da nach Djedda
schaffen, so hat dadurch keineswegs die Zahl der Pilger zugenommen, weil
eine Dampfschifffahrt nicht als so verdienstlich angesehen wird[85] wie
eine Pilgerfahrt zu Fusse. Und die grosse Landpilgerkarawane, welche fr�her
j�hrlich von Fes, Maraksch und Tafilet abging, hat f�r die ersten beiden
Orte zu existiren aufgeh�rt.

      [Fu�note 85: Eine Dampfwallfahrt bei den Christen wird ebenfalls
       bedeutend geringer angerechnet, als wenn man den Wallfahrtsort auf
       Erbsen rutschend erreicht, wir d�rfen uns also keineswegs hierin
       �ber die Mohammedaner wundern oder gar lustig machen.]

Der zweite Agha, ein gewisser Si-Hammuda, geborener Algeriner, hat sich
dadurch seine Stellung erworben, weil er ein franz�sischer Proscribirter
ist; seinem Stande nach schwang er, ehe der Sultan das Schwert ihm in die
Hand gab, die Elle. Der dritte Agha, ein gewisser Si-Mohammed-Chodja, ein
geborener Tunesier, weiss wohl selbst nicht, wie er zum Milit�rstande
gekommen ist, er ist von Haus aus Thaleb, d.h. Schriftgelehrter. Der vierte
und letzte Agha ist ein gewisser Ben-Kadur; von Haus aus Kaid einer
Bergtribe, sind diesem letzteren wenigstens nicht kriegerische
Eigenschaften abzusprechen, aber vom eigentlichen europ�ischen Milit�rwesen
hat er ebensowenig einen Begriff wie die �brigen. Ich k�nnte, da ich
Gelegenheit hatte, alle Kaids kennen zu lernen, so fortfahren, aber dies
wird gen�gen.

Indess sei noch erw�hnt, dass zwei wirkliche franz�sische Officiere,
Eingeborne der Tirailleurs indig�nes, es nie weiter bringen konnten als zum
Lieutenant, weil sie im Verdachte standen Christen zu sein, w�hrend ein
anderer, ein "Sussi", Herumstreicher (Eingeborne aus der Provinz Sus),
gleich zum Hauptmann oder Kaid ernannt wurde. Da diese Ernennung w�hrend
meiner Anwesenheit in Fes erfolgte, so kann ich hier anf�hren, dass sie aus
dem Grunde geschah, weil dieser "Sussi" vor den Augen des Sultans in
Seilt�nzerkunstst�cken sich ausgezeichnet hatte. Er hatte ehedem einer
Gesellschaft angeh�rt, wie sie h�ufig aus dem Sus kommen, und mit dieser
nicht nur die ganze mohammedanische Welt, sondern auch ganz Europa
durchzogen; so behauptete er auch in Deutschland gewesen zu sein, und da er
mir mehrere St�dte Deutschlands mit Namen nennen konnte, musste ich es wohl
glauben, denn welcher andere Marokkaner h�tte eine deutsche Stadt
namentlich gekannt; das geographische Wissen der gr�ssten marokkanischen
Gelehrten, soweit es Europa betrifft, beschr�nkt sich auf Baris (Paris),
Lundres (London), Manta (Malta), Blad Andalus (Spanien), Bortugan
(Portugal), Musgu (Russland), Nemsa (Deutschland) und Stambul
(Konstantinopel). Kann ein Thaleb oder Faki der Reihe nach diese Namen
auskramen, so glaubt er wenigstens ein Humboldt oder Ritter zu sein.

Man�vrirt wird denn auch nie mit dieser oben geschilderten "regelm�ssigen"
Truppe, und die Exercitien beschr�nken sich auf Paradem�rsche, auf ssalam
dur (pr�sentirt das Gewehr) und einige andere Griffe. Ein grosser
Uebelstand ist, dass die meisten Soldaten verheirathet sind und Kinder
haben, viele auch Sklaven besitzen, kurz man kann sagen, dass der Sultan
mit seiner bunt nach aller Herren L�nder Art uniformirten Truppe sich
keineswegs eine regelm�ssige Armee oder nur den Kern dazu geschaffen hat.
Aber die seit Jahrhunderten bestehende Unfehlbarkeit des Sultans hat dazu
gef�hrt, dass diese Pers�nlichkeiten anfangen sich selbst f�r unfehlbar zu
halten, und der Sultan glaubt in der That mit der Ernennung irgend eines
Menschen zum Bataillonschef wirklich dadurch einen t�chtigen Chef gemacht
zu haben.

Besser ist die Cavallerie organisirt (nach Sir Drummond Hay 16000 Mann
stark), weil sie auf einheimische Verh�ltnisse basirt ist. Die
Cavalleristen bekommen zwei Mosonat t�glich mehr, als die Infanteristen,
haben aber daf�r ihre Pferde zu unterhalten. Sie sind eingetheilt in kleine
Truppen von 50-60 Pferden, welche einem Kaid untergeben sind. Das Commando
ist hier arabisch. Der Cavallerist hat eine lange Steinschlossflinte und
einen ziemlich geraden S�bel als Bewaffnung; wer sich selbst 1 oder 2
Pistolen anschafft, glaubt dann aufs vollkommenste ausger�stet zu sein. Der
S�bel wird an einer seidenen oder baumwollenen Schnur von der rechten
Schulter zur linken Seite herabh�ngend getragen. Die S�ttel sind jene mit
hohen Lehnen nach hinten, mit hohem Knaufe nach vorne versehenen und
allgemein unter Arabern und Berbern gebr�uchlichen. Von Exercitien und
Man�vern ist bei der Cavallerie noch weniger die Rede, die ganze Kunst des
Cavalleristen beschr�nkt sich darauf, im schnellsten Laufe das Pferd
fortzureiten und w�hrend des Rittes die Flinte abzufeuern. Da die grossen
Steigb�gel sehr kurz h�ngen und so eingerichtet sind, dass der ganze Fuss
darin Platz hat, so _stehen_ beim schnellen Reiten meistens die
Cavalleristen. Auf diese Art wird auch der Angriff gemacht, man saust mit
Windeseile heran, schiesst ohne zu zielen das Gewehr ab, und das dann von
selbst wendende Pferd tr�gt den Angreifer zur�ck. Die Cavallerie hat nur
Hengste.

Seit dem Kriege mit Spanien hat der Sultan von Marokko auch Feldartillerie
angeschafft, aber eben so ungl�cklich berathen wie in Beschaffung seiner
Uniformst�cke, hat er wohl kein einziges Gesch�tz, welches dem andern
gleich w�re. Die Artilleristen, welche diese Kanonen zu bedienen haben,
sind fast alle spanische Renegaten; auch einen Franzosen fand ich dort, der
Hauptmann war, und einen Deutschen, der in der Heimath Maurergeselle
gewesen, die Kelle mit der Kanone vertauscht und von Sidi Mohammed, dem
Hakem el mumenin (Beherrscher der Gl�ubigen), dem er verschiedene Arbeiten
in seinem Palais aufgemauert hatte, zum Kaid el Tobdjieh, d.h. zum
Artillerie-Hauptmann war ernannt worden. Ich brauche wohl kaum
hinzuzuf�gen, dass alle diese Renegaten dort verheirathet sind, mithin
factisch und f�r immer sich zu marokkanischen B�rgern erkl�rt haben. Einem
einzigen Europ�er gelang es jedoch, sich eine achtenswerthe Stellung in
Marokko zu erringen. Freilich war auch dieser nur zum Schein Mohammedaner
geworden, und, zugleich mit mir die Hauptstadt Fes betretend, hat er jetzt
seit langem Marokko den R�cken gekehrt. Es ist dies der Spanier Joachim
Gatell, der in Marokko den Namen Ismael angenommen hatte. Da in seiner
Beschreibung "L'ouad Noun et el Tekna" eine interessante Schilderung des
marokkanischen Kriegslebens enthalten ist, so lasse ich sie hier �bersetzt
aus den Bulletins de la Soci�t� de Geographie de Paris folgen.

Auf der 279. Seite erz�hlt Gatell: "Im Jahr 1861 war so eben der Krieg
zwischen Spanien und Marokko beendet. Die Erz�hlungen, welche man zu der
Zeit vom marokkanischen Volke machte, von den Sitten, vom Muthe, den
barbarischen Gebr�uchen, dem Fanatismus der Bewohner, erregten in mir die
Idee in das Innere des Landes einzudringen, trotz der F�hrlichkeiten, denen
ich dabei ausgesetzt sein konnte. Ich reiste also nach Fes ab, wo sich der
Hof befand, und, um besser meine Absicht zu erreichen, trat ich in die
regelm�ssige Armee des Sultans. Obschon ich nur �usserst wenig vom
Waffenhandwerk verstand, wurde ich gleich zum Officier bef�rdert." Nach
einer Schilderung der Campagne gegen die Beni Hassen, wobei Gatell zum Chef
der "Garde-Artillerie" des Sultans ernannt wurde, f�hrt er fort die
Expedition gegen die Rhamena zu schildern: "Wir hatten 29 St�ck, einen
M�rser eingeschlossen; aus den Magazinen von Arbat nahmen wir 55 Centner
Pulver in F�ssern, und ausserdem eine Menge fertiger Munition in Kisten
mit, und fingen so an die Aufst�ndischen zu verfolgen.["] Ein Theil der
Seragua-Kabylen vereinigte sich so eben mit den Rhamena, nichts desto
weniger ging auch jetzt die kaiserliche Armee mit marokkanischer W�rde und
Langsamkeit vorw�rts: es schien, als wenn wir einen Spaziergang im
Sonnenschein zu machen, keineswegs aber den Feind anzugreifen h�tten. Die
Hauptstadt war bedroht, aber um eine solche Kleinigkeit k�mmern sich dort
die Leute nicht. "--Wir werden zeitig genug ankommen, und wenn nicht, so
ist es Gottes Wille. Die marokkanische Majest�t darf nie Eile zeigen, oder
auch nur den Anschein haben sich zu sehr um den Gang der Ereignisse zu
k�mmern." Gatell erz�hlt sodann, wie man nicht den Bewohnern den Krieg
machte, sondern den Getreidefeldern, welche angez�ndet wurden, und als sie
endlich vier Stunden von Marokko im Angesichte der Rhamena waren, die
Aufst�ndischen auseinandergesprengt wurden; hiebei feuerte die Artillerie
15 Sch�sse ab und warf 8 Bomben.

Was die sogenannte schwarze Garde des Sultans von Marokko anbetrifft, die
"Buchari," die unter den fr�heren Kaisern, namentlich unter Mulei Ismael
eine so grosse Rolle spielte, so ist dieselbe heute sehr
zusammengeschmolzen; kaum einige hundert Mann stark, dient sie jetzt nur zu
Prunkaufz�gen, und scheint gegen den Feind nicht mehr verwendet zu werden,
wenigstens nahmen die Buchari am Kriege gegen Spanien keinen Antheil. Dem
ganzen Heere steht ein Schwarzer, Namens Abd-Allah, als Kriegsminister vor,
er hat das Verdienst ehemals als Sklave mit dem jetzigen Sultan auferzogen
worden zu sein. Unter ihm stehen verschiedene "Amin," welche f�r die
geldlichen und sonstigen Angelegenheiten der Armee zu sorgen haben. Nach
diesem Besuche bei der Armee wenden wir uns wieder zur Stadt Fes zur�ck.

Von den �brigen erw�hnenswerthen Geb�uden haben wir nur zwei Moscheen zu
nennen. Es ist dies zun�chst die Djemma Karubin (die den Cherubim gewidmete
Moschee). Diese Moschee ist wohl die gr�sste in ganz Nordafrika. Die
Bewohner Fes' behaupten, sie ruhe auf mehr als 360 S�ulen, ja Einige
sprachen von 800; ich konnte mich nat�rlich nicht daran machen sie zu
z�hlen, aber wenn man von dem Hofe der Moschee ins Innere sieht, glaubt man
einen Wald von S�ulen vor sich zu haben. Wenn man der Beschreibung von Leo
trauen darf, so hat die Djemma 31 grosse Thore, das Dach ruht auf 38 Bogen
der L�nge und 20 Bogen der Breite nach; es w�rde dies schon �ber 900 S�ulen
ergeben. Ali Bey giebt 300 S�ulen an.

Die Moschee Karubin liegt ziemlich im Mittelpunkt von Alt-Fes, und ist wie
fast alle Moscheen derart gebaut, dass sie aus einem grossen, von hohen
Mauern und Arkaden umgebenen Hofraum und aus einem bedeckten Theile
besteht, der eigentlichen Moschee. Ganz aus �berkalkten Ziegeln erbaut, ist
das Dach, oder vielmehr sind die Dachreihen ebenfalls mit Ziegeln � cheval
gedeckt, und nicht glatt. Das ziemlich hohe Minerat ist, wie �berall in
Marokko, �usserst plump und vierseitig aufgef�hrt. Im Hofe des Geb�udes
springen aus zwei reizenden und grossartigen Marmorfontainen
Wasserstrahlen, �berhaupt sind die Wasseranlagen, die kleinen H�uschen,
worin die vor dem Gebete nothwendigen Ablutionen verrichtet werden,
ausgezeichnet und zahlreich.

Der verdeckte Theil der Moschee hat wie alle diese Geb�ude vollkommen
nackte gegypste W�nde, der ganze Fussboden ist aber zum Theil mit kostbaren
Teppichen, und �berall wenigstens mit feinen Matten belegt. Auch an den
W�nden und um die S�ulen ziehen sich halbmannshoch h�bsche Strohmatten
hinauf. Wie in allen Moscheen des Rharb ist an und in der �stlichen Wand
die Nische, welche die Gebetsrichtung "Kibla" angiebt. Gleich links davon
ist eine Treppe, von welcher herab Freitags das Chotba-Gebet abgelesen
wird. Der erste Priester der Moschee tritt nach einem kurzen Gebet, mit
einem langen Stock in der rechten Hand versehen, auf die dritte Stufe (die
Treppe enth�lt f�nf oder sechs Stufen), und liest dann mit einf�rmiger
Stimme das Freitagsgebet ab, der Schluss ist immer von einem Gebete f�r den
jemaligen Regenten begleitet; im ganzen Rharb, d.h. Marokko, und
auch in den s�dalgerischen Ortschaften bezieht sich das Gebet auf
Mohammed-ben-Abd-er-Rhaman, im Osten aber, incl. Tunis und Aegypten, auf
Abd-ul-Asis-Chan. Ob die Mohammedaner in Algerien, wie fr�her f�r den
T�rkensultan, heute noch f�r denselben F�rsten den Segen herabflehen,
oder f�r den jemaligen franz�sischen Regenten, kann ich nicht sagen.

Die Moschee Karubin hat das Eigenth�mliche, dass _mehrere_ Mimber oder
Gebetstreppen vorhanden sind. Freitags zum Chotba-Gebet wird allerdings nur
die eine links von der Gebetsnische befindliche benutzt, aber die �brigen
dienen als Lehrst�hle, von denen aus zu sonstiger Zeit den Gl�ubigen
gepredigt und gelehrt wird. Wenn aber Ali Bey meint, nur die Karubin, habe
den Vorzug eine besondere Abtheilung f�r Frauen zu haben, und es sei dies
zu verwundern, weil Mohammed den Frauen im Paradiese keinen Platz zuerkannt
habe, so kann ich entgegnen, dass die Frauen in allen Moscheen Zutritt
haben. F�r gew�hnlich gehen die mohammedanischen Frauen allerdings Behuf
des Gebetes nicht in die Moschee, keineswegs aber ist den Frauen die
Moschee verboten, ebensowenig wie den Frauen das Mekka-Pilgern verboten
ist. Es ist ein Irrthum zu glauben Mohammed habe den Frauen das Paradies
verschlossen, in der 17. Sure heisst es w�rtlich[86]: "die in Geduld
ausharren, werden wir mit herrlichem Lohn ihr Thun belohnen. Wer
rechtschaffen handelt, _sei es Mann oder Frau_, und sonst gl�ubig ist,
wollen wir ein _gl�ckliches Leben_ geben, und ausserdem noch mit
_herrlichem Lohn_ sein Thun vergelten." Und an vielen anderen Stellen
im Koran, namentlich noch in der 13. Sure erw�hnt Mohammed der Frauen als
Theilnehmer der zuk�nftigen Paradiesesfreuden.

      [Fu�note 86: Uebersetzung des Koran von Dr. Ullmann, Bielefeld,
       1867.]

Was die Architektur der grossen Karubin anbetrifft, so ist dieselbe
keineswegs eine sch�ne zu nennen. Zumal von aussen, wo dies grosse Geb�ude
eingepfercht zwischen Buden und H�usern sich befindet, nimmt es sich h�chst
unvortheilhaft aus, �berdies lassen sich immer nur einzelne Partien, da wo
Thore sind, �berblicken. Aber selbst wenn die Karubin frei st�nde, w�rde
sie sehr unharmonisch aussehen, da die einzelnen Theile in gar keinem
Verh�ltniss zum Ganzen stehen. Die H�he der Moschee, die H�he der S�ulen,
etwa 20 Fuss hoch, ist viel zu gering zur kolossalen Baute, um einen guten
Anblick zu gew�hren. Der Hof w�rde einen vorteilhaften Eindruck machen,
erh�ht durch die beiden herrlich skulptirten Marmorfontainen (diese sind
nach den Aussagen der Bewohner von Fes von europ�ischen Renegaten
gemeisselt), wenn nicht hier dieselben Missverh�ltnisse zu Tage tr�ten.
Dazu kommt noch, dass der Mohammedaner, und namentlich der Araber, der
geschworenste Feind von Symmetrie ist. Hier stehen zwei S�ulen 8 Fuss, dort
7 Fuss auseinander, hier ist eine S�ule 21 Fuss hoch, dort 20 oder 22 Fuss.
Hier ist eine einfache, dort eine Doppels�ule, hier hat eine S�ule, dort
keine ein Capit�l. Dazu sieht das Ganze so gedr�ckt aus, als wenn Alles
halb in den Boden hinein versunken w�re.

Es ist in keiner Zeichnung bis heute den Arabern gelungen etwas
Symmetrisches zu schaffen, und im Grossen wie im Kleinen, in der Baukunst,
in der Weberei, in ihren Arabesken, in ihren Holzschnitzereien, in ihrer
Plafondirung, in ihrer Parquetirung, �berall tritt uns die
Unregelm�ssigkeit st�rend entgegen. Es giebt keinen einzigen von Arabern
gewebten Teppich, dessen Muster so wie es angefangen zu Ende gef�hrt ist,
es giebt kein Zelt, welches aus gleichm�ssig gewebten St�cken vollendet
ist, ein arabischer Haik (d.h. Tuch) hat sicher, falls an der einen Seite 3
Streifen als Einfassung sind, an der anderen 2 oder 4, es giebt keine Th�r,
die eine vollkommen durchgef�hrte Holzschnitzerei aufzuweisen h�tte, und es
giebt keinen einzigen Bau, der einen vollkommen durchgef�hrten Plan
erkennen liesse. Ich kann, nicht umhin hier anzuf�hren, dass wir da, wo die
Araber allein gebaut haben, nirgends ein vollkommen sch�nes Product der
sogenannten maurischen Architektur vorfinden. An der ganzen Nordk�ste von
Afrika finden wir nirgends eine Baute, die sich durch vollkommene Sch�nheit
auszeichnete, in ihrem eigenen Vaterlande noch weniger. Aus den Abbildungen
von Niebuhr ersehen wir, dass die Moscheen von Mekka und Medina plumpe,
rohe Geb�ude sind. Vollkommen sch�ne maurische Geb�ude finden wir nur da,
wo die Araber mit Christen untermischt sesshaft waren: in Spanien und
Syrien. M�glicherweise m�gen christliche Architekten, christliche
Handwerker und Sklaven mehr ihre Hand dabei im Spiele gehabt haben, als wir
heute wissen. Es k�nnte nach vier- oder f�nfhundert Jahren mit den
Prachtbauten, die von Mohammed Ali Pascha bis auf Ismael Pascha in Aegypten
errichtet werden, ebenso ergehen, d.h. k�men unsere Nachkommen nach einer
solchen Spanne Zeit nach Aegypten, so w�rden sie sagen, dass die Aegypter
unserer Tage es wohl verstanden h�tten, in der maurischen Architektur
Prachtbauten zu errichten. Heute aber haben wir gl�cklicherweise feste und
t�gliche geschichtliche Aufzeichnungen, wir wissen, dass die Moscheen und
Pal�ste in Aegypten, die in diesem Jahrhundert dort erbaut wurden, nicht
von Arabern oder Aegyptern herr�hren, sondern von europ�ischen Architekten
und Handwerkern errichtet worden sind; ich nenne unter ersteren bloss Hrn.
Franz von Darmstadt und den verewigten v. Diebitsch von Berlin.

Mit der Karubin ist ein Geb�ude verbunden, welches die ziemlich bedeutende
Bibliothek, nat�rlich nur aus Manuscripten zusammengesetzt, enth�lt; nach
einer oberfl�chlichen Sch�tzung, die ich machte, sind wenigstens
f�nftausend B�nde vorhanden. Der ganze B�cherschatz befindet sich �brigens
in einem sehr verwahrlosten Zustande, und es ist ein Wunder, dass Staub und
Motten nicht schon gr�ssere Verw�stungen angerichtet haben. Es ist ziemlich
leicht B�cher von der Bibliothek zum Lesen zu bekommen, auch ist es
gestattet Abschriften zu nehmen (nat�rlich nur den Gl�ubigen), es ist aber
streng untersagt, irgendwie ein Buch zu entlehnen, um es mit nach Hause zu
nehmen, und da die dortigen Bibliotheken mit unseren Einrichtungen,
Katalogen, Scheinen und dergleichen nicht bekannt sind, ist diese Massregel
sehr nothwendig.

Es wird heutzutage noch immer in der Karubin gelehrt, obgleich von der
einst so ber�hmten Schule nur noch ein schwacher Schatten �brig ist. Man
legt den Koran aus, d.h. disputirt �ber �ussere Kleinigkeiten, denn am
eigentlichen Dogma darf nicht ger�ttelt werden; wer nur im Geringsten
zweifelte an irgend einem Glaubenssatze, w�rde gleich als Ketzer
beschuldigt werden, w�rde des Abfalls vom Islam geziehen werden, und da in
Marokko noch wie ehedem bei uns f�r dergleichen Zweifler die Todesstrafe
bl�ht, so h�tet sich wohl Jeder irgendwie an einem Worte des Buches,
welches vom Himmel herabgekommen ist, zu r�tteln. Dagegen h�rt man die
gelehrtesten Erkl�rungen �ber Formen und Aeusserlichkeiten, z.B. ob
Mohammed am Feste nach dem ersten Ramadhan ein _schwarzes_ oder
_weisses_ Lamm geopfert habe, wie gross die H�lle sei, ob im Paradiese
auch die und die Speise w�rde verabreicht werden, und dergleichen
Albernheiten mehr. Es werden sodann die vier Species gelehrt, aber nur auf
nothd�rftige Art und Weise; ich bemerke hiebei, dass der Marokkaner, mit
Ausnahme der Addition, bei dem Abziehen, Vervielf�ltigen und Theilen ganz
andere Verfahren in Anwendung bringt, als wie wir sie in unseren Schulen zu
erlernen pflegen. Auch geographischer Unterricht wird ertheilt, oder soll
vielmehr gelehrt werden, denn in einem Lande, wo man von Erdbeschreibung so
wenig Kenntniss hat, dass man die Vorstellung hegt, Portugal sei gr�sser
als Frankreich, sieht es gewiss traurig mit der Kenntniss der Erde aus. So
glauben denn auch die Marokkaner, dass ihr Land das gr�sste und ihr Volk
das erste und m�chtigste der Welt sei.

Auch Astronomie wird getrieben, aber nur in Verbindung mit Astrologie.
Einige der gelehrten Marokkaner stehen auf dem Ptolem�ischen Standpunkte,
sie haben eine Idee von den grossen Planeten; dass die Erde sich um die
Sonne dreht, darf �brigens nicht gelehrt werden, wenn man sich �berhaupt zu
einer solchen Vorstellung emporschwingen k�nnnte [k�nnte], es steht das im
Widerspruch mit dem Koran. Es giebt sodann Geschichtslehre und im ganzen
kann man dieser Lehrabtheilung noch den gr�ssten Beifall zollen. Ich h�rte
interessante Vorlesungen derart mit an, welche die Geschichte der Araber im
Bled Andalus (Spanien) zum Gegenstand hatten. Endlich ist eine Abtheilung
f�r Djerumia, d.h. arabische Grammatik vorhanden, die aber auch aus dem
Gew�hnlichen nicht herauskommt.

Alle diese F�cher werden in der Karubin selbst gelehrt, so dass man hier zu
jeder Tageszeit auf Lehrer und Sch�ler st�sst. Die Lehrer sind aus dem
Fonds der Moschee besoldet und zum Theil die Sch�ler auch, alle haben
wenigstens freies Logis und freie Kost. Die Karubin wird f�r eine der
reichsten Moscheen gehalten, ein Drittel der L�den oder Gew�lbe in Fes
geh�ren ihr zu, die Aecker und G�rten sind zahlreich, und wenn manchmal
auch die fr�heren Machthaber von Fes sich aller Eink�nfte der Moschee und
ihrer G�ter bem�chtigten, so machten daf�r andere dies doppelt wieder gut.
Die mohammedanische Geistlichkeit hat ebenso gut einsehen gelernt wie
andere, dass die Macht der Geistlichkeit auf _Geld und Grundbesitz_
beruhe, und, eigenth�mlich genug, obschon auch Mohammed lehrt wie Jesus
Christus, "ihr sollt kein Gold und Silber in euren Taschen tragen," "ihr
sollt dem Mammon nicht dienen," sehen wir, dass die mohammedanische
Geistlichkeit nicht weniger darauf bedacht ist Sch�tze anzusammeln, um zu
Macht zu kommen, als die aller anderen Religionen.

Wie reich die Karubin schon zur Zeit Leo's war, geht aus seiner
Beschreibung hervor: "die t�gliche Einnahme macht 200 Ducaten [87] aus, in
der Nacht z�ndet man 900 Lampen an, ausserdem giebt es grosse Leuchter, von
denen jeder Platz f�r 1500 Lampen hat etc." Jene grossen Leuchter m�ssen
wohl im Laufe der Zeit verschwunden sein; aus christlichen Glocken, wie Leo
erz�hlt, geschmolzen, dienten sie einem Sultan vielleicht sp�ter dazu, in
Kanonen umgegossen zu werden. Die zahlreichen �brigen Oell�mpchen und
grossen Krsytallkronleuchter [Krystallkronleuchter] sind aber noch
vorhanden. In einem anstossenden Zimmer befinden sich noch verschiedene
grosse Uhren, Compasse, Magnete u. dergl., ohne dass ich eigentlich w�sste,
dass man sich dieser Sachen bediene.

      [Fu�note 87: "Ducaten" in der deutschen Uebersetzung Leo's von
       Lorsbach, ist wohl dahin zu verstehen, dass Ducaten = einem Metkal,
       also ungef�hr = 1 Fr. 25 C. ist, aber immerhin w�rde die t�gliche
       Summe 250 Fr. f�r damalige Zeit eine grosse Summe sein.]

Die andere Moschee, welche wegen ihrer eigenth�mlichen Bauart einerseits,
dann wegen ihrer Ber�hmtheit als Asyl zu nennen ist, ist die, welche den
Namen und die irdischen Reste des Gr�nders der Stadt tr�gt, die Djemma el
Mulei Edris. Sie ist dicht bei der vorigen gelegen, nur durch eine schmale
Gasse davon getrennt. Sie zeigt sich eigentlich auch nur von dieser Gasse,
Bab es ssinsla[88], Kettenthor genannt, mit einem grossartigen und h�bschen
Portale in Hufeisenform, alle anderen Seiten sind ummauert. Die Mulei Edris
Moschee unterscheidet sich dadurch von allen �brigen kirchlichen Geb�uden
Marokko's, dass sie keinen Hof hat, denn eine kleine Arkadenreihe ist
offenbar erst sp�ter angelegt. Es deutet dies auf das hohe Alterthum des
Geb�udes hin, wobei man die Nachahmung des christlichen Tempels noch
wahrnehmen kann.

      [Fu�note 88: Bab es ssinssla oder ssilsla = Kette, weil sie mit einer
       eisernen Kette quer�ber abgeschlossen ist, jedoch so dass man zu
       Fusse an beiden Seiten vorbeigehen kann. Aber hier in dieser
       heiligen Strasse, bei dem Portale Mulei Edris' vorbei, darf kein
       Jude (Christen kommen ja ohnedies nicht nach Fes) sich zu zeigen
       wagen, Tod oder sein Uebertritt zum Islam w�rde unmittelbare Folge
       einer Ueberschreitung des Verbotes sein. Aber auch Gl�ubige d�rfen
       in dieser Strasse nicht rauchen oder sich dem Opium- und
       Haschisch-Genusse hingeben.]

Das Hauptgeb�ude, welches auf einen kleinen von Arkaden eingeschlossenen
Vorhof folgt, besteht in einem einzigen nach Osten gerichteten Schiffe;
fast viereckig von Form, ohne S�ulen wird das Ganze von einem sehr hohen
achteckigen Dache bedeckt, welches inwendig aus Holzskulpturen besteht,
dessen �ussere Seite jedoch Ziegel zeigt. Diese Dachziegeln sind bei allen
monumentalen Geb�uden immer selber Art und auf selbe Art gelegt, wie in
Italien und Spanien. Dicht bei der Kibla-Nische befindet sich das pr�chtige
Grabmal Mulei Edris', dessen kostbare Tuchdecken alle Jahre erneuert
werden. Das Innere der Moschee enth�lt ausserdem viel Gold und Silber,
Ger�the, Offranden, was eigentlich gegen die Satzungen des Koran streitet.
Auch an der Aussenwand der Djemma el Mulei Edris befindet sich eine
silberne Tafel mit massiv goldenen und erhabenen Buchstaben, welche eine
Legende der Erbauung der Moschee enth�lt. Diese Tafel ist, um der Witterung
vollkommen widerstehen zu k�nnen, unter Glas.

Die Moschee, welche Asyl ist, d.h. wo gefl�chtete Verbrecher vor der
Verfolgung weltlicher Gerechtigkeit sicher sind, ist ausserdem Sauya.
Freilich ist mit dieser Sauya kein religi�ser Orden verbunden, der
eigentliche religi�se Orden Mulei Edris befindet sich in Uesan, aber sonst
hat sie nicht nur Einrichtungen, um Pilger zu beherbergen und zu bewirthen,
sondern auch eine grossartige Schule ist damit verbunden.

Alle �brigen Moscheen von Fes, obschon noch sehr grosse vorhanden, so
namentlich eine von Mulei Sliman in Neu-Fes errichtete, sind gegen diese
beiden gehalten kaum der Beschreibung werth. Es befinden sich im ganzen
jetzt in Fes eilf Moscheen, in welchen Freitags das Chotba-Gebet gehalten
wird, welchen man also gewissermassen den Rang unserer christlichen
Pfarrkirchen zuerkennen k�nnte. Im �brigen giebt es aber noch eine sehr
grosse Anzahl Moscheen, manche gr�sser an Umfang als jene, worin Chotba
gelesen werden, obschon die Zahl von 700, welche Leo anf�hrt, heute nicht
mehr existirt und auch wohl zu seiner Zeit �bertrieben war.

Ebenso existiren heute nicht jene zwei Collegien f�r Studenten, von denen
Leo so grossartige Berichte giebt; ausser den Lehrst�hlen an der Karubin
hat Fes nur niedrige Schulen, Medressa, worin den Sch�lern nothd�rftig und
mechanisch lesen und schreiben gelehrt wird. Solcher Schulen giebt es eine
grosse Anzahl, vielleicht �ber hundert.

Hospit�ler hat Leo auch aufgef�hrt, es sind dies aber keine Hospit�ler nach
unserem Sinne, d.h. Krankenh�user, sondern vielmehr Hospit�ler (Gasth�user)
im wahren Sinne des Wortes. Schon die Beschreibung, die Leo davon giebt,
deutet darauf hin, dass man es zu seiner Zeit ebenso wenig mit Hospit�lern
oder Lazarethen nach unserem Sinne zu thun hatte. Es sind dies Stifte, wo
Pilger, Reisende, m�de Wanderer ausruhen k�nnen, und w�hrend einer gewissen
Zeit unentgeltlich Kost und Logis erhalten. Es war dieser Brauch, in den
St�dten solche Stifte zu haben, nicht nur in mohammedanischen L�ndern
heimisch, sondern zur Zeit, als das Gasthofleben noch nicht so ausgebildet
war wie jetzt, auch in allen christlichen L�ndern zu finden. In vielen
europ�ischen St�dten existiren noch jetzt solche Einrichtungen, z.B. in
Savoyen, in Frankreich und Italien. Eigentliche Hospit�ler, d.h.
Krankenh�user, giebt es in Fes nicht.

Indess besitzt Fes eine Anstalt, wie sie keine andere Stadt Marokko's
aufzuweisen hat; eine Irrenanstalt oder vielmehr ein Narrenhaus. Man denke
sich aber keineswegs eine Anstalt, welche Heilung oder Wohlbehagen dieser
ungl�cklichen Gesch�pfe im Auge h�tte, mit dergleichen Versuchen plagt sich
der Mohammedaner nicht. Man findet in diesem Geb�ude, in dem zur Zeit als
ich es besuchte etwa 30 Individuen sein mochten, nur Tobs�chtige oder Irre,
die durch ihr Wesen dem Nebenmenschen sich gef�hrlich gemacht haben;
gutm�thige Narren, Idioten u.s.w. l�sst man ruhig laufen, ebenso die
religi�s Wahnsinnigen, die noch obendrein als Heilige verehrt werden.

Der Zustand in diesem Narrenhause ist ein entsetzlicher, und es gleicht
dasselbe mehr einer Gef�ngnissh�hle als sonst einem Geb�ude. In langen
Zimmern, worin auf dem blossen Steinboden im gr�ssten Schmutze
halbverhungerte Gestalten mit dicken eisernen Ketten an die W�nde
festgemauert sind, fast alle nackt, ohne jegliche Pflege und Sorgfalt,
verbleiben diese Ungl�cklichen hier, um die Welt nie wieder zu betreten.
Die Anstalt selbst wird durch Verm�chtnisse unterhalten.

Erw�hnt zu werden verdienen sodann die vielen B�der, welche zum Theil
Privaten geh�ren, zum Theil Eigenthum der Regierung oder der Moscheen sind.
Eingerichtet sind sie wie alle warmen B�der im Orient, in Aegypten oder den
�brigen Berberst�dten, so dass ich eine specielle Beschreibung nicht f�r
nothwendig halte. Der Luxus der algerinischen oder �gyptischen B�der ist
hier aber nicht bekannt, Handt�cher zum Abtrocknen werden nicht gereicht,
daf�r sind sie aber auch so billig, dass selbst der Aermste sich h�ufig den
Genuss einer gr�ndlichen Reinigung gew�hren kann. Die B�der geringster
Sorte kosten nur 3 Flus, die theuersten nicht ganz 2 Mosonat.

Gasth�user oder Fenaduk (pl. von Funduk) giebt es zweierlei Art in Fes. Es
m�chte auffallen, dass bei der Anwesenheit von Sauyat bei der Einrichtung
der eben erw�hnten Hospizen, ausserdem noch Gasth�fe nothwendig sind,
namentlich wenn man in Erw�gung zieht, dass der Marokkaner der gastfreieste
Mensch der Welt ist. Und dennoch ist dem so. Die Gastfreiheit ist auf dem
Land eine fast m�cht' ich sagen unbegrenzte; aber in den St�dten, wo
t�glich ein so grosser Zusammenfluss von Fremden ist, wird sie nat�rlich
nicht ge�bt. In den Sauyat und Hospizen ist es Regel, einen Fremden nicht
l�nger als drei Tage zu behalten. Man hat also, um die Fremden, welche
einen l�ngeren Aufenthalt nehmen wollen, zu beherbergen, Gasth�fe
einrichten m�ssen. Die grosse Zahl solcher Geb�ude spricht f�r den grossen
Fremdenverkehr in Fes, obschon die Zahl von 200, die Leo angiebt, wohl
�bertrieben ist.

Es giebt Fenaduk, welche gebaut sind, Menschen und Vieh zu beherbergen, und
solche die nur Platz f�r Menschen und allenfalls f�r ihre Waaren haben.
Erstere haben in der Regel eine entsetzliche Einrichtung. Ein grosser,
meist viereckiger und ungepflasterter Hofraum, wo sich Pferde mit Kameelen,
Maulthiere mit Eseln um den Platz streiten, wird von allen Seiten von
kleinen Zimmern umgeben, die nur Zugang und Licht durch eine kleine
niedrige Th�r bekommen. Meist sind diese Zimmer selbst nicht gr�sser, als
dass man ausgestreckt darin liegen kann. Von Aufwartung ist nat�rlich keine
Rede, der Neuangekommene muss, hat er �berhaupt Sinn f�r Reinlichkeit, den
Schmutz, den sein Vorg�nger als Andenken im Zimmer zur�ckgelassen
hat, eigenh�ndig hinauskehren. Ein Portier, der meist kauadji
(Kaffee-Ausschenker) ist, steht dem Ganzen vor, oft ist er Besitzer, oft
Verwalter, oft bloss Miether. Die Geb�hren stehen nat�rlich mit der
schlechten Einrichtung im Einklange, f�r ein Zimmer zahlt man
durchschnittlich t�glich nur eine Mosona, f�r ein Thier ebenso viel.

Viel besser sind die Fenaduk eingerichtet, wo man nur Reisende aufnimmt,
die ohne Thiere sind. Diese sind meistens mitten in der Stadt gelegen,
einige sogar in der eigentlichen Kesseria, dem Handelscentrum, der "B�rse"
k�nnte man fast sagen, von Fes. Grosse mehrst�ckige Geb�ude, sind die
Zimmer dieser Gasth�fe ger�umig, haben oft, ausser der Th�r nach dem Hofe
oder nach den Gallerien zu, noch vergitterte Fenster�ffnungen. Die Zimmer
sind gut ausgeweisst, der Fussboden mit "Slaedj" belegt, sonst aber ist von
M�beln nat�rlich nichts zu finden; aber der bemittelte oder reiche Kaufmann
hat auch sein ganzes Meublement bei sich: eine gute Matratze, ein Teppich,
einige Matten und Kisten vervollst�ndigen dasselbe. Es fehlt auch der
grosse Messingteller, ssenia, nicht mit dem Theetopf aus Britannia-Metall
und sechs kleinen Theetassen. Ein Bochradj, d.h. ein Kessel zum Sieden des
Wassers, ist auch unentbehrlich. Die Miethe von solchen Zimmern variirt von
vier Mosonat bis zu sechs und mehr per Tag. Die Kaffeebuden, welche sich am
Eingang oder im Innern eines solchen Funduk befinden, geh�ren zu den
besten.

Solche Wirthsh�user, wie Leo sie beschreibt, als von unanst�ndigen Wirthen,
sog. el kahuate bewohnt, wo auch l�derliche Weibspersonen sich
herumtreiben, giebt es jetzt in Fes nicht mehr, vor den Thoren ist
allerdings ein Viertel, welches in dieser Hinsicht in schlechtem Rufe
steht; eigentliche Prostitution aber findet man �berhaupt in Marokko nur in
Mikenes.

Dagegen giebt es zahlreiche Kaffeeh�user, wo Kif, d.h. das getrocknete
Kraut vom indischen Hanfe (Can. indica) geraucht und gegessen wird, auch
Opium wird in diesen Kaffeeh�usern gegessen; die Sitte des
_Opiumrauchens_ kennt man im Rharb nicht. Die Polizei oder Regierung
thut gegen diese sch�dlichen Gen�sse nichts, wie denn auch Haschisch und
Opium mit Taback zusammen nur von solchen Kaufleuten in der Stadt verkauft
wird, die sich dazu einen Schein von der Regierung gekauft haben. Es
herrscht also--denn nicht nur in Fes ist dies der Fall, sondern in allen
binnenl�ndischen marokkanischen St�dten--f�r die St�dte eine Art Taback-,
Opium- und Haschisch-Regie.

Anst�ndige Leute h�ten sich indess wohl, in solche Kaffeeh�user zu gehen,
obschon fast Jeder in Fes dem Gen�sse des Haschisch fr�hnt, aber nur
heimlich und im Innern der Wohnung. Desto strenger ist dagegen der Verkauf
von Schnaps und Wein verboten, obschon beides in Fes f�r Geld und gute
Worte zu haben ist; ersterer wird von den Juden destillirt aus Feigen,
Rosinen oder Datteln, wird wohl auch von Gibraltar her eingeschmuggelt;
letzterer wird in der Lesezeit von Juden sowohl wie von Mohammedanern
bereitet.

Es w�rde zu weit f�hren, wollten wir alle Handwerke, Industrien,
Manufacturen und Handelszweige einzeln auff�hren. Es gen�gt, wenn wir hier
vorzugsweise das nennen, wodurch Fes heut excellirt, und wenn wir
hervorheben, dass selbst heute Fes noch immer den ersten Rang unter allen
Handelsst�dten vom ganzen Rharb einnimmt.

Um letzteres zu erh�rten, f�hre ich nur an, dass mir w�hrend meines
Aufenthaltes in Fes manchmal Facturen gezeigt wurden, von franz�sischen,
englischen oder spanischen Handlungsh�usern herstammend, die sich auf
50,000 Frcs. beliefen. Man kann in der That also wohl behaupten, dass Fes
auch Engros-Handel besitzt, wie es denn wirklich vornehme Kaufleute genug
dort giebt, welche mit Marseille, Gibraltar, Cadix oder Lissabon
Auseinandersetzungen haben, welche die eben angef�hrte Summe j�hrlich noch
�bersteigen. Es versteht sich von selbst, dass dieser Handel meist durch
Vermittlung abgeschlossen wird; aber auch oft genug kommt es vor, dass ein
Fessi auf der Pilgerfahrt nach Mekka Station in Marseille macht, dass er in
Gibraltar l�ngeren Aufenthalt hat, ja ich lernte Kaufleute in Fes kennen,
die direct, bloss um Waaren zu kaufen oder um Handelsbeziehungen
anzukn�pfen, eine Reise nach Cadix oder Lissabon unternommen hatten.

Alle diejenigen, welche in den berberischen Staaten gewesen sind, welche
sich in den leichter zug�nglichen St�dten Bengasi, Tripolis, Sfax, Tunis
und anderen Orten aufgehalten haben, wissen, wie gross das Vertrauen
europ�ischer Kaufleute ist; den Eingebornen werden oft Waaren von sehr
bedeutendem Werth auf Credit verabfolgt. Man borgt selbst Kaufleuten aus
dem fernen Innern, wo jede Reclamation, falls man betrogen w�rde, unm�glich
w�re. Und doch kommt es sehr selten vor, dass irgend Jemand sich eines
Betrugs schuldig macht. Von Timbuctu, Kano, Bornu, Mursuk und Rhadames
sehen wir Kaufleute auf Credit in Tunis, Tripolis oder Kairo Waaren
entnehmen; sie ziehen damit in ihre Heimath, jahrelang bleiben sie manchmal
verschollen, aber nachdem sie ihre Waaren verkauft haben, laufen immer
Gegenwaaren oder Gelder ein, und der europ�ische Kaufmann wird befriedigt.

So machen es die Fessi auch; die Waaren, welche sie sich en gros von Europa
holen, bestehen vorzugsweise in roher und verarbeiteter Seide, in
Baumwollenstoffen, Tuchen, Papier, Waffen, d.h. langen Flinten und S�beln,
Pulver, Thee, Zucker, Droguen und Gew�rzen. Es giebt �berhaupt jetzt fast
keinen Artikel, den man in Fes nicht f�nde.

Die Engros-H�ndler haben ihre Waaren bei sich im Hause, die meisten aber
haben zugleich ein Hanut, d.h. ein Verkaufsgew�lbe, wo sie entweder selbst
verkaufen oder verkaufen lassen. Der Punkt, wo der Haupthandelssitz ist,
heisst die Kessaria; derselbe liegt im Centrum von Alt-Fes, dicht bei der
Karubin- und Mulei-Edris-Moschee, die zum Theil von der Kessaria umgeben
sind.

Leo will das Wort Kessaria vom lateinischen Caesar ableiten; zur Zeit der
r�mischen Herrschaft h�tten in den mauritanischen St�dten einige ummauerte
Centren bestanden, damit die kaiserlichen Beamten hier ihre Zolle erh�ben,
und wo zu gleicher Zeit dann die innewohnenden Kaufleute die Verpflichtung
gehabt h�tten, mit ihren eigenen G�tern das Eigenthum der kaiserlichen
Regierung zu besch�tzen. Man findet �brigens den Ausdruck Kessaria als
Marktplatz in allen St�dten Nordafrika's.

In dieser Kessaria finden wir alle feineren und vorzugsweise die von Europa
kommenden Waaren. Die Kessaria besteht aus einem grossen Complex von nicht
f�r Thiere zug�nglichen Strassen, zum Theil durch H�user, zum Theil aber
auch nur durch Gew�lbe gebildet. Alle Strassen sind �berdacht. Wir haben
hier G�nge mit Buden wo Specereien, andere wo Essenzen, andere wo Thee und
Zucker[89], andere wo Porzellan, d.h. vorzugsweise Vasen, Gl�ser, Tassen
und Teller, andere wo Tuche, andere wo Seidenstoffe, andere wo Lederwaaren
verkauft werden. Auch Uhrl�den, zwei oder drei, ja sogar eine Pharmacie ist
vorhanden, wenn man so eine Ansammlung fast aller Medicamente, worunter
auch Chinin, Tartarus stib. und Ipecacuanha, nennen kann. Ein gewisser
Djaffar hat sich diese Medicamente von Lissabon geholt, und ein
Verzeichniss in portugiesischer Sprache zeigt zugleich die zu gebende Dose
an und die Krankheit, wogegen die Medicin gegeben wird.

      [Fu�note 89: Thee und Zucker wird in ganz Marokko als eine
       zusammenh�ngende Waare verkauft, wenigstens h�lt es sehr schwer Thee
       allein zu bekommen. Auf ein halbes Pfund Thee werden f�nf Pfund
       Zucker gerechnet. Der Thee selbst, von Engl�ndern importirt, ist von
       der gr�nen Sorte und schlechter Qualit�t.]

Tritt man aus der Kessaria heraus, so kommt man ins eigentliche
industrielle Leben hinein. Hier eine lange Reihe von Buden, wo gelbe, rothe
und buntfarbige Pantoffel verarbeitet werden, dort dicht dabei Gerber,
welche das buntgef�rbte weiche Corduan, Marocain- und Saffian-Leder
verkaufen. Zeigt schon der Name an, dass zuerst die Kunst, das Schaf- und
Ziegenleder zu jener sch�nen Weiche, mit der gr�ssten Z�higkeit verbunden,
zuzubereiten, von den Mohammedanern in Cordova erfunden wurde, sp�ter aber
die ber�hmtesten Gerbereien in Marokko selbst und noch sp�ter in Saffi
(Asfi) sich befanden, so scheinen heute die sch�nsten Leder in Fes bereitet
zu werden, wenigstens sind in ganz Nordafrika die Leder von Fes als die
feinsten und dauerhaftesten ger�hmt.

Aber man kommt nicht gleich aus der Kessaria in die labyrinthischen
Handwerkerstrassen, man hat, wenigstens auf dem Wege nach Neu-Fes hin,
zuerst die Blumenbuden zu durchwandern, und es bilden die Blumen einen
h�bschen Uebergang von der Industrie zum Handel. Es ist eigenth�mlich,
welche Vorliebe von jeher die Bewohner von Fes vor den �brigen Marokkanern
f�r Blumen gehabt zu haben scheinen, wie denn auch die Cultur derselben in
G�rten �berall hervortritt.

Das Haus, welches der Bascha-Gouverneur von Fes mir als Aufenthalt
angewiesen hatte, lag am Abhange der �stlichen H�gel. Von einem Arme des
Ued Fes durchflossen, waren ausser Orangen, Feigen, Oliven, Aprikosen,
Pfirsichen und Granaten, �berall bl�hende Rosenst�cke, grosse B�sche
Jasmin, Nelken, Veilchen und stark duftende Kr�uter.

Diese findet man denn auch vorzugsweise in der Blumenabtheilung, hier sind
Jasmin, Basilik, Nelken, Hyazinthen, Rosen, Narcissen, Pfefferminze,
Absinth, Thymian, Majoran, dort sind ganze Blumenbouquets, Meschmum en nuar
genannt, zu haben. Gem�se und Obstbuden schliessen sich daran.

Von solchen Gewerken, worin Fes noch heute vorzugsweise gl�nzt, nenne ich
ferner die T�pferwaaren. Grosse Sch�sseln, kleine Leuchter und Lampen und
dergleichen Gegenst�nde werden aus einem porcellanartigen Thone sehr sch�n
hergestellt. Nach Art unserer alten deutschen Thonwaaren sind sie mit
groben blauen Figuren bemalt und glasirt.

Hieran schliessend, erw�hne ich der "Slaedj," kleine Fliesen von bunten
Farben, die ebenfalls in Fes fabricirt werden. Wenn einst die
Waffenschmiede in diesen L�ndern ber�hmt waren, so sieht man jetzt in den
Gew�lben nur europ�ische Fabrikate ausgestellt. Ebenso haben die fr�her so
bekannten rothen M�tzen (daher der Name "Fes," den wir jetzt noch den
rothen M�tzen geben) sich nicht auf ihrer einstigen H�he halten k�nnen,
nicht nur die von Tunis sind jetzt bedeutend besser, sondern selbst in
Livorno werden sie billiger und sch�ner hergestellt. Besonders hervorheben
m�ssen wir sodann die Manufacturwaaren von seidenen Sch�rpen, 3-4 Fuss
breit, 40-50 Fuss lang; es sind diese seidenen von Gold durchwirkten Stoffe
das Kostbarste, was Fes auf den mohammedanischen Markt bringt, und
heutzutage das Einzige, worin es un�bertroffen dasteht.

Von allen �brigen Handwerken finden wir in Fes nichts, was die Stadt
vorzugsweise auszeichnete, aber alle sind in so grosser Menge vertreten,
dass man auf den ersten Blick sieht, es wird hier nicht bloss f�r die
Bed�rfnisse der Stadt gearbeitet, sondern f�r das ganze Land.

Die lange Strasse, welche Alt-Fes mit Neu-Fes verbindet, ist denn auch
weiter nichts als ein Bazar, und es herrscht hier nat�rlich die gr�sste
Frequenz, nicht nur weil alle Leute vorzugsweise diesen verh�ltnissm�ssig
breiten Weg benutzen, um von einer zur andern Stadt zu kommen, sondern auch
weil ein Hauptkarawanenweg hier durchf�hrt, auf dem sich best�ndig lange
Reihen von beladenen Kameelen, Maulthieren und Eseln fortbewegen. Verfolgt
man diesen Weg weiter nach Neu-Fes hinein, so findet man sich gleich darauf
vor dem ummauerten Stadttheile der Juden, der Melha. Die Juden aber d�rfen
_nur_ in Neu-Fes und hier abgesondert von den Gl�ubigen in einem
ummauerten Viertel, das gleich an das kaiserliche Palais st�sst, wohnen.
Und sie sind gern hier, denn so sehr sie auch den Vexationen und
Erpressungen der Regierung des Sultans ausgesetzt sind, so haben sie doch
l�ngst einsehen gelernt, dass es besser ist unter dem Schutze selbst der
despotischsten Herrschaft zu wohnen, als der Willk�r eines dummen und
fanatischen Volkes preisgegeben zu sein. Im Judenviertel herrscht �brigens,
was Handel und Wandel, was Industrie und Handwerke anbetrifft, eben das
gesch�ftliche und rege Treiben, wie in der Kessaria und den Strassen von
Alt-Fes.

Vorzugsweise sieht man Gold- und Silberarbeiten in den H�nden der Juden,
die Nadeln, welche dazu dienen, das Haar der Frauen oder ihre Kleider zu
befestigen, Fingerringe, Arm- und Fussb�nder (auch die marokkanischen
Frauen tragen oberhalb der Kn�chel schwere kupferne oder silberne Ringe)
werden fast ausschliesslich von den Juden hergestellt. Ebenso ist die
Secca, d.h. M�nze, nur von den Juden bedient. Es ist dies ein ziemlich
ansehnliches Geb�ude, welches Theil des Palastes des Sultans ist und
unmittelbar an die Melha anst�sst.

An einheimischen M�nzen haben die Marokkaner jetzt nur den Fls (pl. flus),
eine kleine Kupferm�nze, welcher auf einer Seite das Salomon'sche Siegel,
d.h. das bayerische Bierzeichen (zwei durcheinandergehende Dreiecke), und
auf der anderen Seite Jahreszahl und Pr�gungsort (auch in Tetuan befindet
sich eine M�nze) zeigt, dann zwei Flus-St�cke, udjein genannt, ebenfalls
gepr�gt. Sechs Flus bilden die imagin�re M�nze, Mosona genannt: eine Mosona
giebt es nicht gepr�gt. Sie ist ungef�hr gleich einem Sou.

Vier Mosonat bilden sodann eine Okia, d.h. Unze, ebenfalls nur ein
Ausdruck, aber acht Mosonat oder zwei Unzen ist die kleinste, und 10
Mosonat oder 2-1/2 Unzen die gr�sste _gepr�gte_ Silberm�nze. 10 Unzen
bilden die imagin�re M�nze Metkal. Und die einzige _gepr�gte_
Goldm�nze, Bendki genannt, besteht aus 2-1/2 Metkal. Im �brigen gelten die
franz�sischen und die spanischen Silberm�nzen im ganzen Lande, und
franz�sisches, spanisches und englisches Geld �berall n�rdlich vom Atlas.
Der einst so beliebte spanische Bu-Medfa-Thaler, so genannt von den beiden
Herkuless�ulen, welche die Marokkaner f�r Kanonen halten, ist fast ganz aus
dem Handel verschwunden, dagegen hat der franz�sische f�nf Francs-Thaler
Platz gegriffen. Frankreich l�sst f�r Marokko auch silberne 20
Centimes-St�cke schlagen[90], welche in Marokko im Werthe einer Unze
cursiren. Der �sterreichische Maria-Theresien-Thaler, der sonst in ganz
Afrika ohne Nebenbuhler herrscht, wird in Marokko �usserst selten
gefunden.

      [Fu�note 90: Wenigstens muss man so annehmen, da man in Frankreich
       selbst die 20 Cent.-St�cke fast gar nicht sieht, hingegen in Marokko
       sie �usserst zahlreich und von allen Jahrg�ngen vertreten findet.]

Die Maasse und Gewichte sind in Marokko fast f�r jede Stadt
_verschieden_, f�r die L�nge hat man die Elle, Draa mit Br�chen als
Unterabtheilung, dann Zoll, f�r das Gewicht das Pfund, Unze, Metkal
(letzteres f�r Goldstaub) f�r fl�ssige und trockene Sachen, endlich
verschiedene Maasse.

Administrirt wird die Stadt von zwei Gouverneuren, von denen der eine den
Titel "Bascha" hat und Alt-Fes vorsteht, w�hrend der andere "Kaid" genannt
wird und �ber Neu-Fes herrscht. Es scheint hieraus hervorzugehen,
einestheils dass die Regierung des Sultans beide St�dte als vollkommen
getrennt betrachtet, und andererseits Neu-Fes mehr als eine Festung
angesehen, w�hrend Alt-Fes als wichtiger gehalten wird, dadurch dass man es
von einem Bascha administriren l�sst. In den Wohnungen des Bascha und Kaid
wird zu gleicher Zeit t�glich Recht gesprochen. Der Kadi jeder Stadt findet
sich dort t�glich ein, und alle Rechtsf�lle werden auf der Stelle zur
Entscheidung gebracht. Es kann sodann an den Bascha oder Kaid appellirt
werden, und von diesen an den Grosswessier oder Sultan selbst.

Es kommt gar nicht selten vor, dass Kl�ger sich von dem Kadi an den Bascha
und von diesem an den Sultan wenden. Gegen Stockstrafe oder Knutenhiebe
wird fast nie remonstrirt, wohl aber gegen Geldbusse. Der Kadi and Bascha
haben Strafverm�gen in unbegrenztem Masse, indess werden selten Knutenhiebe
�ber 300 an der Zahl ausgetheilt, die Geldbussen aber so hoch wie m�glich
hinaufgetrieben. Gr�sserer Diebstahl hat immer das Abhacken zuerst der
linken, dann beim R�ckfall das der rechten Hand zur Folge. Hat man keine
H�nde mehr zum Abschlagen, so kommen die F�sse an die Reihe, oft bei
grossen Diebst�hlen oder gravirenden Umst�nden werden auch gleich die F�sse
abgehauen. So wurden einem Landbewohner, der im Sommer, als ich mich in Fes
befand, ein Pferd des Sultans gestohlen hatte, der rechte Fuss und die
linke Hand abgehackt. Das aus der Altstadt nach Neu-Fes zu f�hrende Thor
hat immer eine Menge solcher Troph�en auszuweisen, auch K�pfe von
hingerichteten Verbrechern haben hier ihren Ausstellungsort, w�hrend meiner
Anwesenheit in Fes sah ich indess keinen Kopf ausgestellt.

Das Recht wird �brigens vollkommen willk�rlich gesprochen, und Bestechungen
sind an der Tagesordnung.

In Neu-Fes war in den ersten sechziger Jahren ein Schwarzer, ein ehemaliger
Sklave Namens Faradji Kaid. Dieser hatte schon seit mehr als 50 Jahren
diesen Posten inne, und galt als ein Ph�nomen. Er hatte unter Sultan Sliman
die Stelle bekommen, sie unter Abd-er-Rhaman behauptet, und war auch von
Sidi Mohammed, dem jetzigen Sultan, best�tigt worden. Im ersten Jahre der
Regierung des jetzigen Kaisers wurde Faradji verl�umdet, man machte den
Sultan auf seine ungeheuren Reichth�mer aufmerksam, man deutete darauf hin,
dass Faradji, der doch ehemals nur Sklave gewesen, diese grossen
Reichth�mer wohl nur durch Erpressung, Bestechung oder gar dadurch, dass er
sich am Eigenthum des Sultans selbst vergriffen, habe erwerben k�nnen. Der
Sultan liess Faradji kommen, und befahl ihm, da er geh�rt habe Faradji habe
_fremdes_ Eigenthum, er �berdies ja als ehemaliger Sklave nichts
besessen habe, das fremde Eigenthum, und namentlich das was ihm, dem
Sultan, zukomme, von seinem zu sondern. Der schlaue Faradji erwiederte
nichts, ging in den Pferdestall des Sultans, entledigte sich seiner
Kleidungsst�cke, zog einen alten wollenen Kittel �ber, und fing an den
Stall zu kehren. Der Sultan fragte einige Zeit sp�ter nach Faradji, und war
erstaunt als derselbe im �rmlichsten Anz�ge vor ihm erschein. Befragt,
warum dies, erwiederte er: "Ja Herr, Du befahlst meine Habe von der
Deinigen zu trennen! Als ich von Deinem Grossoheim Mulei Sliman gekauft
wurde, hatte ich nichts als diesen wollenen Sklavenkittel, den ich zum
Andenken meiner Herkunft aufbewahrt habe, und auch dieser geh�rt ja, streng
genommen, nicht einmal mir, wie konnte ich also mein Eigenthum von Deinem
trennen, bin ich nicht noch immer Dein Sklave? Lass von Deinem Diener alles
nehmen, alles was ich verwaltete, ist Dein rechtm�ssiges Eigenthum."

Man kann sich denken, dass der auf diese Art die Grossmuth des Sultans
anrufende Faradji leichtes Spiel hatte, in der That umarmte ihn Sidi
Mohammed, und Faradji wurde aufs neue in seine Kaidw�rde eingesetzt, und
ihm alle seine G�ter gelassen. Als der Sultan von Neu-Fes nach Mikenes
�bersiedelte, besuchte ich mehreremal Faradji, er war immer sehr freundlich
und zuvorkommend, pflegte den ganzen Morgen, auf einem Teppich sitzend, vor
dem Magazin (es ist dies der officielle Ausdruck f�r das Palais des
Sultans, und bedeutet zugleich die ganze Regierung) zuzubringen. Faradji
war ein stattlicher schwarzer Greis mit intelligenten Gesichtsz�gen und
sch�nem, wenn auch nur sp�rlichem weissem Barte. Seiner eigenen Meinung
nach war er 1863 neunzig Jahre alt, was wohl eher zu wenig als zu viel sein
d�rfte, da er schon unter Sultan Sliman[91], also zur Zeit als Ali Bey
Marokko besuchte, Kaid war.

      [Fu�note 91: Die jetzige Dynastie in Marokko wird die der Filali
       genannt, weil der Gr�nder Mulei Ali ans Tafilet (der Bewohner
       Tafilets heisst ein Filali) stammt. Dessen Sohn Mulei Mohammed wurde
       von seinem Bruder Mulei Arschid vom Throne gest�rzt, und dieser, der
       von 1664-1672 regierte, war nach Jussuf ben Taschfin der m�chtigste
       Monarch. Die Grausamkeit dieses Sultans wurde von den raffinirten
       Grausamkeiten Mulei Isma�ls, der sein Bruder war und ihm 1672
       folgte, noch �bertroffen. Isma�l, jetzt einer der gr�ssten Heiligen
       von Marokko, regierte bis 1727. Nach ihm folgte Mulei Ahmed Dehabi,
       vierter Sohn Isma�ls, regierte jedoch nur bis 1729; sein Bruder
       Mulei-Abd-Allah folgte bis 1757, und nach ihm kam sein Sohn Sidi
       Mohammed, der bis 1790 regierte und im Jahre 1760 Mogador gr�ndete.
       Die beiden folgenden S�hne, Mulei Mohammed Mahdi el Tisid und Mulei
       Haschem regierten nach einander zusammen nur zwei Jahre. Mulei
       Sliman behauptete sodann den Thron von 1792-1822, und nach ihm
       regierte Mulei Abd-er-Rhaman ben Hischam bis 1859, und dessen
       zweiter Sohn, Sidi Mohammed, behauptet heute noch den Thron.]

Si Mohammed ben Thaleb, der Bascha von Alt-Fes, dessen Gast ich w�hrend der
ganzen Zeit meines Aufenthalts in Fes war, hatte freilich ein ganz anderes
Schicksal. Er war ein Mann von rechtlichem Charakter und vollkommen
vorurteilsfrei, was in Marokko viel sagen will; ich finde in meinem
Tagebuch sogar die Notiz: "Ben Thaleb war der einzige wirklich ehrliche und
durchaus rechtliche Mensch, den ich in Marokko kennen lernte." Geb�rtig aus
Ain Tifa, einem Orte etwa einen Tagemarsch s�d�stlich von der Stadt
Marakisch gelegen, war er fast unabh�ngiger Herrscher �ber eine dortige
Berbertribe, welche seiner eigenen Aussage nach sieben Hauptst�mme
umfasste. M�chtig und reich (er verkaufte j�hrlich f�r etwa 200,000 Fr.
Mandeln nach Ssuera), w�re er gewiss lieber in seiner Stellung als
Berberchef geblieben, wie er �berhaupt nie fr�hlicher und vergn�gter war,
als wenn seine Stammgenossen, Berber von der Heimath, ihn in Fes besuchten
und er mit ihnen Schellah oder Tamashirt reden konnte. Aufst�nde, wie sie
so h�ufig in Marokko vorkommen, verwickelten seine Berberst�mme im Jahre
1846 gegen die kaiserliche Regierung; Ben Thaleb selbst betheiligte sich
jedoch nicht daran, sondern hielt mit seiner ganzen Familie zum Sultan. Der
Aufstand endete, wie in der Regel, mit der Niederlage der Rebellen, der
Sultan Abd-er-Rhaman aber, um einen so m�chtigen Stamm f�r immer an sein
Haus zu ketten, ernannte ihren Schich Ben Thaleb zum Bascha-Gouverneur von
Fes, welche Stelle als die erste nach dem U�sirat (Ministerium) im ganzen
Reich betrachtet wird. Der Berberstamm wurde durch eine so schmeichelhafte
Auszeichnung, die seinem Chef widerfuhr, vollkommen zum Sultan
hin�bergezogen, und auch Ben Thaleb schien diesen Platz, der mehr als jeder
andere abwirft, zuerst nicht ungern angenommen zu haben.

Indess schon zu Lebzeiten Mulei-Abd-er-Rhaman's war Ben Thaleb wiederholt
um seinen Abschied eingekommen, er hatte in Erfahrung gebracht, dass ein
Gouverneur von Alt-Fes, der reichsten Stadt des Landes, nie eines
nat�rlichen Todes st�rbe. In Marokko haben n�mlich die Beamten eine ganz
andere Stellung als bei uns. Nicht dass sie vom Staate, wie denn dort Staat
und Sultan noch eins sind, oder vom Herrscher Gehalt bekommen, m�ssen sie
im Gegentheil der Regierung, oder der Casse des Sultans, Gelder abliefern.
Sie k�nnen allerdings daf�r von ihren Schutzbefohlenen so viel erpressen,
wie sie wollen. Da nun jeder Beamte darauf ausgeht, seinen S�ckel zu
f�llen, ausserdem aber grosse Summen dem Sultan abzuf�hren hat, so kann man
sich denken, wie schlecht das Volk dabei f�hrt, und meistens sind
Uebersteuerungen und willk�rliche Erpressungen die Ursachen der so h�ufigen
Revolten. Es ist dieses System auch andererseits Ursache der schlechten
Cultur des Bodens; abgesehen davon, dass weder Berber noch Semiten je etwas
im Ackerbau geleistet haben, giebt sich kein Mensch M�he, den Boden so
ergiebig wie m�glich zu machen, weil er weiss, dass die Erzeugnisse der
Regierung verfallen sind. Ebenso ist der Handel dadurch gel�hmt, der reiche
Kaufmann von Fes sieht mit Bangen dem Tage entgegen, wo die Regierung sich
seiner Ersparnisse bem�chtigt, und es giebt deshalb auch in keiner Stadt,
in keinem Ort Jemand, der nicht seinen geheimen Schatz h�tte, der in der
Regel vergraben ist.

Der Bascha ben Thaleb regierte im Jahre, als ich Fes betrat, die Stadt seit
13 Jahren. Da er seinen Abschied auch von Sidi Mohammed nicht bekommen
konnte, tr�stete er sich mit den Gedanken, diesem bei seinem
Regierungsantritt den wichtigsten Dienst geleistet zu haben, und rechnete
auf seine Erkenntlichkeit.

Wie bei jedem Kaiserwechsel, so waren auch bei dem Tode
Mulei-Abd-er-Rhaman's grosse Unruhen und Fehden um die Nachfolge
ausgebrochen. Es war vor allen der �lteste Sohn des Sultan Sliman,
Namens Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Sliman, der mit H�lfe der Franzosen
hoffte, den Thron seines Vaters wieder zu gewinnen, aber trotzdem er
seinen Sohn H�lfe bittend an den gerade mit der Niederwerfung der Beni
Snassen besch�ftigten franz�sischen General Martimprey schickte, konnte
er nicht aufkommen. Da war ferner der erste Sohn des verstorbenen
Sultans und �lterer Bruder des jetzt regierenden, auch er wurde aus dem
Felde geschlagen, und wurde wie der ersterw�hnte nach Tafilet
verbannt[92]. Der jetzt regierende Sultan Sidi Mohammed verdankte seine
schnelle Installirung haupts�chlich dem Umstande, dass sich Sidi el
Hadj-Abd-es-Ssalam von Uesan f�r ihn erkl�rte, dass er schon bei
Lebzeiten des Vaters Califa, d.h. Stellvertreter des Sultans gewesen und
grosse Sch�tze angesammelt hatte, und dass sich Ben Thaleb, der
Gouverneur von Fes, sofort zu seiner Partei bekannte.

      [Fu�note 92: Beide Prinzen, die ich dort kennen lernte im Jahre 1863,
       lebten in freiwilliger Verbannung, obschon man in Marokko behauptet,
       die Regierung habe sie dorthin verbannt. Die Lage ist aber derart,
       dass, wenn der Sultan seines Bruders und Vetters habhaft werden
       k�nnte, er sie sicher w�rde hinrichten lassen.]

Der Bascha von Alt-Fes hatte indess gar nicht so leichtes Spiel, denn wenn
auch Faradji, der Gouverneur von Neu-Fes, des jetzigen Sultans Panier
ergriff, so hatte dieser mit seinen wenigen Soldaten genug zu thun, um das
Palais des Sultans und Neu-Fes vor Pl�nderung und Angriff zu sch�tzen. Ben
Thaleb hatte aber ausser einem Dutzend Maghaseni (Reiter) nur von seinen
eigenen, mit Flinten bewaffneten Berbern vielleicht 50 Mann zur Verf�gung.
Der jetzige Sultan war mit der Armee noch fern von der Hauptstadt.

Eines der wichtigsten Quartiere der Stadt, das der Djemma Mulei Edris,
vorzugsweise von Sch�rfa (Abk�mmlingen Mohammed's) bewohnt, emp�rte sich
nun sofort nach dem Tode Abd-er-Khaman's und rief den �ltesten Sohn des
Sultan Sliman zum Nachfolger aus. Aber sie hatten nicht auf Ben Thaleb's
eiserne Energie gerechnet: er liess fast vom ganzen Quartiere die
erwachsenen M�nner decimiren, die H�user der vornehmsten Sch�rfa wurden dem
Boden gleich gemacht, und alles was am Leben blieb, wurde seines Eigenthums
beraubt. Diejenigen nun, welche wissen was es heisst, einen Scherif in
Marokko beleidigen, strafen oder gar t�dten, k�nnen sich denken, welche
Aufregung dieses Verfahren Ben Thalebs hervorrief, der nicht einmal Araber,
geschweige Scherif, sondern nur ein Brebber[93] war. Aber der Berber-Schich
war nicht der Mann, sich einsch�chtern zu lassen, andererseits vertheilte
er den anderen Quartieren der Stadt je 2000 Metkal, ein ganz artiges
S�mmchen f�r 17 Quartiere. So brachte er durch Strenge und G�te es dahin,
dass Fes den jetzigen Sultan gleich anerkannte, und als der Vetter des
Sultans mit seinem Heere vor die Hauptstadt r�ckte, wurde er von den
Bewohnern von Fes, an deren Spitze Faradji und Ben Thaleb standen,
feindselig empfangen; er musste fliehen, als Sidi Mohammed herbeir�ckte,
diesem wurden die Thore ge�ffnet, und damit hatte Marokko einen Sultan,

      [Fu�note 93: Bezeichnung f�r Berber in Marokko. Man sieht hieraus,
       dass der Araber den Wahn, den Mohammed lehrte, das arabische Volk
       sei besser als jedes andere, noch immer aufrecht erhalten. Es trug
       dies wesentlich zum Untergange des arabischen Volkes bei, wie denn
       auch die Juden den D�nkel das auserw�hlte Volk Gottes zu sein
       schwer genug haben b�ssen m�ssen.]

Als Gast des Bascha's bezog ich mit meinem Dolmetsch, welcher Hauptmann der
regelm�ssigen Armee des Sultans war, ein Zimmer, welches zur Privatmoschee
des Bascha's geh�rte, welche gleich neben seiner Amtswohnung gelegen ist.
Mit zunehmender W�rme wurde der Aufenthalt in diesem Zimmer bald
unertr�glich, und als eines Tages der Bascha fragte, wie ich mit meiner
Behandlung zufrieden sei, machte ich ihn auf die unertr�gliche Hitze
aufmerksam. Er rief einen seiner Diener und fragte ihn, welche Wohnung in
der N�he der seinigen auf der Stelle zu haben sei; dieser bezeichnete einen
reizenden Sommersitz, welcher, obschon in der Stadt gelegen, einen h�bschen
Garten habe, vom Fes-Flusse durchzogen w�rde, an die Wohnung des Bascha
anstiesse, "aber, f�gte er hinzu, der Scherif, dem es geh�rt, hat seinen
Sommeraufenthalt schon darin genommen." "Geh' auf der Stelle und sage ihm,
ich brauche seine Wohnung," war des Bascha's kurze Antwort "Und du
Mustafa,"[94] fuhr er fort, "kannst heute noch umziehen, und wirst nun
gewiss zufrieden sein." Der Scherif schien indess nicht grosse Eile zu
haben; vielleicht glaubte er auch, weil er Scherif (Abk�mmling Mohammed's)
sei, dem Befehle trotzen zu k�nnen. Kurz, als ich am folgenden Tage Ben
Thaleb besuchte und er sich nach meiner Wohnung erkundigte, musste ich
gestehen ich sei, weil der Eigenth�mer sich noch immer in seinem Hause
bef�nde, noch in meinem Moschee-Zimmer. Aber kaum liess der Bascha mich
vollenden; ein Diener wurde gerufen, er bekam Befehl, auf der Stelle den
Scherif mit seinem beweglichen Eigenthum auf die Strasse zu setzen; so
geschah es, und an demselben Tage konnte ich einziehen. Es w�rde nichts
gen�tzt haben, h�tte ich zartf�hlend gegen diesen Befehl, den Eigenth�mer
aus seinem Besitze zu vertreiben, protestiren wollen, Niemand w�rde ein
solches Benehmen verstanden haben, da das _unfehlbare Benehmen_, d.h.
willk�rliches Betragen, sich vom Sultan auch auf seine Beamten �bertragen
hat.

      [Fu�note 94: Es war dies mein in Marokko angenommener Name.]

Folgendes nun wirft auch Licht auf das summarische Gerichtsverfahren in
Marokko und Fes �berhaupt, und ich schreibe die hier folgenden Zeilen
w�rtlich aus meinem damals gef�hrten Notizbuch ab.

Das neue Haus, welches ich bezog, hat ein Stockwerk und ist nicht nach Art
der Wohnh�user in Fes eingerichtet, sondern nach anderen Regeln erbaut.
Mitten im Garten liegend, fliesst unter dem Hause der kleine Ued Fes, der
hier in den Garten tritt und in einer 4' tiefen und 6' breiten gemauerten
Rinne l�uft, bis er an eine dem Hause gegen�berliegende Veranda kommt, und
unter dieser in einen andern Garten tritt. Das Haus selbst hat unten eine
ger�umige Veranda, einen Salon und ein Zimmer, das alkovenartig (eine Art
von Kubba) hinten angebaut ist; oben sind drei Zimmer, die wir unbewohnt
liessen; ebenso wurde das platte Dach selten benutzt. Der mir als Dolmetsch
beigegebene Offizier schlief mit mir im hintern alkovenartigen Zimmer; in
der einzigen Th�r, welche zum Salon f�hrte, schliefen drei Diener zwei
andere in der Veranda, und zwei waren in der gegen�berliegenden Veranda, wo
wir der Bequemlichkeit halber auch unsere Pferde stehen hatten. So bewacht,
dachten wir nicht im entferntesten an Diebstahl, zudem in Fes Nachts, weil
die einzelnen Quartiere, wie fr�her schon erw�hnt ist, abgeschlossen sind,
die grosse Communication ganz aufgehoben ist.

Eines Abends hatten wir, der Kaid oder Hauptmann und ich, auf unserem
Teppich liegend, sp�t Abends Thee getrunken, beim silbernen Mondschein, am
Rande des vorbeipl�tschernden Fl�sschens, unter duftenden Orangenb�umen
hatten wir die Zeit vergessen, und der Muden ilul (das erste Avertissement
zum Gebet wird im Sommer schon um 1 Uhr Morgens von den Minarets gegeben)
ert�nte, als wir schlafen gingen. Wir mochten kaum eine halbe Stunde
geschlafen haben, als einer der Diener "Sserakin, Sserakin" (Diebe, Diebe)
rief. Alle liefen wir hinaus mit Gewehren bewaffnet, aber nichts war zu
finden. Wie h�tte aber auch ein Dieb herein und so schnell hinauskommen
k�nnen: an drei Seiten hatte der Garten fast 20 Fuss hohe Mauern, und die
vierte Seite f�hrte mittelst einer senkrechten, etwa 30 Fuss hohen
Mauerwand in einen anderen Garten, unm�glich konnte er hier
hinuntergesprungen sein. Indess fanden wir, nach unserer Behausung
zur�ckgekehrt, dass wirklich ein Dieb dagewesen sein musste, es fehlten von
meinen Kleidungsst�cken, die ich abgelegt hatte, Hosen, Pantoffeln, dann
der Turban des Hauptmanns, ferner ein erst Tags zuvor angebrochener Hut
Zucker, endlich unser ganzes Theeservice, Eigenthum des Bascha's. Eine
genauere Untersuchung ergab, dass der Dieb unter der Gartenth�r sich
durchgew�hlt, und wahrscheinlich schon mehrere G�nge gemacht hatte.

Auf unsere am anderen Morgen erfolgte Anzeige wurden von Ben Thaleb
s�mmtliche umwohnenden B�rger verhaftet, sie mussten die Sachen in
Gemeinschaft ersetzen, ausserdem ein jeder 20 "Real" (so nennt man die
franz�sischen f�nf Francs-St�cke) Caution erlegen, bis der Dieb von ihnen
selbst ermittelt w�re. Mit Erlegung der 20 Reals erlangten sie zwar ihre
Freiheit wieder, aber ich glaube kaum, dass sie je wieder zu ihrem Gelde
gekommen sind, sollte es ihnen auch gelungen sein den Dieb zu ermitteln.
Ich bemerke hiebei, dass ich einige Jahre sp�ter in Leptis magna von der
t�rkischen Beh�rde eine ganz �hnliche Justiz �ben sah, als einem meiner
Diener aus dem Zelt ein Revolver Nachts gestohlen wurde.

Ausser den beiden Gouverneuren der Stadt giebt es sodann Vorsteher der
einzelnen Quartiere, Vorsteher der Moscheen, Einsammler der Gelder,
Marktv�gte, einen Marktkaid der Kessaria, und einen Marktkaid des grossen,
einmal in der Woche ausserhalb der Stadt abgehaltenen Marktes. Die
Marktv�gte und der Marktkaid haben haupts�chlich die Obliegenheit
Streitigkeiten zu schlichten und Ordnung zu halten. An jedem Thore findet
man einen Kaid el Bab, der die Thore zu �ffnen und zu schliessen, sowie den
Zoll zu erheben hat, es ist sodann eine Hauptzollamt in der Stadt, endlich
sind als Beh�rden noch die Zunftmeister zu nennen, da jedes Handwerk zu
einer Zunft verbunden ist, welcher ein Meister, der den Titel Kebir hat,
vorsteht.

Die n�chste Umgebung der Stadt zeigt im Norden, Osten und Westen die
bl�hendsten G�rten, die man sich nur denken kann, im S�dwesten sind
Vorst�dte; fast vor allen Thoren ziehen sich Gr�berreihen und Gottes�cker
hin, von denen einige �usserlich recht stattlich aussehende gr�ssere
Grabmonumente aufzuweisen haben. Indess liegt in diesen kaiserlichen
Grabmonumenten eine gewisse Einf�rmigkeit, alle haben viereckige Form,
dar�ber eine achteckige oder viereckige oder auch ganz runde Bedachung. Im
Innern findet man in der Regel einen Sarkophag, oft mit Tuch �berzogen, oft
aber auch nur aus einem h�lzernen Gestell bestehend. Neben einem solchen
Hauptgrabe findet man manchmal zwei bis sechs und noch mehre kleinere
einfache Gr�ber; entweder waren es Kinder der hier begrabenen F�rsten oder
manchmal auch Vornehme und Grosse des Landes, die gegen hohe Geldsummen das
Recht erwarben, sich an der Seite ihres Sultans begraben lassen zu k�nnen.
Von der jetzt _regierenden_ Dynastie ist niemand in oder ausserhalb
Fes' beerdigt, sie hat ihre Grabst�tten in Mikenes.

Ein grosser und f�r uns Europ�er fast unertr�glicher Uebelstand ist, dass
dicht vor den Thoren sich verwesende Berge, oft 50 Fuss hoch, von crepirten
Thieren befinden; seit Jahrhunderten ist es Brauch, jedes todte Vieh, allen
Unrath vor die Thore der Stadt zu bringen, aber so dicht an den Wegen sind
diese verpestenden H�gel errichtet, dass es eine Qual ist, aus der Stadt
heraus und in dieselbe hinein zu kommen.

Der die Stadt beherrschende Berg, der im Norden und Nordwesten sich um
dieselbe herumzieht, heisst Djebel-Ssala, er hat vielleicht 1000 Meter
absolute H�he. Unter dem Vorwande, Kr�uter f�r Bascha Ben Thaleb suchen zu
wollen, bekam ich eines Tages Erlaubniss hinauf zu reiten; durch einen
breiten G�rtel lachender Feigen- und Orangeng�rten, wo ausserdem Pfirsiche,
Aprikosen, Granaten, Wein und Kirschen gezogen werden, gelangt man in
Oelwaldungen, das zweite Drittel ist von immergr�nen Eichen, von Lentisken
und anderen das Laub nicht verlierenden B�umen bestanden, das letzte
Drittel hat nur Buschwerk und Zwergpalmen. Oben auf dem Berge, von dem aus
man eine pr�chtige Uebersicht �ber die Stadt, �ber die Ebene bis zum
grossen Atlas und �ber das nach Westen sich ziehende Serone-Gebirge hat,
traf ich einen Einsiedler, Sidi Mussa, schon seit 50 Jahren in einer H�hle
auf dem Ssala-Berge lebend. Im Rufe grosser Heiligkeit, lebt er von den
Gaben der Pilger, hat aber ausserdem eine grosse Bienenzucht. Auf dem
Plateau des Ssala-Berges sind mehrere Quellen und sogar G�rten und
Ackerbau.

Was die Bev�lkerung von Fes anbetrifft, welche wir auf 100,000 Seelen
sch�tzen k�nnen und die vor der Cholera im Jahre 1859 wohl noch 20,000 mehr
betrug, so besteht dieselbe vorzugsweise aus Arabern und Berbern.

W�hrend aber auf dem Lande die Mischung von Berbern und Arabern bedeutend
seltener ist, kommt sie in den St�dten h�ufiger vor, indess doch nicht der
Art, dass man sagen k�nnte, ein Volk habe das andere absorbirt. Aeusserlich
unterscheiden sich die Bewohner von Fes, wie die der �brigen St�dte von den
Landbewohnern durch grosse Weisse der Haut, es hat dies aber einzig seinen
Grund darin, dass sie fast nie der Sonne ausgesetzt sind, da selbst, wenn
sie auf die Strassen gehen, diese so eng sind, dass sie nur auf kurze Zeit
von der Sonne beschienen werden. Der Grund der h�ufigen Corpulenz bei den
M�nnern ist denn auch nur darin zu suchen, dass sie wenig Uebung, wenig
Bewegung bei verh�ltnissm�ssig kr�ftiger Kost haben. Im allgemeinen sind
trotz des sehr hellen Teint die Leute von Fes sehr h�sslich, namentlich
h�ufig findet man wulstige Lippen und krauses, obschon langes Haar.
Negerblut ist hier unverkennbar, wie denn �berhaupt in ganz Marokko viel
Negerblut unter die Arabern gekommen ist. Fes vor den �brigen St�dten des
Landes zeichnet sich noch dadurch aus, dass mit den arabischen und
berberischen Elementen sich stark das j�dische gemischt hat. Nicht etwa
durch freiwillige Heirathen, sondern dadurch, dass h�bsche J�dinnen
gezwungen werden, in den Harem des Sultans oder eines Grossen des Reichs zu
treten oder durch gezwungene Uebertritte, durch Kinderraub; so pflegen denn
auch die �brigen Bewohner des Landes von den Familien in Fes zu sagen: die
H�lfte derselben habe j�disches Blut in ihren Adern.

Die Zahl der Juden in Fes, welche, wie alle marokkanischen, zum Theil
direct von Pal�stina eingewandert, zum Theil von Spanien zur�ckvertrieben
sind, mag sich auf 8-10,000 belaufen. Sie leben hier ebenso ungl�ckselig
wie in den �brigen marokkanischen St�dten. Der verstorbene Sultan
Abd-er-Rhaman glaubte es durchsetzen zu k�nnen, den Juden eine Art
Emancipation zu verschaffen, und gestattete den Juden gleiche Tracht mit
den Moslemin. Der erste Ungl�ckliche, der es wagte seine Melha (den
Juden-Ghetto) mit rothem Fes, mit gelben Pantoffeln zu verlassen, kehrte
nie zur�ck: er wurde gesteinigt. Der Sultan hatte, trotz seiner
Unfehlbarkeit, nicht die Macht den religi�s-fanatischen Wuthausbruch
seiner Unterthanen zu d�mpfen.

Der religi�se Fanatismus, der ja allen semitischen Religionen innewohnt,
ist �berhaupt eine der schlimmen Seiten der Bewohner von Fes. Wie oft habe
ich selbst mich von irgend einem Lumpen auf der Strasse angehalten gesehen,
der mir mit den Worten "Scha had," d.h. bezeuge, den Weg vertrat, und er
und die sich rasch ansammelnde Menge liessen mich sicher nicht eher
passiren, als bis ich "Lah il Laha il Allah" gesagt hatte, bekanntlich die
Glaubensformel der Mohammedaner.

Die Tracht der Bewohner von Fes ist die der �brigen St�dter, d.h. es kann
hier nur von der Kleidung der Reichen die Rede sein, da ein Armer nur
seinen Haik, d.h. ein langes weiss wollenes Umschlagetuch und ein
cattunenes Hemd darunter zum Anziehen hat, sonst aber barfuss und barhaupt
daherkommt. Im Winter wird freilich der wollene Burnus dar�ber gezogen, der
manchmal aus schwarzer, manchmal aus weisser Wolle besteht.

Der Anzug des wohlhabenden Bewohners von Fes ist indess viel reichhaltiger.
Auf dem Kopf tr�gt er einen hohen spitz zulaufenden rothen Fes, Saschia
genannt, um den ein weisser Turban, Rasa, gewickelt wird. Ueber ein langes
weissbaumwollenes Hemd, Camis, vervollst�ndigen eine Tuchweste mit vielen
Kn�pfen, und bis oben eng anschliessend und zugekn�pft, Ssodria, dann ein
Tuchkaftan aus schreienden Farben und eine weite Hose, Ssrual, den Anzug,
gelbe Pantoffel bilden die Fussbekleidung. Die meisten J�nglinge und M�nner
tragen Fingerringe aus Silber mit werthlosen Steinen, einige haben Ringe
mit Steinen, welche man im Wasser aufl�sen kann (nach der Aussage des
Besitzers), und welche Aufl�sung alsdann ein Mittel gegen Vergiftung ist.
Einen solchen Ring besass Ben Thaleb auch, dennoch entging er nicht seinem
Tode.

Sehr unangenehm ist die entsetzliche Unreinlichkeit, welche �berall
herrscht; die Kleider werden nie gewechselt, sondern, wenn einmal
angezogen, immer Tag und Nacht, so lange auf dem K�rper getragen, bis man
neue Kleidungsst�cke anschafft. Allerdings spricht Leo von grossen
�ffentlichen Waschanstalten in Fes; ich konnte leider solche zu meiner Zeit
nicht mehr constatiren. Der reiche Bewohner kauft sich einmal, wohl auch
zweimal, im Jahr einen neuen Anzug, bei Gelegenheit eines grossen Festes.
Das altgewordene bekommen sodann die Kinder, Verwandten, Diener, oder auch
arme Freunde zum Weitertragen. Der Arme kauft sich, nachdem er lange darauf
gespart hat, einen Anzug, legt ihn dann aber nie wieder ab, bis er absolut
unbrauchbar geworden ist. Freilich findet _einmal_ im Jahr eine grosse
Kleiderreinigung, eine allgemeine W�sche, statt: am Tage vor dem
aid-el-kebir, dem grossen Bairain der T�rken. Da an diesem Tag Jeder
geputzt erscheint, wer es kann sich ein neues Kleid kauft, und wer
nicht, doch darauf h�lt so rein als m�glich zu erscheinen, so sehen wir
denn am Tage vor dem aid-el-kebir alle Welt, Jung und Alt, M�nner und
Frauen den Wasserpl�tzen zueilen; man entledigt sich der Kleidungsst�cke
und wie besessen tanzt und springt Jeder auf seinem Zeuge herum, um mit
den F�ssen den jahrelangen Schmutz herauszustampfen: eine einfache
Handw�sche w�rde dazu nicht gen�gen.

Die Nationalspeise der Fessi ist ebenfalls Kuskussu--ein Mehlgericht,
welches aus geperltem Weizen- oder Gerstenmehl bereitet und mittelst Dampf
gekocht wird. Der nahe Sebu liefert indess ausgezeichnete Fische, die man
in einer gepfefferten und durch Tomaten rothgef�rbten Oelsauce stets fertig
auf dem Marktplatze bekommen kann. Hammel-, Ziegen- und Schaffleisch ist
gleichfalls billig zu haben, und in Fes wird wohl mehr animalische Nahrung
consumirt, als im ganzen �brigen Lande, die St�dte ausgeschlossen,
zusammen.

Wie alle Marokkaner, sind auch die Fessi grosse Liebhaber von Thee, der vor
dem Essen gereicht wird; die Manier zu essen ist aber eben so unsauber bei
den vornehmsten Fessi, wie im ganzen Lande. Mehrere Personen hocken um eine
irdene Sch�ssel, die in einem niedrigen Tischchen, etwa zwei Zoll hoch,
Maida genannt, aufgetragen wird. Alles kauert auf der Erde, in solcher
Stellung, wie Jeder sie nehmen will; nachdem ein Sklave oder einer der
Gesellschaft Wasser zum Abwaschen der H�nde herumgereicht hat, sp�lt man
sodann diese ab, und ein _gemeinsames_ Handtuch bei den Reichen dient
zum Trocknen, bei Unbemittelten trocknet man sich einfach die H�nde mit dem
Zipfel seines Burnus. Dann, auf ein gegebenes Zeichen, greift mit dem Worte
"Bi' Ssm' Allah" (Im Namen Gottes) ein Jeder mit der Rechten in die
Sch�ssel, um den erhaschten Bissen zum Munde zu f�hren. Alle befleissigen
sich einer ausserordentlichen Eile, um nicht zu kurz zu kommen, nur bei
sehr Reichen wird langsam gegessen, weil da mehrere Sch�sseln folgen. Es
geh�rt �brigens zum guten Ton f�r die Frauen, Diener und Kinder, oder auch
f�r die herumlungernden Armen, Anstandsbrocken in der Sch�ssel zu lassen.
Eine grosse Auszeichnung aber ist es jedenfalls f�r einen Fremden, wenn der
Wirth selbst mit seiner schmutzigen Hand in die Sch�ssel fahrt, einen
Lockina, d.h. Bissen oder Mundvoll, hervorholt und ihn dem Gast in den Mund
schiebt. Obschon ich nicht lange Zeit brauchte um mich an diese Art des
Essens zu gew�hnen, denn Hunger �berwindet Alles, so hatte ich doch l�ngere
Zeit n�thig zu lernen _geschickt_ und _anst�ndig_ zu essen, denn
es geh�rt Geschicklichkeit dazu die oft halb fl�ssigen Bissen mit Eleganz
an den Mund zu bef�rdern, namentlich, wenn man nicht zu kurz kommen will.

Ein Trunk Wasser, eine abermalige oberfl�chliche Handabsp�lung und ein nie
unterlassenes "Hamd ul Lah" (Lob sei Gott) beschliesst jedes Mahl.

       *       *       *       *       *




9. Mikenes und Heimreise nach Uesan.

       *       *       *       *       *

Ben Thaleb hatte geglaubt, auf die Dankbarkeit des Sultans rechnen zu
k�nnen, der seine Thronbesteigung gewissermassen ihm zum Theil verdankte.
Verschiedene Male war Ben Thaleb um seinen Abschied eingekommen, er hatte
nun seit mehr als 13 Jahren der reichsten Stadt des Landes vorgestanden.
Vielleicht hoch in den F�nfzigen, hoffte er seine letzten Lebensjahre ruhig
in seiner Heimath, inmitten seiner treuen Berbertribe beschliessen zu
k�nnen. Da starb er eines Tags, pl�tzlich, ohne vorher auch nur ernstlich
unwohl gewesen zu sein.

Dem Sultan musste der Tod des Bascha's �usserst erw�nscht sein. Er hatte
gerade jetzt Kriegsentsch�digung zu zahlen. Spanien verlangte f�r
Zur�ckziehung der Truppen aus Tetuan 23 Millionen spanische Thaler. Woher
das Geld nehmen? Den grossen Schatz, der in Mikenes sein soll, wollte oder
konnte er nicht anbrechen. Wie froh musste der Sultan sein, dass Ben Thaleb
in diesem Augenblick ihm den Gefallen that, zu sterben; er war somit Erbe
seines ganzen baaren Verm�gens geworden.

Sobald der Tod Ben Thaleb's ruchbar geworden war, kamen seine Diener,
Sklaven und Maghaseni vor meine Wohnung unter dem drohenden Geschrei, ich
habe den Bascha vergiftet, und man m�sse mich t�dten. Gl�cklicher Weise f�r
mich war der �lteste Sohn des Bascha's da, um mich zu besch�tzen. Noch am
Abend vorher waren wir bei seinem Vater, dem Bascha, gemeinsam zum Thee
gewesen, derselbe hatte, genesen von einem leichten Unwohlsein, noch am
Abend einen Ochsen, als Opfer und Geschenk an die Moschee Mulei Edris
geschickt, und noch am selben Abend �usserte sich der Bascha in Gegenwart
dieses Sohnes, dass Mustafa (mein angenommener Name) stets sein volles
Vertrauen gehabt habe, und dass ich ihn bei seinem leichten Unwohlsein
stets zur Zufriedenheit behandelt habe. "Und," f�gte er hinzu, als ob er
ein Vorgef�hl seines nahen Todes habe, "wenn Gott mein Dasein verk�rzen
sollte, so besch�tze Mustafa, der mein Gast gewesen ist."

Eingedenk der Worte seines Vaters, trieb Si-Hammadi (so hiess der Sohn)
seine Leute auseinander, und schon nach zwei Tagen befahl er, mit ihm nach
Mikenes zu reisen, zum Sultan. So sagte ich denn Fes Lebewohl, um es nie
wieder zu betreten.

Si-Hammadi, von einer gl�nzenden Suite umgeben, dann mein Dolmetsch
Si-Mustafa und ich mit unserem Tross, endlich eine Reihe von wenigstens
200, mit schweren Kisten bepackten Maulthieren und vielleicht 100
Kamelen ebenso beladen, von Maghaseni escortirt, das war unsere
Karavane. Ich wusste nicht, was aus diesem gleichartig gepackten Zuge
machen, seine Gep�ckthiere hatte Si-Hammadi ausserdem noch, bis ich
erfuhr, dass dies das vom Bascha hinterlassene Baarverm�gen sei,
ungef�hr zwei Millionen spanische und franz�sische Thaler. Die Summe
mochte nicht �bertrieben sein, in Anbetracht, dass ein Maulthier mit
leichter M�he hundert Pfund Silber = 2000 franz�sische Thaler, ein Kamel
aber ohne Beschwerde das Dreifache tragen konnte. Ohne Anhalt erreichten
wir in einem Tage das nahe Mikenes.

In Mikenes angekommen, verabschiedete ich mich von Si-Hammadi und nahm im
Funduk el Attarich in der Stadt Logis, ging Abends noch ins Lager hinaus,
um meine milit�rischen Bekannten zu begr�ssen, welche sich ebenso sehr
wunderten, mich jetzt pl�tzlich wieder zu sehen, als sie vorher erstaunt
gewesen waren, eines Morgens mein Hanut mit dem sch�nen Aush�ngeschild ohne
Arzt zu finden, und erst sp�ter nach und nach inne wurden, ich sei auf
allerh�chsten Befehl nach Fes zur�ckgeschickt worden.

Anderen Tages machte ich bei dem Grosswessier einen Besuch, er war schon
von meiner Ankunft unterrichtet, und hatte, als ob ich selbst nichts dabei
zu sagen h�tte, schon Befehl gegeben, f�r mich Zimmer einzurichten, in
einem Hause, welches neben dem seinigen lag. Ich hatte Abends vorher Ismael
(Joachim Gatell) im Lager gesehen, wie kl�glich er dort unter den
thierischen Soldaten die Zeit verbrachte, und war daher froh, mich von der
Armee fern halten zu k�nnen. Die mir von Si-Thaib zur Verf�gung gestellte
Wohnung war neu und ger�umig und ich lud Ismael ein, dieselbe zu theilen.
Da er dies Anerbieten gern annahm, hatten wir beide jetzt eine angenehme
Zeit vor uns, wir konnten unsere Erlebnisse und Entt�uschungen uns
mittheilen, wieder einmal europ�isch denken und f�hlen. So viel merkte ich
wohl, dass Ismael von seiner Lage noch weniger erbaut war, wie ich, der ich
fern von den marokkanischen Soldaten gelebt hatte.

Aber auch sein Unangenehmes hatte der Aufenthalt bei Si-Thaib f�r mich. Der
erste Minister hatte nicht aus Uneigenn�tzigkeit mir seine Wohnung
angeboten, sondern nur um mich zur Hand haben, Krankenw�rterdienste bei ihm
zu verrichten. Jeden Mittag, wenn, er vom Maghasen (Palais des Sultans und
Sitz der Regierung) zur�ckkam, wurde ich gerufen. Ich hatte dann die
unangenehme Pflicht, ihm seine kranken F�sse mit Kampherspiritus zu reiben.
Nur auf diese Art glaubte er Linderung in seinen Podograschmerzen zu haben,
versprach sich sogar Heilung davon. Und dies Gesch�ft war keineswegs ein
angenehmes, beim Beginn der Operation unterhielt er mich meist �ber
Politik, wobei er die verr�cktesten Ansichten auskramte, auch Religion
wurde aufgetischt, nach einer halben Stunde pflegte er zur�ckgelehnt auf
seiner Matratze einzuschlafen. Ich durfte aber nicht etwa das Reiben
einstellen, sonst erwachte er sogleich und befahl fortzufahren; oft habe
ich mit dieser Verrichtung zwei bis drei Stunden zubringen m�ssen.

Si-Hammadi, der Sohn des Bascha's von Fes, hatte dann bei Ablieferung der
Gelder einen so g�nstigen Bericht �ber mich gemacht, dass ich eines Tags
durch die Botschaft �berrascht wurde, ich sei zum Leibarzt des Sultans
ernannt und habe von jetzt an alle Tage die Frauen des Sultans zu
behandeln. Vorher beschenkte mich Si-Hammadi noch mit einem meergr�nen
Tuchanzug, grosse Auszeichnung als Belohnung f�r die Dienste bei seinem
Vater.

Es kamen nun jeden Morgen zwei Maghaseni aus dem Harem, um mich zu rufen.
Dort angekommen, nahm mich der Oberste der Eunuchen, Herr Kampher, in
Empfang und bald darauf wurde ich in ein Vorgemach gef�hrt, wo ich die
Damen vorfand, welche sich behandeln lassen wollten. Im Anfange wollten
sich die Frauen nicht entschleiern, als ich aber darauf bestand, ging Herr
Kampher, der sowie einige andere Eunuchen als Herr Moschus[95], Herr Atr'
urdi (Rosenessenz) etc., nat�rlich immer zugegen war, ins Harem zur�ck,
meldete dies dem Sultan, kam aber dann mit dem Bescheid: "Unser Herr
(Sidna) sagt, da du ja doch nur ein Rumi und eben erst �bergetretener
Christenhund bist, brauchen sich die Frauen deinetwegen nicht zu geniren."
Somit fielen die Umschlaget�cher (eigentliche Schleier werden weder in
Marokko, noch sonst wo von mohammedanischen Frauen zum Verdecken des
Gesichtes benutzt) und ich hatte alle Tage Gelegenheit, die Reize der
Frauen des Sultans bewundern zu k�nnen. Man glaube �brigens nur nicht, dass
irgendwie besondere Sch�nheiten im Harem w�ren, oder diese m�ssten sich
nicht gezeigt haben, meistens waren es sehr junge Gesch�pfe mit recht
vollen Formen. Die oft kostbaren Anz�ge und die vielen Schmucksachen waren
mit Schmutz �berladen, and in der Regel an den Kleidern irgend etwas
zerrissen. Die meisten schienen nur aus Neugier zu kommen, um den
"Christenhund" zu sehen. Alle aber, abgesehen von ihrem albernen und
l�ppischen Wesen, waren recht freundlich und h�tte ich nicht die Vorsicht
gebraucht, Herrn Kampher zu sagen, die und die, nachdem sie zwei oder drei
Mal zur Visite gekommen war, nicht wieder vorzuf�hren, so w�re wohl nach
einiger Zeit der ganze Harem herausgekommen. Sie schienen das Krankmelden
als einen angenehmen Zeitvertreib zu betrachten, eine ernstlich Kranke habe
ich in der ganzen Zeit meines Aufenthaltes nicht gesehen. Ich h�tete mich
denn auch sehr, irgend wie selbst Medicin zu geben, obschon mir jetzt die
dem Sultan von der K�nigin Victoria geschenkte Arzneikiste zur Verf�gung
stand. Ich beschr�nkte mich auf di�tetische Anordnungen und culinarische
Recepte, die oft grosse Heiterkeit hervorriefen, aber, wie mir Herr Kampher
sagte, immer streng befolgt wurden, da die Marokkaner jedem Extraessen
(d.h. alles was nicht Kuskussu ist) irgend eine besondere Heilkraft
beilegen.

      [Fu�note 95: Alle Eunuchen haben stets stark duftende, aromatische
       Namen.]

Von meinem Gehalt hatte ich seit meiner Reise nach Fes nichts mehr zu sehen
bekommen, wahrscheinlich regalirte sich Hadj Asus damit, auch nach der
Ernennung zum Leibarzte war von meiner Gehaltsauszahlung oder Erh�hung
desselben keine Rede. Allerdings sagte mir Si-Thaib mehrere Male, ich solle
nur zum Amin (Schatzmeister) des Sultans gehen, der Sultan habe Befehl
gegeben, ich solle jetzt t�glich 5 Unzen Silber, also ca. 8 Sgr. beziehen,
ich enthielt mich aber dessen. Des Hofes war ich so m�de, dass ich nur
daran dachte, wie ich fortkommen k�nne. Ueberdies fehlte es nicht an Geld,
die Grossen des Reiches glaubten alle verpflichtet zu sein, weil ich Arzt
des Sultans war, sich von mir behandeln zu lassen, und irgend ein
Bittsteller, der bei Si-Thaib erschien, kam sicher auch um sich von mir
behandeln zu lassen. Und weil er glaubte, ich geh�re mit zum Hause des
Ministers, hielt er sich verpflichtet, auch mir ein Geschenk zu machen;
indem er Medicin daf�r verlangte, meinte er auf diese Art zwei Fliegen mit
einer Klappe zu fangen.

Ich war daher so besch�ftigt, dass ich nur die Abende f�r mich hatte, bekam
daher von Mikenes wenig zu sehen. Freitags hatte ich jedoch Zeit, eine oder
die andere Moschee zu besuchen, die, welche den Namen Mulei Ismael hat, ist
jetzt die ber�hmteste, und da der "blutd�rstige Hund" Mulei Ismael l�ngst
einer der ber�hmtesten Heiligen von Marokko geworden ist, hat die Moschee,
in der sich das Grabmal Mulei Ismaels, Mulei Sliman's, Mulei
Abd-er-Rhaman's und noch anderer Sultane dieser Dynastie befindet,
Asylrecht erhalten. Die Ber�hmtheit dieser Moschee als Asyl Verbrecher
gegen das Gesetz zu sch�tzen, scheint durch die Leichen der eben
genannten Herrscher Marokko's fast eben so gross geworden zu sein, wie
die der heiligen Moschee Mulei Edris Serone, und die des Mulei Edris in
Fes.

Eines Tages war ich Zeuge, dass verschiedene Artilleristen, welche wegen
nicht erhaltener L�hnung revoltirt hatten, in die Djemma Mulei Ismael's
fl�chteten. Sie blieben dort mehrere Tage, sogar w�hrend eines
Freitag-Gebetes, an welchem Tage der Sultan selbst in dieser Moschee das
Chotba zu h�ren pflegt, und erst die positive Zusage vollkommener
Straflosigkeit machte sie aus ihrem Zufluchtsorte hervorkommen. Ob diese
sp�ter gehalten worden ist, weiss ich nicht, glaube es aber, da dem
Sultan nat�rlich daran liegt, die Heiligkeit des Ortes, worin seine
Vorfahren begraben liegen, aufrecht zu erhalten und zu erh�hen.

Die Zahl der Einwohner wird von allen Schriftstellern �ber Marokko
verschieden angegeben, H�st nennt �ber 10,000 Einwohner, Hems� 56,000 Ew.,
Leo 6000 Feuerstellen, Marmol 8000 Ew., Diezo de Torres 5000 Ew., Jackson
110,000 Ew. Das Wahre d�rfte auch hier in der Mitte liegen, wenn man eine
ungef�hre Zahl von 40,000-50,000 Seelen annimmt. Marmol, H�st und Hems�
haben das alte Silda des Ptolemaeus in Mikenes sehen wollen. Nach
Walsin-Esterhazy[96] wurde Mikenes von einer Abtheilung der Znata, der
Mekn�ca, gegen die Mitte des 10. Jahrhunderts gegr�ndet. Der eigentliche
Gr�nder der Stadt war aber Mulei Ismael, der hier best�ndig residirte,
und unter dem sie ihre Ber�hmtheit erlangte und von der Zeit eine der
vier Residenzen des Reiches geblieben ist. Einige Stunden s�dw�rts vom
Abhange des Berges Mulei Edris Serone gelegen, hat die Stadt die
reizendsten G�rten, die man sich denken kann. Schon Leo hebt die
kernlosen (?) Granaten und wohlriechenden Quitten hervor, und dass die
Stadt einen grossen Oliven-Reichthum hat, bekundet das Beiwort
Meknas-el-situna, d.h. das olivenreiche. Zum Theil liegen die G�rten
innerhalb der Mauer.

      [Fu�note 96: Siehe: Renou pag. 254.]

Das heisst die eigentliche Stadt mit der Kasbah und dem Palais des Sultans,
ist durch eine sehr gut erhaltene, von hohen viereckigen Th�rmen flankirte
Mauer umgeben, und innerhalb dieser hohen Mauer befindet sich auch der
pr�chtige Garten des Sultans. Dann zieht sich eine Stunde entfernt eine
andere, niedrigere, an manchen Stellen zwiefache Mauer um die Stadt, um die
n�chsten G�rten zu sch�tzen.

Mikenes hat fast durchweg eine Bev�lkerung, die in irgend einer Beziehung
zum Hofe oder zum Heere steht. Die von Hems� angef�hrte und dem Leo
nachgeschriebene grosse Eifersucht der M�nner auf ihre Frauen d�rfte wohl
nicht gr�sser sein, als in den anderen marokkanischen St�dten, besonders
sch�n fand ich die Frauen nicht. Mikenes ist die einzige Stadt in Marokko,
wo �ffentliche Prostitutionsh�user sind. Im Uebrigen sind die Strassen
gerader, reinlicher, die H�user in einem besseren Zustande, als in irgend
einer anderen Stadt des Reiches. Sogar der Palast des Sultans zeichnet sich
dadurch aus, obschon der Theil, den Mulei Ismael mit Marmors�ulen, die er
von Livorno und Genua kommen liess, schm�ckte, in Ruinen liegt. Diese
sch�nen Monolithen liegen als Zeugen j�ngst vergangener Gr�sse im Staube.
Kein anderes Geb�ude zeichnet sich irgendwie aus, selbst die Moschee Mulei
Ismaels, welche doch Begr�bnissstelle der jetzigen Dynastie ist, liegt halb
in Verfall. Die Stadt wird durch eine ausgezeichnete Wasserleitung mit
Wasser versorgt, irre ich nicht, von einem in den Ued Bet gehenden Bache
aus, der nordw�rts von der Stadt entspringt.

Erw�hnen muss ich eines Abstechers nach Mulei Edris Serone, einer ungef�hr
3 Stunden n�rdlich von Mikenes gelegenen Stadt; indess kann ich von diesem
reizend gelegenen Orte nichts weiter anf�hren, als was ich bei Beschreibung
der Stadt Fes schon mitgetheilt habe. Trotzdem ich Leibarzt des Sultans
war, im Hause des ersten Ministers wohnte, alle Gebr�uche und Sitten der
Mohammedaner aufs Genaueste mitmachte, war ich dennoch immer mit
misstrauischen Augen angesehen. Nach irgend einer Oertlichkeit direct
fragen, ging schon gar nicht. Man w�rde gleich gesagt haben, ich sei ein
Spion.

Gl�cklicher Weise trat ein Ereigniss ein, was mich aus des Sultans Dienste
befreite, eine englische Gesandtschaft wurde in Aussicht gestellt, und nach
einigen Wochen traf auch Sir Drummond Hay mit zahlreichem Gefolge und
escortirt von einer starken Abtheilung Maghaseni in Mikenes ein. Man kann
sich denken, wie gross meine Freude war. Seit �ber einem Jahre, so viel
Zeit war nun verflossen, hatte ich nichts von Europa geh�rt, hatte weder
einen Brief noch eine Zeitung gehabt, und erhielt nun auf einmal B�cher,
Zeitungen, und konnte mich mit gebildeten Herren unterhalten. Im Anfange
hatte ich grosse Schwierigkeit zu Sir Drummond Hay zu gelangen, da die
marokkanische Regierung den strengsten Befehl ausgegeben hatte, keinen
Renegaten auf die Gesandtschaft zuzulassen. Nur durch eine List verschaffte
ich mir Einlass, indem ich Si-Tbaib sagte: ich m�sse seiner Krankheit wegen
mit dem der englischen Gesandtschaft beigegebenen Arzte sprechen. Das wurde
bewilligt und ich durfte dann, von meinem ehemaligen Dolmetsch begleitet,
die Gesandtschaft betreten.

Sir Drummond bewohnte eines der sch�nsten H�user der Stadt, worin es sogar
an europ�ischen M�beln nicht fehlte, da der Sultan alle dergleichen
Utensilien besitzt, sie aber f�r seine Person nicht gebraucht. Ueberhaupt
wurde die Gesandtschaft mit einer Zuvorkommenheit und Artigkeit behandelt,
wie sie Sir Drummond Hay, dem eigentlichen geheimen Herrscher von Marokko,
zukommt. Auf den Strassen, vom Volke, �berall wo die Gesandtschaft sich
zeigte, wurde sie aufs respectvollste begr�sst. So gut wie der Sultan,
f�hlt das Volk, dass nur England eine wirkliche H�lfe gegen die Spanier und
Franzosen ist. Es versteht sich von selbst, dass Sir Drummond sich mit
aller Freiheit bewegen konnte, ebenso die �brigen Herren der Gesandtschaft.

Was mich anbetrifft, so gab mir Sir Drummond ein Schreiben (arabisch
ausgefertigt) und sagte mir, dasselbe durch den ersten Minister dem Sultan
vorzeigen zu lassen. In diesem Schreiben war betont, die marokkanische
Regierung solle mich nicht mit den �brigen Renegaten verwechseln und mir
meine Freiheit wiedergeben. Das Bl�ttchen Papier wirkte Wunder. Als
Si-Thaib mir dasselbe nach einigen Tagen wieder einh�ndigte, f�gte er
hinzu, der Sultan habe das Blatt gelesen, und gesagt, ich k�nne thun was
ich wollte, sei vollkommen frei, Mikenes zu verlassen, ja ich d�rfe
�berall im "Rharb" reisen und mich aufhalten, wo ich es f�r gut f�nde.
Wer war froher als ich. Jetzt aber war auch der Wunsch das eigentliche
Land Marokko zu durchreisen, erst recht wachgerufen, und namentlich
f�hlte ich einen starken Trieb von nun an weiter in das Innere Afrika's
einzudringen. Aber ich war mir nun auch erst recht bewusst geworden, wie
viel noch abging, solche gef�hrliche Reisen ohne Mittel ausf�hren zu
k�nnen. Wenn auch einestheils gerade diese Mittellosigkeit ein grosser
Schutzbrief f�r mich war, so hatte ich andererseits im Arabischen wenige
Fortschritte bis dahin gemacht. Der Umstand, dass ich fortw�hrend einen
Dolmetsch zur Seite gehabt, machte, dass ich kaum mehr von dieser
Sprache verstand als beim Beginn meiner Reise. Auch war ich mit den
Sitten und Gebr�uchen des eigentlichen Volkes noch zu wenig vertraut.
Ebenso wenig wie man diese z.B. in London was das englische Volk, in
Berlin was das deutsche Volk anbetrifft, in Erfahrung bringen kann, zu
dem Ende vielmehr das eigentliche Land selbst besuchen muss, ebenso
wenig ist dies in Marokko in der Hauptstadt der Fall, und bislang war
ich eigentlich nur in Fes und Mikenes gewesen.

Ich beschloss nun nach der heiligen Stadt Uesan zur�ckzukehren. Wo konnte
ich besser Sitten, Gewohnheiten und auch die Sprache des Volkes kennen
lernen, als in dieser grossen Pilgerstadt, wo t�glich Hunderte, oft
Tausende von Pilgern aus ganz Nordafrika, ja oft noch von weiter her
zusammenstr�men. Und es traf sich nun sehr gl�cklich f�r mich, dass gerade
zwei von den n�chsten Anverwandten des Grossscherifs in Mikenes waren.
Diese hatten in der Besoffenheit einen Maghaseni des Sultans ums Leben
gebracht, und waren selbst nach Mikenes gekommen, um sich deshalb beim
Kaiser zu entschuldigen. Sie wurden nicht nur nicht ger�gt oder gar
bestraft f�r ihre im Trunk begangene Handlung, sondern der Sultan
betrachtete es als einen besonderen Act der H�flichkeit, dass solche
heilige Leute und noch dazu wirkliche Vettern des Grossscherifs, keinen
Anstand nahmen, sich wegen einer solchen Kleinigkeit bei ihm selbst zu
entschuldigen, und im Grunde genommen sah er es wohl nur f�r einen Vorwand
an, Geschenke von ihm zu bekommen. Die erhielten sie denn auch beide. Sidi
Mohammed ben Abd-Allah und sein Bruder, Sidi Thami, verliessen reich
beschenkt die kaiserliche Residenz.

Si Thaib Bu Aschrin hatte die G�te mir einen Brief f�r die beiden Sch�rfa
zu geben, welche direct nach Uesan zur�ckreisen wollten. Und so sagte ich
denn dem Hofe des Sultans Lebewohl, nur Trauer empfindend, dass Ismael
(Joachim Gatell), der die ganze Zeit bei mir gewohnt hatte, jetzt wieder
ins Lager zur�ck musste, und da er nicht, wie ich, die Protection der
englischen Gesandtschaft genoss, nicht daran denken durfte, so bald seine
Befreiung zu bekommen.

Den folgenden Morgen begab ich mich mit meinem Gep�ck zur Wohnung der
Sch�rfa, und bald war Alles gepackt und wir sattelfest. Sidi Mohammed, ein
fetter junger Mann von dreissig Jahren, und sein einige Jahre j�ngerer
Bruder, Sidi Thami, waren noch von zwei alten Sch�rfa begleitet und hatten
mindestens 30 Diener als Gefolge. Wir verliessen gegen 8 Uhr Morgens
Mikenes durch das Nordthor, zogen den Bergen entgegen, indem wir die Stadt
Serone etwas �stlich liegen liessen. Die Reisen zu Pferde oder Maulthier
sind in Marokko keineswegs unangenehm, die mit hohen Lehnen versehenen
S�ttel, vorn mit einem Knauf, worauf man die H�nde legen, die grossen
Steigb�gel, in welche man den ganzen Fuss schieben kann, lassen die
Erm�dung weit sp�ter erfolgen, als bei europ�ischem Reitzeuge. Freilich
muss ein Europ�er sich die M�he nehmen, den Sattel durch wollene Decken
etwas zu polstern, denn wenn sich die H�rte desselben schon ertragen
liesse, ist er doch sehr uneben, was auf die Dauer unbequem ist.

Wir waren ohne Rast den ganzen Tag unterwegs, da Sidi Mohammed Ben
Abd-Allah wohl besonderen Grund haben musste so schnell zu reisen, denn
sonst pflegen die Grossen in Marokko nur, kleine Tagem�rsche zu machen.
Als ich mich in der H�he der Berge von Mulei Edris etwas entfernte von
unserer Karawane, wurde ich der Gegenstand einer Ovation, die in der
N�he wohnenden Leute, die von der Durchkunft von Sch�rfa von Uesan
geh�rt hatten, wohl im Glauben ich sei auch ein Scherif, kamen
haufenweise herbei, mir die Hand und den Saum der Djilaba k�ssend. Sie
verlangten auch das Foetha (Segen), das ich gl�cklicherweise auswendig
wusste. Hoffentlich haben sie eben soviel Nutzen von meinem Segen
gehabt, als von dem eines wirklichen Scherifs! Aber wenn sie es gewusst
h�tten, ich sei ein zum Islam Uebergetretener, wie w�rden sie mich
verflucht haben. Gut, dass wir in den Zeiten leben, wo Fluch und Segen
von Menschen gesprochen, den Zauber ihrer Allmacht verloren haben.

Bei Sonnenuntergang hielten wir bei einem dem Grossscherif von Uesan
geh�renden Duar (Zeltdorf). Da ich kein Zelt hatte, luden die beiden
Sch�rfa mich ein, das ihrige mit zu theilen. Das Zelt eines Grossen von
Marokko zeichnet sich durch Ger�umigkeit aus. Aus starkem weiss und
blaugestreiften Leinenzeug bestehend, ist es inwendig weiss und mit
verschiedenartig zusammengen�htem bunter Tuch gef�ttert. Meist von nur
einer Stange getragen, kann die rund ums Zelt gehende gerade aufstrebende
Seitenumfassung abgenommen werden, was namentlich bei Sonnenschein und
grosser Hitze eine grosse Annehmlichkeit gew�hrt, da das Dach des Zeltes,
gewissermassen ein grosser Schirm, frei stehen bleibt und dem k�hlenden
Winde der Durchlass offen steht.--Ich war froh, als der Koch der Sch�rfa
sogleich ein Mahl auftrug, da ich den ganzen Tag nichts genossen hatte, als
ein St�ckchen Brod und Trauben. Gegen Mitternacht kam denn auch der Mul' el
Duar oder Dorfvorsteher, mehrere Sch�sseln voll Kuskussu verschiedener Art,
und andere mit gebratenem Fleisch wurden niedergesetzt. Meine M�digkeit war
indess so gross, dass ich vorzog weiter zu schlafen, trotz der wiederholten
Aufforderungen am Mahle theilzunehmen.

Frisch gest�rkt erweckte man mich am anderen Morgen mit einer Tasse Kaffee
(die Sch�rfa von Uesan trinken auch Kaffee) und sodann kam wieder ein
reichliches Mahl der Leute des Zeltdorfes, welche daf�r mit Thee bewirthet
wurden. Wie am vorhergegangenen Tage war die Gegend h�gelig, wohlangebaut
und zahlreiche Duar deuteten auf eine verh�ltnissm�ssig dichte Bev�lkerung.
Bald nach dem Aufbruche am zweiten Tage passirten wir die Fl�sse Sebu und
Uarga, letzteren etwas oberhalb der Stelle, wo er in den Sebu einf�llt.
Ueberall wie am ersten Tage waren die Sch�rfa der Gegenstand der gr�ssten
Verehrung, im ganzen Lande gelten die Sch�rfa Uesan's als die gr�ssten
Heiligen. Die Sitte will es, dass ein Vornehmer nie seinen Einzug Abends
h�lt, so wurde denn auch an dem Tage schon um 5 Uhr Nachmittags Halt
gemacht in einem Duar, der Sidi Abd-Allah selbst geh�rte. Nur noch einige
Stunden am anderen Morgen, und wir hatten den Berg Bu-Hall�l vor uns, an
dessen anderer Seite Uesan gelegen ist.

Sobald wir den Berg umgangen, kamen uns die Verwandten und Bekannten der
Sch�rfa entgegen, die durch den j�ngeren Bruder, der am Abend vorher noch
die Stadt erreicht hatte, waren benachrichtigt worden. Sidi Thami hatte
auch dem Grossscherif schon meine Zur�ckkunft mitgetheilt.

Ich konnte indess nicht direct nach der Wohnung des Grossscherifs gehen, da
ich vorher bei Sidi Abd-Allah fr�hst�cken musste. Ein naher Verwandter von
Sidi el Hadj Abd es Ssalam, ist er, was Reichthum und Macht anbetrifft, von
den Uesaner Sch�rfa der dritte, denn Sidi Mohammed ben Akdjebar, obschon
entfernterer Linie, hat nach dem Grossscherif den gr�ssten Einfluss und den
gr�ssten Reichthum. Die �brigen Sch�rfa, fast die ganze Stadt besteht aus
Abk�mmlingen Mohammed's, haben in Uesan selbst gerade keinen Einfluss, da
ihrer zu viele sind.

Gleich darauf ging ich dann, nachdem ich meinen meergr�nen Anzug angelegt
hatte, zum Grossscherif, den ich von einer zahlreichen Menge umgeben in
seinem Landhause antraf. Aufs freundlichste aufgenommen, liess er sogleich
eine Wohnung f�r mich einrichten, und mich ein �ber das andere Mal
willkommen heissend, sagte er, ich solle mich von nun an ganz wie zu seinem
Hause geh�rig betrachten.

Ehe ich nun meine Erlebnisse in Uesan schildere, m�chte ich Einiges �ber
die derzeitigen politischen Zust�nde in Marokko sagen, und kn�pfe daran
zugleich einige Worte �ber die sonstige und jetzige Stellung der
christlichen Consuln.

       *       *       *       *       *




10. Politische Zust�nde

       *       *       *       *       *

Marokko hat eine Regierung so despotisch und tyrannisch eingerichtet, wie
man sie eben nur da findet, wo zu gleicher Zeit geistige und weltliche
Herrschaft in _einer_ Person vereint ist, und der Grund zu diesem
absolutesten Despotismus liegt doch keineswegs im Charakter des arabischen
oder berberischen Volkes, einzig und allein die _mohammedanische
Religion_ ist Schuld daran.

In allen L�ndern, auf welche sich der Islam ausgedehnt hat, ist es �hnlich.
In der T�rkei, in Persien, in Aegypten, in Tunis, �berall die absoluteste
monarchische Herrschaft, ja sogar in Centralafrika hat die mohammedanische
Religion in den Staaten, von denen sie Besitz ergriffen hat, dem jeweiligen
F�rsten unbeschr�nkte Macht verliehen, so in Uadai, Bornu, Sokoto und
Gando.

_Vor_ dem Islam lebten die Araber in kleinen Triben unter
patriarchalischen Herrschern, und wenn die Berber Nordafrika's es zuweilen
vermochten, sich zu K�nigreichen zu vereinigen, so war dennoch die
Gemeindeabtheilung, kleine von einander unabh�ngige Republiken, ihre
Urregierungsform. So finden wir in Nordafrika die Araber und Berber noch
da, wo sie sich unabh�ngig von den grossen Staaten zu erhalten gewusst
haben.

Nach der Entstehung des Islam folgte es von selbst, die politische
Autorit�t mit der des obersten Priesters in einer Person zu vereinigen.
Nach unten giebt es im Mohammedanismus keine Hierarchie, keine
Priesterkaste, keine privilegirten Menschen, mit Ausnahme derer, welche
Mohammed selbst als bevorzugt bezeichnete: das sind seine eigenen
Nachkommen.

Freilich die vollkommene Unbeschr�nktheit, wie sie jetzt die Sultane von
Marokko gemessen, "absolute Unfehlbarkeit," kam erst dann zu Stande, als im
Anfange des 16. Jahrhunderts Sultane aus der Familie der Sch�rfa auf den
marokkanischen Thron kamen. Seit der Zeit hat im eigenen Lande der
Marokkaner die Macht und _Unfehlbarkeit_ der Herrscher immer mehr
zugenommen, das Wohl, die Bildung und der Fleiss des Volkes aber von dem
Augenblick an auf merkw�rdige Weise abgenommen.

Der Sultan von Marokko nennt sich "Beherrscher" oder auch "F�rst der
Gl�ubigen," Hakem el mumenin, oder will er politisch als Herr des Landes
sich bezeichnen, schreibt er Mul' el Rharb el Djoani[97].

      [Fu�note 97: Alle anderen Titel, wie z.B. bei Lempiere: "Emperor of
       Africa" (die Marokkaner wissen gar nicht was Afrika ist), "emperor
       of Marokko, King of Fes, Suz and Gago, Lord of Dara and Guinea and
       great Sherif of Mohamet" (?), sind Erfindungen der Europ�er selbst.]

Von seinen Unterthanen wird er "Sidna," unser Herr, oder auch "Sultan,"
"Sultana," Sultan, unser Sultan genannt. Andere Ansprachen sind nicht
�blich. Seine erste Frau, die nicht nothwendig ein weiblicher Scherif zu
sein braucht, hat den Titel Lella-Kebira, und gebiert sie einen
Thronfolger, so hat sie f�r immer das Recht den Harem zu regieren und bei
der Wahl der �brigen Weiber eine gewichtige Stimme. Der �lteste Sohn
bekommt den Titel Sidi el Kebir oder Mulei el Kebir, denn Sidi und Mulei im
Singular wird immer gleichbedeutend gebraucht, w�hrend Muleina, der Plural,
nur auf den Propheten angewendet wird. Wie alle Mohammedaner, hat der
Sultan gleichzeitig nur vier rechtm�ssige Frauen, die nach Belieben
fortgeschickt oder erneuert werden; wie viele unrechtm�ssige, d.h. nicht
angetraute junge M�dchen und Frauen in den vier Harems sind, weiss der
Sultan, _trotz seiner Unfehlbarkeit_ wohl selbst nicht.

Ein Gesetz �ber Erbfolge giebt es bei den Mohammedanern nicht, also
existirt darin auch keine Regel f�r Marokko. Der augenblicklich auf dem
Thron sitzende F�rst ist der zweite Sohn des verstorbenen Sultans, und
dieser selbst war Neffe seines Vorg�ngers. Er heisst Sidi Mohammed ben
Abd-er-Rhaman und ist im Jahre 1805 geboren. Wenn schon unter seinen
Vorg�ngern, Sultan Sliman und Abd-er-Rhaman, Vieles anders am
marokkanischen Hof geworden ist, so wechselte noch mehr unter der
Regierung des jetzigen Herrschers, und trotzdem dieser nicht wie sein
Vater Gelegenheit gehabt hat, mit Europ�ern auf gleichem Fuss zu
verkehren und sie so besser kennen zu lernen, sch�tzt doch gerade Sidi
Mohammed mehr als einer seiner Vorg�nger die Christen. Der Vater
Mohammed's war n�mlich vor seiner Thronbesteigung Bascha in Mogador
gewesen, hatte dort viel mit den Consuln verkehrt und somit europ�ische
Gewohnheiten und Gebr�uche kennen gelernt. Sidi Mohammed war aber
fortw�hrend Bascha von der Stadt Marokko gewesen, ehe er Sultan ward.

Die Regenten von Marokko haben keinen eigentlichen Divan oder Midjelis, und
die Etikette am Hofe ist �usserst streng. Es giebt aber gewisse Leute, die
den Vorzug haben, sich setzen zu d�rfen, z.B. die Prinzen, Gouverneure der
Provinzen, vornehme Sch�rfa, w�hrend die gew�hnlichen Sterblichen vor dem
Kaiser nur hocken oder knieen d�rfen. Vorgelassene Bittsteller d�rfen nur
von weitem ihr Anliegen vorbringen in knieender Stellung, und nachdem sie
vorher den Erdboden gek�sst haben. In Gegenwart des Sultans darf das Wort
"gestorben" nicht ausgesprochen werden, damit er nie an den Tod erinnert
werde. Man umschreibt dies, z.B. mit: er hat seine Bestimmung erf�llt,
ebenso darf nie die Zahl "f�nf" vor dem Sultan ausgesprochen werden, man
sagt daf�r "4 und 1" oder "3 und 2". Dieser sonderbare Brauch[98] erkl�rt
sich wohl daraus, weil f�nf die Zahl der Finger das Symbol der Hand, der
despotischen Macht ist. In allen mohammedanischen Landen wird man auch
h�ufig an den H�usern eine rothangemalte Hand oder einfach den Abdruck
einer Hand oder mehrerer finden, man glaubt dadurch Gewalt und Einbruch
abhalten zu k�nnen, das Haus wird hiemit unter die unsichtbare Macht einer
starken Hand gestellt.

      [Fu�note 98: S. Jackson, Account]

Spricht man in Gegenwart des Sultans von einem Juden, so wird vorher
"Verzeihung" gebeten, "Haschak," weil die Juden f�r unrein gehalten werden.
Fr�her galt das auch von den Christen, aber schon unter Abd-er-Rhaman kam
diese Unsitte ab. Es versteht sich von selbst, dass Niemand mit Pantoffeln
vor dem Sultan erscheint, doch haben die hohen Beamten die Erlaubniss, ihre
gelben ledernen Stiefelchen anbehalten zu d�rfen. Decorationen giebt es in
Marokko nicht, indess dachte man im Jahre 1864 daran, einen Orden zu
stiften, den vom Sultan Salomon (dem j�dischen K�nig). Modelle waren
angefertigt, �hnlich wie die, welche K�nig Theodor von Abessinien hatte
machen lassen. Die gr�sste Auszeichnung, die der Sultan von Marokko
gew�hrt, ist die, wenn er selbst seines Burnus sich entledigt, und ihn
einem der Anwesenden schenkt. Vornehme Personen werden zum Handkusse
zugelassen, seine Kinder, seine Br�der und die allern�chsten G�nstlinge
d�rfen auch die _innere_ Fl�che der Hand k�ssen[99].

      [Fu�note 99: S. Aly Bei el Abassi.]

Der vom Sultan gemachte Aufwand ist verh�ltnissm�ssig gering und besteht
haupts�chlich in sch�nen Waffen, herrlichen Pferden und einem grossen
Harem, bewacht von einer gl�nzend gekleideten Schaar von Eunuchen. Die
einflussreiche Stellung, welche diese ungl�cklichen Gesch�pfe unter den
fr�heren marokkanischen F�rsten hatten, hat indess jetzt ganz aufgeh�rt und
beschr�nkt sich lediglich darauf, unbeschr�nkt in dem Theile des Palastes
zu herrschen, in den auser [au�er] dem Sultan keine Mannsperson eintreten
darf. Aehnlich gekleidet wie die marokkanischen Maghaseni oder Reiter,
haben s�mmtliche Eunuchen silbergestickte Leibg�rtel. Alle haben einen
stark riechenden duftenden Namen; so hiess in Mikenes der Eunuchenoberst
"Kaid Kampher", andere hiessen Moschus, Amber, Thymian etc. Ein Theil des
Harems ist stets mit dem Sultan unterwegs, dieser besteht aus den
Lieblingsfrauen, Quintessenz der vier Harem von Fes, Mikenes, Rbat und
Marokko. Marschirt der Sultan, so hat er zwei grosse Zelte, ein jedes
umgeben von einer �usseren vom Hauptzelte unabh�ngigen Zeltwand. Beide
Zelte sind durch einen Zeltgang verbunden: das eine bewohnt der Sultan, das
andere ist f�r die Frauen. Im �usseren Umgang des f�r die Frauen bestimmten
Zeltes halten sich die Eunuchen auf.

Die Regierung des jetzigen Sultans besteht aus dem ersten Minister, der vom
Volke Uisir el Kebir genannt wird, sonst aber den Titel "Ketab el uamer",
Schreiber des F�rsten, hat. Dieser ist der allm�chtigste Mann im Reiche,
ehemaliger Lehrer des Sultans, und sein Einfluss, namentlich in allen
�usseren Angelegenheiten, ist entscheidend; sein Name ist
Si-Tha�b-Bu-Aschrin-el-Djemeni. Der unmittelbare Verkehr mit den
europ�ischen Consuln findet in Tanger statt, durch den dortigen
Gouverneur, der den Titel Uisir-el-uasitha hat, und der seine
Instructionen in dieser Beziehung vom Uisir-el-Kebir oder auch direct
vom Sultan bekommt.

In allen despotischen Staaten, und vorzugsweise in
mohammedanisch-despotischen Staaten, wird manchmal der niedrigste und
d�mmste Mann durch eine Laune des _unfehlbaren_ Herrschers zum obersten
Posten hinaufgehoben. Wer sollte sich dem auch widersetzen? In Marokko
Niemand; allerdings giebt es fast allm�chtige Kaids, unabh�ngig in ihren
Provinzen regierend; allerdings giebt es die Classe der Sch�rfa, der
Abk�mmlinge Mohammeds, die sich wohl erdreisten, fern vom Sultan in
Gegenwart des ganzen Volkes zu sagen: "Ich bin auch Scherif, und der
Sultan hat kein besseres Blut in seinen Adern als ich;" allerdings ist
da der Grossscherif von Uesan, der sagt, er stamme directer von
Mohammed, als der Sultan selbst, und dieser allein wagt auch manchmal zu
trotzen--aber sonst ist Niemand im Lande, der in Gegenwart des
unfehlbaren Herrschers nicht von seiner eigenen Nichtigkeit und
Unbedeutendheit �berzeugt w�re.

So ist denn auch der zweitm�chtigste Mann im Reiche, Si-Mussa, den ich
gewisserma�en "Minister des kaiserlichen Hauses" tituliren m�chte, weiter
nichts, als ein ehemaliger Sklave, ein Neger von Haussa. Er hat nur das
Verdienst, mit dem jetzigen Sultan aufgewachsen zu sein, und leitet
augenblicklich alle inneren Palast-Affairen. Sein Bruder, Si-Abd-Allah,
ebenfalls ein Haussa-Neger und ehemaliger Sklave, ist dermalen
Kriegsminister.

Wichtiger Posten am Hofe von Marokko ist der des Mschuar. Der Kaid el
Mschuar hat das Amt, Bittende, Fremde, Besuchende dem Sultan vorzuf�hren.
Da man nur ausnahmsweise, um vom Sultan empfangen zu werden, sein Gesuch
durch einen andern Minister anbringen lassen kann, ist dieser Posten sehr
eintr�glich, folglich auch einflussreich. Denn jedes derartige Gesuch muss
erst durch ein Geschenk, angemessen nach dem Reichthum des Petenten,
unterst�tzt sein. Ebenso werden Consuln, wenn sie in Gesandtschaft zum
Sultan kommen, oder auch in Rbat in gew�hnlicher Audienz empfangen werden,
durch den Kaid el Mschuar eingef�hrt. Wie viele Plackereien damit f�r
Europ�er verbunden sind, wie vom Kaid el Mschuar abw�rts Jeder, der ein
Aemtchen hat, seinen Fremden auszubeuten bestrebt ist, davon hat Maltzan
eine anziehende Schilderung gegeben.

Der, welchen man in Marokko den Minister des Innern nennen k�nnte, der aber
zugleich auch Gross-Siegelbewahrer ist, der Mul-el-taba oder Kaid-el-taba,
ist derzeit auch eine vollkommen aus dem Staub, oder, wie der Marokkaner
sich viel kr�ftiger ausdr�ckt, aus dem Dr. ... "Sebel" heraufgekommene
Pers�nlichkeit. Der Mul-el-Taba ber�th mit dem Sultan die Besetzung der
Kaid- oder Gouverneurstellen in den Provinzen und St�dten.

Es giebt keinen eigentlichen Schatzmeister in Marokko, oder gar einen
Finanzminister, denn den Schl�ssel zur Hauptcasse, welche in Mikenes sein
soll, hat der Sultan selbst. Dass eine Hauptabtheilung des dortigen
Palastes, von aussen einen vollkommen viereckigen steinernen W�rfel
darstellend, "el dar-el chasna," oder "bit el mel", Schatzhaus heisst, kann
ich aus eigener Anschauung best�tigen; anscheinend hat dieses massive
Geb�ude von aussen gar keinen Zugang, indess liegt eine Seite nach dem
Harem zu, von wo aus der Eingang wohl sein wird. Die Marokkaner behaupten,
der Zugang zum Schatz sei unterirdisch vermittelst eines Tunnels. Das
Innere wird beschrieben als eine ausgemauerte H�hlung, in deren Innerem
wieder ein gemauertes Gemach enthalten sei[100]. Alles dies ist wohl Fabel,
denn Niemand, auch nicht der Kaid-etsard oder Schatzmeister, hat wohl je
einen Blick ins Innere gethan. Ebenso sind die Summen, welche im Schatzhaus
angeh�uft liegen sollen, wohl lange nicht so bedeutend, als Manche
herausgerechnet haben. Franz�sische Schriftsteller haben die Ersparnisse
der marokkanischen Regenten auf 300 Millionen Franken, ja auf eine
Milliarde veranschlagt, ohne zu bedenken, dass das, was der eine Sultan
zur�ckgelegt hatte, oft vom folgenden, der durch Usurpation und
Gewaltmittel auf den Thron kam, in einem Tage der Pl�nderung preisgegeben
wurde. Als z.B. an Spanien jene 22 Millionen spanische Thaler
Kriegsentsch�digung gezahlt werden mussten, fand es sich, dass der
Staatsschatz leer war. Oder durfte und wollte der Sultan ihn nicht
angreifen? Das Nichtvorhandensein des Geldes ist das Wahrscheinlichere.

      [Fu�note 100: S. H�st p. 221, der die H�be des damaligen Schatzes auf
       50 Millionen Thaler angiebt.]

Eine kirchliche Beh�rde giebt es in Marokko nicht, der Sultan als unfehlbar
vereinigt Papst, Cultusministerium oder oberste Synode, wie man bei den
Christen dergleichen Einrichtungen nennt, in seiner Person.

Ich unterlasse es, auf niedere Aemter am Hofe von Marokko einzugehen, werde
jedoch einige derselben, wie sie jetzt noch existiren, erw�hnen: den
Mundkoch Mul' el tabach, den Sonnenschirmtr�ger Mul' el schemsia,
S�beltr�ger Mul' el skin, den Theeservirer Mul' el atei, Speisetr�ger Mul'
el taam. Alle diese Aemter werden meist von Sklaven versehen, viele aber
auch, und es giebt derer noch f�nfzig, von freien weissen Leuten. F�r die
kleinste Handthierung ist ein besonderer Angestellter vorhanden, z.B. f�r
den, der die Pantoffel des Sultans umdreht, damit er sie beim Anziehen
gleich wieder fussgerecht vor sich hat. Um den Steigb�gel zu halten, um
eine Schale mit Wasser zu bringen, um die ausgetrunkene Theetasse in
Empfang zu nehmen, um die Serviette zu reichen, um das Waschbecken zu
pr�sentiren, f�r jeden kleinen Dienst hat der Sultan einen besonderen
Angestellten. Man glaube aber nicht, dass alle diese Leute besoldet sind.
Ziemlich gute Kleidung, oft die, welche der Sultan oder die Prinzen
abgelegt haben, und die sieh von der f�rstlichen Tracht durch nichts
unterscheidet, als durch gr�ssere Fadenscheinigkeit--dann Nahrung, das ist
Alles, was dieses Heer von Bedienten und Beamten bekommt. Aber keineswegs
sind sie deshalb ohne Geld, von Jedem, der nach Hofe kommt, wissen sie
etwas zu erpressen; gehen sie in die Stadt auf die M�rkte, so entlocken sie
bald hier einem ungl�cklichen Juden, dort einem leichtgl�ubigen Landmann
eine Mosona, wer w�rde der Bitte oder der Drohung eines Ssahab sidna
widerstehen? Es ist das officieller Name aller Beamten und Diener. Der
erste Minister des Sultans, wie sein letzter Sklave, sch�mt sich dieses
Titels nicht, was wiederum seinen Grund daher hat, weil in den Augen des
Sultans der h�chste Beamte keinen gr�sseren Werth hat als der letzte
Sklave. Vor der marokkanischen Unfehlbarkeit verf�llt mit derselben
Leichtigkeit das Haupt des rechtschaffensten Beamten dem Schwert, wie das
eines Verbrechers, der es wirklich verdient hat. Eigentlich kann daher
Unfehlbarkeit nur in einem solchen Lande vollkommen bl�hen und existiren
wie in Marokko, d.h. in einem Lande, wo das Gesetz nichts gilt, sondern
Alles sich der Laune eines schwachk�pfigen Fanatikers f�gen muss.

Es giebt kein h�chstes Justizamt in Marokko; vom Kadi einer einzelnen
Provinz oder einer Stadt, oder eines kleinen Ortes kann nur an den Uisir
oder an den Sultan appellirt werden, welche letztere nach ihrem Gutd�nken
das gef�llte Urtheil best�tigen oder verwerfen.

Die einzelnen Provinzen und Ortschaften werden manchmal von Kaids und
Schichs regiert, die direct, wenn es sich um Provinzen und um gr�ssere
St�dte handelt, vom Sultan ernannt werden. So wie wir auf den meisten
Karten die verschiedenen Provinzen abgegrenzt finden, existiren sie in
administrativer und gerichtlicher Beziehung nicht. Die Kaid stehen einem
Kaidat vor, das manchmal aus einer Stadt mit verschiedenen Triben oder
D�rfern besteht. Oft ist ein Kaid direct vom Sultan abh�ngig, oft hat ein
Kaid oder Schich 40 oder gar 100 Kaids, die unter ihm stehen. Ein Kaid hat
manchmal nur einen Duar[101], einen Tschar[102], eine Tribe zu commandiren,
manchmal deren 20, 50 und noch mehr. Ein Kaid commandirt z.B. vielleicht zu
einer Zeit die beiden Rhabprovinzen mit den Triben darin, oder wie zur Zeit
des jetzt regierenden Sultans sind sie getheilt, und werden von zwei Kaids
regiert. Der Titel "Kaid" ist der allein officielle, sowohl f�r die Beamten
einer grossen Provinz, wie f�r die einer kleinen Ortschaft. Gleichbedeutend
ist der Name "Schich", den man vorzugsweise in den Gegenden von
�berwiegender Berber-Bev�lkerung antrifft. Der Titel "Bascha" wird nur
einzelnen besonders hervorragenden Gouverneuren, z.B. dem von Alt-Fes,
verliehen. Der Titel "Chalifa" schliesst immer eine Stellvertretung in
sich, so hat z.B. der �lteste Sohn des Sultans unter der Regierung des
jetzigen Kaisers, sobald dieser nach Marokko �bersiedelt, den Titel
"Chalifa von Fes" als seines Vaters Stellvertreter. Kehrt der Sultan nach
Fes zur�ck, hat einer der Br�der des Sultans, Mulei Ali, in der Hauptstadt
Marokko den Titel "Chalifa". Es ist dies die einzige Erinnerung daran, dass
ehemals Fes und Marokko getrennte K�nigreiche waren.

      [Fu�note 101: Zeltdorf.]

      [Fu�note 102: Bergdorf aus H�usern.]

Es w�rde unm�glich sein, genau die Grenzen der verschiedenen Provinzen
Marokko's angeben zu wollen, da �berhaupt je nach den Launen der Regierung
heute eine Provinz vergr�ssert, morgen verkleinert oder gar entzwei
geschnitten wird, heute eine Tribe dieser, morgen jener Provinz einverleibt
wird, manchmal mit den Provinzen eine geographische Bezeichnung f�r immer
verbunden ist, manchmal auch nicht.

Auf der Abdachung des Atlas nach dem Mittelmeer und Ocean, umfasst von der
Gebirgskette, welche zwischen Cap Gehr und Cap el Deir hinzieht, haben wir
im Norden die Andjera und Rif-Provinz, s�dlich von Andjera die beiden
Rharb-Provinzen, und dann l�ngs des Oceans von Norden Beni-Hassen, Schauya,
Dukala, Abda, Schiadma und Haha. S�dlich vom Rif die Hiaina, und s�dlich
von der Hiaina die Provinz Fes. Auf den Stufen des Atlas liegen �stlich von
Haha die Ahmar und die Erhammena, dann Maroksch (District der gleichnamigen
Stadt), und n�rdlich von Maroksch, Temsena und �stlich Scheragna. Diese
soeben aufgef�hrten Districte, die aber keineswegs alle eine besondere
Regierung haben, und deren Grenzen nicht genau bestimmt sind, d�rften die
Benennungen f�r die bezeichneten Oertlichkeiten sein. In denselben, sind
indessen Districte enthalten, die ebenso gut den Namen Provinz f�hren
k�nnten. Die �stliche Partie des Garet, welche Provinz westlich mit dem Rif
zusammenh�ngt, ist in den letzten Jahren als Beni-Snassen bekannt geworden,
ein eigener politisch begrenzter District, mit eigenem Kaid. S�dlich von
der Provinz Fes, von Scheragna, Maroksch und Erhammena sind Atias aufw�rts
noch die verschiedensten Districte bis zum Kamme des Gebirges, aber die
Namen derselben zum Theil unbekannt, zum Theil wissen wir nicht mit
derselben Sicherheit anzugeben, wohin sie setzen. Von Fes in s�d�stlicher
Richtung k�nnte ich constatiren den District der Beni Mtir und der Beni
Mgill.

S�dlich vom Cap Gehr l�ngs des Oceans sind die Provinzen Sus und Nun (mit
Tekna), der Staat des Sidi Hischam existirt nicht mehr[103]. Die Provinz
Draa kommt nat�rlich nur soweit hier in Geltung, als sie bewohnt ist, das
ist bis zum Umbug des Flusses nach Westen. Es folgt sodann �stlich vom Draa
Tafilet mit seinen verschiedenen Districten, und nord�stlich von Tafilet
die verschiedenen kleinen Oasen am s�d�stlichen Atlasabhange, die
bedeutendste davon ist Figig. Endlich die s�d�stlichste Provinz von Marokko
ist Tuat.

      [Fu�note 103: Per Name "Dschesula" oder, wie Renou auf seiner Karte
       hat, Gezoula, existirt nirgends s�dlich vom Atlas, vielleicht soll
       er auf den Karten bloss die Gaetuler der Alten in Erinnerung
       bringen.]

Ueber die Einnahmen und Ausgaben des Sultans von Marokko l�sst sich nichts
Bestimmtes sagen, da keine Staatsb�cher dar�ber existiren, die Eink�nfte
dem Zufall unterworfen und der Laune der einzelnen Kaids anheimgegeben
sind, oft auch andere Umst�nde eintreten, die ganz unvorhergesehen sind.

Im Jahre 1778 veranschlagte H�st, auf Koustroup fussend, die Einnahme auf
eine Million Piaster[104], hervorgegangen aus Zoll, Schutzgeldern,
Thorsteuern, Judenabgaben, Monopolen, Miethen, Strassenz�llen und
ausl�ndischen Geschenken, letztere figuriren allein mit 250,000 Piastern.
An Ausgaben giebt er nur 300,000 an, so dass 700,000 Piaster f�r den Schatz
geblieben w�ren. Da der zu der Zeit regierende Sultan im Jahr 1778 zwei und
zwanzig Jahre regierte, meint H�st den Schatz in der Bit el mel auf 13
Millionen Piaster veranschlagen zu k�nnen.

      [Fu�note 104: Ein spanischer Piaster ungef�hr 1 Thlr. 13 Sgr.]

Im Jahr 1821 giebt Hems� die Eink�nfte auf 2,600,000 Thaler an, darunter an
Geschenken f�r 225,000 Thaler. Die Ausgaben berechnet er auf 990,000
Thaler, und wie H�st schliessend, dass Sultan Soliman seit seiner
Thronbesteigung im Jahre 1793 j�hrlich eine Ersparniss von 1,600,000 Thaler
gemacht habe, meinte er, m�sse in der Bit ei mel nach einer Regierung von
34 Jahren zum mindestens die Summe von 50 Millionen Thaler sein.

Neuere Nachrichten liegen �ber den Staatshaushalt nicht, vor, denn Jules
Duval in der Revue des deux Mondes von 1859 hat einfach von Hems�
abgeschrieben, die Zahlen f�r die neuesten ausgegeben, ohne der Quelle
dabei auch nur zu gedenken; ebenso wenig verdienen Calderons Angaben
Glauben.

Auch �ber Gesammtausfuhr und Einfuhr, �ber Handel und Wandel liegen keine
statistischen Nachrichten vor. Ueber verschiedene H�fen besitzen wir in
dieser Beziehung gar kein Material. Agadir mit sehr bedeutender Importation
von Naturalien aus Sudan, der Sahara, Nun, Draa und Sus hat, wie Asamor,
keine Consuln irgend eines Staates. Und Asamor ist eine der bedeutendsten
St�dte. Aus einzelnen H�fen jedoch liegen �ber ein- und ausgelaufene
Schiffe, Tonnengehalt, Aus- und Einfuhrartikel, Nationalit�t der Schiffe
etc. genaue Angaben vor[105].

      [Fu�note 105: Siehe Richardson Vol II, p. 316.]

Serafin Calderon sch�tzt den Gesammtwerth des Handels auf 50,000,000
Thaler. England vermittle davon zwei Drittel, das dritte vertheile sich auf
Spanier, Portugiesen, Franzosen, Belgier etc. Beaumier giebt die
Handelsbewegung von Marokko mit einem j�hrlichen Mittel von etwa 40
Millionen Franken an, und was die Wichtigkeit der daran theilnehmenden
H�fen anbetrifft, stellt er Mogador mit 5/8 voran, w�hrend L'Araisch,
Tanger, Rbat, Casablanca und Masagan je mit 1/8, und Tetuan und Saffy mit
je 1/16 im gleichen Verh�ltniss daran Theil nehmen[106].

      [Fu�note 106: Siehe Beaumier, D�scription sommaire de Maroc, p. 31.]

Obschon nun verschiedene Tractate mit den christlichen Nationen geschlossen
sind �ber Zoll bei Einfuhr und Ausfuhr, so hebt sie der Sultan manchmal
ohne besonderen Grund auf, weshalb sollte er auch nicht? Braucht er, der
unfehlbare Herrscher der Gl�ubigen, Sklave seines Wortes zu sein? ist er
nicht Herr und uneingeschr�nkter Gebieter aller Leute, die im Rharb sich
aufhalten, folglich auch der Christen, so lange wie sie dort wohnen? Giebt
es �berhaupt einen F�rsten, der sich mit ihm messen kann? Freilich regiert
der Sultan von Stambul die andere H�lfte[107] der Gl�ubigen, aber das ist
von Gott so geschrieben. Freilich schlugen die Franzosen bei Isly den jetzt
regierenden Sultan aufs Haupt, aber das war auch Mektub Allah (von Gott
geschrieben); freilich nahmen die Spanier Tetuan, aber auch das war Mektub
Allah; einige alte Wahrsager sagen sogar, die Christen werden einst in
Mulei Edris (Fes) einr�cken, und man antwortet in Marokko: "Gott verfluche
sie, aber vielleicht ist es _geschrieben_."

      [Fu�note 107: Anschauungsweise der Marokkaner.]

       *       *       *       *       *




11. Consulatswesen.

       *       *       *       *       *

Kein einziger Staat auf der ganzen Erde hat sich so in seiner
Abgeschlossenheit zu erhalten gewusst wie Marokko. W�hrend die T�rkei schon
seit langer Zeit in diplomatischem Verkehr mit allen europ�ischen M�chten
steht, in allen europ�ischen L�ndern Gesandte und Consuln unterh�lt;
w�hrend China, wenn es auch noch keine Agenten in Europa hat, doch
fortw�hrend in diplomatischer Verbindung mit den christlichen M�chten steht
und das Reich der Mitte jetzt den Europ�ern ge�ffnet ist, bleibt der
�usserste Westen, el-Rharb-el-Djoani, geheimnissvoll verschlossen.

Weder die Schlacht von Isly oder des Prinzen von Joinville Bombardement von
Tanger und Mogador, noch die Einnahme von Tetuan haben vermocht, irgendwie
eine Ver�nderung herbeizuf�hren. Mit Ausnahme einer einzigen Macht,
Englands, sind die Beziehungen Marokko's zu allen �brigen M�chten f�rmlich
und kalt; sie beschr�nken sich eigentlich auf Differenzen der Mohammedaner
und Christen in den marokkanischen Hafenst�dten.

Es haben indess fr�her wohl bessere Zeiten existirt, wir wissen, dass nach
den heftigsten Feindseligkeiten der Christen mit den Mohammedanern Spaniens
und Marokko's Pausen eintraten, in welchen beide vereint den Wissenschaften
oblagen. Die erste Vertreibung der Mohammedaner aus Spanien, endlich die
letzte im Jahre 1609, legte Grund zu jenem unausl�schlichen Hasse, den die
Norwestafrikaner [Nordwestafrikaner] von nun an gegen alles Christliche
kund geben. Dazu kamen auf den Thron von Marokko neue Dynastien, die erste
der Filali oder Sch�rfa, dann zu Anfang des 17. Jahrhunderts die zweite
Dynastie der Sch�rfa.

Marokko wetteiferte um diese Zeit mit den �brigen Raubstaaten im Capern
christlicher Schiffe, keine Macht war sicher, und hatte je ein europ�isches
Schiff das Ungl�ck an der gef�hrlichen K�ste, die sich von der Strasse
Gibraltars bis zur Sahara hinerstreckt, zu stranden, so waren das Schiff
und was es enthielt unbedingt Beute der umwohnenden V�lker, die Bemannung
aber wurde gemordet, verst�mmelt, gesch�ndet, im besten Fall aber ins
Innere geschleppt, um dort als Sklaven mittelst h�rtester Arbeit das Leben
zu fristen.

Und haben diese Verh�ltnisse vielleicht Besserung erfahren? Keineswegs!
Allerdings hat schon Sultan Soliman, oder Sliman, wie ihn die Marokkaner
nennen, die Aufhebung der christlichen Sklaven decretirt, und erleidet
jetzt ein Schiff irgendwo an der marokkanischen K�ste Schiffbruch, so wird
die Mannschaft nicht mehr verkauft, sondern gemeiniglich nach langen Leiden
ausgeliefert. Werden unter der Zeit einige davon gemordet, werden, falls
Frauenzimmer dabei sind, diese nicht respectirt, so hat das noch nie Folgen
gehabt. Eigenthum wird aber auch heutigen Tages noch nie geachtet; der
Schiffsladung beraubt, des pers�nlichen Eigenthums bestohlen, so werden die
armen Verungl�ckten dem betreffenden Consul �berh�ndigt. Sicher verlangt
der mit der Uebergabe Betraute vom christlichen Consul noch ein bedeutendes
Geschenk, m�glicherweise wird auch noch eine Rechnung f�r Verpflegung
eingereicht. Und die Consuln zahlen und danken.

Im selben Jahr 1852, als der englische Admiral Napier marokkanische
Unbilden, gegen englische Unterthanen begangen, r�chen wollte, aber nur
unn�tzerweise seine Flotte angesichts der marokkanischen K�ste spazieren
f�hrte, im selben Jahre wurde die preussische Brigg Flora an der Rifk�ste
gepl�ndert. Vier Jahre sp�ter wurde Prinz Adalbert von Preussen, der
jetzige Admiral des Deutschen Reiches, an der n�mlichen K�ste beim
Wassereinnehmen verr�therisch angegriffen und verwundet. Marokko hat nie
Satisfaction daf�r gegeben, gegen Preussen liess es sich durch den
schwedischen General-Consul damit entschuldigen (wie mir sp�ter der
marokkanische Grosswessier Si Thaib Bu Aschrin selbst best�tigte): der
Sultan habe keine Gewalt �ber die Rif-Bewohner, und lehne daher jede
Verantwortung f�r dergleichen Acte ab, und mit England wurden die guten
Beziehungen dadurch wieder hergestellt, dass das stolze K�nigreich dem
Sultan Geschenke machte.

Um die Politik Englands zu verstehen, m�ssen wir bis zum Jahr 1684
zur�ckgehen, zu welcher Zeit England die Stadt Tanger, welche Karl II. von
seiner portugiesischen Gemahlin Katharina zwanzig Jahre fr�her bekommen
hatte, freiwillig aufgab. Dieser unkluge Streich, einen St�tzungspunkt am
Eingange des Mittelmeers freiwillig zu verlassen, wurde f�r die englische
Regierung dadurch neutralisirt, dass schon 20 Jahre sp�ter der kaiserliche
Feldmarschall Prinz Georg von Hessen-Darmstadt Gibraltar f�r England
eroberte, und Grossbritannien ist seitdem im stetigen Besitze dieser Veste
geblieben.

War es nun in fr�heren Zeiten England haupts�chlich darum zu thun, mittelst
Gibraltars die dortige Meerenge beherrschen zu k�nnen, dort am Eingange des
Mittelmeeres einen sichern Punkt f�r eine Kriegsflotte zu besitzen, so hat
die Dampfschifffahrt hierin eine vollst�ndige Ver�nderung hervorgerufen.
Seitdem ein Dampfschiff in einer Stunde 15, ja ausnahmsweise 20 Knoten
zur�cklegen kann, beherrscht der Fels von Gibraltar die Meerenge nicht
mehr. Ueberdies l�sst sich mit den weittragendsten Kanonen die ganze
Passage bis zum afrikanischen Ufer nicht bestreichen. F�r England aber wird
Gibraltar immer Wichtigkeit behalten wegen der N�he von Marokko und als
Sammelplatz f�r eine Flotte. Aber weit wichtiger in dieser Beziehung w�rde
f�r England der Besitz von Ceuta sein. Was die Lage dieses Ortes
anbetrifft, so ist sie ebenso g�nstig wie die von Gibraltar, in Beziehung
zu Marokko aber bedeutend g�nstiger. Und insofern ist es wohl zu verstehen,
dass in j�ngster Zeit immer wieder das Ger�cht auftauchte, England
beabsichtige Gibraltar gegen Ceuta auszutauschen.

Das Interesse nun, welches England an Marokko bindet, liegt zum Theil
darin, weil der englische Handel, die englischen Producte fast
ausschliesslich den marokkanischen Markt beherrschen, dann in Eifersucht
gegen fremde M�chte, vorzugsweise Spanien und Frankreich. Und diese
Eifersucht entspringt haupts�chlich wieder daraus, dass England f�rchtet
von eben diesen M�chten vom marokkanischen Markte verdr�ngt zu werden. Wir
wollen nicht zur�ckgreifen, und daran erinnern, wie England der Staat war,
der die Eingeborenen Algeriens und namentlich Abd-el-Kader thats�chlich
gegen Frankreich unterst�tzte, wir wollen bei den letzten Ereignissen
stehen bleiben.

Als am 25. M�rz 1860 Mulei Abbes und O'Donnell Frieden schlossen, hatte
bald darauf der spanische General Kos de Olano, von seinen Soldaten
Abschied nehmend, vollkommen Recht zu sagen: "Wir haben einen f�r uns
neuen, ja einzigen Krieg in seiner Art beendigt, in welchem, nach meinem
Urtheile, wir bei jeder Action siegreich gewesen sind, aber dennoch die
Campagne verloren haben."

Olano hatte vollkommen Recht so zu sagen, denn gewonnen haben die Spanier
in diesem Feldzuge nichts. Das Versprechen Agadir abzutreten ist nicht
gehalten worden, im Gegentheil, im Jahr 1862 konnte ich mich �berzeugen,
dass der Sultan Sidi Mohammed aufs eifrigste damit besch�ftigt war, diesen
Ort, der fr�her nur mangelhaft befestigt war, durch neue und gut
ausgef�hrte Befestigungen zu sch�tzen. Eine Mission in Fes und Mikenes
einzurichten, daran haben die Spanier bis jetzt nicht denken k�nnen,
trotzdem, dass auch dies beim Friedensschluss verabredet war. Tetuan musste
wieder herausgegeben werden, und die Kriegskosten sind noch lange nicht
bezahlt, und werden es auch, wenn es so fort geht, nach eigener spanischer
Berechnung in hundert Jahren noch nicht sein.

Und wer brachte diesen f�r Spanien so ung�nstigen Frieden zuwege? Wer
verhinderte die Spanier von Tetuan nach Tanger zu marschiren, wer
verhinderte das Bombardement von Tanger, Mogador und anderen marokkanischen
Hafenpl�tzen? Nur England! Sidi el Hadj Abd es Ssalam, Grossscherif von
Uesan, erz�hlte mir sogar ein Jahr sp�ter, dass englische Soldaten als
Marokkaner verkleidet, an den Batterien in Tanger gestanden haben, um die
Kanonen zu bedienen, falls die Spanier dennoch einen Angriff wagen w�rden.
Nat�rlich kann ich nicht einstehen f�r die Wahrheit dieser Aussage, sie
bekundet aber, wie innigen Antheil England derzeit an Marokko nimmt.

Die ersten regelm�ssigen Beziehungen Spaniens mit Marokko fanden im Jahr
1767 und 1798 statt. Wie die �brigen christlichen Nationen verstand auch
Spanien sich zu einem j�hrlichen Tribut, der sich indess nur auf etwa 1000
Thlr. belief. Freilich mussten bei einem jeden Consulatswechsel 12,000
Thlr. extra bezahlt werden. Spanien betonte �brigens in dem 1798
abgeschlossenen Vertrage, die Geschenke nur deshalb leisten zu wollen,
damit die in Mikenes, Marokko, L'Araisch und Tanger bestehenden Kl�ster
ohne Hinderniss ihre Religion aus�ben k�nnten. Die Kl�ster im Innern waren
haupts�chlich errichtet, christliche Sklaven freizukaufen und ihnen in
Krankheit Beistand zu leisten, namentlich auch sie in der christlichen
Religion zu st�rken und zu erhalten. H�st in seinem 1781 erschienenen Werke
erw�hnt noch dieser Kl�ster. Aber da der religi�se Fanatismus in Marokko
bis jetzt immer noch wachsend gewesen ist, sah sich Spanien gen�thigt,
schon Ende des vorigen Jahrhunderts die Kl�ster von Mikenes und Marokko
aufzuheben; das von L'Araisch wurde 1822 geschlossen.

Augenblicklich lebt der spanische Generalconsul in Tanger mit der Regierung
von Marokko auf gutem Fusse, spanische Agenten theilen mit denen des
Sultans s�mmtliche Hafeneink�nfte aller H�fen, damit Spanien so zu seiner
Kriegskostenentsch�digung komme.

Der einzige Staat, der es verschm�ht hat, je Verbindung mit Marokko
anzukn�pfen oder gar Tribut zu zahlen, ist Russland, und eigenth�mlich,
Russland ist in Marokko am meisten gef�rchtet, den Namen "Muscu" spricht
jeder Marokkaner mit einer gemessenen ehrfurchtsvollen Scheu aus.

Frankreich behauptet[108], schon 1577 Consuln in Fes gehabt zu haben, ob
dem so ist, wollen wir dahin gestellt sein lassen. Die ersten
diplomatischen Beziehungen waren der Vertrag vom 3. Sept. 1630, vom 17. und
24. Sept. 1631, vom 16. Jan. 1635 und vom 29. Jan. 1682[109], endlich 1693
zur Zeit Louis XIV. Letzterer trat erst 1767 in Kraft. Frankreich bezahlte
keine bestimmte j�hrliche Summe, aber die j�hrlichen Geschenke giebt Hems�
auf mehr als 100,000 Thlr. an.

      [Fu�note 108: Jules Duval, Rev. des deux mondes 1859.]

      [Fu�note 109: Du Mont, Corps diplomatique t. V. VI. u. VII.]

Von dem ersten Tage der Eroberung Algeriens an hat Frankreich best�ndig mit
Marokko auf dem qui vive gestanden. Die Schlacht von Isly, durch den jetzt
regierenden Sultan Sidi Mohammed verloren, das Bombardement von Mogador und
Tanger haben keineswegs dazu beigetragen, die Franzosen beliebt zu machen.
1844 als Friede und ein neuer Vertrag geschlossen wurde, konnte
Abd-er-Rhaman sich nicht dazu verstehen, den franz�sischen Gesandten in
Fes zu empfangen, er ging eigens zu dem Ende nach Rbat.

Seit der Zeit hat Frankreich keine ernste Streitigkeiten mit Marokko
gehabt, die Expedition gegen die Beni-Snassen war lokal und geschah mit
Genehmigung des Sultans, andere Differenzen, z.B. manchmal Auslieferungen
algerinischer Verbrecher und Revolteure, wurden immer dadurch beigelegt,
dass Marokko wo es nur konnte aufs schnellste Frankreichs W�nsche erf�llte.
Denn England wird in Marokko geliebt, Spanien gehasst, aber Frankreich
gef�rchtet. Das ist die eigene Aussage des marokkanischen ersten Ministers.

Obgleich England nicht zu den M�chten geh�rt, welche die �ltesten Tractate
mit Marokko geschlossen haben, so sehen wir doch schon, dass zur Zeit der
Regierung der K�nigin Elisabeth englischer Handel sich an der
marokkanischen K�ste entwickelte. Am 2. Januar 1718 wurde der erste[110]
und unter Georg II. und Sultan Mulei Hammed el Dahabi im Juni 1729 ein
zweiter Vertrag geschlossen. Von den Sultanen Sidi Mohammed 1760, von Mulei
Yasid 1790, und von Mulei Sliman 1809 wurde dieser Vertrag best�tigt[111].
Denn die Sultane von Marokko anerkennen die Acte ihrer Vorg�nger nur, wenn
sie dieselben ausdr�cklich best�tigt und erneuert haben, namentlich solche
mit den christlichen M�chten. Ein Hauptgrund zu einem solchen Verfahren
ist, dass bei einer Vertragserneuerung die betreffenden Staaten bedeutende
Geschenke an den Sultan und seine Regierung zu machen haben. In einer 1815
vom englischen Parlament ver�ffentlichten Liste ersehen wir, dass Marokko
mit einer j�hrlichen Liste von 16,177 Pfd. St. von 1797 bis 1814 figurirt
als Kriegsunterst�tzung[112]. Ausserdem hat die grossbritannische Legation
in Marokko �ber j�hrliche 10,000 Piaster zu Geschenken zu verf�gen, und
versorgt zum Theil Marokko gratis mit Munition[113] und Waffen wegen der
Erlaubniss, nach Gibraltar Vieh und Getreide so viel es braucht ausf�hren
zu k�nnen.

      [Fu�note 110: Du Mont, Corps diplom. T. VIII.]

      [Fu�note 111: Gr�berg di Hems�, p. 232.]

      [Fu�note 112: Revue des deux mondes 1844. Maroc, ses moeurs et
       ressources.]

      [Fu�note 113: S. Calderon.]

Die gr�ssten Erfolge verdankt England jedoch seinem jetzigen Repr�sentanten
in Marokko, Sir Drummond Hay. Um M�nner zu haben, die genau mit den Sitten
und mit der Sprache des Volkes bekannt sind, hat England zu seinen
Vertretern in Marokko nur solche Leute genommen, die dort im Lande geboren
sind. So auch Sir Drummond, der wie kein anderer das Land kennt, und mit
Hoch und Niedrig umzugehen weiss. Am 9. December 1859 schloss Sir Drummond
mit Abd-er-Rhaman einen neuen Handelsvertrag, und traf Bestimmungen, von
denen alle christlichen M�chte profitiren sollten. Indess beanspruchte im
Vertrage von 1861, der, was das Commercielle anbetrifft, revidirt wurde,
England f�r sich eine Ausnahmestellung.

So heisst es z.B., Englands Consuln d�rfen residiren, in welchem Hafen oder
in welcher Stadt[114] es Grossbritannien f�r gut findet, w�hrend f�r die
Consuln der �brigen M�chte nur die Hafen erw�hnt sind. Andererseits ist
anzuerkennen, dass England in diesem Vertrage zum erstenmal f�r alle
europ�ischen Agenten das Recht erlangte, die Fahne da aufzuhissen, wo man
es wollte, und nicht bloss wie fr�her im "unreinen Ghetto" der Juden. Und
vor allen Dingen ist hervorzuheben, dass England den Protestanten volle
Freiheit bei Aus�bung ihres Cultus zusicherte. Im Jahre 1862 war Sir
Drummond selbst in Mikenes w�hrend eben der Zeit wie ich dort war, und ich
konnte mich selbst �berzeugen, wie allm�chtig sein Einfluss, mithin der
Englands in Marokko ist, und irre ich nicht, so hat Drummond Hay im Jahre
1867 sogar in Fes den Sultan besucht. Derjenige, der weiss, wie sehr
schwierig es ist, mit den marokkanischen Monarchen in Person zu verkehren,
namentlich in einer der Hauptst�dte des Landes selbst, wird ermessen
k�nnen, welch grosses Zutrauen der derzeitige Sultan zum jetzigen
grossbritannischen Consul hat.

      [Fu�note 114: Um Marokko nicht zu verletzen, w�rde �brigens England
       wohl nie darauf bestehen, im Innern des Landes Consuln zu halten.]

Aber die englische Regierung, die weiss, dass solchen V�lkern haupts�chlich
durch Glanz, Reichthum und Macht imponirt wird, hat in Tanger ein
Consulatsgeb�ude herstellen lassen, das seiner Zeit mehr als 70,000 Thaler
kostete, der Generalconsul und Ministerresident bezieht einen Gehalt von
mindestens 50,000 Francs; ausserdem stehen dem englischen Minister zur
Seite ein bezahlter Viceconsul, ein Arzt, Prediger, verschiedene
Dolmetsche, Cavassen und Diener, alle gleichfalls hoch besoldet. In
Mogador, Asfi, Darbeida, Dar-Djedida, Rbat, L'Araisch, Arsila und Tetuan
unterh�lt England ebenfalls bezahlte Consulate, Viceconsulate und
Agenturen.

Im Anfang der 60er Jahre vertrat England ausserdem das K�nigreich D�nemark,
Oesterreich und die deutschen Hansest�dte.

Die Hanseatischen St�dte zahlten auch Tribut. 1750 musste Hamburg 50
Lafetten liefern, ausserdem 300 Centner Pulver etc.[115].

      [Fu�note 115: Pacy, La piraterie musulmane, Revue africaine. 1858.]

Am 18. Juni 1753 (H�st, p. 284) schloss D�nemark einen Tractat mit Marokko;
da die meisten �lteren Tractate �hnlicher Art sind, heben wir daraus
hervor: � 6 und 10. Jeder D�ne kann im Lande reisen und hat Sicherheit (?).
Keine andere Nation ist der d�nischen bevorzugt. � 9. Kein d�nisches
schiffbr�chiges Schiff darf beraubt, oder die Mannschaft davon misshandelt
werden (?). Kein Maure darf den D�nen zwingen, seine Waare unter dem Werthe
zu verkaufen. Kein Matrose darf mit Gewalt von einem d�nischen Schiffe
genommen werden. � 12. Wenn ein d�nisches Schiff einige von seinen in einem
marokkanischen Hafen bereits verzollten Waaren nach einem anderen Hafen in
Marokko bringen m�chte, so soll kein Zoll aufs neue von den an Bord
befindlichen Waaren erlegt werden, die anderw�rts hin bestimmt sind. Von
Munition und Schiffsbaumaterialien wird kein Zoll bezahlt.--D�nemark
bezahlte daf�r (Hems� p. 235) j�hrlich 25,000 Thaler, und auserdem
[ausserdem] f�r die Erlaubniss, eine Handelscompagnie an der K�ste von Sla
bis Asfi anzulegen, ein Annuum von 50,000 Thlrn.

Im Jahre 1844 hat D�nemark erst aufgeh�rt Tribut an Marokko zu zahlen,
w�hrend Schweden, welches im Jahr 1763 den ersten Vertrag mit Marokko
unterzeichnete, hierf�r dem Sultan einen j�hrlichen Tribut von 20,000
Thalern gab. Vorher bestanden die Geschenke Schwedens in Naturalien: Holz,
Tauwerk, Munition etc. 1771 unter Gustav III. wurde ein neuer Vertrag
vereinbart, wonach Schweden j�hrlich zweimal einen Gesandten mit Geschenken
zu schicken hatte, aber 1803 derselbe alte Vertrag wieder erneuert, wonach
Schweden 20,000 Thaler leistete, und noch die Dem�thigung erfuhr, dass
dieses Geschenk _�ffentlich_ durch den Consul �berreicht werden
musste. Unter Bernadotte wurde der Tribut dann g�nzlich aufgehoben; der
schwedische Generalconsul hatte die Annuit�t von 20,000 Thalern eines
Jahres zum Bau eines Consulatsgeb�udes[116] benutzt, und sp�ter die Zahlung
nicht weiter geleistet. Zur Zeit, als ich in Marokko anwesend war, vertrat
Schweden und Norwegen zugleich Preussen.

      [Fu�note 116: Siehe von Maltzan: "Drei Jahre im Nordwesten von
       Afrika."]

Oesterreich, das sich jetzt auch durch England vertreten l�sst, schloss,
nachdem der Kaiser Rudolph II. im Anfange des 17. Jahrhunderts einen
Gesandten an Sultan Abu Fers geschickt hatte, einen Vertrag mittelst des
Engl�nders Shirley; im Jahre 1783 am 17. April, also ungef�hr 150 Jahre
sp�ter (Schweighover, Staatsverfassung von Marokko und Fes), erneuerte es
den Vertrag. Zu der Zeit hatte Sidi Mohammed einen Gesandten an Joseph II.
geschickt, Namens Mohammed Abd-el-Malek, der mit dem Rath von Jenisch den
Vertrag erneuerte und besiegelte. Im Jahre 1815 verpflichtete sich Kaiser
Franz gegen Marokko f�r Venedig einen j�hrlichen Tribut von 10,000 Sequinen
zu zahlen, wozu sich 1765 die Republik verpflichtet hatte. Im selben Jahre
jedoch brach Oesterreich jede Verbindung mit Marokko ab, und h�rte, wohl
von allen europ�ischen Staaten der erste, auf, Tribut zu zahlen.
Oesterreich verwies seine Unterthanen an Spanien. Die vielen Vexationen,
die Sultan Abd-er-Rhaman aber gegen Oesterreicher aus�bte, zwangen diesen
Staat zu einer milit�rischen Demonstration. 1829 bombardirte der
�sterreichische Admiral Bandierra einige K�stenst�dte, aber ohne grossen
Erfolg. Unter D�nemarks Vermittelung kam am 12. Februar 1830 ein Vertrag
mit Marokko zu Stande, von dem nur bekannnt [bekannt] ist, dass Oesterreich
sich nicht zu Geschenken oder Tribut verpflichtete. Die Vertretung blieb
D�nemark und sp�ter England �berlassen.

Mit dem Sultan Sliman hatte im Jahr 1817 Preussen versucht ebenfalls einen
Vertrag abzuschliessen, der aber nicht zu Stande kam, und seit der Zeit
blieb, wie angef�hrt, die Vertretung dieses Landes Schweden �berlassen. Im
Anfange dieses Jahrhunderts hatte denn auch Hamburg versucht, einen Vertrag
zu Stande zu bringen, da ein Hamburger Artikel fr�her wie auch jetzt
(wenigstens dem Namen nach), n�mlich weisser Kattun, "Amburgese" genannt,
sehr gesucht war; auch dieser kam nicht zu Stande; Hamburg liess sich dann
sp�ter durch Portugal vertreten, und zuletzt mit den �brigen Hansest�dten
durch England.

1825 schloss Sardinien mit Marokko einen Vertrag und verpflichtete sich,
bei jedesmaliger Erneuerung des Consulats 25,000 Frcs. in Geschenken zu
erlegen.

Die durch die kleinen italienischen Staaten abgeschlossenen Vertr�ge, von
Sardinien (und vordem von Genua), von Toscana, vom K�nigreich beider
Sicilien, wurden 1859 durch einen neu zwischen Gesammt-Italien und Marokko
vereinbarten Tractat aufgehoben. Mau hat im letzten Jahre von Differenzen
geh�rt, die zwischen Marokko und Italien ausgebrochen waren. Italien hat
ebenfalls ein Generalconsulat in Tanger, und in den meisten Hafenpl�tzen
Agenturen.

Die Niederlande, die am fr�hesten mit Marokko in Rapport waren, der erste
Vertrag wurde am 5. Mai 1684, dann sp�ter einer 1692 am 18. Juli (von Du
Mont, t. VII.) geschlossen, zahlten j�hrlich dem Sultan 15,000 Thaler.
Schon 1604 hatte Sultan Abu Fers einen Gesandten nach Holland geschickt,
der dort starb. Im Jahr 1815 schickte Wilhelm, K�nig der Niederlande,
eigens einen General nach Marokko, um dem Sultan zu notificiren, er sei
nicht mehr tribut�r. Die Holl�nder, heute durch England vertreten, besitzen
eines der sch�nsten Consulatsgeb�ude in Tanger.

Portugal unterh�lt wie England, Frankreich und Spanien einen Generalconsul
und Ministerresidenten. Seitdem 1769 der Sultan Mohammed Masagan den
Portugiesen genommen hat, sind die Beziehungen gut gewesen. Und Portugal
ist der einzige Staat, von dem man sagen kann, Marokko behandle ihn auf
gleichem Fuss, denn die j�hrlichen Geschenke, welche der Sultan von Marokko
an den K�nig von Portugal schickt, sind allerdings nicht so werthvoll, wie
die, welche er empf�ngt, deuten aber doch die Achtung vor der
portugiesischen Macht an.

Selbst die Vereinigten Staaten von Nordamerika konnten dem Tribute nicht
entgehen, den fast alle christlichen Staaten die Feigheit begingen, Marokko
j�hrlich zu entrichten. 1795 wurde mit Mulei Sliman ein Vertrag auf 50
Jahre geschlossen, also bis 1845; in diesem verpflichteten sich die
Amerikaner zwar nicht zu einer bestimmten j�hrlichen Summe, indess die
Zwangsgeschenke betrugen alle Jahre ungef�hr 15,000 Thaler. 1845 wurde eine
neue, diesmal f�r Amerika g�nstigere Uebereinkunft getroffen. Amerika hat
in Tanger ein Generalconsulat.

Brasilien und einige kleinere amerikanische Staaten haben ebenfalls in
Tanger und den �brigen marokkanischen Hafenorten Vertretung.

Heute ist die Stellung der europ�ischen Consuln in Marokko eine ganz
verschiedene, aber dennoch ist die Macht derselben weit entfernt von der,
welche die christlichen Consuln in der T�rkei haben. F�r das Innere gelten
auch heute alle Vertr�ge und Bestimmungen nicht, sobald sie Europ�er
betreffen; das Ansehen eines europ�ischen Consuls ist im Innern gleich
Null. Tribut zahlt heute kein einziges Consulat mehr, aber die mehr als
k�niglichen Geschenke, die vor und nach namentlich England und Spanien an
Marokko geleistet haben, habe ich selbst bewundern k�nnen; und so erfordert
es ausserordentliche Klugheit und Gewandtheit f�r einen Consul mit den
Marokkanern zu verkehren. Wenn F�lle wie ehedem auch wohl nicht mehr
vorkommen, wo europ�ische Consuln willk�rlich auf ein Schiff gepackt und
fortgeschickt wurden[117], falls sie den Marokkanern nicht gefallen, so
verweigerte doch 1842 der Sultan dem franz�sischen Consul Pelissier in
Mogador das Exequatur, bloss weil es Sr. marrokkanischen Majest�t so
gefiel. Leon Roche musste von Tanger abberufen werden, weil er zu genau die
marokkanischen Interessen und Zust�nde kannte, und England und Marokko dies
nicht dulden wollten. Nach 1844 ist zwar Frankreich ganz anders
aufgetreten.

      [Fu�note 117: Die marokkanische Regierung kann dies heute schon
       deshalb nicht mehr, weil sie kein einziges Schiff zur Disposition
       hat.]

Was Marokko selbst anbetrifft, so hat es nie daran gedacht sich im Auslande
vertreten zu lassen, oder aus eigenem Antriebe diplomatische und
commercielle Verbindungen mit fremden M�chten anzukn�pfen. Die
verschiedenen Gesandtschaften, welche die Regenten Marokko's nach Europa
schickten, hatten alle nur den Zweck Geschenke fl�ssig zu machen und Gelder
zu erpressen. Eine m�chten wir ausnehmen: die von Mulei Abbes, Bruder des
jetzigen Sultans, nach Spanien im Jahre 1860/61. Sie hatte nat�rlich nicht
im Auge Gelder oder Geschenke zu bekommen, es handelte sich darum eine
Erm�ssigung der Entsch�digungsgelder f�r Marokko zu erlangen, und auch
diese wurde nicht aus freiem Antriebe entsandt. Spanien hatte ausdr�cklich
erkl�rt �ber diesen Gegenstand nur mit dem Bruder des Sultans im eigenen
Lande verhandeln zu wollen. Und Marokko erlitt die Dem�thigung, dass,
nachdem man Mulei Abbes durch Spanien spazieren gef�hrt hatte, kein Deut
von den Kosten erlassen wurde.

An Consuln besitzt Marokko nur einen[118]. Es ist dies der Hadj Said
Guesno, der in Gibraltar gewissermassen das ganze Consulatswesen seines
Monarchen gegen�ber den Christen repr�sentirt. Was f�r eine Art dieser
Consul ist, davon kann sich der Leser am besten einen Begriff machen aus
dem Briefe eines Freundes in Gibraltar, datirt vom 18. Mai 1871: "Mein
marokkanischer College, ein Ex-Slave, jetzt Pantoffelnfabrikant und schwarz
wie ein Teufel, w�rde sehr staunen, wenn ich fragen w�rde, ob er mir einige
Aufkl�rungen geben k�nnte �ber diesen oder jenen Stamm, ob er arabischen
oder berberischen Ursprungs sei--er w�rde mich gar nicht verstehen, erstens
weil er �ber solche Dinge wohl nie nachgedacht hat, und zweitens weil sich
sein ganzes Sinnen und Trachten auf seine gelben Pantoffeln
concentrirt[119]."

      [Fu�note 118: Der ehemals in Genua residirende marokkanische Consul
       existirt dort seit Jahren nicht mehr.]

      [Fu�note 119: Ich hatte diesen Freund gebeten, mir vom marokkanischen
       Consul einige Noten �ber marokkanische St�mme zu erbitten.]

Dies ist der einzige w�rdige Repr�sentant seiner unfehlbaren marokkanischen
Majest�t im Auslande.

Es tritt nun noch die Frage auf, w�re es w�nschenswerth f�r das _deutsche
Reich_ eine Vertretung in Marokko zu haben? Wir m�ssen dies auf alle
F�lle bejahen. Unsere politischen Interessen sind in Marokko so ziemlich
identisch mit denen Englands, das ausserdem seine wichtigen commerciellen
Angelegenheiten zu wahren hat. Wir stimmen insofern mit den Ansichten
Englands vollkommen �berein, dass Frankreich seine Herrschaft nicht auf
Marokko ausdehne. Allein schon die N�he der franz�sischen Colonie macht es
f�r uns nothwendig in Marokko Vertreter zu haben.

Da nat�rlich eine Consulatseinsetzung in Marokko nicht so ohne weiteres vor
sich gehen kann, so m�ssten vor allen Dingen erst Unterhandlungen
angekn�pft werden, entweder vermittelst eines schon in Marokko bestehenden
und anerkannten Consulats oder direct mit der Regierung des Sultans. W�hlt
man das erstere, so w�rde jedenfalls das grossbritannische Generalconsulat
am geeignetsten sein, es ist die Pers�nlichkeit Sir Drummond Hay's, des
englischen Ministers, die in Marokko beliebteste und geachtetste. W�hlt man
den Weg einer directen Verst�ndigung, so w�rde jedenfalls das Beste sein
den Zeitpunkt abzuwarten, wo der Sultan, der ganze Hof und die Regierung
sich in Rbat befinden, dort den Abgesandten des deutschen Reiches durch
einige Kriegsschiffe hinbegleiten zu lassen, damit dadurch zugleich Marokko
eine _sichtbare_ Vorstellung von der Macht unseres Landes bek�me.
Nat�rlich m�sste mit der Ankn�pfung diplomatischer Beziehungen ein Geschenk
verbunden sein, aber einige 1000 Chassepots, dem Sultan gegeben, w�rde ein
ebenso angenehmes Geschenk f�r ihn wie ein f�r uns erpriessliches
[erspriessliches] sein.

       *       *       *       *       *




12. Aufenthalt beim Gro�scherif von Uesan.

       *       *       *       *       *

Ein volles Jahr verlebte ich nun in Uesan unter, im Ganzen genommen,
angenehmen Verh�ltnissen. Und die Zeit verbrachte ich haupts�chlich damit,
recht viel unter die Leute zu gehen, um mich mit ihren Eigenth�mlichkeiten
vertraut zu machen. Dabei fehlte es keineswegs an Unterhaltung, Gatell
hatte mir einen Theil seiner B�cher geliehen, so dass, wenn ich allein war,
ich durch Lect�re meinen Geist auffrischen konnte.

Ueberdies wurde der Aufenthalt in Uesan durch verschiedene kleinere Touren
unterbrochen, die ich theils allein, theils in Gesellschaft des
Grossscherifs machte. So unternahm ich von hier einen Abstecher nach L'xor,
um einige Medicamente zu kaufen, die in Uesan, wo man nur mit Amuletten
heilt, nicht zu haben waren. Merkw�rdigerweise schien, was seine Person und
seine Familie anbetraf, Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam nicht sehr an die
Wunderkraft seiner Unfehlbarkeit zu glauben, da ich mehrere Male sowohl ihm
selbst als auch seinen beiden kleinen S�hnen Medicin verabfolgen musste.
Der Grossscherif hatte so viel Zutrauen zu mir, dass er nicht das vorherige
Kosten der Medicamente verlangte.

Es fiel in sp�ter Herbstzeit ein Besuch, den der Grossscherif dem Sultan in
Arbat machte, wohin er von Mikenes �bergesiedelt war, und auf welcher Reise
ich ihn begleitete. Und gerade auf Reisen wird das Ansehen und der Einfluss
des Grossscherifs am anschaulichsten. Man hat keine Idee davon, wie weit in
Marokko der Menschencultus getrieben wird. Sidi-el-Hady Abd-es-Ssalam reist
entweder zu Pferde oder in einer Tragbahre, die fast wie eine verschlossene
vergitterte Kiste aussieht, und die so niedrig ist, dass man nur darin
liegen kann. Zwei Maulthiere, von denen eines vorne, das andere hinten
geht, tragen die Bahre. Es w�rde vergeblich sein, die Zahl der sich
herandr�ngenden Leute sch�tzen zu wollen, das ganze Land scheint
herbeizustr�men, aus weitester Ferne kommen ganze St�mme an den Weg, den
der Grossscherif durchzieht. Man sucht ihn selbst zu ber�hren, oder die
Tragbahre, das Pferd oder irgend einen anderen dem Grossscherif geh�renden
Gegenstand. Man glaubt aus einer solchen Ber�hrung den g�ttlichen Segen
ziehen zu k�nnen. Oft gen�gen die bewaffneten Diener nicht, mit der flachen
Klinge den andringenden Haufen fern zu halten, und es m�ssen dann f�rmliche
Angriffe gemacht werden, die Leute auseinander zu treiben.

Die Gouverneure der Provinzen, die durchzogen werden, nahen sich immer
schon von weitem ehrerbietig, und nat�rlich nie mit leeren H�nden, sie
betrachten es als eine besondere Gunst, wenn Sidi bei ihnen absteigt, um
ein Mahl einzunehmen, oder wenn er gar in der N�he ihrer Residenz seine
Zelte aufschl�gt.

Der Grossscherif reist immer nur in kleinen Etappen, und mit einem
zahlreichen Gefolge, welches nie aus geringerer Zahl als hundert Personen
zusammengesetzt ist. Alle einflussreichen Sch�rfa, die n�chsten Verwandten,
seine Tholba (Schriftgelehrten) m�ssen mit. Alle haben, ausser dass jeder
beritten ist, Maulthiere f�r ihr Gep�ck und ihre Zelte, welche vom
Grossscherif gestellt werden. Dieser Lagertrain marschirt immer voraus, so
dass man, wenn man ankommt, das Lager schon aufgeschlagen findet. Der
Grossscherif selbst hat f�r seine Person drei grosse Zelte, eins, in dem er
die Nacht zubringt, eins zum Empfang bestimmt, und eins, worin er nur seine
n�chsten Freunde empf�ngt.

Sobald er installirt ist, d.h. auf den weichen Teppichen, welche die
Beni-Snassen[120] verfertigen, und von denen ein einziger 4 Centner
(eine Kameelladung) wiegt, Platz genommen hat, kommen aus Nah und Fern
die Bittenden. Hier bringt einer ein Schaf, und verlangt, dass seiner
Frau ein Sohn geboren werden soll, dort bringt einer Korn, und fleht um
Segen f�r seinen Acker, da fragt einer ob er sein Pferd verkaufen soll,
ob er Gl�ck dabei habe, das und das Haus zu kaufen; hier will ein
Blinder sehend gemacht werden. Der Grossscherif hilft Allen, und je mehr
die Bittsteller Geld und Gaben bringen, desto wirksamer ist der Segen.

      [Fu�note 120: Berbervolk an der Oranischen Grenze.]

Manchmal kommen die komischesten Scenen dabei vor. So einstmals als ich mit
dem Grossscherif im festverschlossenen Zelte sass, die Diener und Sklaven
aber strengen Befehl hatten, Niemand ans Zelt herankommen zu lassen, sie
jedoch dem andr�ngenden Publikum nicht gewachsen sein mochten, rissen
pl�tzlich die Gurten, das Zelt wurde gewaltsam ge�ffnet, und herein w�lzte
sich der Haufen: alte schmutzige Weiber, starkriechende Kinder, M�nner und
Greise, alle fielen �ber mich her und bedeckten mich mit ihren fanatischen
K�ssen. Im Halbdunkel hatten sie mich als auf dem Teppich sitzend (der
Grossscherif sass in dem Augenblick auf einem Stuhl) f�r den Abk�mmling
Mohammed's genommen. Und w�hrend ich unter Geschrei und Streiten ihnen klar
zu machen suchte, ich sei nicht der Grossscherif, sass dieser auf seinem
Stuhle, lachte aus vollem Herzen und rief: "Mustafa hennin", d.h.
Wohlbekomm's. Ich musste nachher eine Extrareinigung mit mir und meinem
Anz�ge vornehmen, um die greulichen und f�hlbaren Andenken dieser heiligen
Umarmungen loszuwerden.

In Arbat blieben wir nur wenige Tage, nahmen indem wir auf dem Hinwege den
Weg durch das Gebiet der Beni-Hassen genommen hatten, den R�ckweg l�ngs des
Meeres bis zur M�ndung des Ssebu. Von hier gingen wir stromaufw�rts bis
fast zu dem Punkte, wo der Ordom-Fluss den Ssebu vergr�ssert, und von da
aus direct nordw�rts nach der Karia ben Auda. Die Karia ben Auda, eine Art
befestigter H�userhaufen, liegt an den westlichsten Vorbergen der s�dlich
von Uesan streichenden Berge, die Karia selbst jedoch in vollkommener
Ebene. Sie ist Residenz des Bascha's vom Rharb-el-fukani oder dem oberen
Westen, wie diese Statthalterschaft heisst, dicht um die Karia liegen noch
die von hohen Cactushecken umgebenen D�rfer. Die H�user sind wie im ganzen
Rharb von Steinen und Lehm gebaut und mit Strohd�chern gedeckt, so dass man
von Weitem ein deutsches Dorf zu sehen glaubt. Der vorz�gliche Reichthum
des Landes besteht in Viehheerden, hier wie in Beni-Hassen vorzugsweise in
grossen Rinderheerden; Schafe und Ziegen hingegen werden in diesen
Provinzen verh�ltnissm�ssig in geringerer Zahl gez�chtet. Die
marokkanischen Rinder halten aber keineswegs einen Vergleich auch nur mit
den schlechtesten in Europa aus. Klein von Statur giebt eine marokkanische
Kuh kaum mehr Milch als eine gute europ�ische Ziege. Der Grund davon ist
die Sorglosigkeit, mit der �berhaupt die Viehzucht in Marokko betrieben
wird, und dann auch die mangelhafte Nahrung im Winter. Es fallt keinem
Marokkaner ein, daran zu denken Vorrath von Heu zu machen, wie denn
�berhaupt Wiesen zum Heumachen nirgends existiren. Nat�rlich giebt es hier
und da l�ngs der Fl�sse, dann auch in den feuchten Niederungen namentlich
der Kharbprovinzen und Beni-Hassen ausgezeichnete Wiesen und Wiesengr�nde,
aber das Gras wird nur gr�n benutzt, und ist, ohne dass Jemand daran denkt
es zu m�hen oder zu schneiden, Mitte Juli verbrannt von der Alles
austrocknenden Sonne. Im Winter sind daher Rinder und auch Schafe und
Ziegen auf die vertrockneten, kraftlosen Kr�uter angewiesen, welche sie
draussen finden. F�r die Pferde dient im Winter Stroh von Gerste oder
Weizen.

Wir waren kaum Angesichts der Karia, als der Kaid Abd-el-Kerim, von seinen
Br�dern begleitet, auf uns zugesprengt kam, und uns zu einem Fr�hst�ck
einlud. Das konnte nicht ausgeschlagen werden, und so zog der ganze Tross
nach seiner Wohnung, wo wir ein reichliches Mahl schon vorbereitet fanden.
Und der Kaid, der den Titel Bascha hat, bat Sidi so inst�ndig einen Tag zu
bleiben, dass Befehl gegeben wurde, Zelte zu schlagen.

Es waren dies f�rmliche Essschlachttage, denn je h�her man in Marokko einen
Gast ehren will, desto mehr Speisen setzt man ihm vor. Abends kam der Kaid
ins Zelt des Grossscherifs, wo er nun gleichfalls mit vielen Sch�sseln
bewirthet wurde, aber kaum war er fort, als er eine noch gr�ssere Anzahl
Gerichte zur�ck schickte, und am anderen Morgen, als wir eben unser
reichliches Fr�hst�ck genossen hatten, kam auch schon der Kaid, um uns zu
einem, zweiten Mahle abzuholen, ausschlagen durfte man nicht, kurz w�hrend
der Zeit unseres dortigen Aufenthaltes hatte der Magen kaum eine Stunde
Ruhe. Als wir uns verabschiedeten, legte der Kaid dem Grossscherif noch
einen Beutel mit 5000 Frcs. zu F�ssen, wof�r er nat�rlich einen recht
langen Segen erhielt.

So langweilig, was Natur anbetrifft, die Gegend in den Rharb- und
Beni-Hassen-Districten ist, wo Ebenen von Zwergpalmen, Lentisken und
Lotusb�schen bestanden mit Kornfeldern und Wiesen wechseln und
allerdings das Bild des fruchtbarsten Bodens zeigen, aber auf die Dauer
einf�rmig erscheinen, so sehr �ndert sich dies, wenn man das Gebirge
erreicht. Gewiss giebt es keine romantischere Umgegend, als die der
heiligen Stadt Uesan. Die dicht bewachsenen Berge der n�chsten Umgebung,
im Hintergr�nde die zackigen Felsen der Rifberge, die strotzende
Fruchtbarkeit des Bodens, der dem Auge �berall das saftigste Gr�n der
verschiedenen B�ume und Stauden bietet, wie sie �berhaupt die L�nder um
das Mittelmeer in so grosser Mannichfaltigkeit hervorbringen, alles dies
verursacht, dass die Zeit und wenn auch der Weg beschwerlich und
erm�dend ist, rasch verl�uft.

Gegen Mittag wurde im Westen der Stadt Halt gemacht, da der Einzug am
anderen Tage stattfinden sollte. Aber Abends hatten wir schon viel Besuch
von Uesan, unter anderen kamen auch die kleinen S�hne des Grossscherifs,
von denen der eine 9, der andere 7 Jahre haben mochte, mit ihrem Lehrer
herangeritten, so dass der Abend recht munter und vergn�gt verbracht wurde.

Vor Sonnenaufgang am folgenden Tage weckten mich schon die Flintensch�sse
und die schrecklichen Kl�nge der unvermeidlichen Musik, es war dies nur die
Einleitung zur statthabenden Feierlichkeit. Nachdem wir in aller Eile den
Kaffee (ich genoss immer die Auszeichnung zum Kaffee in des Grossscherifs
Zelt gerufen zu werden, sowie ich dort auch mit essen musste) getrunken und
gefr�hst�ckt, stiegen wir zu Pferde und unter knatterndem Feuer, dem L�rm
der Musikanten, dem Lululu der Weiber setzte sich der Zug in Bewegung. Aber
obschon wir nur eine Stunde von der Stadt entfernt waren, erreichten wir
dieselbe erst gegen Mittag. Alle Augenblick kam eine neue Musikbande mit
ihren abscheulichen Instrumenten und es wurde Halt gemacht, oder es kamen
mit Flinten bewaffnete Abtheilungen, und gaben eine Salve dicht vor den
F�ssen des Grossscherifs, man bildete Kreise und dann, wie die Teufel
herumspringend, schossen sie ihre Flinten in den Boden und warfen sie
darauf hoch in die L�tt, um sie hernach geschickt wieder aufzufangen.
Reiter organisirten sich, und im gestreckten Galopp auf uns losjagend,
schossen sie dicht vor uns die Flinten ab und schwenkten dann mit ihren
Pferden zu beiden Seiten auseinander. Ich war froh, als wir endlich die
Stadt erreichten, aber hier war uns das Entsetzlichste noch vorbehalten,
gewissermassen der Triumphbogen, durch den der Grossscherif den Einzug in
seine getreue und heilige Stadt Uesan halten sollte.

Es nahten sich ungef�hr zwanzig der Secte der Aissauin. Unter zitternden
convulsivischen Bewegungen, unter einf�rmigen T�nen: "Allah, Allah" tanzten
sie heran; jeder hatte eine Lanze, einige waren ganz nackt, andere hatten
nur die unentbehrlichsten Lumpen um. Die Lanze trugen sie in der einen
Hand, in der anderen einen Rosenkranz. Die Verwundungen, welche sie sich
selbst beigebracht hatten, verursachten, dass der ganze K�rper mit Blut
bedeckt war, einige schlugen sich auf die Nase, dass das Blut in Str�men
herausschoss, andere schlitzten sich die Lippen zu Ehren Sidi's, andere
zerkrazten sich die Brust und Gesicht, Gott zu Ehren und um dem
Grossscherif, dem Abk�mmling des "Liebling Gottes", ihre Hingebung zu
bezeugen. Dabei steigerte sich ihr Allah, Allah zu einem wahren Geheul,
einigen traten die Augen aus dem Kopfe, sie schienen wahnsinnig zu werden,
andere sch�umten, die von Gott am meisten Inspirirten wollten sich vor die
F�sse des Pferdes des Grossscherifs werfen, um �berritten zu werden, nur
ein schneller Spornstich dr�ckte rasch das Pferd in die Menge, welche dicht
zu beiden Seiten war. Ich sah, wie es auch dem Grossscherif schauderte, und
er war wohl eben so froh als ich, als die eigentliche Sauya, das
Allerheiligste von Uesan, erreicht war.

Auch der Winter wurde nicht unangenehm verbracht; ob schon die Spitzen der
Rif-Berge alle mit dickem Schnee �berzogen, merkte man in Uesan nicht viel
von der K�lte. Eine Einrichtung zum Heizen hat nat�rlich Niemand, bei
grosser K�lte, d.h. wenn das Thermometer Morgens auf +6 oder +4� R.
herabsinkt, oder gar wohl einmal unter Null ist (es soll vorkommen, ich
habe es indess nicht erlebt), l�sst man sich ein Becken mit gl�henden
Kohlen ins Zimmer bringen. Und diesmal war der Winter so milde, dass die
Gesellschaft, welche der Grossscherif t�glich bei sich empfing, in einer
Art von Veranda seines Hauses empfangen wurde, keineswegs aber in einem
geschlossenen Zimmer.

Bald darauf, im Januar 1862, trat ein anderes Ereigniss ein, welches
abermals eine Reise des Grossscherifs nothwendig machte, und weil es
charakteristisch f�r die politisch-socialen Zust�nde des Landes ist,
verdient, hier erz�hlt zu werden. Es hatte sich eine Art von Gegen-Sultan
gebildet.

Man erfuhr zuerst in Uesan ger�chtweise von einem Marabut oder Heiligen,
der in der N�he der Stadt sich aufhielt, und vorgab alle Kranke gesund
machen zu k�nnen; er predigte zugleich den heiligen Krieg gegen die
Ungl�ubigen (der Krieg gegen Spanien hatte den alten Fanatismus der
Gl�ubigen gegen die Christen recht wieder ins Leben gerufen) und
proclamirte die Stunde des Sultans habe geschlagen, es w�rde ein neuer
kommen, der bestimmt sei die gesunkene Macht der Gl�ubigen wieder
aufzulichten, und der mit erneuerter Kraft und Herrlichkeit den Islam der
ganzen Welt auferlegen werde. Es str�mte ihm nat�rlich viel Volks zu, da
der spanisch-marokkanische Krieg R�uber und Strolche genug herangebildet
hatte, und �berdies, je unwahrscheinlicher eine Prophezeiung ist, sie um so
leichter bei den Marokkanern gl�ubige Anh�nger findet, namentlich wenn den
Leidenschaften und religi�sen Eitelkeiten des Volkes geschmeichelt wird.

Der Grossscherif verhielt sich �usserst ruhig bei diesem Treiben, da seiner
Macht und seinem Einfluss kein Abbruch geschehen konnte, weil der
Weltverbesserer kein Scherif seiner Herkunft war, nicht einmal ein Thaleb,
d.h. ein der Schrift kundiger Mann. Nach einigen Wochen, w�hrend der Zeit
Sidi Djellul (er hatte sich den Scheriftitel angemasst) einen Haufen von
einigen Tausenden von Taugenichtsen um sich versammelt hatte, beging er
indess die Frechheit, dem Grossscherif einen Brief zu schreiben, d.h.
schreiben zu lassen, ihm zu sagen, er (Sidi Djellul) sei der Mann der
Stunde (mul' el uogt, d.h. der erwartete Messias), der Grossscherif habe
sich Angesichts dieses Briefes zu ihm zu begeben, und in Gemeinschaft
wollten sie sodann gegen den Sultan und die grossen St�dte ziehen.
Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam w�rdigte ihn nat�rlich keiner Antwort; sandte
aber sofort an den Sultan einen Courier, um ihn auf die Gefahr dieses
Abenteurers aufmerksam zu machen.

Mittlerweile wuchs der Anhang Sidi Djellul's in grossen Proportionen. Seine
Genossen lebten von Raub und Pl�ndern, und gr�ssere Raubz�ge stellte er in
Aussicht: "Die grossen St�dte, wie Fes, Mikenes, m�ssten ganz verschwinden,
die Bewohner h�tten ihr Geld durch Handel mit den Christen gewonnen, daher
sei es ein gutes Werk sich dieser in den St�dten angeh�uften Sch�tze zu
bem�chtigen."--Merkw�rdigerweise r�hrte sich nach mehreren Wochen die
Regierung noch immer nicht, denn es h�lt ungemein schwer, den Sultan zu
irgend einem entscheidenden Schritt zu bringen.

Im Anfange Februar desselben Jahres wagte er sich schon an befestigte
Punkte; mit seinem ganzen Anhang, von denen einige mit Flinten, die meisten
aber nur mit Kn�tteln und Lanzen bewaffnet waren, zog er gegen die
Karia-ben-Auda, und nach einer dreit�gigen st�rmischen Belagerung
bem�chtigte er sich derselben mit Gewalt, und enthauptete denselben
Bascha Abd-el-Kerim, der vor Kurzem dem Grossscherif eine so grossartige
Gastfreundschaft erwiesen hatte. Die 16 oder 20 Mann Maghaseni, eine
ebenso grosse Anzahl Diener des Bascha's wurden ebenfalls ermordet, die
Bewohner der um die Karia gelegenen D�rfer entflohen zum Theil nach
Uesan, zum Theil gingen sie zu Sidi Djellul �ber.

Der Bascha wurde �brigens vom Volke kaum betrauert, seine Habsucht und
Grausamkeit hatten ihn zum Feinde aller deren gemacht, denen er als
Gouverneur vorstand. Was Sidi Djellul anbetrifft, so stieg nach der
Einnahme der Karia sein Einfluss von Tage zu Tage, und obschon er durch den
Bascha, der sich in der Karia hinter hohen Mauern gut vertheidigt
hatte[121], einigen Verlust erlitten hatte, so behauptete das
leichtgl�ubige Volk, alle die mit Sidi Djellul z�gen seien kugelfest, und
namentlich er selbst unverwundbar. W�hrend 14 Tagen schwelgten die R�uber
sodann auf der Karia, ihr Chef erliess Proclamationen, worin er verk�ndete
mit allen Baschas so verfahren zu wollen, und namentlich auch mit dem
Sultan.

      [Fu�note 121: Er musste sogar Revolver und Lefaucheux'sche Flinten
       gehabt haben, da der Grossscherif sp�ter von Leuten mehrere
       derartige Waffen geschenkt bekam, und die als in der Karia gefunden
       bezeichnet wurden.]

Endlich r�hrte sich der Sultan; sein Bruder Mulei Arschid hatte Befehl
bekommen mit 1000 Mann Soldaten, ebenso vielen Reitern und 4 Kanonen �ber
Media, an der M�ndung des Ssebu gelegen, nach der Karia zu marschiren, und
Sidi-el-Hadj Abd-es-Ssalam war gebeten worden zum Heere zu stossen, um
durch seine Anwesenheit der Sache des Sultans in den Augen des Volkes
gr�sseres moralisches Gewicht zu geben. Der Grossscherif leistete der Bitte
des Sultans Folge und mit grossem und kriegerischem Trosse wurde auf die
Karia-el-Abessi marschirt, die wir in zwei Tagem�rschen erreichten, am
selben Tage, an welchem von der anderen Seite der Bruder des Sultans, Mulei
Arschid anlangte. Der Eindruck, den das Erscheinen des Grossscherifs
hervorbrachte, war ein ausserordentlicher. Die ganze Rharbprovinz war im
offenen Aufruhr gewesen, Mulei Arschid hatte sich von Media nur mit Gewalt
einen Weg bis zur Karia-el-Abessi bahnen k�nnen. Wir selbst aber waren dort
ohne auf irgend feindselige Leute zu stossen angekommen, und die Leute,
welche zur�ckgeblieben waren, sagten aus: Sidi Djellul habe sich mit seinem
Anhang durch die Berge nach Sidi Kassem, einem s�dlich gelegenen Orte,
gefl�chtet. Mit Ausnahme derer, die keine Heimath hatten und fest zu Sidi
Djellul standen, war damit der eigentliche Aufstand ged�mpft; d.h. die
beiden Rharbprovinzen waren durch die Anwesenheit des Grossscherifs bei der
Armee Mulei Archid's vollkommen beruhigt und hatten sich ohne weitere
Zwangsmassregeln unterworfen.

Merkw�rdigerweise wurde nun aber Sidi Djellul nicht durch einen raschen
Marsch auf Sidi Kassem beunruhigt und er selbst mit seinen Anh�ngern
vernichtet oder gefangen gebracht. Wir lagerten bis Mitte M�rz ruhig bei
der Karia-el-Abessi. Aber der Anhang Sidi Djellul's verlor sich nun immer
mehr, freilich hatte er auch den Ort Sidi Kassem noch �berrumpeln und
pl�ndern k�nnen, die Beh�rde war mit den meisten Bewohnern schon vorher
geflohen, es war dies aber sein letztes Heldenst�ck. Von fast Allen
verlassen, versuchte er es das Grabmal von Mulei Edris el Akbar in Serone
zu erreichen, wo er eine sichere Zufluchtsst�tte gefunden haben w�rde. Aber
gleich beim Eintritt in die Stadt, wurde er erkannt und von den Sch�rfa
gefangen genommen. Diese, ohne weitere Umst�nde, enthaupteten ihn,
schnitten dem Rumpfe H�nde und F�sse ab, und diese Troph�en wurden dem
Sultan geschickt. Sidi Mohammed, der Sultan, befahl den Rumpf ans Stadtthor
von Serone zu nageln, der Kopf wurde zur Ausstellung nach Maraksch
geschickt, und die �brigen Extremit�ten den anderen St�dten zur Ausstellung
�berlassen. Die Sch�rfa aber, die eigenm�chtig get�dtet hatten, bekamen vom
Sultan ein Geschenk von 3000 Mitcal (c. 5000 frcs.), ein f�r Marokko sehr
ansehnliches Geldgeschenk. Von seinen Parteig�ngern wurden viele gefangen
genommen, einfach enthauptet, einige aber auch, die etwas Verm�gen hatten,
eingekerkert, um erst ihrer Habe beraubt zu werden. So endete der Versuch
eines Marokkaners den Thron des Sultans umzust�rzen und eine andere
Regierung einzusetzen. Nicht immer aber sind solche Revolten ohne Frucht
geblieben, namentlich wenn der Emp�rer ein Scherif war, und am Hofe selbst
schon Ansehen hatte, endete oft genug eine aus ebenso kleinen Anf�ngen
entsprungene Revolution damit, dass der regierende Sultan das Feld r�umen
musste, oft sogar das Leben verlor.

Uebrigens war damit das Land keineswegs ganz beruhigt, die Hiaina, die
Beni-Hassen, die Rifprovinzen waren in G�hrung, man wusste nicht ob die
Rifbewohner das Gebiet um Melilla abtreten wollten; der zu dem Ende vom
Sultan an die Gebirgsst�mme entsandte Scherif von Uesan, Sidi Mohammed ben
Akdjebar, kehrte unverrichteter Sache zur�ck.

Endlich verliessen wir mit der Armee die Karia-el-Abessi, und in �stlicher
Richtung marschirend, zogen wir �ber den Ued-Teine und den Ued-Ardat, und
campirten an einem Orte Had genannt. Hier blieben wir wiederum einige Tage
liegen, und marschirten dann l�ngs des Ardatstroms aufw�rts, um bei einem
Orte Arba zu campiren. Das Wort Arba bedeutet Mittwoch, und an dem Orte
wird Mittwochs Markt abgehalten. In ganz Marokko st�sst man �berall auf
Oertlichkeiten, die manchmal ohne alle Bewohner, die Bezeichnung Had
Sonntag, Tnein Montag, Tleta Dienstag, Arba Mittwoch, Chamis Donnerstag,
Djemma Freitag und Sebt Samstag f�hren. Solche Oertlichkeiten dienen als
Marktpl�tze, und es giebt ihrer Hunderte im ganzen marokkanischen Reich.

Das Land war in dieser Gegend durchaus gewellt, �berall gut angebaut, und
das Erdreich, schwarzer Humus, sehr fruchtbar. Wie man an den Ufern der
Fl�sse sehen konnte, hat die Humusschicht meistens eine Dicke von 5-6
Meter. Von hier aus zogen wir nach einigen Tagen nach dem Ued-Uarga und
lagerten s�dlich, Angesichts der Bergkette der Uled-Aissa. Das Lager war
hier in reizender Gegend aufgeschlagen, die sch�nen Ufer des Flusses, von
20 Fuss hohen Oleanderstauden und Tamarisken dicht bestanden, die Gebirge
mit zahlreichen D�rfern, die aus ihren Oliven- und Feigeng�rten
herauslugten, im S�dosten der eigenth�mlich geformte Berg Mulei Busta,
geben der ganzen Landschaft eine grosse Abwechselung. Aber der Ramadhan war
angebrochen, und da wir im Lager waren, musste ich nat�rlich aufs strengste
die vorgeschriebenen Fasten mitmachen, was bei der grossen Hitze, wir waren
jetzt Ende April, keineswegs angenehm war.

Endlich kam ein Danksagebrief vom Sultan an den Grossscherif, wir
verabschiedeten uns von Mulei Arschid und erreichten, rasch heimw�rts
ziehend, in anderthalb Tagen Uesan. Mulei Arschid aber vereinigte sich mit
dem Sultan, der von Arbat aus mit der ganzen �brigen Armee gegen die
Beni-Hassen ins Feld ger�ckt war. Da wir ganz unerwartet in Uesan
eintrafen, so war nat�rlich auch kein Empfang.

Nachdem der Ramadhan vor�ber, das Aid-el-Sserir mit grossem Gepr�nge
gefeiert worden war, und ich mich von den Anstrengungen des mehrere Monate
dauernden Feldzuges erholt hatte, brach ich von Uesan auf, um Tetuan zu
besuchen. Reichlich mit Medicamenten versehen und unter dem Titel "ssahab
Sidi", d.h. Freund, Diener oder Anh�nger des Grossscherifs, wollte ich es
wagen, allein die Gegenden zu durchstreifen, es sollte dies gewissermassen
als Versuch und Vorbereitung zu meiner Abreise dienen. Ein Spanier, schon
seit 15 Jahren in Uesan ans�ssig und dort verheirathet, begleitete
mich[122].

      [Fu�note 122: Einige Monate sp�ter wurde er, als er allein von Uesan
       ins Gebirge reiste, ermordet.]

Von Uesan aufbrechend, ich hatte ein eigenes Maulthier und einen vom
Grossscherif geliehenen starken Esel, ging es �ber Tscheralia nach L'xor,
und nach einem mehrt�gigen Aufenthalt auf dem Westabhange der Rif-Berge,
welche man von L'xor aus in einigen Stunden erreicht, nordw�rts. Vom Orte
Arba el Aiascha gingen wir nach Had bei Arseila, wo ich mein Maulthier
verkaufen wollte, da es sich, als nicht besonders stark, schlecht bew�hrt
hatte. Aber wegen zu schlechten Wetters, welches uns zwang, einen ganzen
Tag in einem Duar zuzubringen, war der Markttag des Had verpasst worden,
und dicht bei dem Sanctuarium Mulei Abd-es-Ssalam ben Mschisch, einer
ber�hmten Sauya und sehr besuchtem Wallfahrtsorte vorbeikommend, zogen wir
dann durchs Gebirge Tetuan entgegen.

Bis jetzt waren wir �berall gut aufgenommen worden, aber je n�her wir
Tetuan kamen, desto misstrauischer zeigten sich die Bergbewohner, und eines
Abends wollten Tholba eines Dorfes, wo wir zu �bernachten beschlossen
hatten, uns nur gegen Erlegung von einigen Metkal Quartier geben, "dann
w�rden wir �berdies ihres Segens theilhaftig werden." Auf meine
Erwiederung, der Segen des Grossscherifs von Uesan, dessen Freund ich sei,
gen�ge mir, zogen sie sich drohend zur�ck, indessen schienen sie sp�ter
ihre Gesinnungen ge�ndert zu haben, denn sie brachten ein reichliches
Nachtessen. Auf dem Wege von Tanger nach Tetuan angekommen, brachten wir
dann eine Nacht in dem Caravanserai zu, bekannt geworden durch den letzten
Krieg der Spanier. Hier erblickte ich in den Gebirgsschluchten zum ersten
Male die deutsche Eiche wild wachsend, welche mir sonst nirgends mehr in
Marokko aufgestossen ist. Sonst hat man in Marokko in den Ebenen
vorzugsweise die Korkeiche und auf den Abh�ngen der Berge die immergr�ne
Eiche und die Cerriseiche.

Im Caravanserai oder Funduk hatten wir f�r n�chtliches Unterkommen, d.h.
f�r eine leere Zelle und Hofraum f�rs Vieh, einige Mosonat zu zahlen, f�r
Geld bekamen wir auch etwas Brod, Milch und einige Eier. Am anderen Morgen
erreichten wir gegen 10 Uhr die Stadt Tetuan oder Tetaun, wie die
Marokkaner sie nennen. Die Spanier waren gerade beim Abmarsch, denn Tetuan
liegt bekanntlich nicht unmittelbar am Meere, so dass die Truppen nicht
direct eingeschifft werden k�nnen. Ich unterlasse es eine Beschreibung
dieser von reizenden Orangeng�rten umgebenen Stadt zu geben, sie ist
hinl�nglich aus dem letzten Kriege bekannt.

Nach einigen Tagen Aufenthalt kehrte ich Tetuan den R�cken, und begab mich
mit einer grossen Karavane nach Tanger. Der Weg wird gew�hnlich in zwei
Tagen gemacht, wir brauchten indess nur Einen. Sehr belebt war er durch
heimkehrende Tetauni (Bewohner Tetuans), welche w�hrend der spanischen
Besatzung die Stadt verlassen hatten, und die nun zur�ckkehrten, um von
ihren Immobilien wieder Besitz zu nehmen. Nachdem ich sodann in Tanger mein
Maulthier verkauft hatte, trat ich den R�ckweg nach Uesan an, zuerst l�ngs
des Strandes.

Man muss indess nicht glauben, dass ein eigentlicher Weg l�ngs des Meeres
l�uft, davon ist keine Spur vorhanden. Aber der Strand ist so breit,
besteht aus so festem Sande, dass er, ausgenommen f�r Wagen, vollkommen
eine macadamisirte Chaussee ersetzt. Man muss aber die Ebbezeit w�hlen,
weil bei Fluth das Meer bis dicht an die D�nen oder Felsen hinantritt. Man
kann hier sehen, wie der Atlantische Ocean, dessen breiteste Stelle hier
ist, selbst nach tagelangen Windstillen, dennoch immer grosse Wellen
schl�gt, und alle Zeit ist die Brandung oder das Rauschen der den Sand
hinaufrollenden Wellen weit im Innern des Landes zu h�ren.

Man kann recht gut, l�ngs des Strandes reisend, in einem Tag Arseila
erreichen, aber wir hatten ein Hinderniss an der M�ndung des Ued-Morharha,
wor�ber ein ganzer Tag verging. Zu breit und tief an der M�ndung, um
durchwatet werden zu k�nnen, hat man f�r Fahr-Einrichtung gesorgt, das Boot
aber lag auf der anderen Seite, und kein F�hrmann war zu finden oder durch
Rufen herbeizulocken. Wir zogen, nachdem wir vergeblich versucht hatten,
hindurch zu schwimmen, flussaufw�rts, ohne eine Furt zu finden, auf das
Bereden der Leute eines Duars kehrten wir um, und diesmal war denn auch der
F�hrmann an Ort und Stelle, und wir wurden hin�berbef�rdert. Ehe man
Arseila erreicht, hat man dann noch die M�ndung des Ued-Aiascha zu
passiren.

Arseila, von den Alten Zilia. Zelis und Zilis genannt, wird von einigen
Schriftstellern, darunter Hems�, H�st und Barth, Asila genannt. Wenn nun
aber auch die Herleitung des Namens von Zilis unzweifelhaft ist, so ist
heute doch nur die Schreibweise mit einem r die einzig richtige, und ist es
wohl seit Jahrhunderten gewesen, da Leo, Marmol, Lempriere, Jackson und die
meisten Schriftsteller so schrieben. Ohne Zweifel von den Eingeborenen
gegr�ndet, sp�ter im Besitze der Carthager, der R�mer, der Gothen, wurde
nach Leo Arseila 712 n. Chr. von den Mohammedanern erobert und 200 Jahre
von ihnen behauptet. Dann sollen die Engl�nder (nach Leo) eine Zeitlang die
Stadt besessen haben, und sp�ter wieder im Besitze der Mohammedaner wurde
sie 1471[123] von den Portugiesen erobert und bis zum Jahre 1545 behauptet.
Seit der Zeit ist die Stadt im Besitze der Marokkaner geblieben.

      [Fu�note 123: Nach Leo 1477.]

Ob das alte Zilis �brigens genau an der Stelle des heutigen Arseila gewesen
ist, ob es nicht vielmehr an der M�ndung des Ued-Aiascha einige hundert
Schritte weiter im Norden gelegen hat, m�chte wohl erst noch festzustellen
sein. Jedenfalls ist die heutige Stadt so gelegen, dass sie nie besonders
durch Handel und Wandel bl�hend gewesen sein kann. Am Strande ziehen sich
allerdings rechtwinkelig ins Meer hinein Felsbl�cke, aber angenommen, sie
h�tten ehemals einen Hafen gebildet, so w�rde dies Bassin kaum gross genug
gewesen sein 12-16 Fischerb�te aufzunehmen. Ueberdies sind die Bl�cke so
klein, dass sie bei halber Fluth schon vom Wasser bedeckt sind. Die M�ndung
des Ued-Aiascha, wo man ebenfalls Mauer�berreste bemerkt hat, muss in
fr�herer Zeit ein guter Hafen gewesen sein. Plinius sagt �berdies: "Zilis
juxta flumen Zilia", welcher Fluss wohl kein anderer sein kann, als der
ebenerw�hnte Aiascha.

Arseila, in der Gegend von Hasbat gelegen, liegt unmittelbar am Meere. Ein
rechtwinkliges Oblongum, von halbverfallenen Mauern und Th�rmen umgeben,
mit zwei Thoren, von denen das eine nach Norden, das andere nach Osten
sieht, hat Arseila c. 500 Einwohner mohammedanischer und israelitischer
Confession. Man findet in Arseila wie in allen Seest�dten Marokko's
zahlreiche Spuren christlicher Herrschaft an den alten Bauwerken. Einige am
Boden liegende S�ulen, ebenso S�ulen, die jetzt im Innern der Djemma sind,
d�rften vielleicht r�mischen Ursprungs sein. Ein Djemma, ein elendes Funduk
sind die �ffentlichen Geb�ude, ein marokkanischer Jude versieht das
englische Consulat. Arseila besitzt nicht einmal Fischernachen, geschweige
gr�ssere Schiffe. Trotz der n�chsten sandigen Umgebung haben die Bewohner
es verstanden, leidlich gute G�rten anzulegen und Feigen, Melonen, Pasteken
und die Rebe gedeihen vortrefflich. Aber kein Ort ist so theuer, was
Lebensmittel anbetrifft, wie Arseila, und selbst Fr�chte, die in anderen
Theilen von Marokko fast umsonst zu haben sind, kosten hier
verh�ltnissm�ssig viel Geld.

Die ganze Stadtbev�lkerung fanden wir unter Zelten auf einer gr�nen Wiese
dicht am Meere gelagert, da der Sultan f�r sein ganzes Reich eine
dreit�gige Festlichkeit angeordnet hatte aus Freude �ber den gl�cklich
bew�ltigten Aufstand Sidi Djellul's. Wie der Juden Laubh�ttenfest, werden
alle derartigen Feierlichkeiten der Marokkaner im _Freien_ abgehalten,
wie ja auch bei den grossen religi�sen Festen, Aid el kebir, aid sserir und
Molud die gottesdienstliche Ceremonie nicht in der Moschee, sondern
draussen auf freiem Felde celebrirt wird. Zwischen Tanger und L'Araisch
k�nnen auch Christen in christlicher Tracht l�ngs des Meeres reisen, ohne
bef�rchten zu m�ssen bel�stigt zu werden. So traf denn auch am selben
Abend, wo wir in Arseila waren, ein spanischer Kaufmann ein (Christen giebt
es sonst keine im St�dtchen), der in eben dem Funduk die Nacht zubrachte,
welches uns beherbergte.

Von Arseila, das wir am anderen Morgen verliessen, bis L'Araisch hat man
l�ngs des Meeres, dessen Ufer immer denselben Charakter beibeh�lt, nur
einen halben Tagemarsch, und man muss, um in die Stadt zu gelangen, die
M�ndung des Ued-Kus �bersetzen. Ohne uns aufzuhalten, erreichten wir immer
durch einen sch�nen Korkeichenwald reisend, am selben Tage L'xor. Und auch
hier war kein Aufenthalt f�r uns, da uns die Kunde wurde Sidi-el-Hadj
Abd-es-Ssalam beabsichtige eine Reise nach Marokko. Zwei Tage darauf
waren wir wohlbehalten in Uesan nach einer Abwesenheit von drei Wochen.

Der Grossscherif, der mich wie immer sehr freundlich empfing, sagte mir,
allerdings habe er eine Einladung vom Sultan erhalten, ihn nach Maraksch zu
begleiten, aber sp�ter habe der Sultan in einem anderen Briefe den Wunsch
ausgedr�ckt, nicht zu kommen, da seine Anwesenheit in der N�he des Rharb,
dessen Bev�lkerung eben erst eine Revolution durchgemacht h�tte,
notwendiger sei, als in Maraksch.

So glaubte ich denn auch, dass die Zeit gekommen sei, mein Geschick von dem
des Grossscherifs zu trennen, dessen liebensw�rdige und uneigenn�tzige
Gastfreundschaft ich nun seit einem Jahre genoss; zudem f�hlte ich, dass
ich der arabischen Sprache t�glich m�chtiger wurde, denn hat man die ersten
Schwierigkeiten �berwunden, so ist diese Sprache als Umgangssprache nicht
schwer. Und wenn man ausgerechnet hat, dass ein europ�ischer Landmann, ein
englischer Bauer z.B. in seinen gew�hnlichen Lebensverh�ltnissen nur ca.
400 W�rter braucht, mit deren H�lfe er alle seine Ideen seinen Mitmenschen
mittheilen kann, so hat man sicher in Marokko auch nicht mehr n�thig.

Die ganze Lebensart ist so einfach, der Gegenst�nde, die der Mensch dort
n�thig hat, sind so wenige, die Unterhaltung ist so stereotyp und dreht
sich so ziemlich immer um dieselben Gegenst�nde, dass, wenn man einmal erst
mit der Construction der marokkanischen Redeweise vertraut ist, und den
n�thigen W�rtervorrath im Ged�chtniss angesammelt hat, das Reden ganz von
selbst geht. Hauptsache ist dabei, immer Gott und Prophet im Munde zu
haben, von Paradies und H�lle zu sprechen, den Teufel nicht zu vergessen,
und dabei and�chtig mit dem Munde murmelnd den Rosenkranz durch die Finger
gleiten zu lassen. F�llt einem dann auch nicht gleich eine Redewendung ein,
hat man ein Wort pl�tzlich vergessen, und sagt statt dessen: "Gott ist der
Gr�sste", oder "Mohammed ist der Liebling Gottes", oder "Gott verfluche die
Christen", so findet das kein Marokkaner, auch wenn diese Redensarten gar
nicht dahin passen, auffallend, und er wird selbst den Satz erg�nzen, oder
das gesuchte Wort finden.

Ehe ich indess Uesan verliess, bot sich mir Gelegenheit dar, mit einem
"Emkadem", Intendant, des Grossscherifs nach der kleinen zwischen Fes und
Udjda gelegenen Stadt Tesa zu reisen; derselbe war abgeschickt worden,
r�ckst�ndige Gelder f�r die Sauya Uesan einzukassiren. Den ersten Tag
verfolgten wir den von Uesan nach Fes f�hrenden Weg und lagerten am
Ued-Ssebu an einer Oertlichkeit, Manssuria genannt, welche aus einigen
H�tten bestand und einem Duar, beides Eigenthum des Grossscherifs.
Merkw�rdig ist diese Gegend dadurch, dass in der N�he von Manssuria
ein steinigtes Feld ist, aus dem best�ndig Schwefeld�mpfe und nach
den Aussagen der Eingeborenen mitunter auch kleine Flammen
emporsteigen[124]. Es ist dies die mir einzig in Marokko bekannte
Oertlichkeit, wo vulkanische Erscheinungen heute noch in Th�tigkeit
sind. Am zweiten Tage, im Thale des Ssebu aufw�rts gehend, das die
zahlreichen Kr�mmungen abgerechnet von Osten herkommt, blieben wir noch
eine Nacht in einem Tschar (Bergdorf) und erreichten am dritten Tage das
malerisch am Berge gelegene St�dtchen Tesa.

      [Fu�note 124: Vielleicht das Pyrron Pedion, dessen Ptolemaeus in
       Mauritania Tingitana erw�hnt.]

Nach Ali Bey liegt Tesa auf dem 34� 9' 32" N. B. und 6� 15" W. L. v. P. auf
dem Unken Ufer des Ued-Asfor (gelber Fluss, wie hier der Ssebu heisst),
jedoch fast eine halbe Stunde von ihm entfernt. Ausserdem wird die Stadt
vom kleinen Ued-Tesa durchstr�mt, der vom S�den kommt. In der Lage, d.h.
am Abhange eines Berges gelegen, hat Tesa eine ausserordentliche
Aehnlichkeit mit Uesan. Leo giebt der Stadt 5000 Feuerstellen, was
jedenfalls jetzt viel zu hoch ist, denn sie d�rfte kaum mehr als 5000
Einw. haben, von denen ca. 800 Seelen j�dischen Bekenntnisses sind.
Hems� wagt die Vermuthung, dass Tesa das Babba der Alten ist.

Die Stadt, mit einer einfachen Mauer umgeben und einer Kasbah, hat eine
best�ndige Garnison von 500 Maghaseni, eine Auszeichnung, die sie nur noch
mit Udjda theilt, welches eine ebenso grosse Besatzung hat, w�hrend in
allen anderen St�dten des Reiches nur ca. 20 Soldaten dem Gouverneur zur
Verf�gung stehen. Die Lage der Stadt, die N�he der unruhigen Hiaina, und
der anderen vollkommen unabh�ngigen Bergv�lker im Osten und S�den der Stadt
machen eine so starke Besatzung sehr nothwendig. Tesa ist Hauptmittelpunkt
des Handels zwischen Algerien, resp. Tlem�en und Fes. Aber �stlich von Tesa
ist die Gegend so unsicher, dass jede Karavane von einer Abtheilung
Maghaseni begleitet sein muss. Stark besuchte Karavanenwege f�hren
ausserdem von Tesa nach dem Figig und Tafilet. Die H�user im Innern der
Stadt bekunden Wohlhabenheit der Einwohner, die grosse Moschee, mit antiken
monolithischen S�ulen im Innern, deutet darauf hin, dass einst die Stadt
noch bedeutender gewesen ist, als jetzt, und was die Gesundheit der Luft,
die Reichhaltigkeit der Fruchtb�ume und die wunderbar sch�ne Gegend
anbetrifft, so kann man nur mit Leo �bereinstimmen, der sagt: "Billig
sollte dieser Ort, wegen der gesunden Luft, die im Winter sowohl als im
Sommer hier stattfindet, die k�nigliche Residenz sein."

Wir waren in Tesa in der Sauya der Tkra Mulei Thaib abgestiegen, und wurden
selbstverst�ndlich gut bewirthet. Nach zwei Tagen Aufenthalt, als der
Emkadem seine Gelder einkassirt hatte, gingen wir auf demselben Wege nach
Uesan zur�ck, da der directere aber durch die Hiaina f�hrende Weg nicht
genug Sicherheit bot, selbst f�r den Emkadem des Grossscherifs.

In Uesan wieder angekommen, waren meine Tage gez�hlt; es handelte sich nur
darum, die Erlaubniss zur Abreise zu bekommen. Ich durfte nicht daran
denken, dem Grossscherif zu sagen, dass ich ihn f�r immer verlassen wollte,
da er sich einmal vollkommen mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, ich
w�rde immer bei ihm bleiben. So bekam ich denn endlich die Erlaubniss eine
kleine Reise machen zu d�rfen, und sagte der Stadt Uesan f�r immer (wie ich
damals glaubte, sp�ter kam ich aber doch noch wieder nach Uesan) Lebewohl.

       *       *       *       *       *




13. Reise l�ngs des atlantischen Oceans

       *       *       *       *       *

Nach Tanger aufbrechend, deponirte ich ein K�stchen mit Papieren bei Sir
Drummond und zog l�ngs der K�ste, denselben Weg bis L'Araisch weiter. Als
Ausr�stung hatte ich weiter nichts als einen Esel mit zwei Schuari
(Seitenk�rben), welche einige Vorr�the enthielten; ein spanischer Renegat,
der gewissermassen mein Gef�hrte, Diener, Eselw�rter und Doctorgeh�lfe war,
hatte sich angeschlossen. Ehe wir weiter zogen, blieben wir noch einige
Zeit in der Stadt.

L'Araisch liegt auf der �ussersten Seite des linken Ufers des Ued-Kus
derart, dass eine Seite nach dem Flusse, die andere nach dem Ocean Front
macht. Ungef�hr 4 K.-M. stromaufw�rts des Ued-Kus am rechten Ufer lag das
alte Lya der Punier oder wie es sp�ter von den Griechen und R�mern genannt
wurde Lina, ehedem die bedeutendste Niederlassung an dem atlantischen
Ocean. Etwas weiter stromaufw�rts fallt dort der Ued-Maghasen in den Kus.

Die Ruinenst�tte ist von Sir Drummond Hay und Barth besucht worden, ohne
dass jedoch Beide besondere Entdeckungen gemacht h�tten, die auch wohl kaum
ohne Reinigung des Bodens und Ausgrabungen zu machen sind. Von Drummond Hay
werden die Ruinen Schemmies genannt. Barth will aus den Grundmauern bei der
Kasbah erkannt haben, dass auch auf dem heutigen Boden der Stadt L'Araisch
eine alte libysche Stadt gelegen habe, was durch Scylax's Aussage best�tigt
w�rde.

Von der von den Alten als in der M�ndung des Lixos liegend erw�hnten
Hesperiden-Insel ist heutzutage keine Spur vorhanden. Allerdings taucht bei
tiefer Ebbe eine etwa 1 K.-M. haltende Sandbank, in der beutelartigen
M�ndung des Flusses auf, und m�glicherweise, man braucht nur eine
allgemeine Senkung der atlantischen K�ste anzunehmen, war dies die einst so
fruchtbare Hesperiden-Insel. Diese M�ndung, im Norden durch hohe Sandberge
gesch�tzt, k�nnte, wollte man sich die M�he geben die Barre wegzubaggern,
zu einem trefflichen Hafen eingerichtet werden. Jetzt k�nnen bei Fluth
h�chstens Schiffe von 150 Tonnen Gehalt einlaufen; als wir in L'Araisch
waren, befanden sich sechs europ�ische Schiffe im Hafen, ausserdem
verfaulten am Strande die beiden letzten Kriegsschiffe der Marokkaner, zwei
elende Brigantinen. Und doch hatte Marokko vor noch nicht hundert Jahren
die Frechheit, mit seiner elenden Seemacht die ganze Welt herauszufordern.

Der Name L'Araisch ist nach Hems� entstanden aus dem Worte
el-araisch-ben-Aras, d.h. der Weinspalier der Beni Aros. Nachdem die
Stadt wechselsweise im Besitze der Marokkaner und Portugiesen gewesen
war, bem�chtigte sich 1689 nach einer f�nfmonatlichen Belagerung Mulei
Isma�l derselben. Seit der Zeit ist L'Araisch von den Europ�ern noch oft
angegriffen worden, so im Jahre 1785 von den Franzosen, 1829 von den
Oesterreichern, die dabei der marokkanischen Flotte den Gnadenstoss
versetzten.

Man bemerkt in L'Araisch an den Geb�uden der Stadt noch deutlich den
christlichen Einfluss. So ist der h�bsche Marktplatz ein regelm�ssiges
Rechteck mit gew�lbten Arcaden versehen, die S�ulen sind Monolithen aus
Sandstein. Die Hauptmoschee, die ebenfalls nach dem Marktplatze zu Front
macht, muss eine christliche Kirche gewesen sein, die Fa�ade ist in dem
sogenannten Jesuitenstyl gehalten. Ausserdem befindet sich noch ein anderes
stattliches und mehrst�ckiges Geb�ude, mit hohen sch�nen Fenstern versehen,
am Marktplatze. Vielleicht war es ehemals Gouvernementsgeb�ude, vielleicht
ein Kloster, denn erst im Jahre 1822 musste eine hier bestehende spanische
Mission aufgegeben werden. Heute steht das Haus leer und unbenutzt da, und
der durch die Fenster streichende Wind, und die fressende Atmosph�re wird
bald das ihrige thun, um das Geb�ude zu einer Ruine zu machen.

Ausser recht gut erhaltenen aber widerstandslosen Mauern ist die Stadt
durch ein mit vier Bastionen versehenes Fort, christlicher Anlage und
urspr�nglich aus gutem Material erbaut, gesch�tzt. Dieses Fort liegt auf
der westlichsten Spitze der Stadt nach dem Meere zu. Im Inneren dieses
Forts ist ein Schloss, dessen runde Kuppeln man schon von Weitem sehen
kann. Das Schloss soll vom Sultan Mulei Yasid erbaut sein. Unterhalb des
Forts nach dem Hafen zu sind zwei gemauerte Strandbatterien. Nach S.-O. zu
die Stadt beherrschend, befindet sich die Kasbah, ein Fort von viereckiger
Form, an den vier Ecken mit sehr scharfwinkligen Bastionen versehen. Die
Mauern der Kasbah, welche auch wohl eine Baute der Portugiesen oder Spanier
ist, sind gut erhalten, aber trotz aller Vertheidigungsanstalten wird
L'Araisch einem Angriffe der Europ�er nicht lange Widerstand entgegensetzen
k�nnen, einerlei ob er vom Ocean aus oder vom Lande her unternommen wird.
Sonst hat L'Araisch keine merkw�rdigen Geb�ude, wenn nicht eine kleine
Grabst�tte in den G�rten s�dlich von der Stadt, der Lella-Minana gewidmet,
einer Sherifa, die dort begraben liegt. Bei Lebzeiten soll sie Wunder
gethan haben, und auch jetzt noch sollen die in der Grabcapelle der
Lella-Minana betenden Frauen von Unfruchtbarkeit geheilt werden: zwei
fromme in der N�he wohnende Einsiedler �ffnen den Frauen gegen eine
kleine Gabe die Th�r zum Grabmal und unterst�tzen sie im Beten.

Die Stadt hat ca. 5000 Einwohner, von denen wohl 1200 Juden sein m�gen,
welche letztere, wie alle Juden in den Hafenst�dten Marokko's, sich der
spanischen Sprache bedienen. Die wenigen Europ�er, vielleicht 30 oder 40
Individuen stehen unter dem Schutze ihrer Consuln, deren es hier mit
Ausnahme eines deutschen von allen Nationen giebt.

Der Handel der Stadt ist nicht unbedeutend und umfasst dieselben Artikel,
die in Tanger zur Aus- und Einfuhr kommen, d.h. ausgef�hrt werden besonders
Wolle, Thierh�ute, Wachs, Oel, Butter, Fr�chte: als Mandeln, Orangen,
Citronen und Feigen, getrocknete Oliven, Eier, Federvieh (anderes Vieh
auszuf�hren ist verboten), Getreide und H�lsenfr�chte. In L'Araisch kommt
noch hinzu die Rinde der Korkeiche, die in Europa verarbeitet wird. Gummi
und Kupfer wird aus Marokko nach Europa nicht mehr ausgef�hrt, da man
Kupfer in Europa und Gummi von Senegal billiger beziehen kann. Blutigel
werden ebenfalls von L'Araisch ausgef�hrt, doch mehr noch von Tanger und
Mogador. Einfuhrartikel sind: Baumwollenstoffe, Tuche, rohe und gefertigte
Seide, Papier, Waffen, Metalle, wie Eisen, Blei, Quecksilber, Schwefel,
Alaun, Salpeter, Colonialwaaren, darunter besonders Thee und Zucker, und
verschiedene Gegenst�nde, schlechte Schmucksachen, Porzellan und
Glaswaaren, Spiegel u. dergl. m. Die eben angef�hrten Gegenst�nde sind so
ziemlich in allen H�fen des Landes im Handel dieselben.

Der Weg zwischen L'Araisch und Media oder Mehdia l�uft ununterbrochen auf
einer Sandzunge hin, zwischen dem Meere einerseits, den S�mpfen und
Landseen andererseits gelegen. Auf der ausgezeichneten Karte von A.
Petermann, Mittheilungen Jahrgang 1865, Taf. 4, dann auch auf der Karte von
Renou ist dies recht deutlich zur Anschauung gebracht. Nehrungen und Haffe
k�nnen nur an flachen, sandigen K�sten entstehen, und so ist es ganz
nat�rlich, dass, wo die �brigen Bedingungen zur Haff- und Nehrungbildung
vorhanden sind, diese entstehen. Wie der Sand Product des Meeres ist, so
sind die Nehrungen, die aus Sand bestehen, immer nur an flachen K�sten mit
vielem Sande zu beobachten. Es giebt nun Nehrungen, die an beiden Seiten
noch mit dem Festlande zusammenh�ngen, oder solche, die am Meere
durchbrochen sind. Erstere k�nnen entstehen dadurch, dass hohe D�nen bei
ausserordentlichen Fluthen nicht durchbrochen werden, vom Ocean aber Wasser
durchlassen, welches Wasser dann hinter den parallel mit dem Meere
laufenden D�nen einen See bildet, oder es sammelt sich landw�rts der D�nen
das Wasser von kleinen Fl�ssen an, bildet einen See, das Wasser, ist aber
nicht stark genug, die Nehrung zu durchbrechen, oder auch das Wasser aus
dem Landsee ergiesst sich unter der Nehrung in den Ocean. Nehrungen werden
durchbrochen dadurch, dass sich die Fl�sse einen Ausgang bahnen, oder durch
den Ocean selbst, in beiden F�llen sind Haffe hergestellt.

An verschiedenen Stellen von Afrika hat man Nehrungen und Haffe, so vor dem
Delta des Nil in Aegypten, die bedeutender sind, als unsere deutschen in
der Ostsee, oder an der K�ste von Guinea; die Nehrung an der K�ste von
Marokko zieht sich von L'Araisch bis Rbat hin, hat also eine L�nge von fast
17 deutschen Meilen.

Landeinw�rts von der Nehrung ist im Winter ein 2-3 Meilen breiter See, der
im Sommer zum Sumpf wird, daher im Norden bei Mulei Bu Slemm der Name
Mordja[125] Ras el Daura, und s�dlich von Mehdia, Mordja el Mehdia. Gleich
unmittelbar �stlich vom See oder Sumpf st�sst jener ausgedehnte
Korkeichenwald, der n�rdlich bei L'Araisch beginnend im S�den bei Rbat
endet.

      [Fu�note 125: Mordja heisst Sumpf]

Zahllose Wasserv�gel, Enten, Pelicane, Ibisse und andere halten sich hier
auf, und im Sommer kommen Hy�nen, Schakale und Wildschweine aus dem
Korkeichenwald, um im feuchten Sumpfe zu jagen. Die ganze Nehrung selbst
ist bewohnt von Arabern. Meistens haben sie ihre Zelte auf der Landseite
und zwar nie kreisf�rmig, sondern, als ob sie gewissermassen der langen
Form der Nehrung sich anpassen wollten, immer in einer langen Reihe
aufgeschlagen. Die D�nen sind zum Theil gut bewachsen, meist mit Lentisken,
aber auch Grasfutter f�r Rind- und Schafheerden ist reichlich vorhanden.

Gew�hnlich legt man den Weg bis Mehdia l�ngs des Wassers in zwei
Tagem�rschen zur�ck, der grossen Hitze wegen, und weil wir uns h�ufig damit
aufhielten, im Ocean zu baden, brauchten wir vier Tage. Ueberall fanden wir
�brigens ausgezeichnete Gastfreundschaft, und die herrlichen Wassermelonen,
welche die Nehrung hervorbringt, haben mir nirgends besser gemundet als
hier. Zwei h�bsche Grabst�tten sind unmittelbar am Meeresstrande erbaut:
Mulei Bu Slemm[126], eine Tagereise s�dlich von L'Araisch, aus mehreren
Domen bestehend, dann Mulei Hammed bel Cheir, gleich vis-�-vis von Mehdia
auf einer kleinen Anh�he. Gegen 3 Uhr Nachmittags am vierten Tage
erreichten wir Mehdia, am linken Ufer des Sebu gelegen.

      [Fu�note 126: Die meisten Geographen halten Mulei Bu Slemm f�r das
       alte Mamora, Mamora antica, und doch glaube ich kaum, dass jemals
       bei Bu Slemm dieser Ort gestanden hat.]

Um �berzusetzen mussten wir aber erst eine ziemlich weite Strecke ca. ein
K.-M. stromaufw�rts gehen, wo sich die F�hre befand, sodann kehrten wir auf
das linke Ufer zur�ck und erklommen den Pfad, der auf den steilen 417 Fuss
(nach Barth) hohen felsigen H�gel f�hrt, auf dem Mehdia liegt. In einem
sehr schlechten Funduk fanden wir Unterkommen. Mehdia ist ein kleines
elendes Dorf, von vielleicht zweihundert Einwohnern, wegen seiner
beherrschenden Lage war es einst wichtig und k�nnte am schiffbaren Sebu,
dem Flusse, an dem Fes liegt, leicht wieder zu einer bl�henden Stadt
gemacht werden. Die M�ndung des Sebu ist jedoch nicht breiter als
vielleicht 1000 Schritt, aber sehr tief unmittelbar unterhalb der Stadt.
Der Sebu ergiesst sich aber nicht in gerader Linie in den Ocean, sondern,
schief nach Norden geneigt. Eine starke Barre sperrt den Fluss ab.

Als ich von Aussen den Ort besichtigte, fand ich unterhalb desselben ein
Labyrinth von Mauern, 4 Fuss dick und 20 Fuss hoch aus massiven Steinen
aufgef�hrt; ein Netz von viereckig gemauerten R�umen darstellend. Die
dar�ber befragten Bewohner wussten keine Auskunft zu geben, aber in Leo
finden wir vollkommenen Aufschluss dar�ber:

Von Jacob el Mansor, der von 1184 bis 1199 regierte, erbaut, als
Vertheidigungsfeste des Eingangs des Sebu, wurde Mehdia sp�ter zerst�rt und
im Jahre 1515 schickte Don Manuel von Portugal eine Flotte dahin ab, um
dort eine Festung anzulegen. Kaum im Bau begriffen, kam aber der zu der
Zeit in Fes regierende Sultan Mohammed ben Oatas mit einem Heere und
�berfiel Soldaten und Arbeiter. Leo, der als Augenzeuge diesem Ueberfalle
beiwohnte, giebt davon eine ergreifende Schilderung. Die Portugiesen wurden
alle get�dtet, die Schiffe verbrannt. Von 6-7000 Mann Besatzung, durch
Verrath zur Streckung der Waffen bewogen, wurden die Meisten niedergemacht.
Aus der M�ndung des Sebu soll der K�nig von Fes hernach 400 Kanonen
herausgefischt haben.

Sp�ter, am 6. August 1614, nahmen die Spanier noch einmal Mamora (wie die
Europ�er und auch Leo Mehdia nannten), errichteten ein Fort, welches aber
am 2?. April 1681 [? unlesbar in der gedruckten Ausgabe] von Mulei Ismail
�berfallen und zerst�rt wurde. Seit der Zeit ist Mehdia, was es jetzt ist,
ein elendes Dorf.

Was nun die eben erw�hnten Constructionen anbetrifft, so sagt Leo[127]
davon: "Die Portugiesen fingen gleich nach ihrer Ankunft den Bau an; alle
Fundamente waren schon gelegt, mit den Mauern und Bastionen war ein Anfang
gemacht etc." Einen solchen _unfertigen_, nicht aber _zerst�rten_
Eindruck machen denn auch die Bauten bei Mehdia. Was Mamora antica
anbetrifft, so d�rfte dasselbe am anderen Ufer des Sebu zu suchen sein,
oder vielleicht der H�gel der Stadt, der ebenfalls befestigt war,
"Alt-Mamora", die am Strande von den Portugiesen errichteten Bauten
dagegen "Neu-Marmora" gewesen sein. Aber in dem entfernten Mulei Bu
Slemm Alt-Mamora suchen zu wollen ist vollkommen unstatthaft, weil
"Mamora" immer einen felsigen H�gel bedeutet in Tamasirht-Sprache, ein
solcher aber bei Bu Slemm nicht vorhanden ist.

      [Fu�note 127: Uebersetzung von Lorsbach, p. 185.]

Barth f�gt noch hinzu, dass keineswegs, wie die meisten Geographen
anzunehmen geneigt seien, hier Banasa gestanden habe (Hems� meint, Banasa
habe gelegen, wo jetzt Mulei Bu Slemm ist, eine Oertlichkeit, die gar
nichts Einladendes zur Gr�ndung einer Stadt hat), welches eine Binnenstadt
am oberen Laufe des Sebu gewesen, sondern dass in Mamora die vom Ptolemaeus
erw�hnte Stadt Subur zu erblicken sei. Ich f�ge noch hinzu, dass im Lande
bei den Eingebornen der Name Mamora vollkommen unbekannt ist.

Wir blieben in Mehdia nur Nachts, am anderen Morgen fr�h aufbrechend, waren
wir Mittags in Sla, setzten gleich �ber und blieben in Rbat in einem
Funduk. Der Weg bot nichts Neues, Nehrungformation war auch hier, nur
m�ssen die hiesigen D�nen �lter sein, denn sie waren nach der Landseite
dicht mit Eichen, welche eine ausserordentlich zart- und s�ssschmeckende
Frucht tragen, bestanden, ausserdem waren Korkeichen, Lentisken und wilde
Oliven sichtbar.

Die Stadt Sla auf dem rechten Ufer des Bu Rgak oder Bu-Raba[128] gelegen,
ist ein Ort, welcher von Aussen gesehen das allerregelm�ssigste Ansehen
hat. Fast viereckig ist die Stadt von hohen aber widerstandslosen Mauern,
welche ausserdem viereckige Vertheidigungsth�rme haben, umgeben. Mit ca.
10,000 Einwohnern, d�rfen bis auf den heutigen Tag in Sla keine Christen
und Juden wohnen, der Grund davon ist, dass die Bev�lkerung sich
haupts�chlich aus aus Spanien vertriebenen Mohammedanern bildete, somit den
gl�hendsten Hass gegen Juden und Christen bewahrt hat. Am Ende des vorigen
Jahrhunderts war Sla, das sich den marokkanischen Herrschern gegen�ber fast
als Republik gerirte, der ber�chtigtste Seer�ubersitz am atlantischen
Ocean. Im Hafen von Sla und Arbat, oder in der M�ndung des Sebu, fanden die
Piraten vor den verfolgenden Kriegsschiffen der Christen sichere St�tten.

      [Fu�note 128: Buragrag bei Leo und Maltzan.]

Sla ist offenbar, wenn auch nicht genau der Lage nach, doch was den Namen
anbetrifft, das alte Sala. Ptolemaeus verlegt Sala s�d�stlich von der
M�ndung des Flusses, also da wo Arbat heute steht. Ebenso Plinius, der Buch
V, 1 sagt: "Die Stadt Sala am Flusse gl. N. gelegen, schon nahe der W�ste,
und durch Elephantenheerden, noch mehr aber durch den Stamm der Autolalen
unsicher gemacht, durch welche der Weg zum Atlasgebirge f�hrt" etc. Dass
nun Arbat heute nicht den Namen Sla, sondern Arbat hat, erkl�rt sich wohl
aus dem Umst�nde, dass nach der Zerst�rung des alten Sala, die neue Stadt
auf dem rechten Ufer des Bu Raba angelegt wurde, w�hrend gegen�ber die
Stadt Rbat um 1190 von Jacub el Mansor neu gegr�ndet wurde, und nach
Delaporte den Namen Rbat el Ftah, d.h. Wahlst�tte des Sieges erhielt. Es
ist also nicht n�thig um das alte Sala im heutigen Rbat wiederzufinden, wie
Barth es thut, auf die Grabm�ler der Beni-Merin bei der Mssala von Arbat
hinzuweisen, welchen Ort Barth: "Schaleh", Hems�: "Scella, Seialla" und
Marmol: "Mensala" aussprechen h�rten. Ich habe an anderen Orten gezeigt,
dass jede gr�ssere marokkanische Stadt ihr Mssala hat, wo bei grossen
religi�sen Festen die Gebete abgehalten werden[129].

      [Fu�note 129: Maltzan sagt B. IV, p. 129: In der N�he von Rabat liegt
       auf demselben Ufer des Flusses ein kleiner Ort esch = Schaleh
       genannt. Dieser Ort hat eine auffallend grosse Aehnlichkeit mit dem
       des antiken "Sala". Es sind dies aber weiter nichts als H�tten und
       H�user, und Grabm�ler um die "Mssala" gebaut, wie das auch bei Fes,
       Uesan etc. vorkommt.]

Die Stadt Sla ist von ihrem einstigen durch Piraterie erworbenen Reichthum
sehr heruntergekommen, so dass auch die H�user der Einwohner, die sich
Slaui nennen, sehr klein und unansehnlich sind. Als ich mit dem
Grossscherif in der Stadt war, fand sich kein einziges Geb�ude gross genug
ihn aufzunehmen, wir campirten daher am Strande in unseren Zelten.
Innerhalb der Mauern ist die H�lfte der Stadt jetzt unbebaut. Die beiden
Moscheen sind gross und ger�umig, aber sonst zeichnen sie sich durch nichts
weiter aus. Der Markt oder Bazar, Kessarieh, ist �berdacht wie in den
meisten St�dten, wie zur Zeit Leo's findet man hier auch heute noch eine
grosse Kammfabrikation aus Lentiskenholz.

Rbat, sowie es jetzt steht, eine Stadt von ca. 30,000 Einwohnern, hat ein
fast modernes s�deurop�isches Aussehen, namentlich von der Westseite her.
Hier haben sich haupts�chlich Christen und Juden H�user gebaut, und
besonders letztere sind in Rbat zahlreich vertreten, da sie wie auch die
Christen in Sla nicht wohnen d�rfen. In der M�ndung des Flusses k�nnten
Rbat und Sla einen guten Hafen haben, wenn nicht eine gef�hrliche Barre auf
der Rhede w�re, und wenn f�r eine geh�rige Ausbaggerung gesorgt w�rde.
Jetzt kann der Hafen nur Schooner und kleine Briggs aufnehmen. Der Handel
ist indess ziemlich lebhaft, denn eigentlich ist Rbat jetzt der nat�rliche
Hafen f�r Mikenes sowohl, als auch f�r Fes. Man exportirt hier vorzugsweise
Oel, H�ute und Kork. Als eigne Fabrikation betreibt man in Rbat
haupts�chlich die Verfertigung wollener Teppiche, an G�te und
Dauerhaftigkeit kommen sie den syrischen gleich, im Muster und in den
Farben stehen sie allerdings zur�ck. Ferner sind Schuhe, Burnusse und
Matten ger�hmt.

Rbat auf dem bedeutend h�her gelegenen linken Ufer des Flusses gelegen, hat
ein Castel auf seiner �ussersten nach dem Meere gerichteten Seite, mit
sogen. bombenfesten Gew�lben, und dicht dabei eine ziemlich grosse Djemma
(Moschee) mit einem sehr h�bschen Smah (Minaret). v. Maltzan taxirt den
Thurm auf 180' und zieht ihn der Giralda von Spanien vor. Dieser Sma-Hassan
ist wie die Moschee selbst von Sultan Mansor erbaut. Leo sagt von ihm: "Vor
dem S�derthor liess er auch einen Thurm, dem zu Marokko �hnlich, errichten,
er hat aber viel breitere Treppen, worauf 3 Pferde nebeneinander
hinaufkommen k�nnen. Ich (Leo) rechne diesen Thurm in R�cksicht auf seine
H�he zu den bewundernsw�rdigen Geb�uden."--F�r Marokko, welches in keiner
einzigen Stadt einen nur irgend bedeutend hohen Minaret hat, ist dieser
Thurm des Hassan allerdings eine ausnahmsweise hohe Baute, aber im Orient
trifft man bei den Mohammedanern bei Weitem h�here Minarets.

Der Palast des Sultans ausserhalb der Stadt Rbat im S�den und fast hart am
Meere gelegen, ein vollkommen neues Geb�ude, und irre ich nicht, erst vom
jetzigen Sultan erbaut, zeichnet sich nur durch Kasernenhaftigkeit aus. Es
ist ein ziemlich unbedeutendes Geb�ude, mit einer Beletage, hat viele
Fenster, die aber nicht Glasscheiben besitzen, sondern durch h�lzerne
Jalousien verschlagen sind. Vor dem Schlosse nach dem Strande zu befinden
sich Erdschanzen auf europ�ische Weise errichtet; einige Kanonen sind
ebenfalls darin.

Der von Maltzan erw�hnte "r�mische Aquaduct" ausserhalb der Stadt, dessen
Ruinen noch heute vorhanden sind, ist indess nicht r�mischen Ursprungs,
wenn man anders den Aufzeichnungen von Leo Glauben schenken kann. Derselbe
sagt p. 177: "Weil in der N�he der Stadt kein sonderlich gutes Wasser war,
so liess Sultan Mansor eine Wasserleitung von einer Quelle, die ungef�hr 12
Meilen von der Stadt entfernt ist, hier anlegen; sie besteht aus sch�nen
Mauern, welche auf Bogen ruhen, gleich denen, die man hier und da in
Italien, vornehmlich um Rom sieht. Diese Wasserleitung theilet sich in
viele Theile: einige f�hren Wasser in die Moscheen, andere in die Schulen,
andere in die Pal�ste des K�nigs, andere in die �ffentlichen Brunnen,
dergleichen f�r alle Districte der Stadt gemacht wurden. Nach Mansor's Tode
nahm die Stadt allm�lig so ab, dass nicht ein Zehntel mehr �brig ist. Die
sch�ne Wasserleitung ist in den Kriegen der Meriniden gegen Mansor's
Nachfolger zerbrochen worden." So Leo. Ich muss indess bekennen, dass nach
Besichtigung der Ruinen dieser Wasserleitung ich ebenfalls geneigt bin mit
Maltzan sie f�r r�mischen Ursprungs zu halten, da nirgends anderswo, soviel
ich das Land habe kennen lernen, die Marokkaner selbst irgend �hnliche
Bauten aus massiven Quadersteinen errichtet haben.

Heutzutage entbehrt Rbat sehr dieser Wasserleitung, die Einwohner behelfen
sich zum Theil mit dem Wasser ihrer Cisternen, zum Theil holen sie weither
ihr Trinkwasser in Schl�uchen. Nirgends ist daher auch das Trinkwasser
theurer als in Rbat. In allen gr�sseren marokkanischen St�dten durchziehen
Wasserverk�ufer mit einem grossen Schlauch auf dem R�cken, in der einen
Hand eine Glocke, in der anderen einen Becher haltend, die Strassen und
verkaufen dem Durstigen f�r einen Fls. den Labetrunk, der dann so bemessen
ist, dass der K�ufer so viel trinken kann, wie er Durst hat. In Rbat aber
muss ganz genau das Maass inne gehalten werden.

Im Uebrigen hat die Stadt nichts Merkw�rdiges, nur will ich nicht
unterlassen auf die unvergleichlich sch�nen G�rten aufmerksam zu machen,
die sich l�ngs des linken hohen Flussufers hinziehen. Was nur das
gl�ckliche Klima des Mittelmeeres hervorbringt, findet man hier bl�hen und
gr�nen.

Ich blieb nur kurze Zait [Zeit] in Rbat, und durch die lang ausgedehnte
jetzt leere St�tte der Mhalla (die Armee des Sultans), welche s�dw�rts der
Stadt sich befand, dahin eilend, zog ich dem S�den weiter entgegen. Ich
hatte nun vollkommen unbekanntes Land vor mir, bis Rbat, wo ich auch fr�her
schon gewesen war, hatte ich fast alles Land kennen gelernt, was im
Bereiche des "civilisirten Marokko" lag. Einsam ohne Karavanen zogen meine
Begleiter und ich l�ngs des Strandes dahin, den grauen Esel vor uns
hertreibend. Der Weg l�ngs des Strandes bleibt auch hier einf�rmig und
langweilig. Indess so wenig die Natur bietet, so belebt ist andererseits
dieser Weg durch Menschen, denn bis Asamor ist hier die Hauptroute von Rbat
nach Marokko, von Asamor verl�sst die Strasse das Meer, um ins Innere sich
hineinzuziehen.

L�ngs der K�ste ziehen sich eine Menge Kasbahs hin, zum Theil in leidlichem
Zustande, zum Theil verfallen; sie erinnern lebhaft an die Befestigungen in
Spanien und Italien, deren K�sten ebenfalls �berall mit Th�rmen und
Festungen garnirt sind. In diesen Kasbahs kann der Wanderer Schutz vor
schlechter Witterung finden, oder �bernachten, sonst bieten sie aber in der
Regel nichts, und die meisten sind ohne Insassen. Wir gingen bis
Mitternacht und n�chtigten sodann in der Kasbah Scharret, am Fl�sschen gl.
N. gelegen. Diese Kasbah bildet zugleich eine Cavalleriekaserne, es
befanden sich etwa 200 Reiter mit ihren Pferden in derselben. Wir konnten
von diesen Reitern unser Abendbrod kaufen, eigentliche Kaufleute waren aber
nicht vorhanden.

Zwischen Rbat und Asamor finden sich eine Menge von kleinen Fl�ssen, die
von Osten kommend alle das Meer _mit Wasser_ erreichen, und auch das
ganze Jahr Wasser halten. So passirten wir am folgenden Tage den
Ued-Bu-Steka und drei andere kleine Fl�sse, und befanden uns Mittags am
Ued-Mansuria, der an seiner M�ndung, zur Fluthzeit, nicht zu passiren
ist. Nach langem Suchen fanden wir endlich stromaufw�rts gehend eine
Furth, die uns durchliess. Der auf den Karten angegebene Ort Mansuria
_existirt nicht_. Auf dem linken Ufer des Fl�sschens befinden sich die
Tr�mmer der Kasbah Mansuria. Der Ort Mansuria soll nach Leo auch nicht
am Ocean, sondern zwei Meilen stromaufw�rts am Fl�sschen, das er Guir
nennt, gelegen sein. Aber schon zu Leo's Zeiten war das genannte
St�dtchen nur noch ein Tr�mmerhaufe.

Wir gingen selben Tags noch bis zur M�ndung des Flusses Ued-el-Milha, an
dessen linkem Ufer die Kasbah Fidala liegt. Ob Fidala nach der Meinung
Gosselin's das alte Kerne[130] gewesen sei, wage ich nicht zu entscheiden;
eine Insel ist in der M�ndung des Flusses nicht, wohl aber ist auch hier
eine Nehrung. Im Innern der sehr ger�umigen Kasbah lagerte ein ganzer Stamm
unter Zelten, aber auch feste Wohnungen waren da. Namentlich zeichnete sich
die in der Mitte der Burg liegende Djemma durch Sauberkeit der Arbeit und
gute Conservirung aus. Die Tholba (Schriftgelehrten) luden uns freundlichst
ein, in derselben die Nacht zuzubringen. Die meisten H�user, die in Fidala
sind, liegen in Ruinen, der edle Styl derselben, die Abwesenheit des
maurischen Schwibbogens an Fenstern und Th�ren sagen uns mit Sicherheit,
dass diese Geb�ude von Europ�ern erbaut wurden. Renou behauptet indess,
dass Fidala 1773 von Sultan Mohammed gegr�ndet sei. An vielen der Fenster
waren sogar noch Balcons.

      [Fu�note 130: Kerne m�chte eher beim heutigen Agadir zu suchen sein,
       obgleich auch dort in der Bucht keine kleine Insel sich befindet,
       aber keineswegs, wie Kn�tel meint, die Insel im Rio do Ouro sein.]

Am folgenden Morgen passirten wir eine lange �ber den schmalen Fluss
Ued-Dir f�hrende Br�cke, derselbe soll jedoch manchmal weit austreten.
Die Gegend bleibt immer dieselbe, rechts das Meer, und links die nicht
enden wollende Gegend der Provinz oder Landschaft Temsena, nur einmal
unterbrochen durch den grossen l�ngs der K�ste sich hinziehenden Sumpf
Um-Magnudj. Die gut bev�lkerte Gegend bringt haupts�chlich Mais hervor,
der den Leuten als Hauptnahrung dient, indem sie ganz wie die Italiener
eine Polenta davon bereiten. Man kann sagen, dass an der ganzen K�ste
von L'Araisch bis Asamor nicht die zu Kuskussu verarbeitete Gerste,
sondern der Mais oder t�rkische Weizen die Nationalkost ist. Auch wird
davon viel nach Spanien und Portugal exportirt.

Am selben Abend noch waren wir in Dar-beida (Weissenstadt und von den
Spaniern Casa bianca �bersetzt), wo wir bald bei einem Kaffeehausbesitzer,
den ich von Fes her kannte, ein gastliches Unterkommen fanden. Dar-beida
bildet eine Art befestigten Vierecks, dessen Mauern jedoch ausser Stande
sind, den geringsten Widerstand gegen Europ�er zu leisten. Sowie von
Masagan und Safi wird auch von hier aus bedeutend exportirt, und
haupts�chlich sind es Wolle, Oel, Mais, Weizen, Mandeln und Felle, welche
die Eingeborenen den Europ�ern zu Markte bringen. Die Einwohnerschaft von
Dar-el-beida bel�uft sich auf ca. 300 [3000] Seelen, unter denen sich
eine zu den �brigen Hafenst�dten Marokko's verh�ltnissm�ssig grosse Zahl
von Europ�ern befindet. Ich fand es h�chst auffallend, dass alle
Lebensmittel hier so theuer waren, vielleicht ist die Concurrenz der
Europ�er daran Schuld. In der Meeresbucht befanden sich sieben gr�ssere
europ�ische Fahrzeuge, im Begriffe, ihre Ladungen einzunehmen. Sie
kommen meist ohne Waaren an, wenn man anders nicht die Silberthaler
(spanische und franz�sische) als Importationsartikel rechnen will. Aber
der Vortheil, den die Europ�er auf die eben angef�hrten
Exportationsartikel machen, ist ein sehr grosser. Deutschland betheiligt
sich gar nicht daran. An Merkw�rdigkeiten hat die Stadt nichts
aufzuweisen.

Maltzan nimmt an, dass Dar-beida oder Dar-el-beida die Stadt Anfa Leo's
sei. Es ist auch wohl nicht daran zu zweifeln, aber Leo's Angaben �ber die
Entfernung Anfa's sind h�chst ungenau, er sagt: "Anfa ist eine grosse von
den R�mern erbaute Stadt am Ufer des Oceans, ungef�hr 60 Meilen vom Atlas
gegen Norden, ungef�hr 60 Meilen von Azemur gegen Osten und ungef�hr 40
Meilen von Rabat gegen Westen gelegen." Leo scheint die Stadt gleich nach
der Zerst�rung derselben durch die Portugiesen besucht zu haben, er fand
sie ganz ver�det und von Einwohnern verlassen. Nach Maltzan wurde sie erst
1750 von Mulei Isma�l unter dem Namen Dar-el-beida wieder aufgebaut. Nach
Renou wiedererbaute sie Sultan Mohammed, was wahrscheinlicher ist, da
Isma�l von 1672-1727 regierte. Von Dar-beida nach Asamor brauchte ich zwei
Tage. Der auf fast allen Karten Marokko's angegebene Ort Mediona, der an
der K�ste liegen soll, existirt dort nicht, wohl aber ca. 3 Meilen
landeinw�rts; Mediona ist weiter nichts als eine von einigen Duar umgebene
Kasbah.

Endlich war die weite M�ndung des Um-Rbea, oder wie man gew�hnlich sagt
Mrbea erreicht. Der Fluss ist so tief, dass er selbst zur Ebbezeit nie
durchwatet werden kann, aber eine gute F�hre ist vorhanden, mit der man
�bergesetzt wird. Der Fluss Um-Rbea, vom Atlas entspringend, hat auf seinem
linken Ufer die bedeutende Stadt Asamor; aber so bedeutend dieselbe ist,
ich sch�tze die Einwohnerzahl auf 30,000 [3000] Seelen, so wird ihrer
selten in den geographischen Handb�chern gedacht. Der Name Asamor
bedeutet aus der Tamasirht-Sprache �bersetzt, die Oelb�ume, und
eigentlich hat die ganze Stadt den Namen Asamor-es-Sidi-Bu-Schaib, d.h.
die Oelb�ume des gn�digen Herrn Bu-Schaib. Urspr�nglich war hier n�mlich
weiter nichts als ein Sanctuarium dieses Schaib's, dessen kleine
"Kubba", in der er begraben liegt, sich noch heute in Asamor befindet
und die in naher Umgegend als ein grosses Heiligthum gilt. Die
Zahlenangaben �ber den Angriff von Asamor durch die Portugiesen sind bei
Maltzan nicht genau. Erst 1508 begannen die Portugiesen zu belagern,
jedoch ohne Erfolg, aber im Jahre 1513 wurde die Stadt erobert, zerst�rt
und nach einem zweiunddreissigj�hrigen Besitze von den Christen
freiwillig aufgegeben[131].

      [Fu�note 131: Siehe dar�ber Leo, Dapper und Renou.]

Asamor, auf einer ca. 150' hohen Anschwellung des Erdbodens gelegen, wird
merkw�rdigerweise von Arlett mit nur 700 Einwohnern angegeben. Andere aber,
die doch auch gute Notizen �ber die Stadt hatten oder auch Asamor selbst
gesehen haben, sind dar�ber auch anderer Meinung, so nennt Dapper sie
"�beraus volkreich", Lempriere "ein grosser Ort." Die Sache ist n�mlich
die, dass von allen H�fen, Asamor und Agadir die einzigen sind, wohin
Europ�er selten kommen. In _allen_ marokkanischen Hafenst�dten, so
klein sie auch sein m�gen, giebt es Consuln und Consularagenten. So in
Arseila, in L'Araisch, in Masagan etc., aber in der Stadt Asamor und Agadir
sind weder christliche Consuln noch Europ�er. Allerdings sind in Sala auch
keine Consuln, aber der Grund liegt mehr in der N�he von Neu-Sala oder
Arbat, als in einer anderen Ursache.

So ist denn auch Asamor eine vollkommen marokkanische Stadt, der ganze
Handel, die Industrie hat etwas urw�chsig Marokkanisches an sich. In dieser
sch�nen Flussm�ndung, welche meilenweit nach oben hin noch salziges
Meerwasser hinauftreibt, sieht man nie europ�ische Schiffe. Der ganze
Handel von Asamor mit dem Binnenlande beruht auf eigner Production und
Manufactur. Man verfertigt namentlich Haike, Burnusse, Matten, Schuhe und
T�pfergeschirr. In der N�he der Stadt ist bedeutender Gem�sebau, aber die
Fr�chte werden mehr nach aussen hin, nach Dar-beida und Masagan exportirt,
als in der Stadt selbst aufgebraucht.

Ich durfte nicht unterlassen "den ber�hmten Heiligen Mulei Bu-Schaib zu
besuchen", so sagt man in der That in Marokko, einerlei ob der Heilige noch
lebt oder todt ist. Man redet dann auch einen solchen Heiligen wenn er
gestorben ist so an, als ob er noch lebte: "es ssalamu alikum ia Mulei
Bu-Schaib" etc. Als ich eintrat in den kleinen Grabdom, war denn auch
das ganze Mausoleum voller Bittsteller, alle umhockten oder Umlagen den
Sarkophag, d.h. ein h�lzernes mit rothem Tuch und reich mit Seide
gesticktes umhangenes Holzgestell. Den gr�ssten und eigentlichen Segen
hatten indess nur die Schriftgelehrten des Mulei Bu-Schaib, die von
jedem Betenden eine Gabe zu erpressen wussten. Als h�chst merkw�rdig
fiel mir auf, dass diese Tholba (Schriftgelehrte) durch besondere Tracht
sich auszuzeichnen suchten von ihren Mitgl�ubigen, wie die Pharis�er der
Bibel. Bei den �brigen Marokkanern unterscheidet sich aber, wie schon
angef�hrt, der Schriftgelehrte von seinen Mitgl�ubigen nie durch Tracht,
und wenn er auch der erste Faki der Djemma Mulei Abd Allah Scherif von
Uesan w�re. Sowie durch eigne Tracht, so zeichneten sich denn auch diese
Tholba durch grosse Selbstgef�lligkeit und religi�se Eitelkeit aus.

Ehe ich von Asamor aus weiter zog, muss ich eines kurzen Abstechers
erw�hnen, den ich von hier aus mit einer Karavane nach der Stadt Marokko,
von den Eingebornen Marakesch genannt, machte. Es war nur eine kleine
Karavane aus lauter Eseltreibern bestehend, welche T�pferwaaren ins
Innere des Landes f�hrten, dabei bis Marokko wollten, um von dort andere
Waaren zur�ckzubringen. In Gesellschaft dieser Leute war es vollkommen
unm�glich irgendwie nur Aufzeichnungen zu machen. Die Gegend sah zu der
Zeit sehr traurig aus, da es Herbst war und die ersehnten Regen wollten
sich nicht einstellen, so dass man hatte glauben k�nnen in der Vorw�ste zu
sein. Und doch muss diese Landschaft im Winter und Fr�hling ein ganz
ver�ndertes Aussehen haben. Die kahlen Lotusb�sche bekleiden sich dann mit
frischen hellgr�nen Bl�ttern, die einf�rmige Zwergpalme sendet neue F�cher
aus der Erde und reift ihre kleinen �usserlich der Weintraube nicht
un�hnlichen Beeren, Zwiebeln und Gr�ser spriessen aus der Erde und die
Heerden kehren von den immergr�nen Weidepl�tzen der Atlasstufen zur�ck.

Wir marschirten den ersten Tag sehr anstrengend, um zur rechten Zeit auf
dem Markte el Had (Sonntag) zu sein, und noch denselben Tag wieder
aufbrechend, �berzogen wir sodann einen niederen Gebirgszug von Nordwest
nach S�dost streichend, der an der Gegend, wo wir ihn �berschritten, den
Namen Dj. Ssara f�hrte. Sobald man den Kamm dieser H�gel, welche zugleich
die Wasserscheide zwischen dem Mrbea und Tensift bilden, �berschritten hat,
erblickt man die schneeigen Gipfel des grossen Atlas. Aber so nahe die
Berge zu sein scheinen, so fern sind sie noch; ehe man nur die Stadt
Marokko erreicht, hat man noch drei Tagem�rsche.

Der Sultan war zu der Zeit mit der ganzen Armee dort; er hatte sich den
Eintritt in die zweite Hauptstadt seines Landes erk�mpfen m�ssen. Die
St�mme der Rhammena, s�dwestlich von Marokko auf den Abh�ngen des Atlas
heimisch, hatten sich kurz vor seiner Ankunft emp�rt und hielten die Stadt
umschlossen. Aber die Rhammena hatten nicht auf die Kanonen des Sultans
gerechnet, trotzdem sie sich ziemlich hartn�ckig bei der Sauya-ben-Sassy
s�dlich von der Stadt vertheidigten. Sobald die Kanonen erdr�hnten, wurden
sie leicht bew�ltigt, und nachdem so und so viel K�pfe waren abgeschnitten
worden, welche als Warnung an s�mmtliche St�dte des Reiches vertheilt
wurden, nachdem sie aller Habe waren beraubt worden, war wieder Ruhe im
Lande.

Ich blieb nur zwei Tage in Marokko und verliess das Funduk (Gasthaus) nur
Abends, um nicht Bekannten zu begegnen. Denn trotzdem der Sultan durch
Vermittelung des englischen Gesandten mir beim Weggange von Mikenes
freigestellt hatte, im Lande zu bleiben und �berall frei hingehen zu
k�nnen, f�rchtete ich, falls er erf�hre, ich sei in Marokko, festgehalten
zu werden.

Die Stadt Marokko ist nach Beaumier's Beobachtungen mit einem
holosterischen Barometer 408 Meter �ber dem Meere gelegen. Die Einwohnezahl
[Einwohnerzahl] der Stadt ist, sehr wechselnd, je nachdem der Sultan
anwesend ist oder nicht. Sir Drummond Hay, der zuverl�ssigste Gew�hrsmann,
und der von allen Europ�ern am besten die St�dte des Innern kennen lernte,
nimmt 70,000 Einwohner an. Zur Zeit, als er dort den Sultan besuchte, ist
das auch wohl richtig gewesen, in gew�hnlichen Zeiten sind aber wohl nicht
mehr Bewohner in der Stadt, als wie Maltzan, Beaumier und Lambert annehmen:
50,000.

Nach Leo und den meisten Geographen soll Marokko von Yussuf-ben-Taschfin
erbaut sein, Renou, sich auf Cooley st�tzend, giebt das Jahr 1073 als
Erbauungsjahr an. Es ist indess wohl genauer, wenn wir mit Sedillot
festhalten, dass der Feldherr Abu-Bekr, ein Partisan von
Abd-Allah-ben-Taschfin, einige Jahre fr�her die Stadt anlegte. Von der
Bedeutung aber, wie Marokko unter Yussuf, unter seinem Sohne Ali gewesen
ist, von welcher Epoche Leo sagt, die Stadt habe hunderttausend H�user
gehabt, davon hat dieselbe nur den grossen Umfang behalten. Nach Lambert
sollen die jetzigen Mauern der Stadt, die aus Tabi (d.h. einer Mischung
aus Thon, Kalk und kleinen Steinchen, welche Masse zwischen Brettern
gestampft und gepresst wird) bestehen, und die wie die Umfassungsmauern
aller marokkanischen St�dte von Entfernung zu Entfernung flankirende
Th�rme haben, vom Sultan Mohammed ben Abd-Allah (1757-1790), dem
f�higsten und bedeutendsten marokkanischen Kaiser der Neuzeit, gegr�ndet
sein.

Ganz entgegengesetzt zu Fes hat die Stadt Marokko mit wenigen Ausnahmen nur
einst�ckige Wohnungen, und an den Seiten der _breiten_ Gassen findet
man oft grosse G�rten. Nur im Handelscentrum der Stadt verengen die
engstehenden H�user die Strassen. Im Uebrigen hat die Stadt ihre Kessaria
(eine ganz neu erbaute f�r fremde Artikel ist nach Lambert k�rzlich
hinzugekommen), ihre Ataria, ihre grossen und kleinen Funduks, ihre
Marktpl�tze, auf denen der bedeutendste Markt vor der Djemma el Fanah und
der andere ausserhalb der Stadt vor dem Thore "Chamis" abgehalten werden.
Auch ein Narrenhaus, Morstan, befindet sich in Marokko mit �hnlicher
Einrichtung wie in Fes.

An �ffentlichen Geb�uden ist die Stadt arm, der Palast des Sultans, obschon
�usserst umfangreich, zeichnet sich durch nichts aus. Die ber�hmteste
Moschee ist die Kutubia, so genannt von den Adulen (Schreibern) und Ketabat
(B�chern), welche dort, erstere ihr Handwerk treiben, letztere ebenda zu
kaufen sind. Der hohe Thurm der Kutubia soll nach Lambert ca. 250 Fuss,
nach Maltzan ca. 210 Fuss hoch sein, und v. Maltzan sch�tzt die Architektur
auch dieses Thurmes h�her als die der Giralda von Sevilla, welche doch von
L�bke in seiner Geschichte der Architektur als eines der sch�nsten
Baudenkm�ler spanisch-maurischer Architektur hervorgehoben wird. Was die
innere Anordnung der Djemma anbetrifft, so gleicht sie fast der grossen den
"Erzengeln" gewidmeten Moschee in Fes. Auch hier die grosse Zahl von
S�ulen, die von Spanien hergeholt sein sollen, auch hier die reizenden
Springbrunnen, die aber oft genug kein Wasser spenden. Denn die einst so
sch�nen Wasserleitungen der Stadt, weiche von den Bergen Misfua und Mulei
Brahim das Wasser der Stadt zuf�hren, liegen in verwahrlosetstem Zustande.
Von den �brigen Moscheen ist wenig zu berichten. Das gr�sste Heiligthum der
Stadt ist die Sauya des Sidi-bel-Abbes, im Norden der Stadt gelegen.
Sidi-bel-Abbes ist zugleich der Schutzpatron der Stadt, er liegt dort in
einer kleinen Kubba begraben. Alle Fremde, namentlich Pilger, werden
hier unentgeltlich drei Tage lang verpflegt; es versteht sich, dass
diese Sauya auch Zufluchtsort f�r Verbrecher und unrechtm�ssig Verfolgte
ist.

Das Ghetto der Juden, wie in allen marokkanischen St�dten "Milha" genannt,
d.h. der gesalzene Ort, wird nach Lambert h�ufig Spasses halber von den
Mohammedanern "Messus", d.h. der "salzlose Ort" genannt; man sch�tzt die
Zahl der Juden auf 6000 Seelen. Moses Montefiori, der im Jahre 1864 in
Marokko war, um beim Sultan eine verbesserte Lage f�r seine ungl�cklichen
Glaubensgenossen herbeizuf�hren, hat dies trotz seiner reichen Geschenke
keineswegs zu Wege bringen k�nnen, sie leben dort heute noch in derselben
ungl�cklichen und unterdr�ckten Art, wie bisher. F�r die Christen scheint
aber dort ein Umschwung eingetreten zu sein. Beaumier konnte mit seiner
Frau, freilich in seiner Eigenschaft als Consul, im Jahre 1868 unbehindert
die Stadt nach allen Richtungen hin durchziehen, und der schon mehrere Male
genannte Hr. Lambert bewohnt Marokko seit Jahren. Um dies zu k�nnen, muss
man aber vor allem der Sprache vollkommen m�chtig sein, und man muss es
verstehen, Dem�thigungen und Vexationen, �hnlich wie sie von den
Mohammedanern den Juden t�glich auferlegt werden, zu ertragen. Aber
keineswegs m�chte ich doch empfehlen, wie Hr. Lambert das am Ende seines
der Pariser geographischen Gesellschaft �berreichten Berichtes thut: "die
Touristen einzuladen, statt nach oft besuchten Gegenden zu gehen, nach
Marokko zu kommen, um Ausfl�ge in die Umgegend zu machen". Solche sichere
Zust�nde herrschen heute im Innern dieses Landes noch nicht[132].

      [Fu�note 132: Die Folge eines solchen franz�sischen Berichtes
       verursachte auch den Tod von Alexandrine Tinne. Sie berief sich
       stets auf die zwischen Colonel Mircher und den Tuareg vereinbarten
       Vertr�ge, als man ihr rieth nicht ins Land der Tuareg zu gehen;
       Obschon sie wissen musste, dass diese Vertr�ge nur auf dem
       franz�sischen Papiere existirten, da von Seiten der m�chtigen und
       besitzenden Tuaregf�rsten Niemand erschienen war mit Oberst Mircher
       zu unterhandeln.]

Ausser diesen vereinzelten Christen und den der Zahl nach genannten Juden
besteht die Bev�lkerung von Marokko aus Berbern, Arabern und Schwarzen.
Letztere, vorzugsweise wie in ganz Marokko aus Haussa- und Bambara-Negern
zusammengesetzt, fasst man auch hier unter dem Namen Gnaui zusammen, sie
sind alle Bekenner des Islam, haben aber viele von ihren einheimischen
Sitten beibehalten. Dadurch, dass man fast mehr Schellah als Arabisch in
Marokko reden h�rt, k�nnte man versucht sein zu glauben, die
Berberbev�lkerung sei �berwiegend. Das ist aber nur anscheinend und
namentlich an den Markttagen, wo die ganze Landbev�lkerung in die Stadt
hereinkommt, der Fall. Der eigentliche St�dter ist arabischer Herkunft, hat
zwar oft viel fremdes Blut, pocht aber darauf, f�r einen Araber gehalten zu
werden. Wie in den �brigen St�dten Marokko's findet man auch hier viele
Bewohner aus den �brigen grossen Ortschaften Nordafrika's, die manchmal
einzelne Jahre lang, andere auch f�r immer sich fixiren, oder auch noch im
Alter, nachdem sie ein kleines Verm�gen erworben, in die Heimath
zur�ckkehren.

F�r die Auss�tzigen hat man im Norden der Stadt ein eignes Dorf,
Harrah[133] genannt; diese, die nur unter sich heirathen, dort eine eigene
Djemma (Gotteshaus) und eigne Medressen (Schulen) haben, deren Vorst�nde
ebenfalls Auss�tzige sind, d�rfen nie die Stadt betreten. Dagegen sieht man
dieselben den ganzen Tag vor dem Thore "Dukala" herumlungern, um Almosen zu
erflehen. Es giebt �brigens auch Beg�terte unter ihnen, denn sie treiben
Industrie, haben ihren eignen Grund, auf dem sie ackern und G�rten bebauen,
und die �brigen Marokkaner scheuen sich nicht, mit ihnen zu handeln; wenn
aber Lambert sagt, die Furchtlosigkeit vor den Auss�tzigen w�rde so weit
getrieben, dass die Stadtbewohner mit den Lepr�sen aus einer Sch�ssel
assen, oder in einem Zimmer schliefen, so ist das wohl �bertrieben. In
diesem Harrah giebt es eine Milha f�r die auss�tzigen Juden.

      [Fu�note 133: Mit diesem Worte bezeichnet man in den �stlichen
       St�dten Nordafrika's das Judenquartier.]

Der Handel von Marokko ist gegen den von Fes gehalten gering, es fehlt den
Marokkanern die Geschicklichkeit und der Unternehmungsgeist. Die einst so
hoch ber�hmten Gerbereien von Leder (Corduan, Maroquin, Safian) liegen im
Verfall, allerdings existiren noch ganze Strassen, wo man nur gelbe und
rothe Leder, oder davon fabricirte Schuhe kaufen kann, aber das sch�nste
Leder wird heute in Fes bereitet. Hauptwichtigkeit hat Marokko im Handel
f�r die s�dw�rts gelegenen Atlastheile und die grosse Oase des Ued-Draa. So
beziehen denn auch s�mmtliche Arabertriben, die den beschwerlichen Weg �ber
den Atlas scheuen, ihre Dattelvorr�the von Marokko, und die Marokkaner
holen ihren Vorrath vom Draa.

Schon am dritten Tage Morgens verliessen wir die Stadt wieder. Was mich
anbetrifft, so hatte ich von derselben h�chstens ein Bild gewonnen, so wie
es der jetzige Reisende mit nach Hause bringt, wenn er die Eisenbahn
verl�sst, um sich in irgend einer Stadt am Wege einen Tag lang aufzuhalten.
Aus eigner Anschauung hatte ich nur die M�rkte bei Abend, die Kutubia und
die Sauya Sidi-bel-Abbes kennen gelernt.

Der R�ckweg wurde auf dieselbe Art gemacht, nur f�r mich auf angenehmere
Weise, da einige reiche marokkanische Kaufleute sich der Karavane
angeschlossen hatten, welche Zelte hatten, und die sich ausserdem t�glich
den Luxus einer Tasse Thee erlaubten, und wenn wir in der N�he eines Duars
lagerten, daf�r sorgten, dass die ganze Karavane auf ihre Kosten Fleisch
bekam. Es ist sehr h�ufig, dass in diesem Lande, wo das Alleinreisen mit
der gr�ssten Gefahr verbunden ist, sehr reiche Kaufleute sich mit
Maulthierkaravanen zusammenthun, und dass sie unter dem "Aman", Schutz
einer solchen "Gofla", Karavane weite Reisen zur�cklegen.

Wieder angekommen in Asamor, trennten wir uns, der reichere Theil der
Karavane zog nach dem Norden, der gr�sste Theil blieb im Ort selbst, oder
in der Umgegend, und wir beide zogen l�ngs des Oceans weiter, nachdem wir
noch einige Tage Rast in der Stadt gemacht hatten. Bis zum n�chsten Orte el
Bridja, d.h. kleine Burg, von den Europ�ern Masagan genannt, ist gerade
eine deutsche Meile Weges.

El Bridja, ein l�nglichtes ummauertes Viereck, wird fast nur von Europ�ern
und Juden bewohnt, und der Handel, der in Asamor sein sollte, wird hier
betrieben. Die Mohammedaner begn�gen sich damit ausserhalb der Stadtmauer,
die �brigens halb in Ruinen ist, in H�tten und Zelten zu wohnen. In el
Bridja, Masagan, oder wie sie drittens von den Gl�ubigen genannt wird: Dar
djedida, d.h. Neustadt[134], ist denn auch ein bedeutender Export-Handel,
den Beaumier auf 1/8 der Gesammtausfuhr vom Lande anschl�gt. Ich traf dort
�ber 20 europ�ische Schiffe auf der Rhede, und wie lebhaft der Handel dort
florirt, geht am besten daraus hervor, dass in diesem kleinen Orte, wo 1864
sicher nicht mehr als 1000 Einwohner waren, alle europ�ische Nationen einen
Vertreter hatten.

      [Fu�note 134: Diese kleine Stadt scheint sich durch den Reichthum an
       Namen auszuzeichnen, man h�rt sie auch El-Maduma, d.h. die
       Zerst�rte, nennen.]

Wir verliessen Masagan und wieder l�ngs des Meeres ziehend, kehrten wir
Nachts bei Arabern in einem Duar (Zeltdorf) gelagert, ein. Ein neues
Ungl�ck sollte mich hier erreichen, der Spanier mein Begleiter war Nachts
mit dem Esel aufgebrochen und hatte das Weite gesucht. Er hatte mir nichts
zur�ckgelassen, als was ich auf dem Leibe trug, und ein kleines
Ledert�schchen, welches ich als Kissen unter dem Kopfe hatte, und worin
gl�cklicherweise etwas Geld war. Die Hauptsumme aber, alles was ich an
Kleidung besass, hatte er aufgepackt und war damit verschwunden.--Es w�re
unn�tz gewesen hinterdreinlaufen zu wollen, zumal ich annehmen musste, dass
die Leute des Zeltdorfes wohl mit ihm im Einverst�ndnisse gehandelt hatten,
denn ohne ihr Wollen h�tte er sich unm�glich Nachts allein aus dem Duar
entfernen k�nnen. "Mktub er Lah", es war von Gott geschrieben, sagte ich
nach Sitte der Marokkaner, verliess das Zeltdorf, und erreichte ziemlich
fr�h Ualidia.

Dies ist jetzt ein kleines Dorf ohne alle Bedeutung, scheint aber fr�h eine
ziemlich bedeutende Stadt gewesen zu sein. Ein Theil der Stadtmauern und
der Thore sind noch vorhanden. An der K�ste befindet sich, s�dlich vom
Dorfe, der beste Hafen des ganzen marokkanischen Ufers, wenn derselbe auch
nicht gross ist. Es ist dieser Hafen lagunenartig, haffartig
eingeschnitten, der Art, dass die davorliegende Nehrung von Felsen gebildet
ist. In fr�heren Zeiten soll dieser Hafen auch benutzt worden sein, jetzt
liegt derselbe unbeachtet und fast unbekannt da. Verschiedene Reisende,
welche die K�sten Marokko's besucht haben, haben auch auf die
Vortrefflichkeit des Hafens von Ualidia aufmerksam gemacht, unter �ndern
Frejus.--Nach Jackson wird Ualidia so genannt, weil es vom Sultan Ualid
erbaut worden ist.

Ich blieb in diesem Orte nur um zu fr�hst�cken, das Essen wurde mir auf
zuvorkommende Weise von den Schriftgelehrten der Djemma angeboten, und alle
erflehten auf mich den Segen Allah's herab, um mich f�r meinen Verlust zu
tr�sten, und zugleich verfehlten sie nicht den Vater des Diebes und ihn
selbst (in Gedanken und mit Worten) zu verbrennen, zu verfluchen und auf
ewig zu verdammen. Leider bekam ich dadurch meinen Esel nicht wieder, und
ihr Segen befreite mich auch nicht vom Fieber. So musste ich Nachmittags
schon wieder Zuflucht in einem Zeltdorfe suchen, da ich von wahren
Sch�ttelfrosten befallen wurde. Am anderen Tage fr�h aufbrechend, erreichte
ich nach einem f�r mich recht anstrengenden Tagesmarsch sp�t Abends Saffi.

Saffi, wie die Europ�er die Stadt, Asfi, wie sie die Eingeborenen nennen,
liegt in einer weiten nach Westen offenen Bucht, deren �usserster Nordpunkt
vom Cap Cantin gebildet wird. Die Stadt liegt unmittelbar am Ocean, ist von
Mauern umgeben, besitzt an der Nordseite ausserdem eine Kasbah und hat ca.
3000 Einwohner, darunter einige Hundert Juden und ca. 50 Christen. Asfi
wurde 1508 von den Portugiesen erobert, und sie blieben im Besitze der
Stadt bis 1541, in welchem Jahre sie dieselbe freiwillig aufgaben. Ch�nier
f�hrt an mehreren Stellen an, die Portugiesen h�tten Asfi 1641 verlassen,
was aber wohl irrth�mlich ist, wenn man anders nicht nachweisen kann, dass
sie es zum zweiten Male genommen. Das beim Cap Cantin anfangende oder
endigende Gebirge Dj. Megher tritt, Asfi umgehend, zur�ck, sendet aber
kleine Ausl�ufer bis dicht zur Stadt, dadurch wird die Ufer-Gegend weniger
einf�rmig, und das Gebirge selbst muss seines reichen Baumschmuckes halber
je n�her man kommt desto romantischer sein.

Ich fand in Asfi alle Funduks besetzt, fand aber bei einem Juden
Unterkommen. Mein erster Gang war zum englischen Consul Mr. Carstensen,
denn so sehr ich sonst auch mied, mit Europ�ern in Ber�hrung zu kommen, so
zwang mich andererseits mein Zustand, mich auf alle F�lle wieder in den
Besitz von Chinin zu setzen. Ich fand selbstverst�ndlich den freundlichsten
Empfang, nicht nur fand ich das ersehnte Medicament, auch mit einer kleinen
Geldsumme half Hr. Carstensen (die ich ein Jahr sp�ter die Freude hatte,
ihm pers�nlich in Tanger zur�ckerstatten zu k�nnen) auf edelm�thige Art
aus. Ehemaliger d�nischer Officier, hatte Mr. Carstensen sp�ter in dem
Krimkriege unter den Engl�ndern Dienste genommen, und war durch
Verheirathung in die englische Consulatscarri�re gekommen. Seine Einladung,
auf dem Consulate zu logiren, schlug ich indess wohlweislich aus, ebenso
verf�hrten mich auch nicht die Anerbietungen des franz�sischen Consuls,
dessen beiden S�hne, obschon Christen, auffallenderweise immer in
marokkanischer Tracht gingen. Aber das Essen, welches mir Hr. Carstensen
nach meinem Judenquartier w�hrend meines Aufenthaltes schickte, Teller,
Messer und Gabeln, Servietten und Wein fehlten auch nicht, liess ich mir
herrlich schmecken. Seit zwei Jahren das erste Mal, dass ich das Essen
nicht direct mit _den Fingern_ in den Mund zu bringen brauchte.

Ich blieb zwei Tage in dieser regen Handelsstadt, auf welche nach Beaumier
1/8 des gesammten Seehandels kommt. Auf der Rhede lagen auch hier mehrere
europ�ische Kauffahrer.

Der Weg von Asfi bis zum Fluss Tensift ist �usserst beschwerlich; wenn
Fluth ist, tritt das Wasser n�mlich dicht an die Felsen, und �ber diese
muss man dann bergauf bergab klettern, da das Gebirge gegen das Meer hin
sich durch zahllose Rinnsale zerkl�ftet. Man braucht von der Hauptstadt der
Landschaft Abda, d.h. von Asfi bis zum Ued-Tensift, der zugleich die Grenze
der Landschaft Schiadma ist, 6 Wegstunden.

Obschon die M�ndung des Tensift sehr breit ist und hohe absch�ssige Ufer
hat, kann man sie zur Zeit der Ebbe durchwaten. Aber die Eingebornen m�ssen
zur Hand sein, um die Stelle zu zeigen. Das �usserste rechte Ufer wird
gebildet durch den s�dlichen Vorsprung des Megher-Gebirges, welches
eigentlich mit dem Hadid-Gebirge Eins ist, denn am linken Ufer des Tensift
zeigen die Gesteinmassen des Dj. Hadid so vollkommene Uebereinstimmung mit
dem Megher-Gebirge, dass man zur Annahme berechtigt ist, der Ued-Tensift
habe diesen Gebirgszug durchbrochen, um das Meer zu gewinnen. Einen Ort
Rabat el Kus, wie er im Maltzan und auf verschiedenen Karten an der M�ndung
des Tensift angegeben ist, fand ich nicht. Hingegen stiess ich (das
Uebersetzen hatte viel Zeit weggenommen) auf dem linken Ufer auf die kleine
Sauya Sidi el Hussein, in der ich freundliche Aufnahme fand und n�chtigte.
H�chst romantisch nahmen sich von hier ca. 1 Stunde entfernt, im Osten die
Ruinen einer alten Burg, Namens Kasbah Hammiduh, aus. Mitten im Walde auf
schroffem Felsen gelegen, hatte es ehemals wohl die Aufgabe, die Einfahrt
in den Tensift zu vertheidigen.

Die Gegend wird jetzt immer abwechselnder, tiefe Buchten, welche das Meer
macht, bewaldete Bergabh�nge, entsch�digen f�r den langweiligen Marsch auf
dem weissen Sande des Strandes. Ich n�chtigte noch einmal bei einer
Grabkapelle Sidi Abd Allah Bettich und erreichte sodann am dritten Tage
nach meiner Abreise von Asfi am Morgen fr�h die Stadt Ssuera oder Mogador.

Mogador ist eine Sch�pfung neuester Zeit. Ob der Ort Tamusiga des
Ptolemaeus oder, wie Kn�tel will, Suriga hier gelegen hat, lasse ich dahin
gestellt sein. Letzterer meint, der Name Ssuera sei von Suriga abgeleitet.
So �hnlich nun auch beide Namen sind, so d�rfte die Etymologie de Laporte's
die richtigere sein. Er leitet Ssuera von Ssura Bildniss her, Ssuera w�rde
dann kleines Bild bedeuten, und da in Marokko manchmal mit dem arabischen
Diminutiv etwas H�bsches, Niedliches, verbunden gedacht wird, so w�rde
Ssuera "liebliches Bildchen" bedeuten. Diese Herleitung des Wortes Ssuera
von Ssura hat um so mehr Wahrscheinlichkeit, als die Berber die Stadt
Tassurt nennen und dies bedeutet in der Berbersprache ebenfalls ein
h�bsches Bildchen.

Der Name Mogador kommt ohne Zweifel vom Grabmal des Heiligen Sidi Mogdal
oder Mogdur her, dessen Kapelle sich s�dlich vom jetzigen Orte in nicht
weiter Ferne befindet. Wenn �brigens die Stadt Mogador erst 1760 vom Sultan
Mohammed-ben-Abd-Allah gegr�ndet, und wie eine noch am Hafen befindliche
Inschrift bekundet 1184 (1773 nach J.C.) vollendet wurde, so wissen wir aus
den Berichten der V�ter der Provinz Touraine, dass der Name Mogador, den
sie auf die vor Mogador liegenden Inseln anwenden, schon bedeutend fr�her
vorkommt; ja, man findet Hafen und Insel Mogador schon auf der
catalanischen Karte von 1375 eingetragen[135].

      [Fu�note 135: Renou p. 43.]

Die Stadt liegt auf einer kurzen, flachen und nach S�dwest ins Meer sich
senkenden Landspitze. Vor der Bucht, welche so gebildet wird, zieht sich
dann eine gr�ssere Insel hin, und weiter nach S�den und dem Lande n�her,
noch vier kleine Eilande. Die grosse Insel ist durch ein Fort befestigt,
das aber jetzt nur marokkanische Str�flinge enth�lt, und seit dem
Bombardement des Prinzen Joinville am 14. August 1844 nur �usserst
nothd�rftig wieder hergestellt ist. Eine der kleineren flachen Inseln hat
ebenfalls eine Fortification. Die Stadt, selbst, fast viereckig von Form,
ist eigentlich nach der Seeseite zu befestigt, denn die Mauern nach der
Landseite zu, etwa 20' hoch sind kaum 6' dick und aus dem schlechtesten
Material erbaut. Nach der Wasserseite aber ist die Kasbah mit ca. 30' hohen
Mauern und Bastionen, und diese Kasbah, worin der Gouverneur, die Consuln,
vornehme Christen und Juden wohnen, ist auch von der eigentlichen Stadt
durch eine gleich hohe Mauer getrennt. Diese hat breitere und vollkommen
gerade Strassen und nur einst�ckige Wohnungen, w�hrend in der Kasbah die
Strassen zwar auch gerade, aber eng sind, was noch um so mehr hervortritt,
weil die H�user der Kasbah meist mehrere Stock haben. Der Marktplatz des
Ortes hat S�uleng�nge, �hnlich wie in L'Araisch.

Die Zahl der Bev�lkerung d�rfte 10-12000 Seelen incl. der Juden und
Christen betragen. Dass Mogador, obschon am entferntesten von Europa
gelegen, bislang von allen marokkanischen H�fen den bedeutendsten Handel
hatte, verdankt es nicht allein den Anstrengungen der marokkanischen
Regierung, sondern zum Theil seinem reichen Hinterlande; dann auch weil
Agadir den Europ�ern verschlossen worden ist, und somit alle Producte der
Landschaften s�dlich vom Atlas, ja von einem Theile des Sudan her, hier
zusammenstr�men. Indess d�rfte Tanger, was Werth und Menge der Aus- und
Einfuhr anbetrifft, wohl bald Mogador �berfl�geln. Importirt werden hier
besonders Baumwollenstoffe und Thee aus England, Zucker aus Belgien und
Frankreich, Tuche, Wachsz�ndh�lzchen und Stearinlichte aus Frankreich
(letztere, sowie auch Salonz�ndh�lzchen, ebenfalls aus Wien), Bretter aus
Oesterreich, Stahlwaaren und Waffen aus England und Deutschland, endlich
eine Menge kleinerer Sachen aus Deutschland, welche aber nur durch
Zwischenhandel dahin gelangen. Exportirt wird Getreide, haupts�chlich
Weizen, Gerste und Mais, trockne H�lsenfr�chte, besonders Saubohnen,
Thierfelle, Schafwolle, und an Fr�chten Mandeln, Datteln, Oliven; aus dem
Sudan werden Federn und Elfenbein gebracht, Gummi kommt heute in Mogador
wohl kaum mehr zum Export. Ebenso hat die Sclavenausfuhr von hier, die in
den dreissiger Jahren auch von deutschen Schiffen unter dem Namen von
"Ebenholzhandel" stark betrieben wurde, ganz aufgeh�rt.

Mogador hat wirkliche Consuln aller M�chte, mit Ausnahme des Deutschen
Reiches.

Ich hatte mir in einem Funduk ein leidliches Zimmer zu verschaffen gewusst
und blieb einige Tage in der Stadt, um meine Gesundheit wieder etwas
herzustellen. Der englische Consul versorgte mich mit Chinin.

Und dann sagte ich mit Mogador dem letzten Hauche der Civilisation
Lebewohl; ich wusste, weiter nach dem S�den zu sei kein Christ mehr
anzutreffen, ich wusste sogar, dass weiter nach dem S�den zu mir die
arabische Sprache mit Ausnahme in den St�dten, nichts mehr n�tzen
w�rde.--Sobald man die Stadt verl�sst, befindet man sich in grossen
Sandpartien neueren Ursprunges, in D�nen, welche in j�ngster Zeit aus
dem Meere ausgeworfen sein m�ssen. Ich wanderte zum s�dlichen Thore
hinaus, ganz ohne Begleitung. Einige, besonders Juden und Christen,
hatten mir den Weg bis Agadir sehr gefahrvoll vorgestellt; andere,
Mohammedaner, meinten, ich habe nichts zu f�rchten. Nachdem man eine
halbe Stunde von der Stadt entfernt die Kubba Sidi-Mogdal's passirt hat,
des Heiligen, welcher der Stadt den Namen gegeben hat, und der besonders
bei der weiblichen Bev�lkerung in grosser Verehrung steht, erreicht man
zwei halb vom Sande verschlungene Schl�sser des Sultans.

Der Weg, der sich Anfangs gen S�den l�ngs des Meeres hinzieht, wendet sich
bald darauf nach Osten und die D�nen erreichen ihr Ende. Statt dessen kommt
man in einen dichten 10-12' hohen Binsenwald. Die Bewohner flechten Matten
und K�rbe aus diesen Binsen, die jedoch bei Weitem nicht so dauerhaft sind,
wie jene aus den Bl�ttern der Zwergpalme oder aus Halfa. Dieser Binsenwald
ist 3 Stunden breit, dann erreichte ich Mittags eine gut ummauerte Quelle
mit herrlichem Trinkwasser.

Von hier an nahm nun die Gegend einen ganz anderen Charakter an; wilde
Oliven, immergr�ne Eichen, Lentisken- und Lotusgeb�sche wurden immer
seltener, dagegen trat aber ein Baum, der Argan, welcher in den
Landschaften von Dukala, Abda, Schiadma nur vereinzelt auftritt, hier
derart seine Herrschaft an, dass man wohl annehmen muss, diese Landschaft
Haha, welche die westlichsten Ausl�ufer des Atlas in sich begreift, sei die
eigentliche Heimath dieses n�tzlichen Baumes. Eigenth�mlich genug, findet
sich dieser Argenbaum nur in diesen Gegenden, sonst _nirgendwo_ auf
der Erde. Der Elaeodendron Argan hat in der Regel die Gr�sse unserer
Obstb�ume, mit dem Oelbaume hat er aber, obschon andere Reisende ihn damit
verglichen haben, keine Aehnlichkeit. Das helle saftgr�ne Blatt gleicht
vielmehr den Myrtenbl�ttern. Die Frucht selbst, von der Gr�sse einer Olive,
sieht, wenn vollkommen reif, hochgelblich aus und hat einen widerlich
s�ssen Geschmack, f�r Menschen ist sie vollkommen ungeniessbar. Aber desto
mehr wird sie von den auf den Bergabh�ngen weidenden Ziegen und Schafen
aufgesucht. Und da der Baum das ganze Jahr hindurch nach und nach Fr�chte
zeitigt, so hat man hier die fettesten und sch�nsten Heerden. Der braune
faltenreiche Stein der Frucht, l�nglich von Gestalt und so gross wie ein
Aprikosenkern, schliesst einen weissen Kern ein, der �usserst bitter
schmeckt, aber ein sehr gutes Oel liefert, das in diesen Gegenden allgemein
von den Eingeborenen zur Speisebereitung benutzt wird. Auch in Mogador wird
das Oel von den Eingeborenen benutzt, von den Europ�ern aber nicht. Ich
selbst habe es nat�rlich immer essen m�ssen, und fand, hat man sich erst
etwas an den eigenth�mlich angebrannten oder r�ucherigen Geschmack gew�hnt,
das Oel vollkommen geniessbar. Der Arganbaum erreicht bisweilen die H�he
und den Umfang, dass seine St�mme als Nutzholz verwerthet werden k�nnen.
F�r die Zukunft, d.h. wenn Marokko in den Kreis der Civilisation wird
gezogen worden sein, dem es sich auf die Dauer ebenso wenig wie ein anderes
Land wird entziehen k�nnen--wird dieser Baum der Landschaft Haha eine
grosse Rolle spielen. Leider denken jetzt die Eingeborenen so wenig daran,
materiell ihre Lage zu verbessern, dass sie es verschm�hen, die Fr�chte des
Arganbaumes, von dem es ausgedehnte und dichte Waldungen giebt, zu sammeln
und zu Markte zu bringen, sondern es vorziehen, sie meist auf dem Boden
verfaulen zu lassen.

Ich �bernachtete in einer Sauya, wo nur der Thaleb Arabisch verstand, alle
�brigen, Berber ihrer Nationalit�t nach, sprechen und verstanden nur
Schellah. Es war hier das letzte Dorf, wenn man einige H�tten und Zelte,
die sich um die Sauya herum gruppirt hatten, so nennen will. Denn wenn die
Gegend schon dadurch einen eigenth�mlichen Reiz bek�mmt, dass der im
herrlichsten Gr�n prangende Arganbaum so vorwiegend sein Reich hier inne
hat, so wird man andererseits, je weiter man in Haha nach dem S�den zu
vordringt, durch die eigenth�mliche Bauart, durch das merkw�rdige Wohnen
der Eingebornen ber�hrt. Im Norden vom Atlas, im eigentlichen Marokko
(Rharb el Djoani) wohnen alle Eingeborenen, einerlei ob Berber oder Araber,
entweder in H�usern aus Stein zu St�dten und D�rfern _vereint_, oder
in Zelten zu Zeltd�rfern _vereint. Einzelne_ Wohnungen,
_einzelne_ Zelte findet man fast nie. Hier ist nun Alles anders. Man
glaubt sich pl�tzlich ins Mittelalter zur�ckversetzt, die kleinen Berge und
fast jeden H�gel sieht man von einer grossen kastellartigen Burg gekr�nt.
Sei es nun, dass es von jeher diesen Berbern gefallen hat so zu wohnen, sei
es, dass die grosse Unsicherheit der Gegend, die steten Feindseligkeiten
der einzelnen St�mme und Familien, ein solches _befestigtes_
Wehrsystem nothwendig machte, gewiss ist es einzig in seiner Art. Denn die
St�dte, D�rfer, Zeltd�rfer oder _unbefestigte einzelne_ Wohnungen
fehlen ganz und gar. Vier, f�nf oder noch mehr Familien bewohnen solche
kastellartige Schl�sser, welche meist viereckig von Form eine H�he von 20
bis 30 Fuss haben. Fast alle haben an zwei Ecken hohe flankirende Th�rme,
und fast alle haben oben auf der Umfassungsmauer Zacken. Sie sind aus
soliden Steinen mit M�rtel aufgef�hrt, haben einen schmalen Graben,
besitzen nur Ein Thor, welches in der Regel durch eine Zugbr�cke von dem
umgebenden Terrain erreicht wird.

Im Innern dient der ganze untere Raum, sowie der grosse Hof f�rs Vieh, die
Menschen haben in der zweiten Etage, die einen gew�lbten Boden hat, ihre
St�tte, zu der man mittelst einer Leiter, die man im Nothfalle nach sich
ziehen kann, hinaufk�mmt; jede Familie hat nur ein Zimmer.

Da die hier vom grossen Atlas entspringenden Fl�sschen alle nur im Winter
Wasser fortschwemmen, so haben die Eingeborenen f�r Cisternen gesorgt, die
man manchmal am Wege, manchmal an irgend einer Oertlichkeit, die den
Erbauern g�nstig schien, eingerichtet findet. Diese Cisternen sind ganz in
der Art und Weise gebaut, wie die der R�mer. Es sind 15 bis 20 Fuss lange,
5 bis 10 Fuss breite, 20 Fuss tiefe und aus behauenen Steinen ausgemauerte
Gruben, die oben _�berw�lbt_ sind. Durch ein kreisrundes Loch wird
mittelst eines Eimers das Wasser heraufgeholt, welches selbst, aus
Regeng�ssen oder aus einem Rinnsale gesammelt, mittelst eines anderen
Loches hineinfliesst. Cisternen mit mehreren Abtheilungen sind mir nicht zu
Gesichte gekommen, indess m�gen sie auch vielleicht existiren. Einzelne
dieser Wasserbeh�lter, und dieses sind die schlechteren, scheinen aus
verh�ltnissm�ssig neuer Zeit herzustammen, die Mehrzahl aber tr�gt ein sehr
altes Gepr�ge an sich.

Am zweiten Tage hielt ich der grossen Strasse (d.h. man muss dabei an
marokkanische Strassen denken) folgend durchaus s�dliche Richtung, es ging
bergauf bergab, denn ich hatte alle die unz�hligen, oft breiteren, oft
schm�leren westlichen Abh�nge des Atlas zu �bersteigen. Dabei war man
fortw�hrend im herrlichsten Arganwald, und hin und wieder tauchten
Schl�sser und Burgen, oder auch nur die hohen Wartth�rme derselben vor
meinen erstaunten Augen auf. Mittags desselben Tages hatte ich noch
Gelegenheit, in einem solchen Schlosse einer Hochzeit beizuwohnen. Schon
von Weitem h�rte ich durch den Wald die Musik, vorz�glich das Trommeln und
das Ui-Ui-Ui der alten Weiber. Ich ging dem L�rm nach, und kaum hatte mich
die lustige Gesellschaft erblickt, als ich mit "Willkommen, Willkommen"
begr�sst wurde. Die Berber halten es f�r ein gutes Zeichen, wenn wirkliche
Fremde von weither zu einer Hochzeit sich einstellen. Man war am zweiten
Tage; die Braut, das Kind einer fremden Burg, war noch nicht geholt; es
geschieht das erst am dritten Tage. Dagegen amusirten sich die
beiderseitigen Anverwandten auf Kosten des Vaters des Br�utigams ungeheure
Quantit�ten von Nahrung zu vertilgen, dabei wurde getanzt (von Sclavinnen,
mit denen sich die Berber nicht nach Art der Araber vermischen), musicirt
und allerlei Allotria getrieben. Der Br�utigam selbst, ein junger h�bscher
Mann von etwa 25 Jahren vom Stamme der Ait-Ischar, sass in einem neuen
Gewande, schweigend auf einer Erh�hung. Mit Ausnahme einiger Redensarten
verstand Niemand Arabisch, selbst ihr Schriftgelehrter sprach die
Religions- und Schriftsprache nur sehr mangelhaft. Es war daher sehr schwer
f�r mich, mich mit ihnen n�her einzulassen. Sie hatten �brigens bald genug
herausgebracht, dass ich grossen Hunger hatte, und ein reichliches Mahl von
Kuskussu, von Brod, Butter und Honig half dem ab. Aber wahrscheinlich hatte
ich der Mahlzeit auf zu berberische oder arabische Weise gehuldigt, d.h.
meinen Magen �berladen (ich hatte seit dem Abend vorher nichts genossen);
denn kaum hatte ich meine Wanderung s�dw�rts wieder angetreten, als ich vom
heftigsten Fieber abermals �berfallen wurde.

Nur mit M�he ging es vorw�rts, aber da ich mitten im Walde war, musste ich
Abends ein Unterkommen zu erreichen suchen. Gerade als die Sonne untergehen
wollte, entdeckte ich ein stattliches Schloss, wanderte den H�gel hinauf,
und obschon die Leute kein Wort von dem verstanden, was ich wollte, merkten
sie doch, ich w�nsche nur ein Unterkommen, und das gaben sie mir.

Am anderen Morgen befand ich mich bedeutend besser, ich hatte eine grosse
Gabe Chinin genommen, und das Fieber war endlich gewichen. Der Weg hielt
dieselbe Richtung, die Berge wurden nun immer wilder und h�her, aber die
Gegend gleich gut bev�lkert und reich mit hellgr�nen Arganb�umen bewaldet.
Das leere Bett des Ued-Tamer wurde durchstiegen, der st�rkste und l�ngste
Gebirgsausl�ufer des Atlas, der Dj. Ait-Uakal (Cap Gher) erreicht, und
sobald ich den Kamm dieses H�henzuges �berschritten hatte, wandte sich der
Weg nach Westen und bald darauf hatte ich das Meer erreicht. Es war
Nachmittags, als ich es endlich zu Wege gebracht hatte, die steile K�ste
hinabzuklimmen, mit gr�sstem Staunen aber bemerkte ich, wie gleich darauf
ebenfalls eine Karavane, aus beladenen Eseln und Maulthieren bestehend,
diesen Weg herabklomm. Hatte ich gewollt, so w�rde ich wohl noch am selben
Tage Agadir erreicht haben, aber meine Schw�che n�thigte mich Zuflucht in
einer dicht am Meere gelegenen Burg zu suchen.

Am anderen Morgen l�ngst des Meeres weiter gehend, erreichte ich gegen 10
Uhr Fonti, das Dorf, welches am Fusse des Berges gelegen ist, auf dem sich
Agadir oder Santa-Cruz befindet. Das Dorf Fonti hat seinen Namen von einer
Quelle, die sich auf dem Berge von Agadir etwas unterhalb der Stadt
befindet, die Portugiesen nannten die Quelle Fonte, woraus die Eingebornen
Fonti machten und dies Wort auch auf das Dorf am Strande ausdehnten. Ich
war anfangs der Meinung diese Oertlichkeit sei die Stadt Agadir, da wegen
des starken Nebels, welcher die ganze obere Partie des Berges einh�llte,
nichts von Geb�uden zu erblicken war.

Fonti selbst ist nur ein �rmliches Nest aus kleinen H�tten, ist aber
dennoch auf gewisse Art befestigt. Nach der Landseite zu wird es durch den
Berg von Agadir und zwei Mauern, die sich l�ngs des Berges hinaufziehen,
gesch�tzt, nach der Seeseite war der Ort offen, weil er der Aermlichkeit
selbst wegen keinen Angriff zu f�rchten hatte. Nach dem Kriege mit Spanien
scheint aber Sultan Sidi-Mohammed-ben-Abd-er-Rhaman anderer Meinung
geworden zu sein.

Irren wir nicht, so existirte ein geheimer Vertrag in den Friedensartikeln,
wonach die Marokkaner diesen Ort, d.h. Agadir, den Spaniern abtreten
sollten, oder jedenfalls war die Rede davon, dass die europ�ischen M�chte
wieder das Recht haben sollten hier Consuln zu installiren. Aber nach Sitte
der Marokkaner dachte man nicht daran sein Wort zu halten. Aufs Eifrigste
war man deshalb besch�ftigt den Ort Fonti durch massiv steinerne Batterien
auf europ�ische Weise zu befestigen, und leider waren es spanische
Renegaten, die sich zu diesen Arbeiten hergaben. Auch bei der
_Quelle_, Fonti wurden neue Batterien errichtet.

Ob nun aber diese Befestigung dennoch hinl�nglich sein wird, auch nur ein
einziges Kanonenboot vom Bombardement und von der Zerst�rung der Werke
abzuhalten, m�chte ich bezweifeln. Sonst hat der untere Ort, dessen
Einwohner ausschliesslich vom Fischfange leben, noch Bedeutung als
Zollstation, alle Waaren, die aus dem Sus, dem Nun und s�dlich davon
gelegenen Districte kommen, m�ssen hier ihren Eingangszoll zahlen, so dass
bei Agadir die eigentliche politische Grenze des Kaiserreiches ist. Sobald
die Sonne die Nebel zertheilte, zeigte sich hoch oben auf dem Berge Agadir,
und ich machte mich auf, den steilen Berg zu erklimmen.

       *       *       *       *       *




14. Reise s�dlich vom Atlas nach der Oase Draa

       *       *       *       *       *

Die eigentliche Stadt liegt auf einem nach allen Seiten fast gleich
absch�ssigen Berge, der eine H�he von 800 Fuss[136] �ber dem Meere haben
mag. Sie bildet ein l�ngliches Viereck, dessen schmale Seite dem Meere
zugewandt ist. Die hohen krenelirten Mauern sowie die Bastionen, die jene
unregelm�ssig flankiren, sind, obgleich in gutem Zustande was das Aeussere
anbetrifft, doch aus schlechtem Material aufgef�hrt, so dass sie die Stadt
fast ohne Widerstand gegen einen Angriff der Europ�er lassen w�rden. Ebenso
sind die wenigen Kanonen, die sich in den Batterien befinden, ihres Alters
wegen fast unbrauchbar.

      [Fu�note 136: Nach Arlett 198 Meter.]

Die Stadt Agadir wurde um 1500 von einem portugiesischen Edelmann[137]
gegr�ndet. Man nannte die Stadt Santa-Cruz, w�hrend die Berber den Ort
Tigimi-Rumi, die Araber ihn Dar-Rumia nannten. Einige Zeit sp�ter erwarb
der K�nig von Portugal die Veste, und liess den Namen Santa-Cruz bestehen.
Zur Zeit Leo's war der Ort noch im Besitze von Portugal, Leo nannte den Ort
Gargessem. Im Jahre 1536 wurde die Festung vom Scherif Mulei Ahmed erobert,
und blieb seitdem immer im Besitze der Marokkaner. Schon 1572 liess Mulei
Abdallah eine Batterie bei den Quellen "Fonti" errichten.

      [Fu�note 137: Siehe Renou p. 36.]

Der Name Agadir, der offenbar gleich nach Eroberung der Stadt durch die
Marokkaner gang und g�be wurde, bedeutet in der Tamasirht-Sprache
"Umfassungsmauer," auch "Festung". Renou p. 38 f�gt noch hinzu: "Da Agadir
ein generischer Name ist, sollte man noch einen zweiten, um denselben zu
vervollst�ndigen, erwarten. In der That nennt sich die Stadt, die uns
angeht, Agadir-n-Ir'ir, die Festung des Ellenbogen, d.h. des Vorgebirges"
etc. etc.

Was das Innere der Stadt anbetrifft, so sind alle H�user, ausgenommen das
der Regierung, welches der Kaid bewohnt, sowie die Djemma, die sich in
gutem Zustande befindet, halb oder ganz verfallen. Ich glaube die
Einwohnerzahl schon zu gross anzugeben, wenn ich sie auf 1000 Seelen
sch�tze[138]. Gr�berg di Hems� glaubt kaum 600 Einwohner annehmen zu
d�rfen. In neuerer Zeit hat sich der Ort aber etwas gehoben, so dass jetzt
vielleicht gegen 1000 Menschen in Agadir und Fonti leben m�gen.

      [Fu�note 138: Davidson sagt, Agadir habe bloss 47 Muselmanen und 62
       Juden.]

Der zweimalige Markt, der in der Woche ausserhalb vor dem einzigen Thore
der Stadt abgehalten wird, f�hrt derselben einigen Handel zu, und es sind
haupts�chlich die Juden, die f�r die kleinen Bed�rfnisse der Stadt sowohl
als auch des umliegenden Landes Sorge tragen.

Die Stadt liegt auf der s�dwestlichsten Seite des Atlas, und w�hrend nach
Osten und Norden hin das Auge Nichts wahrnimmt, als sich �bereinander
h�ufende Berge, verliert sich nach dem S�den zu die Aussicht in die
unendliche Ebene, die den Ued-Sus vom Ued-Nun trennt. Der Ued-Sus selbst
ergiesst sich eine halbe Stunde s�dlich von der Stadt in die Meeresbucht.
Diese ist die vortrefflichste von ganz Marokko. Gr�berg di Hems� sagt: "Der
Hafen von Agadir ist der sch�nste der ganzen K�ste, und der werthvollste
f�r den Handel mit Innerafrika, namentlich wenn er in H�nden einer
europ�ischen Macht sich bef�nde, die denselben sehr leicht erwerben und
davon immer mehr Vortheile w�rde ziehen k�nnen." So sehr wir mit Hems�, was
die Ger�umigkeit der Bucht anbetrifft, �bereinstimmen, so sehr m�chten wir
bezweifeln, dass es heute leicht sein w�rde den Hafen k�uflich von Marokko
zu erwerben, obschon auch wir �berzeugt sind, dass f�r den Handel kein
Hafen erbiebiger [ergiebiger] sein w�rde als Agadir.

Gleich beim Eintritt in die Stadt wurde ich �berrascht, indem ich �ber dem
Thore neben einer arabischen Inschrift eine mit lateinischen Buchstaben
geschriebene bemerkte; ich war so gl�cklich sie sp�ter unbemerkt copiren zu
k�nnen. Sie lautet:

      VREEST . GOD . ENDE
        EERT DEN KONING
              1746.

Man darf wohl annehmen, dass diese Inschrift von einem Renegaten, der
wahrscheinlich Maurer oder Steinhauer von Profession war, verfertigt wurde.

In Agadir angekommen, begab ich mich zuerst nach einem Kaffeehause, um dort
nach dem Funduk Erkundigungen einzuziehen; zu meinem Erstaunen erfuhr ich,
dass ein solches nicht vorhanden sei, und auch dies deutet genugsam die
Unbedeutendheit des Ortes an. Der Abk�mmling eines Spaniers hatte indess
die Liebensw�rdigkeit, mir seine Tischlerwerkst�tte als Wohnung anzubieten,
was ich dankbarlichst annahm. Ausserdem was Kleidung, Gebr�uche und Sitten
anbetrifft ganz Marokkaner geworden, war er der gastfreundlichste Mann, und
schickte t�glich aus seiner Wohnung einige Speisen. Aber ich hatte nicht
n�thig in dieser Beziehung dem guten Manne zur Last zu fallen, denn der
Kaid der Stadt sandte mir t�glich zu essen oder ich speiste in seiner
Wohnung.

Derselbe hatte n�mlich kaum meine Ankunft in Erfahrung gebracht, als er
mich rufen liess. Ich glaubte schon, es g�lte ein Examen zu bestehen: wer
ich sei, wes Landes, wohin ich wolle, was ich treibe u. dgl. m.

Aber davon war keine Rede. Der arme Mann war stark erkrankt, und da sollte
Rath geschafft werden. Gl�cklich f�r mich konnte ich Linderung bringen, und
von dem Augenblicke an war ich in Agadir ein gern gesehener Gast.

Meine eignen Fieberanf�lle stellten sich aber wieder ein, wohl
hervorgerufen durch die starken Nebel, die um diese Jahreszeit t�glich dort
herrschten. Es ist auffallend, wie kalt die Luft in Agadir war, selten
durchdrang die Sonne den Nebel vor Mittag und die Leute versicherten, dass
selbst im hohen Sommer diese starken Nebel selten vor Mittag zerstreut
w�rden.

Ich blieb sieben Tage in Agadir und konnte mich hinl�nglich erholen. Vom
Verlassen des Ortes, um spazieren zu gehen, konnte nicht die Rede sein, da
die ganze Gegend �usserst unsicher ist. Unsicherer wird sie noch dadurch,
dass Schmuggler in den Gebirgsabh�ngen oberhalb von Agadir ihr Wesen
treiben. Der Ort Fonti am Meere ist n�mlich, wie gesagt, das eigentliche
Eingangsthor f�r die directen Karavanen vom Sudan, wenigstens f�r die,
welche den Weg �ber Nun eingeschlagen haben.

Ich schloss mich sodann einer durchpassirenden Karavane an, um mit ihr nach
Tarudant zu gelangen. Denn wenn man auch von hier noch nicht Wassermangel
zu bef�rchten hat, so herrscht das Faustrecht dennoch so sehr, dass es
gerathen schien in Gesellschaft zu reisen. Gerade am selben Tage hatte ich
in Fonti noch Gelegenheit mich zu �berzeugen, wie wenig fremdes Eigenthum
respectirt wird: zwei Fremde kamen vollkommen ausgepl�ndert, sogar ihrer
s�mmtlichen Kleider beraubt in die Stadt gefl�chtet. Gewiss ist hier nur
die reine Raubsucht der Berber der Beweggrund zu solchen Handlungen,
keineswegs aber Mangel. Man k�nnte den Rlnema am Ued-Ssaura entschuldigen,
wenn er ein R�uber ist, weil er in einer der �rmsten Gegenden der Welt
lebt, aber das Land am Sus ist eins der reichsten in ganz Marokko.

Wir brachen Nachmittags von Fonti auf, und machten Abends nach
Sonnenuntergang Halt in einem Dorfe; Duar, d.h. Zeltd�rfer, findet man in
diesem Theile s�dlich vom Atlas nicht, die ganze Bev�lkerung ist sesshaft.
Und gleich hier am ersten Tage unserer Reise sollten wir einen recht
greiflichen Beweis der R�ubereien dieser V�lker haben: es wurde uns Nachts
ein Kameel gestohlen. Wenn man nun bedenkt, dass die Kameele Nachts mit
fest zusammengebundenen Vorderbeinen im Kreise lagen, so kann man sich
einen Begriff von der Schlauheit und K�hnheit der Diebe machen. Ich sah das
Thier forttreiben im schnellsten Galopp, wir machten uns gleich auf, man
schoss, aber Alles war bei der Dunkelheit der Nacht vergebens. Als am
anderen Morgen die Eigenth�mer der Karavane beim Schich der Oertlichkeit
klagten, der w�rdige Mann hiess el-Hadj-el-Arbi, versprach er Alles zu thun
die Diebe ausfindig zu machen, aber weitere Erfolge wurden nicht erzielt.
Zum Gl�ck f�r die Besitzer des verlorenen Kameels waren die anderen Thiere
stark genug, um die Ladung des verlorenen, die aus 4 Centner Zucker
bestand, aufnehmen zu k�nnen. Mit dem Kameele waren aber 90 Metkal = 170
Fres. verloren.

Ich wurde nun zum ersten Male recht in das Karavanenleben eingeweiht, das
einfache Fr�hst�ck aus Sesometa (ger�stete Gerste, die grob gemahlen in
Schl�uchen mitgef�hrt wird, man geniesst sie, indem man Salz, Argan�l oder
Oliven�l zusetzt, ganz arme Leute setzen bloss Wasser zu), das Treiben der
Kameele, Abends das Brodbacken, oder erreicht man ein gastliches Dorf,
Bewirthung durch die Bewohnerschaft--das ist der gew�hnliche Gang der
Sus-Karavanen.

Der Weg, der sich fortw�hrend in �stlicher Richtung hinzieht, und meist dem
Flusse parallel ist, geh�rt zu einem der sch�nsten, was die Reichhaltigkeit
der Natur anbetrifft, den man sich nur denken kann. Als Lempriere diese
herrliche Natur durchzog, er giebt die Distanz von Santa-Cruz (Agadir) nach
Tarudant auf 44 engl. Meilen an, muss er sehr �bler Laune gewesen sein. Er
sagt davon weiter nichts: ich hatte einen sch�nen, aber langweiligen Weg,
da wir nichts als Haiden und Waldungen zu durchwandern hatten. Und doch
kann man diese herrlichen Ebenen nur mit der lombardisch-venetianischen des
Po vergleichen. Freilich fehlt der m�chtige Strom, aber wie entz�ckend
schl�ngelt sich der stets Wasser f�hrende Sus durch die Oliven und
Orangeng�rten hin. Und im Norden der stolze Atlas, zeigt er auch nicht so
hohe schneegipflige Spitzen, wie der Montblanc und andere Riesenberge der
Schweiz und Tirols, so hatten die Alten doch keineswegs ganz Unrecht das
kolossale Atlasgebirge als Tr�ger des Himmels zu bezeichnen. Das Thal des
Flusses ist ein wahrer Garten, ein Dorf, ein Haus neben dem anderen, Oel-,
Feigen-, Stachelfeigen-, Granaten-, Pfirsich-, Mandel-, Aprikosen-,
Orangenb�ume und Weinreben bilden ein liebliches Durcheinander.

Aber so entz�ckend die Gegend ist, so unheimlich fallt es auf, dass alle
Welt nur bis an die Z�hne bewaffnet ausgeht. Jeder Mann hat seine lange
Flinte auf dem R�cken, sehr h�ufig sieht man hier auch schon Doppelflinten,
welche vom Senegal hierher dringen: ausserdem hat Jeder seinen krummen
Dolch mit meist aus Silber gearbeiteter Scheide.

Ich hatte eigentlich die Absicht nach dem Nun-District vorzudringen, aber
die fortw�hrenden Fieberanf�lle, dann das Verlangen wieder unter
civilisirte Menschen zu kommen, endlich die Schilderung, die man in Agadir
von einem gewissen Scherif Sidi-el-Hussein, der in der Sauya
Sidi-Hammed-ben-Mussa residiren sollte und �ber dessen Gebiet ich kommen
m�sse, liessen mich davon abstehen. Man erz�hlte in Agadir die
scheusslichsten Grausamkeiten von diesem Menschen, der sogar seinen
eignen Bruder und Sohn hatte k�pfen und vor Kurzem noch zwei spanische
Renegaten hinrichten lassen. Das hinderte nat�rlich nicht, dass er im
Rufe der gr�ssten Heiligkeit steht, und gerade um die Zeit, als ich in
Agadir mich befand, war die Hauptperiode der Wallfahrt nach seiner
Sauya, man nennt diese Wallfahrtszeit "Mogor". Tausende von Leuten aus
der ganzen Umgegend zogen nach der Sauya-Sidi-Hammed-ben-Mussa, um dem
Abk�mmling Mohammed's ihre Ersparnisse zu �berbringen, wof�r sie sodann
den Segen und Ablass f�r ihre S�nden bekommen.

Ich vermuthe, dass Sidi-Hammed-ben-Mussa der auf der Petermann'schen Karte
angegebene Ort Wesan ist oder, wie wir Deutschen ihn schreiben w�rden,
Uesan. Denn h�ufig pflegten die Pilger zu sagen, sie z�gen nach Uesan, und
als ich dann meinte, da h�tten sie doch einen weiten Weg, denn Uesan l�ge
weiter entfernt und jenseits Fes', erwiederten sie, nicht nach Uesan Mulei
Thaib's, sondern nach Uesan Sidi-Mohammed-ben-Mussa's wollten sie pilgern.
Gatell, der nach mir bis zum Nun vordrang, erw�hnt dieses Ortes nicht.

Wir h�tten sicher am zweiten Tage die Stadt Tarudant erreichen k�nnen, da
wir aber mit Nachforschungen nach dem gestohlenen Kameel viel Zeit
verbrachten und erst Mittags aufbrachen, �bernachteten wir noch ein Mal.
Und an dem Tage w�re ich selbst fast ausgepl�ndert oder gar ermordet
worden. Ich hatte mich etwas von der Karavane entfernt, als auf einmal zwei
bewaffnete M�nner mich anhielten, und w�hrend der eine fragte, was es Neues
in Agadir g�be, spannte der andere den Hahn seines Gewehres; sie hatten
unstreitig die Absicht mich auszupl�ndern, als gl�cklicherweise zwei Leute
der Karavane, auch bewaffnet und die ebenfalls zur�ckgeblieben waren, zu
mir stiessen und mich so der Gefahr meiner Kleidungsst�cke beraubt zu
werden, �berhoben. Zugleich bekam ich einen derben Verweis von ihnen, und
sie verboten mir, mich wieder von der Karavane zu entfernen, da der Kaid
von Agadir die Karavane verantwortlich gemacht f�r meine gl�ckliche
Ueberkunft nach Tarudant.

Das Gebirge wird immer h�her, je weiter man nach Osten vordringt, obgleich
man fortw�hrend in der Ebene bleibt. Unendlich viele leere Flussbetten, die
nur im Fr�hjahr Wasser schwemmen, ziehen sich vom Atlas in den Sus hinein,
aber nur ein einziger (auf der Petermann'schen Karte richtig eingetragen)
einige Stunden westlich von Tarudant hat das ganze Jahr hindurch Wasser.
Dieser Fluss ist wahrscheinlich der von Gatell erw�hnte Ued-Eluar. Zu der
Zeit, als ich ihn durchwatete, konnte ich seinen Namen nicht erfragen.

Abends machten wir Halt bei einem Hause, das zuf�lligerweise von Arabern
bewohnt (die ganze Sus-Gegend hat durchaus Berberbev�lkerung) war, die
wenig oder gar nicht Schellah verstanden. Welch ein Unterschied im
Empfange! W�hrend uns am Abend vorher, als wir in einem grossen Dorfe
�bernachteten, Niemand etwas zu essen brachte, sondern wir gezwungen waren,
uns selbst zu bek�stigen, versorgte hier der Hausherr die ganze Karavane
mit Speise auf die freigebigste Art. Und hier hatten wir wieder einen
Beweis, dass Araber gastfreundlicher als Berber sind.

Am folgenden Morgen waren wir schon vor Sonnenaufgang wieder unterwegs, wir
hatten heute nur einen halben Marsch zu machen, da wir Mittags in Tarudant
eintreffen mussten. Rechts auf der linken Flussseite tauchte jetzt auch
eine Bergkette auf, die, von Nordosten kommend, sich nach S�dwesten
hinzieht. Je n�her wir der Stadt kamen, desto angebauter fanden wir die
Gegend, obgleich vom ganzen Lande, wie �berall, kaum der zw�lfte Theil des
Bodens nutzbar gemacht wird. Kurz vor Mittag fragten mich meine Gef�hrten,
ob ich die Stadt nicht s�he; auf meine Verneinung zeigte man mir einen
nahen Palmwald, hinzuf�gend: das sei die Stadt, aber die Geb�ude k�nne man
wegen der hohen Palmen und buschigen Olivenb�ume nicht sehen. So war es
auch in der That, fortw�hrend in einem Oelbaumwald fortmarschirend,
befanden wir uns pl�tzlich vor den Thoren, ohne vorher das Geringste von
den Geb�uden der Stadt wahrgenommen zu haben. Es war gerade Mittag, als wir
das Stadtthor durchzogen; ich trennte mich hier von den freundlichen Leuten
der Karavane, um ein Unterkommen zu suchen, und war auch so gl�cklich in
einem Funduk ein Zimmerchen zu finden. Die Th�r dieser Zelle war aber so
niedrig, dass ein grosser Jagdhund kaum ohne zu schl�pfen, w�rde Eingang
gefunden haben, und wenn ich auch der L�nge nach mich ausstrecken konnte,
so betrug die Breite doch kaum mehr als halbe K�rperl�nge. Statt der M�beln
bestand der Fussboden aus gut gestampftem Lehm.

Tarudant, zwei kleine Tagem�rsche vom Ocean, fast am Fusse des s�dlichen
Atlasabhanges[139], dessen s�dliche Vorberge bis fast zur Stadt stossen,
liegt auf dem rechten Ufer des Sus, ca. eine Stunde vom Flusse selbst
entfernt. Was die Einwohnerzahl anbetrifft, so vergleicht Renou dieselbe
mit der von Tanger oder Lxor, Hems� giebt dieselbe auf ca. 22,000 Seelen
an, Lempriere, der selbst l�ngere Zeit in Tarudant lebte, spricht sich
nicht dar�ber ans. Die Stadt k�nnte indess wohl 30-40,000 Einwohner haben.
Nach Renou erlangte die Stadt erst Wichtigkeit im Jahre 1516, zu welcher
Zeit Sch�rfa sie neu aufbauten und betr�chtlich vergr�sserten. Aber auch
hier machte ich wieder die Erfahrung, wie wenig man sich auf die Aussagen
der Eingebornen verlassen kann. Man hatte mir Tarudant geschildert als eine
Stadt, die man nur mit Fes oder Marokko vergleichen k�nne, sowohl was
Gr�sse, als auch was die Einwohnerzahl anbetr�fe. Ich fand den Umfang der
Stadt nun allerdings gross, gr�sser als den von Fes, reichlich so gross wie
den von Marokko, jedoch ist fast Alles, was innerhalb der Stadtmauer sich
befindet, Garten. Diese Stadtmauer, in sehr verfallenem Zustande, hat
durchschnittlich eine H�he von 20 Fuss und an der Basis 4 oder 6 Fuss, ihre
Breite ist oben da, wo sie noch die urspr�ngliche H�he bewahrt hat, 2 Fuss.
Sie bildet eine unregelm�ssige Linie, ohne Plan und Kunst angelegt. Alle 50
Schritte werden die Zickzacke von Th�rmen flankirt, die jedoch nicht h�her
als die Mauer selbst sind. Was das Material anbetrifft, aus dem sie sowie
alle H�user erbaut sind, so besteht dasselbe aus mit H�ckerling gemischtem
und zwischen zwei Brettern gegossenem Lehm, kann also europ�ischen
Gesch�tzen, keinen Widerstand leisten; auch Gr�ben sind nicht einmal
vorhanden.

      [Fu�note 139: Leo, Marmol und Lempriere dr�cken die Entfernung der
       Stadt vom Atlas in Zahlen aus, ohne bedacht zu haben, dass der Fuss
       des Gebirges bei Tarudant nicht steil, sondern allm�lig sich
       absenkt, man also auch sagen k�nnte, Tarudant liege unmittelbar am
       Fusse des Gebirges.]

Die Stadt ist ein einziger grosser Garten, nur nach dem Centrum dr�ngen
sich die H�user, welche meist nur aus einem Erdgeschoss bestehen, mehr
zusammen, und hier befinden sich auch die Buden und Gew�lbe, wo man
arbeitet und verkauft, hier sind auch die Funduks. Moscheen giebt es eine
grosse Anzahl, gr�ssere jedoch, die ein Minaret haben, nur f�nf. Die
Hauptmoschee, Djemma-el-Kebira schlechtweg genannt, zeichnet sich durch
nichts Besonderes aus. Den inneren grossen Hof derselben, in den man
Orangen gepflanzt hat, umgeben ungemein plumpe S�ulen, die eben so
unf�rmliche Bogen tragen. Die zweite Hauptmoschee, fast eben so gross, ist
dachlos, von den �brigen ist keine bedeutend. Ebenso habe ich in der ganzen
Stadt kein einziges nur etwas geschmackvolles Geb�ude gefunden.

Einen eigentlichen besonderen Handelszweig hat die Stadt nicht, man lobt
die Lederarbeiten und F�rbereien. Hauptgewerk ist Kupferschl�gerei, indess
beschr�nkt sich das bloss auf Kessel, auf kleine Geschirre und Sachen, wie
sie von den Eingebornen hergestellt werden k�nnen. Aber wie ausgedehnt
diese Manufactur ist, geht am besten daraus hervor, wenn ich anf�hre, dass
diese kupfernen Geschirre bis Kuka, Kano und Timbuktu ausgef�hrt werden.
Und wie ergiebig m�ssen erst die Kupferminen in der N�he von Tarudant sein,
wenn man bedenkt, auf wie primitive Art die Eingebornen dort eine solche
Mine ausbeuten. Nach der Aussage der Eingebornen soll nicht nur dies
Metall, sondern auch Gold, Silber, Eisen und Magneteisenstein in grosser
Menge vorkommen. Alle �brigen Landesproducte sind wie in Agadir und im
ganzen Sus-Lande sehr billig. Das Pfund Fleisch wird mit 2 Mosonen bezahlt,
f�r eine Mosona erh�lt man 6-10 Eier und im Fr�hjahr noch mehrere.

Bei der Beschreibung von Tarudant kann ich nicht unerw�hnt lassen, dass die
einst so ber�hmten Zuckerplantagen heute nicht mehr existiren. Indess
findet man in Marmol und Diego de Torres so glaubw�rdige Angaben, dass an
der einstigen Existenz der Zuckercultur nicht gezweifelt werden kann.

Als im 16. Jahrhundert die Dynastie der Sch�rfa Marokko neu umgestaltete,
suchten sie vor allen Dingen sich in Tarudant festzusetzen. Es wurde Zucker
um Tarudant gepflanzt und um einen Ausgangshafen f�r das Product zu
gewinnen, unternahm der Scherif Mohammed die Belagerung von Santa Croce,
damals den Portugiesen geh�rend. 1536 war dieser Hafen in den H�nden der
Gl�ubigen. Ein Slami oder �bergetretener Jude hatte unter der Zeit M�hlen
in Tarudant errichtet und von dem Augenblick an war der Handel mit Zucker,
wie Marmol als Augenzeuge berichtet, der ergiebigste von allen
marokkanischen Handelszweigen.

Auch christliche Sklaven wurden nun zur Fabrikation von Zucker verwandt,
und nicht nur aus Marokko oder aus den Sudanl�ndern kamen Leute nach
Tarudant, um Zucker zu kaufen, auch Europ�er stellten sich ein, sobald sie
erfuhren, dass man sie gut behandle. Der Ertrag ergab f�r den Sultan
j�hrlich 7500 Metkal, eine f�r damalige Zeit grosse Summe.

In welcher Zeit der Verfall des Zuckerbaues vor sich ging, habe ich nicht
ergr�nden k�nnen, vielleicht wurden bei einer der so h�ufig in Marokko
stattfindenden Revolten die Zuckerg�rten zerst�rt und nachdem nicht wieder
angebaut. Aber die Erinnerung vom einstigen Zuckerreichthum in der Provinz
existirt in Marokko heute noch.

Ich musste mehrere Wochen in Tarudant bleiben und �berstand w�hrend dieser
Zeit eine f�rmliche Krankheit, da ich fortw�hrend von Wechselfiebern
gesch�ttelt war.--Den zweiten Tag nach meiner Ankunft liess mich der Kadi
der Stadt rufen. Er unterwarf mich einem langen Examen, woher ich komme,
warum ich in Tarudant sei, wohin ich gehen wolle, warum ich Mohammedaner
geworden sei, u.s.w. Ich glaubte schon, da er immer sehr ernsthaft blieb,
dass er mich trotz meiner gen�genden Antworten, als Sohn eines Christen ins
Gef�ngniss senden w�rde, als er pl�tzlich die Unterhaltung auf die Medizin
brachte und ein Mittel gegen Gichtschmerzen von mir verlangte. Zugleich
wurde Thee servirt und ein gut zubereitetes Fr�hst�ck hereingetragen. Das
Gespr�ch ging dann haupts�chlich auf die christliche Civilisation �ber, und
ich sah mit Erstaunen im Kadi einen dem Fortschritte huldigenden Mann vor
mir. Nach beendigtem Fr�hst�cke verabschiedete er mich, und sagte, er w�rde
mich rufen lassen, damit ich in seiner Gegenwart die Medizin bereite.

Am folgenden Tage gegen Abend musste ich zu ihm gehen, und da ich nichts
Anderes zu thun wusste, so bereitete ich eine Kamphersalbe und liess ihn
Einreibungen damit machen. Ich musste wieder Thee mit ihm trinken und zu
Abend essen; beim Abschiede gab er mir ausserdem einen grossen Korb mit
Datteln und einen kleineren mit Mandeln, dann eine Sch�ssel mit s�ssem
Backwerke, das sehr gut zubereitet war und sich fast jahrelang h�lt.
Obgleich die Datteln und Mandeln von der letzten Ernte und von
ausgezeichneter G�te waren, so verkaufte ich doch den gr�ssten Theil
derselben. Ich bekam f�r das Pfund Mandeln den f�r dortige Gegend hohen
Preis von 6 Mosonat; es war Missernte f�r die Mandeln gewesen, denn in
guten Jahren erh�lt man f�r Eine Mosona mehrere Pfunde.

Am vierten Tage stellte sich mein Fieber heftiger als je ein, ich glaubte
schon vom Typhus befallen zu sein; acht Tage musste ich meine H�hle h�ten.
Ich nahm die letzte mir �brig gebliebene Dosis Chinin, genoss die ganze
Zeit hindurch bloss Wasser und Brod und alle Tage einige Granat�pfel, die
mir der Fundukbesitzer aus seinem Garten brachte.

Mit einer ziemlich grossen Karavane brach ich sodann auf. Sie setzte sich
aus etwa 20 Mann und 30 St�ck beladenen Maulthieren und Eseln zusammen. Die
Leute selbst waren aus der Oase Draa. Vom Thaleb des Kadi war ich ihnen
empfohlen und deshalb gut bei ihnen aufgenommen worden. Diese Art Karavanen
rechnen von Tarudant acht Tagem�rsche, welche aber sehr stark sind; das
Vieh wird dabei von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit der
gr�sstm�glichsten Eile vorw�rts getrieben. Es war also eine harte Tour f�r
mich, da ich von den Fiebern mitgenommen, sehr ersch�pft war, und manchmal
daf�r, dass ich mitgenommen wurde, und was Nahrung anbetrifft von den
Eigenth�mern des Viehs freigehalten wurde, das Vieh mit treiben helfen
musste.

Den ganzen ersten Tag folgten wir dem Ued-Sus, der an beiden Seiten
lachende G�rten bildet. Rechts und links hatten wir hohe Berge, doch ist
die Kette im Norden wenigstens noch einmal so hoch, als die nach S�dwesten
streichende, welche �berdies nur ein Zweig vom grossen Atlas ist. Gegen
Mittag, wir marschirten immer in �stlicher Richtung, machten wir bei einem
Dorfe der Beni-Lahia Halt; es wurde dort Markt abgehalten, und die Leute
unserer Karavane wollten nun noch Getreide einkaufen, um es mit in ihre
Heimath zu nehmen. Nach beendetem Einkauf ging es weiter. Ich weiss nicht,
durch welchen Zufall es kam, dass der Theil der Karavane, bei dem ich mich
befand, von dem anderen sich trennte, kurz, wir verloren den Weg und es
war, glaube ich, Mitternacht, als wir das Dorf erreichten, wo die Anderen
seit Abends campirten. Dazu hatten wir elende Wege gehabt, da das ganze
Land von breiteren und schm�leren Rinnsalen, welche zur Bew�sserung des
Bodens dienen, durchschnitten ist, in der Dunkelheit geriethen wir nun alle
Augenblick in ein solches Wasser, oder auch ein Esel versank in den Schlamm
und sein Herausziehen konnte nur mit M�he und Zeitverlust bewerkstelligt
werden.

Desto k�rzer war der folgende Tagesmarsch, wir mussten sehr bald in einem
Dorfe Halt machen, weil vor uns zwei Volksst�mme sich bekriegten und
dadurch die Gegend unsicher gemacht war. Sieben Tage mussten wir in diesem
Orte liegen bleiben, fanden jedoch die gastlichste Aufnahme daselbst. Ich
war mit vier Anderen in einem grossen Bauernhofe einquartiert und so war
die ganze Karavane vertheilt. Endlich schienen die feindlichen Parteien
Frieden gemacht zu haben und wir konnten aufbrechen, der Weg war offen. Wir
folgten dem Ued-Sus, bis fast an seine Quelle, welcher Landestheil, wie
�berall, den Namen Ras-el-Ued hat, und schlugen von da an eine s�d�stliche
Richtung ein.

So scharf markirt der s�dwestlich vom Atlas sich abzweigende Gebirgszug,
vom Sus-Thale gesehen, sich ausnimmt, so wenig ist er es in der That, man
k�mmt s�d�stlich fortgehend in keinen Gebirgszweig, sondern in ein
zerrissenes Gebirge. Obschon man nun auch aus dem eigentlichen �berall
culturf�higen Lande heraus ist, hat man doch noch die eigentliche Sahara
nicht erreicht. Allerdings sind die Berge nackt und kahl, aber die Gegend
ist �usserst abwechselnd, Wasser nicht selten und kleine Oasen auf Schritt
und Tritt. Gegen Sonnenuntergang erreichten wir eine Oase, die erste echte
Palmpflanzung, die ich zu sehen bekam (den Palmen in Marokko und Tarudant
merkt man gleich an, dass sie eigentlich f�r den dortigen Boden und das
Klima noch fremd sind), einige D�rfer lagen darin versteckt. Wir lagerten
von jetzt an nie mehr im Dorfe, sondern immer im Freien, und suchten dann
zu dem Ende ein zwischen Felsen liegendes sicheres Versteck auf. Auf diese
Art marschirten wir 4 Tage immer in s�d�stlicher Richtung fort. Die Gegend
bewahrte ihren eigenth�mlichen Charakter, nackte, kahle Felsen, von Bergen
eingeschlossene Ebenen, ohne Vegetation, nur von Steinen bedeckt, hie und
da eine Oase, welche sich schon von Weitem durch die hohen Palmen
ank�ndigte, manchmal auch noch grosse Strecken mit Schih (Artemisia)
bedeckt, Zeichen, dass wir die eigentliche Sahara noch nicht erreicht
hatten, solche Bilder waren stets vor unseren Augen.

Am f�nften Marschtage kamen wir, nachdem wir verschiedene Ebenen
durchschritten hatten, an einen Bergpass, wie ich noch nie einen gesehen
habe, und auch wohl kein �hnlicher auf der Erde existirt. Mit diesem
Bergpass, oder vielmehr mit dieser Schlucht, die ebenfalls durchschnittlich
in unserer Marschrichtung war, hatten wir zugleich das eigentliche Gebirge
hinter uns. Diese Schlucht war etwa 5 Schritt breit, an beiden Seiten von
senkrechten Marmorw�nden gebildet, und in derselben rieselte ein kleiner
Bach mit reizenden gr�nen Ufern. Am Austritte der Schlucht gab der Bach
Veranlassung zu einer Oase. Der Marmor, der sich in der Sonne spiegelte und
stellenweise so glatt war, als ob er k�nstlich polirt w�re, gl�nzte in
allen m�glichen Farben.

Was das Interesse dieser einzigen Schlucht noch erh�hte, war, dass sich am
Austritte oder am s�d�stlichen Ende derselben eine kohlensaure Quelle
befand. Ich glaube, es giebt wohl kaum ein zweites an Kohlens�ure so
reiches Wasser, wie dieses; dicke Blasen steigen fortw�hrend auf, und beim
Trinken prickelte es Einem im Munde, als ob man Champagner tr�nke. Das
Land, worin sich diese Schlucht und Quelle befindet, heisst Tassanacht, und
die vom Fl�sschen gebildete Oase, Tesna[140]. Die Gegend war hier, wie auch
sonst fast �berall, �usserst metallreich, ich fand auf dem Wege bei Tesna
offen zu Tage liegend, Antimon-St�cke von 1-1/2 Zoll Dicke, reines,
unvermischtes Metall.

      [Fu�note 140: Siehe Petermann's Mitteilungen 1865, Tafel 6.]

Die n�chsten Tage gingen vor�ber, ohne dass sich etwas Besonderes
ereignete, ich hatte jedoch grosse M�he, diese anstrengenden M�rsche
mitzumachen, zumal mich eine ersch�pfende Diarrh�e, durch die ungewohnte
Nahrung hervorgerufen, befallen hatte. Die Leute mischten n�mlich Mehl mit
gestampften Datteln zu einem Teige, gossen etwas Oel hinzu, und roh wurde
dies genossen, oder man ass auch, bloss mit Wasser vermischt, gestampfte
Datteln. Dazu kam, dass wir manchmal sehr an Durst zu leiden hatten, denn
die Thiere waren alle �berm�ssig beladen, so dass man f�r Wasser keinen
Platz hatte. Die schlimmste Strecke war die letzte. Wir waren noch einen
guten Tag vom Draa entfernt und lagerten Abends in einem �den Thale. Um den
Ued-Draa am folgenden Tage fr�h zu erreichen, brachen wir um Mitternacht
auf. Ungl�cklicher Weise waren meine Schuhe g�nzlich unbrauchbar geworden,
die Sohlen waren abgefallen. Ich behalf mich damit, dass mir die Leute aus
den Lederresten Sandalen zusammenflickten, welche mit Riemen an den F�ssen
befestigt wurden. Ueberhaupt tragen s�dlich vom Atlas fast alle Leute
Sandalen. F�r Einen, der nicht daran gew�hnt ist, ist es aber ein
qualvolles Schuhzeug, da die Riemen gleich tief einschneiden. In der
dunklen Nacht stiess ich nun jeden Augenblick gegen einen Stein, und es
schien mir eine Ewigkeit bis die Morgenr�the anbrach. Als endlich der Tag
anfing und wir fr�hst�ckten, hatten wir kaum das n�thige Wasser, aber die
Aussicht, noch wenigstens einen halben Tagemarsch gehen zu m�ssen, ohne
Hoffnung einen Brunnen oder Quelle anzutreffen. Gegen Mittag war mein
Gaumen ganz trocken, und als wir endlich von Weitem die Palmen sahen, mit
dem lachenden Gr�n der Orangen, Feigen, Granaten, Pfirsichen und Aprikosen
darunter, glaubte ich, sie nicht erreichen zu k�nnen; erst um 4 Uhr
Nachmittags waren wir im Dorfe Tanzetta, wo mehrere Leute unserer Karavane
zu Hause waren. Mein Erstes war, meinen brennenden Durst zu l�schen, ich
trank wenigstens 3 Liter Wasser auf ein Mal.

       *       *       *       *       *




15. Die Draa-Oase. Mordversuch auf den Reisenden. Ankunft in Algerien.

       *       *       *       *       *

Vom ewigen Schnee des Atlas gespeist, hat der Ued-Draa, der l�ngste der
marokkanischen Str�me, Veranlassung zu einer der sch�nsten Oasenbildungen
gegeben, wie man sie �berhaupt nur in der Sahara findet. Denn nur da, wo
�berirdisch immer rieselndes Wasser ist, bildet sich so �ppige Vegetation
und gedeihen die Fruchtb�ume, die das gl�ckliche Klima des
Mittelmeerbeckens hervorbringt. Und wenn man nach tagelangen M�rschen durch
die steinigte und vegetationslose brennende W�ste, jenes lachende Gr�n
erblickt, wie es sich frisch unter dem schirmenden Dache hochst�mmiger
Palmen entwickelt, dann vergisst man fast die M�hen und Beschwerlichkeiten
einer Fussreise durch die W�ste, denn man glaubt eine der Inseln der
Gl�ckseligen erreicht zu haben.

Der bewohnteste und fruchtbare Theil des Ued-Draa ist das vom Gebirge nach
dem S�den zu laufende Flussthal, sobald der Draa nach dem Westen umbiegt,
d.h. etwa unter dem 29� N. B. f�ngt er an unbewohnt und unfruchtbar zu
werden. Es hat das seinen Grund darin, weil die vom Atlas kommenden
Gew�sser _st�ndig_ nur bis zu dem Punkte fliessen, den atlantischen
Ocean aber nur ein Mal im Jahr, nach der _grossen_ Schneeschmelze des
Gebirges, erreichen. Ist der Draa-Fluss aus dem sonderbar geformten
Gebirgslande, welches s�dw�rts vom Atlasgebirge, unabh�ngig von diesem,
liegt, heraus, dann durchstr�mt er sein mehr oder weniger breites Thal,
welches er sich selbst geschaffen hat. Aber auch hier sind die Ufer und
B�nke des urspr�nglichen Flussthales manchmal so hoch, so sonderbar
geformt, dass man, vom Flussbette aus gesehen, sie f�r zwei nach S�den
streichende paralell laufende Gebirge halten k�nnte. Einmal und zwar
ziemlich in der Mitte des von Norden nach S�den laufenden Flusses erhebt
sich aber ein wirklicher Berg, der Sagora, auf dem _linken_ Ufer des
Ued-Draa. Dass der grosse Debaya weiter nichts ist als ein Sebcha und nur
zeitweise ein See genannt werden darf, wage ich Renou und Delaporte
gegen�ber aufrecht zu erhalten. Renou sagt p. 180: "ce grand lac d'eau
clouce est remplie de poissons et les indig�nes naviguent dessus et y font
la p�che d'apr�s Mr. Delaporte."--Ich will nicht in Abrede stellen, dass
der Debaya sich ein Mal im Jahre mit Wasser f�llt, ich will ebenfalls nicht
bezweifeln, dass er zu der Zeit ohne Fische sei, dass er mit Schiffchen
befahren werde, aber das dauert nur eine kurze Zeit, vielleicht nur einige
Wochen; so rasch, so gewaltig die Gew�sser vom Atlas herabbrausen, so rasch
und schnell eilen sie dem Ocean zu. Und wenn diese ausserordentlichen
Schwemmungen den Debaya nicht mehr erreichen, so trocknet er rasch aus,
wird Sebcha und zuletzt vielleicht weiter nichts als eine grosse
Einsenkung.

Es liegen ausserordentlich wenig sichere Nachrichten �ber die Draa-Gegend
vor. Freilich als solche wird dieselbe schon im Mittelalter genannt. Aber
darauf, dass man die Draa Landschaft _nennt_, h�chstens noch eine
Ortschaft derselben notirt, beschr�nkt sich auch Alles. Leo hebt nur den
Ort Beni-Sabih hervor, offenbar die grosse von mir besuchte Ortschaft
Beni-Sbih in der s�dlichen Provinz Ktaua. Marmol f�hrt die Stadt Quiteoa
(offenbar Ktaua) an, er nennt auch Tinzeda, welches wohl mein Tanzetta
ist. Ferner nennt er die Oerter Taragale, Tinzulin (die Provinz Tunsulin
von mir), Tamegrut, Tabernost, Afra und Timesquit (wohl Mesgeta).
Delaporte kennt ebenfalls Quiteoa. Mouette nennt einen Berg, den Lafera
oder den h�hlenreichen Berg, Marmol nennt diesen Berg Taragale oder
Taragalt, und es ist dies jedenfalls der Berg, der mir von den
Eingebornen als der Dj. Sagora bezeichnet wurde[141]. Es ist das das
Haupts�chlichste, was vom Draalande bekannt war, denn Cailli� streifte
auch nur die s�d�stlichste Umbugsecke des Thales, beim Orte Mimmssina.

      [Fu�note 141: Siehe Renou, Empire de Maroc, p. 175 u.f.]

Das Draa-Land zerf�llt vom Norden nach dem S�den (ich spreche immer nur von
dem bewohnten Theile, der sich nach S�den bis zu dem Punkte erstreckt, wo
der Draa nach dem Westen umbiegend seinen Lauf �ndert) in f�nf Provinzen:
die n�rdlichste Mesgeta, dann Tinsulin oder Tunsulin (Tinjulen), drittens
Ternetta, viertens Fesuoata und endlich die s�dlichste und gr�sste Provinz
Ktaua. Obschon in der Provinz Ternetta ein Kaid des Sultans residirt, also
eine Regierung von Marokko aus eingesetzt ist, so existirt dieselbe bloss
als nominal. Das Ansehen des Kaid und seiner Maghaseni geht wohl nicht �ber
seinen Wohnort hinaus. Die ganze Gegend im Draa-Gebiete ist derart, dass
jede einzelne Ortschaft unabh�ngig von der anderen ist, und jede Gemeinde
durch ihren Schich dem die Djemma, (Versammlung der �ltesten und
angesehensten M�nner) zur Seite steht, regiert wird. Selbst nicht einmal
die einzelnen Provinzen haben eine eigene gemeinsame Regierung. Als
Hauptort oder Hauptstadt des Draa-Landes kann man Tamagrut bezeichnen, aber
auch nur insofern, als hier eine ber�hmte religi�se Genossenschaft, eine
Sauya sich befindet. Aber keineswegs ist Tamagrut eine officielle
Hauptstadt, auch nicht einmal was Einwohnerzahl anbetrifft die erste. Die
gr�sste Ortschaft im Draa-Thale ist die in Ktaua gelegene Stadt Beni-Sbih.

S�mmtliche Ortschaften sind mit einer hohen Thonmauer umgeben, einzelne
haben auch noch mehr oder weniger breite und tiefe Gr�ben. Alle haben
wenigstens eine Moschee, die gr�sseren auch mehrere. Die H�user, von
gestampftem Thon erbaut, haben im Innern einen meist ger�umigen Hofraum,
haben alle ein flaches Dach und meistens ein Erdgeschoss und ein Stockwerk.
Im Erdgeschoss verwahrt man das Vieh, und oben halten sich die Menschen
auf. Die Strassen in den Ortschaften sind schmal, staubig und voller
Unrath, obwohl auch hier wie in Tafilet und Tuat �berall �ffentliche
Latrinen zahlreich vorhanden sind. Die Palmg�rten, welche alle wohl
eingefriedigt sind durch hohe Thonmauern, erhalten ihre Berieselung durch
den ewig str�menden Ued-Draa, und da das Wasser sehr reichlich vorhanden
ist, so hat man keine Zeitbestimmung �ber die Vertheilung des Wassers zu
treffen n�thig gehabt. Die Datteln, welche in der Draa-Oase producirt
werden, geh�ren zu den vorz�glichsten der ganzen Sahara, und da sie kein
anderes Absatzgebiet daf�r haben als nach Marokko, das �berdies noch von
Tafilet und Tuat und anderen kleinen Oasen seinen Dattelbedarf bezieht, so
sind sie �usserst billig, in guten Jahren verk�uft [verkauft] man eine
Kameelladung (ca. 3 Centner) f�r einen halben Thaler. Der Getreidebedarf
muss indess von aussen bezogen werden, das was die Eingebornen bauen,
reicht nicht hin sie zu ern�hren, obschon das ganze Jahr hindurch
gepflanzt und geerntet wird. Es kommt das deshalb, weil ein groser
[grosser] Theil der G�rten nur zum Gem�sebau, Kohl, R�ben, Carotten,
Zwiebeln, Pfeffer, Knoblauch, Tomaten, Melonen etc. verwandt wird, und
weil die gr�sste und sch�nste Provinz, Ktaua, derart von S�ssholz
(Glycirrhiza) �berwuchert ist dass dies fast den ganzen fruchtbaren
Boden unter den Palmen einnimmt.

Das Thierreich bietet nichts Besonderes da, das Schaf ist in den s�dlichen
Provinzen von Ternetta an ohne Wolle, Pferde, Esel, Maulthiere und Ziegen
sind gut und von derselben Art wie in Marokko, Rinder sind sehr selten. Von
V�geln hat man wild die Taube, Sperlinge, Schwalben, dann einen reizenden
kleinen Vogel, ebenfalls zu den Sperlingen geh�rend, aber mit buntem
Gefieder und h�bscher Stimme. Die Eingebornen nennen ihn Marabut (der
Heilige) und man findet ihn frei, aber zahm in jedem Hause, jeder Oase
s�dlich vom grossen Atlas.

Was die Bev�lkerung anbetrifft, deren Zahl auf 250,000[142] Seelen sich
belaufen kann, so nennt man sie Draui. Der Mehrzahl nach sind sie Berber:
die Araber, vornehmlich Sch�rfa, leben nur vereinzelt in Ksors. Zu erw�hnen
sind noch die in Palmh�tten lebenden Beni-Mhammed, reine Araber ihrer
Abkunft nach, sie sind durchs ganze Draa-Thal zerstreut in kleinen
Gemeinschaften von wenigen Familien anzutreffen. Auch einige Berberst�mme
haben diese Art des Wohnens in Palmh�tten. W�hrend die Araber, welche diese
Oase bewohnen, vorzugsweise Sch�rfa, Marabutin und vom Stamme der
Beni-Mhammed sind, geh�ren die Berber fast alle der grossen Fraction der
Ait-Atta an.

      [Fu�note 142: In Petermann's Mittheilungen ist die Zahl der
       Bev�lkerung in meinem Berichte zu 25,000 angegeben: ein
       Schreibfehler meines Manuscriptes.]

Der Neger, der nat�rlich auch zahlreich vertreten ist, hat auf die
_grosse_ Menge der Bev�lkerung wenig Einfluss gehabt, aber der
Draaberber, wenn er es auch nicht liebt, sich mit dem Schwarzen zu
vermischen, hat doch unmerklich Negerblut aufgenommen, dann haben Sonne und
Staub das Ihrige dazu beigetragen der Hautfarbe eine dunkle F�rbung zu
gehen. Die Schwarzen, welche man im Draa antrifft, sind meistens von Haussa
und Bambara, auch Sonrhai-Neger sind nicht selten.

Die in einigen Ksors ans�ssigen Juden leben hier nicht in derselben
unterdr�ckten und ausgestossenen Weise wie im �brigen Marokko, obschon sie
auch hier sich manche Vexationen gefallen lassen m�ssen. Sie sind hier
weniger dem Handel zugethan, vertreten hingegen mehr den eigentlichen
Handwerkerstand. B�chsenschmiederei, Blechschl�gerei, Tischlerarbeit,
Schneiderei und Schusterei sind ihre haupts�chlichsten Besch�ftigungen. Und
eben weil sie durch diese Handwerke den Draa-Bewohnern unentbehrlich
geworden sind, werden sie weniger gequ�lt. Nach dem heiligen Ort Tamagrut
d�rfen sie indess nicht hinkommen, nicht einmal den dort _ausserhalb_
der Stadt abgehaltenen Wochenmarkt besuchen. Aber damit sie die Strenge
dieser Maassregel weniger f�hlen, hat man doch die R�cksicht gehabt, den
Markttag f�r Tamagrut auf einen Samstag zu verlegen, Tag, wo es den Juden
ohne das untersagt ist zu handeln und zu verkaufen.

Ausser der Sprache bemerkt man, was das Aeussere (abgesehen nat�rlich von
den Schwarzen) anbetrifft, zwischen den Draui keinen Unterschied, w�re
dieser nicht, w�rde man glauben, das Land sei von einem Volke bewohnt. Die
Lebensweise der Bewohner ist �usserst einfach. Morgens wird eine d�nne
heisse und stark gepfefferte Mehlsuppe mit Datteln gegessen, Mittags und
Nachmittags Datteln, wozu die Reichen ungesalzene Butter nehmen, auch
Buttermilch dazu trinken, w�hrend der Arme bloss Wasser zum Trunk hat, und
Abends ist Kuskussu die allgemein �bliche Kost. So lebt der Draui t�glich
und Jahr aus Jahr ein.

Tanzetta, Ort wo ich zuerst ankam, ist wie alle Ortschaften durch eine hohe
Mauer umgeben und befestigt. N�rdlich dicht dabei liegt der nur von Sch�rfa
(Abk�mmlinge Mohammed's) bewohnte Ort Alt-Tanzetta, und ausserhalb von
Alt-Tanzetta ist eine Milha (Judenviertel). Eine halbe Stunde s�dlich
von Tanzetta liegt der grosse Ort Sauya-Sidi-Barca, und dicht dabei
erhebt sich der sonderbar geformte und unter den Draa-Bewohnern sehr
ber�hmte Berg Sagora, ber�hmt, weil er eine H�hle enth�lt, in welcher in
der Vorzeit die Christen einen grossen Schatz verborgen h�tten, den bis
jetzt noch Niemand gehoben. Der Sagora bildet gerade die Mitte des
Draa-Landes oder Draa-Thales (d.h. des von Nord nach S�d laufenden
Stromtheiles), und er ist ein wirklicher Berg, nicht nur eine Erh�hung
des Ufers.

Nach einem Aufenthalte von acht Tagen brach ich von Tanzetta nach dem S�den
auf, um nach dem ber�hmten Hauptorte, dem heiligen Tamagrut, Oertlichkeit,
die nur eine kleine Tagereise s�dlich von Tanzetta liegt, zu kommen. Ich
hatte Begleitung, was mir schon deshalb lieb war, da ich mich mit der
berberischen Bev�lkerung gar nicht verst�ndlich machen konnte. Da eine
ausserordentliche Hitze herrschte, machten wir den Weg in zwei Tagen, und
blieben am ersten Tage in einem grossen Ksor, von Berbern bewohnt, Namens
Alaudra. Der Weg folgte nicht den Kr�mmungen des Flusses, sondern lief
gerade s�dw�rts, und so befanden wir uns bald in steiniger W�ste, bald in
einem lachenden Thale. Mittags erreichten wir am anderen Tage Tamagrut, das
sich nur durch seine Gr�sse, und dadurch, dass ein best�ndiger Markt darin
gehalten wird, von den �brigen Ortschaften unterscheidet. Die Sauya, nach
Sidi-Hammed-ben-Nasser genannt, ist eine der gr�ssten, die ich gesehen
habe.

Sidi-Hammed-ben-Nasser war ein ber�hmter Heiliger, aber kein Nachkomme
Mohammed's. Daf�r hatte Allah ihm die Gabe verliehen, in der eignen Sprache
der Thiere mit den Thieren sich unterhalten zu k�nnen (nach dem Glauben der
Marokkaner konnte das vor ihm nur Sultan Salomon, dann Harun al Raschid und
Djaffer sein Minister); aber leider hat diese grosse Gabe auf seine
Nachkommen sich nicht vererbt. Wenigstens kann ich constatiren, dass die
Urenkel weder mit dem Kameele, noch mit dem Pferde oder anderen Thieren
sich unterhalten konnten.

Ich habe an anderer Stelle entwickelt, dass die Mohammedaner einen grossen
Vorzug vor uns Christen haben: dass ihre Heiligen schon h�ufig _bei
Lebzeiten_ heilig gesprochen werden, dass ihre Heiligen heirathen
d�rfen, dass die Kinder und Nachkommen solcher Heiligen _auch_ f�r
heilig erachtet werden, ja, dass das Heiligsein bei den Mohammedanern
_wachsend_ ist, d.h. dass die Nachkommen solcher Heiligen f�r heiliger
erachtet werden, als die Vorfahren selbst.

Aber hat man im Christenthum nicht ganz dasselbe. Sind auch die P�pste
nicht fleischliche Nachkommen Christi, so folgt doch einer dem anderen als
geistiger Erbe, und verfolgt man vom ersten Bischof in Rom, die zunehmende
Macht und Heiligkeit bis zum letzten jetzt regierenden, der sich Gott
gleich gestellt hat durch seine Unfehlbarkeit, so findet man, dass wir doch
nicht so sehr hinter der anderen semitischen Schwesterreligion
zur�ckstehen. Und ist es in den anderen christlichen Bekenntnissen nicht
ebenso?

Der derzeitige Besitzer der Sauya, Si-Bu-Bekr, ein Ur-Ur-Enkel des
erw�hnten Heiligen, wurde denn auch f�r viel heiliger gehalten, als der
Vorfahr selbst. Seine Familie war �brigens eine, die sich von jeher durch
Fr�mmigkeit, durch Gelehrsamkeit in den Schriften, aber auch durch
Glaubenseifer ausgezeichnet hatte.

Ich begab mich sogleich in die Sauya, wo man mich zu Sidi Bu-Bekr f�hrte.
Es war gerade die Zeit des �ffentlichen Empfanges, der ehrw�rdige Greis
nahm daher bei der Menge der Leute, die von allen Seiten herbeigestr�mt
waren, wenig Notiz von mir, sondern gab bloss Befehl mir ein Zimmer
anzuweisen. Desto zuvorkommender empfingen mich seine beiden S�hne, ich
musste mehrere Wochen bei ihnen bleiben und t�glich �berh�uften sie mich
mit Aufmerksamkeiten aller Art. Als ich Sidi[143] Bu-Bekr einige Tage
sp�ter meine Aufwartung machte, entschuldigte er sich, dass er mich nicht
zuvorkommender empfangen, indem er nicht verstanden habe, dass ich von
Europa (Blad-el-Rumi) k�me; er fragte, ob ich mit Allem zufrieden sei, und
gab seinen S�hnen den Auftrag f�r mich zu sorgen.

      [Fu�note 143: Im eigentlichen Marokko w�rde man nur Si, nicht Sidi
       zu ihm sagen.]

Diese Sauya kam mir gerade wie ein Kloster vor; die grossen von Bogeng�ngen
umgebenen H�fe, in welche die Zimmerchen oder vielmehr die Zellen m�nden,
die von l�nger verweilenden Reisenden, oder von Studenten und
Schriftgelehrten, die hier ihren Studien obliegen, bewohnt werden; das
ewige Beten und Ablesen des Koran, die wallfahrenden Leute, die t�glich
kommen, um das Grab Sidi Hammed-ben-Nasser's zu besuchen, und ihre Gaben,
die in Geld oder Sachen aller Art bestehen, zu den F�ssen des Marabuts
legen, alles dies erinnert an unsere Kl�ster, nur ist hier die Pr�latur in
einer Familie erblich, und zwar geht bei den Marabutin die W�rde nur auf
den �ltesten Sohn �ber, w�hrend die �brigen S�hne, einmal aus dem
elterlichen Hause ausgeschieden, in den gew�hnlichen B�rgerstand
zur�cktreten. Bei den Sch�rfa geht die W�rde auf S�hne und T�chter �ber,
ist dann nur erblich durch die S�hne.

Ehe ich weiter reiste, begab ich mich nach Ktaua, um einige Notizen �ber
den Handel mit dem Sudan zu erhalten. Ktaua, diese grosse selbstst�ndige
Oase, hat allein f�r sich gegen 100 Ksors, die von Berbern, oder auch von
Araber-Sch�rfa oder vom Stamme der Beni-Mhammed bewohnt sind. Ich ging
zuerst nach dem grossen Orte Aduafil, ausschliesslich von Sch�rfa bewohnt.
Von hier aus wird der haupts�chlichste Handel mit dem Sudan betrieben. Gold
(in geringer Qualit�t), Elfenbein, Leder und Sklaven sind die
haupts�chlichsten Gegenst�nde, welche man von dorther holt. An eignen
Producten liefern indess die Draui den Schwarzen Nichts, sie k�nnen ihnen
nur europ�ische Producte zuf�hren, denn das Kupfer, welches sich von
Tarudant aus nach dem Sudan verbreitet, geht wohl zumeist �ber Tekna und
Nun. Die Sklaven kauft man im Sudan zu den billigen Preisen von 15-20
Thaler, junge h�bsche und hellfarbige M�dchen sind jedoch theurer. In Fes
und Marokko werden sie dann mit bedeutendem Gewinne abgesetzt, zu 100 bis
150 Thaler. Von Aduafil bis Timbuktu brauchen die Karavanen ca. 8 Wochen,
die l�ngste wasserlose Strecke soll 10 Tage (nach Aussage der Eingebornen,
jedoch halte ich das f�r �bertrieben) betragen.

Ich blieb in Aduafil 14 Tage, und besuchte von hier aus auch die wichtigen
Handelspl�tze und M�rkte Beni-Haiun und Beni-Sbih s�dlich gelegen. Dann
begab ich mich nach Beni-Smigin, Ort, der am n�rdlichsten in Ktaua liegt,
und nahm die Gelegenheit wahr, mit einer Karavane von hier nach Tafilet zu
gehen.

W�hrend man auf dem Wege von der Provinz Ternetta nach Tafilet die grosse
Oase Tessarin antrifft, hat man von Ktaua aus nur w�stes Land. Man braucht
f�nf Tage und h�lt immer Nordost-Richtung. Die W�ste ist indess auch hier
nicht aller Vegetation bar, man trifft hin und wieder auf Akazien. Ich war
froh, als ich am f�nften Tage Nachmittags von einer Felsanh�he die Palmen
Tafilets erblickte. Vom Orte Beni-Bu-Ali, dem �stlichsten Ksor, auf den wir
trafen, begab ich mich direct nach dem Hauptorte der Oase Abuam, und da ich
ohne Bekannte war, ging ich direct in die grosse Moschee. Ich hatte mich,
m�de wie ich vom Wege war, schlafen gelegt, fand mich aber unangenehm
erweckt durch einen Fusstritt. Vor mir stand ein Scherif, er fragte, wer
ich sei, wie ich hiesse, was ich wolle. Wie gew�hnlich antwortete ich, ich
sei ein zum Islam �bergetretener Deutscher, Namens Mustafa (ich machte nie
Hehl daraus, dass ich �bergetreten sei, und konnte das auch nicht, da ich
zu der Zeit das Arabische noch sehr mangelhaft sprach). F�r uns Deutsche
haben die Marokkaner das durch die T�rken den Arabern zugebrachte und aus
dem Slavischen entlehnte Wort Nemsi. Aber mit dieser Erkl�rung war der
Scherif nicht zufrieden. Wie �berhaupt durch die drohende N�he der
Franzosen in Algerien, die Filali (Bewohner Tafilets) bedeutend
misstrauischer gegen Fremde sind, so schien Misstrauen, Glaubenseifer,
Religionsd�nkel und jesuitischer Fanatismus in diesem Scherif personificirt
zu sein. Die �brigen Tholba wurden herbeigeholt, man wollte einen
sichtbaren Beweis meines Islams haben, und als sie nach einigem
Kopfsch�tteln erkl�rten, dass man in dieser Beziehung mir nichts vorwerfen
k�nne, fingen sie trotzdem an, meine Kleider zu durchsuchen. Und um mein
Ungl�ck voll zu machen, fanden sie einen alten Pass, den ich aufbewahrt
hatte.

Mit fanatischem Geheul wurde ich nun von diesen Zeloten nach Rissani, der
officiellen Hauptstadt, wo der Kaid des Sultans residirt, geschleppt, und
ich glaubte schon mein letztes St�ndchen sei gekommen, denn was ist gegen
fanatische Glaubenseiferer zu machen. Fortw�hrend br�llten sie: "er ist ein
Spion, er ist ein Sendling des christlichen Sultans", womit sie den Kaiser
Napoleon der Franzosen meinten, "er ist gekommen, um unser Land
auszukundschaften, zu verrathen und zu verkaufen."--So dumm sind n�mlich
diese fanatischen Leute, wie ja �berhaupt Dummheit und Fanatismus immer
Hand in Hand mit einander gehen, dass sie �berzeugt sind, ein einzelner
Christ k�nne nur so ohne Weiteres ihr Land verkaufen.

Gl�cklicherweise aber traf ich im Kaid des Sultans einen Mann, der schon
irgendwo einen Pass gesehen haben musste, oder doch wusste, welche
Bewandniss es damit hatte, aber auch er w�rde wohl kaum den wutschnaubenden
Volkshaufen haben bes�nftigen k�nnen, wenn nicht zur rechten Zeit ein
marokkanischer Prinz, nach der Meinung Vieler der rechtm�ssige Sultan von
Marokko, herbeigekommen w�re: Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Sliman.

Als n�mlich Sultan Sliman gestorben war, folgte nicht sein Sohn, sondern
sein Neffe Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam, und als dieser im Jahre 1859
starb, h�tte nach dem Herkommen der Aelteste der Familie und zwar Mulei
Abd-er-Rhaman-ben-Sliman folgen m�ssen. Sultan Abd-er-Rhaman hatte aber bei
Zeiten daf�r gesorgt, dass sein Sohn Sidi Mohammed nachfolgen w�rde, und in
der That fand im Herbste 1859 Abd-er-Rhaman-ben-Sliman den Thron besetzt.
Da er sich bis dahin 16 Jahre in der Sauya Sidi Hamsa's, n�rdlich von
Luxabi gelegen, verborgen aufgehalten hatte, um dem Dolche und Gifte seines
Vetters zu entgehen, brach er Ende 1859, von einigen wenigen Getreuen
begleitet, auf nach Fes, um sich des Thrones zu bem�chtigen. Aber schon
hatte sich Bascha ben Thaleb und Kaid Faradji von Fes f�r den jetzigen
Sultan erkl�rt, der lange Zeit vorher dort Chalifa gewesen war und sie
durch reiche Geschenke an sich gezogen hatte. Wenig fehlte, so w�re der
Sohn Sliman's mit seinen einigen hundert Reitern gefangen genommen.

Dieser Mulei Abd-er-Khaman-ben-Sliman lebte jetzt in Tafilet, und ihm, in
seiner Eigenschaft als Prinz und seinem unfehlbaren Charakter als
Scherif--ihm war es ein Leichtes das tobende Volk zu bes�nftigen. Es
k�nnte befremdend erscheinen, dass dieser ge�chtete und vom Throne
ausgestossene Prinz so friedlich an der Seite des Kaids des Sultans
stand, aber man muss bedenken, dass die Regierung von Marokko s�dlich
vom Atlas nur eine Scheinregierung ist, und namentlich dieselbe in
Tafilet gar keine Autorit�t besitzt.

Der Prinz fasste f�r mich Freundschaft, und diese wuchs noch, als sich
herausstellte, dass ich in der Campagne der Franzosen gegen die
Beni-Snassen 1859 schon seinen �ltesten Sohn, der ebenfalls
Abd-er-Rhaman hiess, kennen gelernt hatte. Derselbe war dahin gekommen,
um die H�lfe des franz�sischen Generals Martimprey gegen seinen
Verwandten, der den Thron von Fes usurpirt hatte, anzurufen; Martimprey
lehnte selbstverst�ndlich jede Einmischung in die inneren
Angelegenheiten Marokko's ab. Ich blieb l�ngere Zeit bei dieser
gastfreundlichen Familie, die f�r gew�hnlich in Marka, Provinz Ertib der
Oase Tafilet[144], wohnt, und sodann bereitete ich mich vor, meine Reise
zu vollenden.

      [Fu�note 144: Die Beschreibung von Tafilet ist in "Uebersteigung des
       Atlas etc.", Bremen K�htmann, 2te Auflage, und in Petermann's
       Mittheilungen, Jahrgang 1865.]

Ich hatte im Laufe der Zeit durch Prakticiren wieder einiges Geld
zusammengebracht, allerdings durch m�hsames Sparen, denn die �rztliche
Praxis muss in Marokko und namentlich in den regierungslosen Theilen ganz
anders ausge�bt werden, als bei uns. Namentlich muss sich der Arzt, der
keine starke Sippe oder Verwandtschaft hinter sich hat, wohl h�ten, einem
Patienten eine Medicin zum inneren Gebrauche zu verabfolgen, denn hat er
das Ungl�ck sodann einen Kranken durch den Tod zu verlieren, so ist
entweder die Medicin, oder der Arzt die Ursache davon gewesen; andererseits
hat der Arzt aber von wirklich guter Medicin gar nicht einmal den erhofften
Erfolg, denn gesundet ein Kranker, dann haben weder die Medicin noch der
Arzt geholfen, sondern irgend ein Heiliger, auch wohl Mohammed, in
seltneren F�llen Gott[145], dies Wunder bewirkt. Es ist daher am besten die
Praxis so auszu�ben, wie es landes�blich ist: durch Feuer und Amulette.

      [Fu�note 145: In dieser Beziehung haben die Mohammedaner viel
       Aehnlichkeit mit den Katholiken: bei einem Wunder denken sie
       zumeist an einen Heiligen, seltener an ihren Propheten, in den
       seltensten F�llen an Gott.]

Mit einer Karavane machte ich mich sodann auf den Weg und zwei Tage nach
unserem Aufbruche von Ertib erreichten wir die nord�stlich davon gelegene
Oase Budeneb. Wir blieben hier nur einen Tag, und am folgenden Tage Abends
erreichten wir die Oase Boanan, den ganzen Weg hatten wir ebenfalls in
nord�stlicher Richtung zur�ckgelegt. Mit einem Empfehlungsbriefe vom
obengenannten marokkanischen Prinzen f�r den Schich der Oase versehen,
kehrte ich bei ihm ein, und wurde auch gastfreundlich empfangen. Der Schich
hiess Thaleb Mohammed-ben-Abd-Allah.

Zehn Tage lang war ich sein Gast, und t�glich assen wir aus Einer Sch�ssel.
Ich hatte dort einen so langen Aufenthalt, weil Thaleb Mohammed der Meinung
war, ich solle nur mit einer gr�sseren Karavane weiter reisen, da je n�her
der algerinischen Grenze, desto unsicherer der Weg sei. Zu der Zeit nun
lebte ich noch in den Illusionen, wie man dieselben so h�ufig durch B�cher
solcher Reisenden gen�hrt bekommt, die nur einen oberfl�chlichen Blick in
das Leben der Mohammedaner geworfen haben und uns erz�hlen, wer mit einem
Muselman aus Einer Sch�ssel gegessen habe, f�r heilig und unverletzlich
gehalten werde. Zu der Zeit glaubte ich noch an die Heiligkeit des
Gastrechtes. Und hierdurch unvorsichtig gemacht; liess ich eines Tages mein
Geld sehen. Im Ganzen mochte ich ca. 60 franz�sische Thaler haben. Aber
auch f�r einige Thaler marokkanisches Kleingeld war darunter, welches ich
den Schich bat, gegen franz�sisches umzutauschen, da ich wusste, dass
ersteres in Algerien keinen Cours hatte.

Thaleb Mohammed wechselte, aber von dem Augenblick an musste er auch schon
den Entschluss gefasst haben, mich zu ermorden. Jetzt war nicht mehr die
Rede davon eine Karavane abzuwarten, er meinte nun, mit H�lfe seines
Dieners, der ganz gut als F�hrer w�rde dienen k�nnen, k�nne ich auch ohne
Karavane die nur zwei Tagem�rsche entfernte Oase Knetsa erreichen. Er f�gte
noch hinzu, ich k�nne mich vollkommen auf seinen Diener verlassen, und der
Preis f�r das F�hren, 8 Frcs., wurde von mir im Voraus bezahlt.

Mit Freuden war ich auf den Voschlag [Vorschlag] eingegangen, denn nach
mehr als zweij�hriger Anwesenheit unter diesen durch ihre Religion
verthierten Menschen hatte ich die gr�sste Sehnsucht wieder unter
Civilisation zu kommen. Ich fand es auch gar nicht auff�llig, als Thaleb
Mohammed vorschlug, Abends abzureisen, da man in der Sahara ja so h�ufig
die Nacht zu H�lfe nimmt, um der Sonne zu entgehen, und um vom Durste
minder gequ�lt zu werden.

So machten wir uns Abends auf den Weg, der F�hrer, ein Diener und ich. Es
hatte sich n�mlich vom Draa her ein Pilger an mich angeschlossen, der gegen
Kost, aber sonst ohne Lohn, in ein Dienstverh�ltniss zu mir getreten war.
Nach einem Marsche von etwa 4 Stunden lagerten wir in der N�he eines
kleinen Flusses und machten von trocknen Tamarisken-Aesten ein hoch und
hell loderndes Feuer an, welches der F�hrer besonders gut im Brennen
unterhielt, um damit seinem Herrn den Ort zu zeigen, wo wir gelagert w�ren.
Mein Diener und ich beim Feuer ausgestreckt, waren bald eingeschlafen,
ebenso schien der F�hrer sich der Ruhe hinzugeben. Ausser dass ich eine
Pistole trug, hatte der Diener und ich keine Waffen, der F�hrer hatte einen
Karabiner. Wie lange ich geschlafen, erinnere ich nicht. Als ich erwachte,
stand der Schich der Oase dicht �ber mich gebeugt vor mir, die rauchende
M�ndung seiner langen Flinte war noch auf meine Brust gerichtet. Er hatte
aber nicht, wie er wohl beabsichtigt hatte, mein Herz getroffen, sondern
nur meinen linken Oberarm zerschmettert; im Begriff mit der Rechten meine
Pistole zu ergreifen, hieb nun der Schich mit seinem S�bel meine rechte
Hand auseinander. Von dem Augenblick sank ich auch schon durch das aus dem
linken Arm in Str�men entquellende Blut, wie todt zusammen. Mein Diener
rettete sich durch Flucht.

Als ich am folgenden Morgen zu mir kam, fand ich mich allein, mit 9 Wunden,
denn auch noch, als ich schon bewusstlos dalag, mussten diese Unmenschen,
um mich ihrer Meinung nach vollkommen zu t�dten, auf mich geschossen und
eingehauen haben. Meine s�mmtlichen Sachen, mit Ausnahme der
blutdurchtr�nkten Kleider, hatten sie weggenommen. Obgleich das Wasser
nicht weit von mir entfernt war, konnte ich es nicht erreichen, ich war zu
entkr�ftet, um mich zu erheben, ich versuchte mich hinzurollen, Alles
vergebens, ich litt entsetzlich vom brennenden Durste.

In dieser h�lflosen Lage blieb ich zwei Tage und zwei N�chte. Halb war mein
Zustand wachend, halb ohnm�chtig. Ich hatte dann die schrecklichsten
Visionen. Manchmal glaubte ich Leute zu sehen, und strengte nun alle Kr�fte
an, um sie herbeizurufen, aber immer war es T�uschung. Mit dem Leben hatte
ich vollkommen abgeschlossen. Haupts�chlich qu�lte mich die f�rchterlichste
Angst von Hy�nen oder Schakalen angefallen und lebendig verzehrt zu werden.
Denn diese Uebergangsgegend der Sahara ist besonders das Gebiet dieser
feigen Raubthiere. Ich w�re ihnen eine vollkommen h�lflose Beute geworden.

Endlich am dritten Tage kamen zwei Menschen. War es diesmal Wirklichkeit,
oder wieder T�uschung? Nein, es waren Menschen, sie antworteten auf mein
schwaches Rufen durch Winken, mit der Stimme. Es waren Marabutin der
unfernen kleinen Sauya Hadjui. Ihre Freude mich lebend anzutreffen, war
fast gr�sser als die meine. Ich stammelte nur "el ma, el ma!" (Wasser).
Aber, dachte ich dann, ist ihre Freude auch aufrichtig? Sie hatten eiserne
Hacken auf der Schulter, offenbar in der Absicht mich zu beerdigen, aber
haupts�chlich waren sie wohl durch den Umstand hergezogen, der jedenfalls
ruchbar geworden war: n�mlich dass man mir meine Kleidungsst�cke gelassen
hatte, f�r die dortige so sehr arme Gegend immer noch ein sehr kostbarer
Gegenstand.

Und nun erkl�rten sie zwar freundlichst mich retten zu wollen, aber sie
m�ssten nach dem zwei Stunden entfernten Hadjui zur�ckkehren, um behuf
meines Transportes ein Maulthier zu holen. So entfernten sie sich wieder,
und jetzt durchlebte ich erst die entsetzlichste Zeit.

Diese vier Stunden, die ich jetzt allein zubrachte, kamen mir vor, wie eine
nie enden wollende Ewigkeit. "Sie haben dich nur verlassen, um dich sterben
zu lassen, und um, wenn du gestorben bist, sich deiner Kleidungsst�cke zu
bem�chtigen", das war der Gedanke, der fortw�hrend durchgedacht wurde,
nachdem ich soeben durch einen Trunk Wasser zu etwas erneuertem Leben
gekommen war. Wie konnte ich �berhaupt nach einem solchen Mordversuche noch
Glauben zu den dortigen Menschen haben.

Da endlich h�rte ich Ger�usch, ich versuchte den Kopf zu erheben, ich sah
ein starkes Maulthier, getrieben von mehreren Menschen, sich n�hern, meine
Retter waren wieder da. Mit Vorsicht luden sie mich auf das Thier, was
keine Kleinigkeit war, da mein linker Arm nur noch an Haut und Muskeln
hing, meine rechte Hand auseinanderklaffte, mein rechter Oberschenkel
ebenfalls durchschossen war. Das Bluten hatte schon l�ngst von selbst
aufgeh�rt, es mussten sich Pfr�pfe gebildet oder die Ohnmachten das bewirkt
haben.

Wie lachte mein Herz, als ich die Palmen von Hadjui auftauchen sah, und
doch wusste ich nicht, wie ich vor Schmerzen auf dem Maulthiere es w�rde
aushalten k�nnen. Und die wenigen Palmen, die wenigen armseligen
H�user[146] schienen mir ein Paradies zu sein.

      [Fu�note 146: Die Oase Hadjui ist nur eine ganz kleine von circa 100
       Palmen bestandene Insel, mit etwa 50 Wohnungen.]

Ich wurde nach der Wohnung des Schichs der Oase gebracht. Das Haus
Sidi-Laschmy's war aber keineswegs gross, es bestand aus einem
Vorzimmer, Aufenthaltsort f�r das Maulthier, f�r einen Esel und zwei
Ziegen, dann kam ein gr�sseres Gemach, das als Wohnzimmer f�r die ganze
Familie und zugleich als K�che diente. Daran stiess ein kleines Zimmer,
Vorrathskammer, endlich waren oben zwei Mensa, d.h. R�umlichkeiten, die
auf dem flachen Dache gebaut waren, und worin die beiden Br�der, denn
Sidi-Laschmy bewohnte das Haus mit seinem j�ngeren Bruder Abd-er-Rhaman,
mit ihrer resp. Frau schliefen. Man machte mir dicht neben der
Feuerstelle mein Lager. Mein erster Wunsch war, nachdem ich etwas
Mehlsuppe genossen hatte, nach einem Messer, und als man ein solches
brachte, bat ich Sidi-Laschmy, mit einem herzhaften Schnitt meinen
herabh�ngenden Arm abzuschneiden.

Aber da kam ich schlecht an. "Das kann bei euch Christen Sitte sein," sagte
der Marabut, "aber wir schneiden nie ein Glied ab, und da du, der H�chste
sei gelobt, jetzt rechtgl�ubig bist, wirst du deinen Arm behalten."
Mittlerweile hatten sie auch schon aus Ziegenfell eine Binde gen�ht, in
welche St�be aus Rohr, um dem Ganzen Halt zu geben, eingezogen waren. Diese
Binde wurde umgelegt, mit Thon umschmiert, und so eine Art festen Verbandes
hergestellt. Der Arm wurde auf weissen W�stensand gebettet. H�tte man nicht
vergessen gehabt, den Verband zu fenstern, so w�re er vollkommen gewesen.
Die �brigen Wunden wurden einfach mit Baumwolle verbunden, welche von
Butter, in welche man vorher Artemisia getaucht hatte, um sie aromatisch zu
machen, durchtr�nkt war.

Welch' wonniges Gef�hl hatte ich Abends, als ich mich unter Dach und Fach
wusste, zwar hart gebettet, denn ich lag auf Stroh und war nur mit
Teppichen bedeckt, aber doch in Sicherheit mit der Aussicht wieder
hergestellt zu werden und noch leben zu k�nnen. Man hatte mir meine
Kleidung vom Leibe geschnitten, um das Blut heraus zu waschen, aber w�hrend
der Zeit befand ich mich in Adam's Kleidern, denn die Leute waren so arm,
dass sie mir keine anderen verschaffen konnten. Ueberhaupt schien Hadjui
einer der d�rftigsten Oerter zu sein, die Leute der Oase waren aber auch
die gastfreundlichsten der Welt. Sie waren so arm, dass sie in der ganzen
Ortschaft nicht einmal Weizen hatten, aber im Glauben, ich d�rfe ihre
schwere Kost aus Gerstenmehl nicht geniessen, wurde f�r mich auf
Gemeindekosten Weizen von einer anderen Oase gekauft. Auch Butter wurde f�r
mich auf Gemeindekosten geholt, und die jungen Leute mussten dann und wann
hinaus, um Strausseneier zu suchen, oder wo m�glich einen Strauss zu
erlegen, damit ich animalische Kost bek�me. Es war r�hrend, wie die jungen
M�dchen t�glich an mein Lager kamen, um mir frisch aufgesprossene Gerste zu
bringen. In dieser an Gr�n so armen Gegend, wo Gem�se, wie R�ben, Zwiebeln
und Kohl zu den feinsten und kostbarsten Gartentr�chten [Gartenfr�chten]
gerechnet werden, verschm�ht man es nicht, das zarte Gras der Gerste zu
geniessen.--Ja, fast erstickten mich im Anfange die Frauen durch ihre G�te:
von dem Grundsatze ausgehend, dass der grosse Blutverlust nur durch grosse
Quantit�ten von Nahrung zu ersetzen sei, waren in den ersten Tagen
best�ndig zwei Frauen an meiner Seite damit besch�ftigt, mir grosse Klumpen
Kuskussu in den Mund zu schieben, und ich, des Gebrauches meiner beiden
H�nde zu der Zeit beraubt, musste es ruhig geschehen lassen.

Endlich nach langem Schmerzenslager, um so unangenehmer deshalb, weil ich
keine Kleidungsst�cke zum Wechseln hatte, konnte ich das Ende meiner Reise
antreten. Die Wunden am K�rper, an den rechten Hand, der Schuss durchs
rechte Bein waren geheilt, der zerschossen gewesene linke Arm hatte zwar
durch Callusbildung um den zerschmetterten Oberarmknochen Festigkeit
gewonnen, aber die Wunden waren offen und von Zeit zu Zeit eiterten
Splitter[147] heraus.

      [Fu�note 147: Erst im Jahre 1868 war der Arm vollst�ndig geheilt,
       nachdem ich stets mit offenen Wunden, die Reise nach dem Tschad-See
       und die Expedition nach Abessinien damit zur�ckgelegt hatte.]

Wir nahmen Abschied von einander und Sidi-Laschmy liess es sich nicht
nehmen, mich bis zur grossen Ortschaft Knetsa zu begleiten. Auf dem Wege
dahin haben die Beni-Sithe Minen mit Blei und Antimon, die sie bearbeiten.
Knetsa mit einer Einwohnerschaft von ca. 5000 Seelen ist eine f�r dortige
Gegend ber�hmte Sauya, indess ebenfalls nicht von Sch�rfa, sondern nur von
Marabutin gegr�ndet. Die Schichs Sidi Mohammed-ben-Abd-Allah und Sidi
Ibrahim sind die ansehensten. Da ersterer sich in Fes befand, stieg ich bei
letzterem ab, f�r beide hatte ich Empfehlungsschreiben von Mulei
Abd-er-Rhaman-ben-S�iman von Tafilet. Merkw�rdigerweise hatte mir
n�mlich der Schich Thaleb Mohammed-ben-Abd-Allah von Boanan auf Bitten
der Marabutin von Hadjui nicht nur meine Empfehlungsbriefe, sondern auch
einen Theil meines Tagebuches zur�ckerstattet. Aber hartn�ckig den
Mordanfall l�ugnend, behauptete er, diese Gegenst�nde dort gefunden zu
haben, leider waren Croquis, sowie Notizen �ber Einwohner, Einwohnerzahl
der Ortschaften und eine ganze Reihe von Berge-, Fl�sse- und Orts-Namen
unwiederbringlich verloren.

Ich wurde gut in Knetsa aufgenommen, aber auf meine Klage, mich zu
unterst�tzen gegen Thaleb Mo-hammed-ben-Abd-Allah, erwiederte Sidi Ibrahim,
Nichts thun zu k�nnen, da sie keine obrigkeitliche Regierung h�tten. In der
That ist in diesen Gegenden von Regierung und Obrigkeit keine Spur
vorhanden, das Faustrecht in der ganzen primitiven Bedeutung des Wortes
herrscht �berall. Knetsa selbst liegt in einem breiten Ued gleichen Namens,
der meist oberirdisch ohne Wasser ist, indess st�st [st�sst] man in
geringer Tiefe auf eine Schicht desselben.

Nach einigen Tagen Aufenthalt vernahm ich, dass eine Karavane von Tafilet
nach Tlem�en den westlich einen Tagemarsch entfernt sich erstreckenden
Ued-Gehr passiren w�rde; mit mehreren Gef�hrten brachen wir also von
Knetsa auf. Unsere Richtung war den ganzen Tag �ber westlich, und nach
einem f�r mich entsetzlich m�hevollen Marsche erreichten wir sp�t Abends
den Gehr. H�tten an dem Tage die Gef�hrten mich nicht unterst�tzt, so
w�re ich auf halbem Wege liegen geblieben; mein Schuhzeug war ganz
zerrissen, meine Kr�fte aber so wenig hergestellt, dass ich alle paar
hundert Schritt ausruhen musste. Und am Gehr angekommen, erfuhr ich, die
Karavane w�rde gar nicht nach Tlem�en gehen, sondern nach dem
Ued-Ssaura. Ich musste also nach Knetsa zur�ck, aber bald darauf traf
ich denn auch Leute, die nach der Oase Figig reisen wollten.

Sobald man Tafilet hinter sich hat, h�rt die eigentliche Sahara auf. Man
hat alle Tage Wasser, Fl�sse, Brunnen und Ortschaften. Aber nirgends hat
die Gegend einen eigenth�mlicheren, wild durch einander gemischten
Charakter wie hier. Selbst in Abessinien, obschon dort die Berge m�chtiger
und bedeutend h�her sind, man aber nur Berge hat, giebt es kaum
wunderlichere Formen. So sieht man auf dem Wege zwischen Hadjui und Knetsa
einen Berg, der vollkommen die Gestalt einer Kirche mit daneben stehendem
Thurm hat, senkrecht aus der Ebene hervorragen. Als ich von Weitem diese
eigenth�mliche Formation erblickte, glaubte ich zuerst, es sei eine alte
kolossale Baute ehemaliger Christen. Hier ist denn auch die Heimath der
Antilopen, Gazellen und Strausse, gr�ssere reissende Thiere sind sehr
selten, Hy�nen, F�chse und Schakale h�ufig.

Man braucht von Knetsa nach Figig drei Tagem�rsche, die aber t�chtig
gemessen sind. Meine Gef�hrten gingen indess nur bis zum Orte
Bu-Schar[148], einer kleinen Oase am Flusse gl. N., von den Uled Djerir
bewohnt. Die Bu-Schar-Oase hat ausserdem noch zwei kleinere Ksors. Ich
glaubte schon zu einem l�ngeren Aufenthalte verdammt zu sein, als sich
ein Mann erbot, mich nach Figig bringen zu wollen, gegen den geringen
Lohn von einem (franz�sischen) Thaler. Er hatte den Empfehlungsbrief des
Scherif-Prinzen von Tafilet an Schich Humo-ben-Taher von Figig gelesen
und meinte, der w�rde den Thaler zahlen. Mit diesem guten Manne, der
noch dazu einen Schlauch Wasser und einige Lebensmittel trug, brach ich
auf. Nach zwei harten Tagem�rschen sahen wir die dichten Palmw�lder der
Oase Figig vor uns. Es ist dies die letzte Oase nach dem Norden zu,
deren Datteln noch gesucht werden; alle von hier an n�rdlich gelegenen
Oasen produciren wohl noch Datteln, jedoch von geringerer G�te. Renou t.
IX, p. 120 f�hrt nach Carette noch Figig als eine von "Berbern bewohnte
Stadt mit 400 bis 500 H�usern oder 2000 bis 2500 Einwohnern" an. Figig
ist kein Ort oder keine Stadt, sondern eine ziemlich grosse, 3 bis 4
Stunden im Umfange haltende sehr fruchtbare Oase, mit acht Ksors, die
alle befestigt sind, und fast fortw�hrend in Feindseligkeiten mit den
ausw�rtigen Ortschaften oder unter sich selbst sind. Der Hauptort heisst
Snaga, im SO der Oase gelegen, hier residirte auch Schich
Humo-ben-Taher. Von den anderen Orten kann ich Maise, dann
Hammam-Tachtani und Hammam-Fukkani (oberes und unteres Bad) nennen. Der
Name deutet schon an, dass hier Thermalen sind, denn unter Hammam
versteht der Araber immer "heisses Bad." Es d�rfte wohl nicht
�bertrieben sein, wenn wenn [wenn] man die Gesammtbev�lkerung der Oase
Figig auf 10,000 Seelen annimmt. Auch Juden wohnen in Snaga und Maise.
Die Oase producirt ausser der Dattel s�mmtliche Fr�chte der
Mittelmeerzone. Der Handel ist sehr lebhaft, Araber-Nomaden, besonders
aus Algerien bringen Butter, Oel, Felle, Wolle, Schafe, Ziegen und
Getreide, und holen daf�r Pulver, Kleidungsst�cke, Datteln, Waffen und
Sklaven.

      [Fu�note 148: Ort, von Moula-Ah'med auf seiner Pilgerreise erw�hnt.
       S. Renou.]

Leider konnte ich mein Versprechen, dem F�hrer einen Thaler zu geben, nicht
halten. Schich Humo-ben-Taher nahm mich zwar sehr freundlich auf, aber
einen harten Thaler f�r mich auszugeben, dazu war er nicht zu bewegen.
Statt dessen rief er den armen Kerl, und ertheilte ihm seinen Segen, er
meinte der Segen w�rde besser sein, als Geld. Betr�bt schlich der arme Mann
von dannen, er nahm selbst Abschied von mir ohne Fluch und Verw�nschung,
meinte nur, wenn ich das Geld gehabt h�tte, w�rde ich ihn wohl belohnt
haben. Und darin hatte er nicht Unrecht, denn als ich sp�ter auf meiner
zweiten Reise in der heiligen Stadt Uesan mit ihm zusammentraf, konnte ich
ihm reichlich sein mir erwiesenes Gute zur�ckerstatten.

Von Figig bis zur franz�sischen Grenze hat man noch einen starken
Tagemarsch, nach einem mehrt�gigen Aufenthalt in Snaga brach ich mit einer
grossen Karavane von Algerinern auf und mit Isch hat man die Grenze des
Gebietes, das dem Namen nach zu Marokko geh�rt, hinter sich, und bald
darauf ist man auf franz�sischem Grund und Boden.

Ehe ich aber �ber Ain-Sfran, Schellala etc. und durch zahlreiche Duars
nomadisirender Araber kommend, G�ryville, die s�dwestlichste von den
Franzosen besetzte Stadt, erreichte, vergingen noch saure, mit starken
Anstrengungen verkn�pfte Tage.

Mit G�ryville aber hatten meine Leiden ein Ende. Herr Burin, Commandant des
Ortes, dann der dortige Militairarzt, nahmen mich mit der offensten
Gastfreundlichkeit auf, wochenlang wurde ich dort aufs liebevollste im
Hospitale der Garnison verpflegt, und bald darauf bekam ich Briefe aus der
Heimath, mein �ltester Bruder Dr. Hermann schickte die Mittel zur
Weiterreise, und als ich dann, kurze Zeit sp�ter, in Algier selbst
anlangte, brachte nach einigen Tagen der Dampfer eben diesen Bruder, der
die weite Reise von Bremen nicht gescheut hatte, "den Wiedergefundenen" an
sein treues Herz zu dr�cken.





End of the Project Gutenberg EBook of Mein erster Aufenthalt in Marokko und
Reise s�dlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet., by Gerhard Rohlfs

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUFENTHALT IN MAROKKO ***

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